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Sonntag

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35. Jahrgang. Nr. 23

Friede.

Jeder haf's gehabt,

Heiner hat's geschäht,

Jeden hat der süße Quell gelabt,

O wie klingt der Name Friede jetzt!

Klingt so fern und zag. Klingt so fränenschwer,

Keiner weiß und fennt den Tag,

Jeder sehnt ihn voll Berlangen her. Sei willkommen einft, Erste Friedensnacht,

Milder Stern, wenn endlich du erscheinst Ueberm Feuerdampf der letzten Schlacht.

Dir entgegen blickt

Jede Nacht mein Traum,

Ungeduldig rege Hoffnung pflückt

Ahnend schon die goldne Frucht vom Baum.

Sei willkommen einst,

Wenn aus Blut und Not

Du am Erdenhimmel uns erscheinst, Einer guten Zukunft Morgenrot!

Hermann elle

Grenzen der Erziehung.

Von Jügen Brand.

M...

Beilage zum Vorwärts" Berliner Volksblatt

Wir können die Kinder nach unferem Sinne nicht formen."

Goethe, Hermann und Dorothea . Einen Lehmklumpen, einen Marmorblod kann der Künft­Yer kneten und behauen, wie er will, um ihm die gewünschte Form zu geben; sie haben keinen eigenen Willen. Das Ent­scheidende ist der Wille des formenden Künstlers.

Nicht selten wird auch die Erziehung des Menschen als eine Art Formgebung aufgefaßt, bei der es darauf ankomme, dem Zögling die vom Erzieher gewollte Form zu verleihen. Hiergegen ist zunächst zweierlei zu sagen. Erstens: Das Kind ist kein willenloser Lehmklumpen oder Marmorblock, sondern ein lebendiges Wesen, das sich entwickelt nach ihm inne­wohnenden eigenen Gesetzen. Zweitens: Nicht jeder Er­zieher ist ein Künstler.

Ziel sehen die in dem Rinde ruhenden törperlichen und geistigen Anlagen zu wecken und zu möglichster Vollkommen heit auszubilden.

Berlin , 23. Juni 1918

Innern des Menschen, in der geheimnisvolle Mächte an seinem Schicksal bauen. Aber wieviel Leid und Bitterkeit wird völlig zwecklos über die jungen Menschen gebracht? Es Aber liegt darin nicht ein Widerspruch! Auf der einen gibt doch ein Recht des Kindes, das mit ihm geboren Seite zugeben, daß wir ,, die Kinder nach unserem Sinn nicht wird; das ist sein Recht auf eine seiner Natur gemäße Er­formen" tönnen, und auf der anderen Seite die vollkommene ziehung.

