35. Jahrgang. ♦ Nr. Z5 Beilage zum �vorwärts" berliner Volksblatt Serlm, 15. September 191