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Ausbildung der natürlichen Anlagen des Kindes erlangen? Die Natur des Kindes gilt es also durch unausgesetzte Der Widerspruch ist nur scheinbar. Wenn wir anerkennen Beobachtung kennen zu lernen. Der Zugang zu diesem Ge­müssen, daß legten Endes die in dem Kinde liegenden Kräfte biete ist oft sehr erschwert. Einige können, andere wollen sich das Ziel seiner Entwickelung bestimmen, so ist damit keineswegs nicht so geben, wie sie sind. Was ist da zu tun? Sollen gesagt, daß unsere Bemühungen diese Entwicklung nicht Befangenheit oder Verschlossenheit oder gar Heuchelei mit wesentlich beeinflussen können; denn sonst wäre die Möglich- Strafen belegt werden? Was wäre damit gewonnen? Der teit jeder Erziehung überhaupt verneint. Erziehung ist aber Befangene würde nur befangener, der Verschlossene nur ver nicht nur möglich; sie ist auch notwendig. schlossener werden. Nein, weder Drohen noch Strafen; es In erster Linie gilt es hier, zu begreifen, daß es nicht gibt nur ein Mittel, das dir alle Tore der findlichen Seele darauf ankommt, den eigenen Willen des Zöglings zu brechen öffnet: Liebe. Die Liebe zu den Kindern ist das Alpha und ihm einen fremden Willen aufzuzwingen, sondern darauf, und Omega jeglicher Erziehung. Wenn ihr's nicht den Willen des Kindes auf ein nügliches Ziel zu richten. fühlt, ihr werdet's nicht erjagen." Nur durch selbst­Bequemer freilich ist es auf jeden Fall, Fremdes, Entgegen- lose und opferbereite Liebe erwerben wir uns das grenzen­stehendes einfach zu zerschlagen und wegzuräumen. Ver- lose Vertrauen unseres Kindes und damit die einzige heizungsvoller ist jedoch der beschwerlichere Weg: in müh- Möglichkeit, Einfluß zu gewinnen auf seine Seele. Wenn ich famer, beharrlicher Arbeit das ursprüngliche Hindernis dem mit Menschen- und mit Engelszungen redete und hätte der als wertvoll erkannten Ziele nugbar zu machen. Daß dieser Liebe nicht, so wäre ich ein tönend Erz oder eine klingende Weg an Arbeit und Enttäuschungen reich ist, braucht nicht Schelle. erst bewiesen zu werden. Der Landmann streut den Samen Ueberhaupt! Was sind Worte? Glaubt ihr wirklich, aus, zwar auch in ungewisser Erwartung; aber schon die daß durch Worte in der Erziehung viel erreicht würde? nächste Zeit überzeugt ihn von dem Erfolg oder Mißerfolg Worte verwehen wie Fußspuren im losen Sande. Nein, feiner Arbeit. Bei der Erziehungsarbeit fehlt in den nicht durch Worte sondern durch Taten sucht zu erziehen. meisten Fällen dieser überzeugende Erfolg. Da fentt Verba docent, exempla trahunt. Worte belehren, Beispiele man die Saat in vermeintlich gutbereitetes Erdreich reißen hin. Das sittliche Vorbild, getragen von in dem unerschütterlichen Bewußtsein: Dieser Samen muß freigeschenkter Liebe, wirkt mehr als alle noch so wohl­gute Früchte bringen. Aber es vergehen Tage und Jahre, gemeinten und wohlgesetzten Worte. ohne daß wir den Erfolg schen; oder es kommt gar eines Damit stehen wir an den Grenzen der Erziehung, die Tages gänzlich unerwartet und unerwünscht ein Resultat zu- im Erzieher selber liegen. Wer soll erziehen? Oder besser: tage, vor dem wir erschrecken, ein völliges Gegenteil von dem, Wer hat das Recht, zu erziehen? Es wurde schon gesagt, was wir erstrebten. Wer will einem Sinde an der Wiege Erziehen sei eine Kunst. Also sei der Erzieher ein Künstler. sagen, wohin seine Entwicklung führt? Was da un Entspricht jeder Vater, jede Mutter diesem Ideal? Oder schuldig" lächelnd dich anblickt, wird vielleicht durch glänzende etwa die abgestempelten Pädagogen"? Wenn ein blutiger Anlagen emporgeführt auf die Höhen der Menschheit; Dilettant auf dem Gebiete der bildenden Künste die Ansprüche vielleicht durch die dunklen Mächte seines Innern zum eines Künstlers erheben wollte, er würde sehr bald und sehr Räuber und Mörder. Wennschon das Wort Goethes: Was nachdrücklich in seine Grenzen verwiesen werden. Auf dem weiß denn ein Mensch vom andern? eine schwermütige Gebiete der Erziehung aber maßt jeder sich unbedenklich das Lebenswahrheit ist, wievielmehr ist die Frage berechtigt: Was Recht an, hineinzupfuschen; und doch ist eine lebendige Saat wissen wir denn vom Innenleben des Kindes? ein ungleich wertvollerer Stoff als etwa ein Gemälde, eine

Daraus folgt für eine vernünftige, d. i. naturgemäße Statue, eine Architektur, und die Folgen einer verfehlten Er­Erziehung als erste und wichtigste Aufgabe, durch eindrinziehung können ungleich verhängnisvoller wirken, als ein ver­gende Beobachtung das Kind in allen seinen Lebens- pfuschtes Bildwerk. äußerungen zu studieren, um zunächst eine Stelle zu ent- Es ist wahr, wer die rechte Liebe zu den Kindern im decken, bei der wir ansetzen fönnen mit unserer Erziehung. Herzen trägt, der wird auch den Weg zu ihrem Herzen finden; Zu eins: Das Kind ist kein toter Blod, der sich wider- Welcher Jammer, zu sehen, wie die offizielle Pädagogik" aber es ist gut, sich über die Schwierigkeiten dieses Weges standslos einem fremden Willen fügt. Das Kind hat seine( Erziehungslehre) die schwierigste Kunst, Menschen zu erziehen, Rechenschaft zu geben. Wenn die unerläßliche Forderung eigene Art zu denken, zu empfinden, zu wollen, und es ist nicht selten zur Schablone macht. Wahrlich, Erziehung ist einer vernünftigen und wirksamen Erziehung in dem sittlichen ohne weiteres nicht möglich, unsere Art dafür an die Stelle notwendig; denn wir können es nicht verantworten, unsere Vorbilde ruht, so folgt daraus weiter für jeden Erzieher als zu setzen. In den bei weitem meisten Fällen ist dies auch Kinder schuß- und steuerlos dem wilden Meere des Lebens oberstes Gesez: Erziehe dich selbst! Das ist eigent­durchaus nicht wünschenswert, denn es würde nur willenlose anzuvertrauen: aber nicht notwendig ist es, ungezählte junge lich selbstverständlich; denn wer kann andere erziehen, wer Werkzeuge, Sklaven hervorbringen und letzten Endes zur Menschen jahrein, jahraus in das Protrusterbett einer Bäda selber nicht erzogen ist? Wer darf Forderungen an andere Unterdrückung jeglicher Persönlichkeit führen. Darin aber gogik zu zwängen, die in ihrer rücksichtslosen Gleichmacherei stellen, wer sie selber nicht erfüllt? Erziehe dich selbst! kann eine vernünftige Erziehung ihre Aufgabe unmöglich er- bas beste in ihnen, ihre Persönlichkeit, nicht achtet und ver- Denn alle Tugenden, welche du in deinem Stinde zu entfalten Im Gegenteil: Jede ernsthafte, sich ihrer großen nichtet. Freilich, darüber dürfen wir beruhigt sein: auch diese wünschest, mußt du ihm in deinem eigenen Verhalten vorleben. Verantwortung bewußte Erziehung wird gerade darin ihr Erziehung" wird nicht rühren an die dämonische Region im Hier kann dir nichts erlassen werden. Und die Kehrseite?

blicken.

Erinnerung.

Von Wilhelm Scharrelmann .

Es will Abend werden.

Einer jener Sommertage, die blau und licht in feierlich stiller Weite unter einem unermeßlichen Himmel stehen und mit schimmernden Wolfen wie mit Schneegebirgen gekrönt erscheinen, versinkt langsam in Dämmerung und Nacht.

Im Zimmer ist es warm und schwül. Vor dem ge­öffneten Fenster stehen die Linden regungslos in der stillen, warmen Luft, und auf ihren dunkelgrünen Blättern liegt in feiner Silberschicht der Staub.

Es ist die Stunde, wo man nicht regungslos am Fenster| Abschied nimmt, Abschied auch von dem Grabe, das dort- figen bleiben darf, wenn einen nicht die Erinnerungen über- ich weiß nicht wo- neben vielen andern liegt. An einem wältigen sollen, die mit der Dämmerung aus allen Winkeln Waldrand soll es sein. Vielleicht glühen die Kiefernstämme steigen. dort eine Stunde später so wie jetzt hier, so warm und rot Ich nehme den Hut und gehe hinaus, den Weg unter wie die Liebe, die an jene Gräber denkt. den Linden entlang. Nach zwei Minuten bin ich im freien Nein, nicht so die Erinnerungen aufkommen lassen. Das Felde. Das Korn steht in unzähligen Hoden wie ein Heer Leben gehört der Stunde, und der Tag ist schier genug und in Reih und Glied. Ein Naubvogel zieht mit eiligen Flügeln braucht unsere ganze Straft. Und wenn die Nacht auch sinkt, zu Horst. Irgendwoher Hallt ein Ruf über die schweigenden tiefer und tiefer, daß du meinst, nicht atmen zu können in Felder, noch einmal... und ertrinkt in dem tiefen, großen der stillen Traurigkeit, die dich umfängt: noch jede Nacht rang Schweigen. sich zu ihrem Morgen durch.

Ich gehe schneller und schneller, um Herr zu werden über das, was an den Abenden, die am stillsten sind, am lautesten in uns spricht.

Nein, nicht dorthin. Den Weg sind wir vor einem Jahre zusammen gegangen, er und ich.

Die letten Erntewagen rumpeln draußen vorüber. Mit haftigen Flügelschlägen taumelt eine Fledermaus als Vorbote der Nacht am offenen Fenster vorbei. In dem Ich schlage einen anderen ein. fleinen Bauerngarten unter mir stehen die Sonnenblumen Der Staub mulmt unter meinem Fuß. wie große, gelbe Sterne, der Rittersporn streckt seine Halt, lieber hier herum. Dort bei den Kopfweiden hat blauen Blütenschäfte über dunkelgrünem Laub empor, und er sein letztes Bild gemalt: Erntearbeiter. Halbfertig steht der Phlox flammt durch die Dämmerung mit farminroten es zu Hause, an die Wand gelehnt. Mitten in der Arbeit Blüten herauf. rief es ihn fort, nach Westen zu, wo es seit langem feine Deutlich flingt jetzt in der tiefen Stille das Plätschern Nacht mehr zu geben scheint, wo Millionen die Nacht ver­des Prunnens vom Dorfplatz herüber. treiben mit Geschützdonner, Leuchtkugeln, Brandgranaten, Eine Magd kommt um die Hausecke, Wasser holen. Die Gewehrfeuer. Aber die Nacht, die auf uns alle wartet, ist schwingenden Eimer klirren bei jedem Schritt an den Joch- dort desto näher, öffnet Tausenden ihr dunkles Tor.. ketten. Auf der Wiese hinter dem Hause meckert eine Ziege Wenn man vom Felde zurückblickt, sieht man die Kirche nach dem Stall. Irgendwo im Felde brüllt eine Kuh. Lang- über dunklen Baumgruppen emporragen. Schimmernd ragt gezogen flingt ihr dumpfes Gebrüll herüber. der weiße, viereckige Turm in den hellen Abendhimmel. Vom Kirchhof leuchten ein paar Marmorkreuze herüber.

Die Wolken, vom letzten Strahl der Sonne getroffen, Ieuchten mit goldenen Rändern und die Apfelbäume stehen mit schweren hängenden Kronen demütig in der regungslosen Stille des Abends.

Der Weg wird feucht. Der Tau fällt.

Ein Stern blinkt auf. Blaß und flimmernd steht er im Often, als sei er heute abend zuerst entzündet und schaue zum erstenmal auf die Erde herab, ein wenig scheu noch und ohne Kraft zu leuchten.

Aber je dunkler es wird, desto feuriger erglüht er, wie ein Herz, das stärker wird, je tiefer die Dunkelheit ist, die es umfängt.

Wie ruhig er damals fortging, lächelnd und gelassen. Seine Pflicht tun. Das ist alles." Ein Wort, das mich nicht wieder verlassen will. Mich dünkt, die Nacht war nie so schön, so geheimnis­voll wie heute. Selbst die Kirche ist nur mehr eben zu er­fennen. Die erste Eule geistert vorüber.

Hier steht noch ein Roggenfeld auf dem Halm. Schwer hängen die Mehren, als warteten sie gesenkten Hauptes auf ihren Schnitter. Im Osten schwimmt der Mond mit bleicher Sichel.

Jm Dorfe fläfft ein Hund.

Nun wieder diese regungslose Stille. Plöglich ein Surren, ein Dröhnen in der Luft. Erfennen kann ich nichts. Vielleicht ein Flieger, der irgend­in der weiten Luft seinen Weg sucht. Nach wenigen Minuten hat die Weite das Geräusch verschlungen. Kein Laut mehr. Vor einem Jahre saßen wir hier am Waldrande, mein Freund und ich.

Wie friedlich der Tod hier ist. Ein Zur- Ruhe- gehen, ein Abschiednehmen, ein ergreifend leises Berwehen, ein Sich­einbetten in den Schoß der mütterlichen Erde, die einen ein Leben lang genährt und getragen, ein gelassenes Davon­gehen, eine friedliche Rüfte nach getaner Arbeit, ein Ausruhen wo und hoffnungsseliges legtes Zurückblicken, ein Ja und Amen. Und dort drüben im Westen, wo das Abendrot flammend am Himmel steht? Der Himmel erglüht jetzt, als wolle er alles in Brand und Die Sonne fann jest dort noch nicht hinunter sein. Sie Feuer tauchen, und die Stille wird so tief, daß man sie hört. hat noch eine Stunde Zeit, bis sie von der zerwühlten Erde

Minutenlang bleibt es still wie in einer Stirche. Von der Diele herauf, wo auf dem offenen Herde das Feuer brennt, hört man zuweilen ein Stück Holz in der Flamme tnaden. Wie ein Schuß aus der Kinderpistole flingt das.

Es war eine Nacht wie heute. Mir ist, als wäre es gestern gewesen, und doch liegt ein Jahr dazwischen. Die Lust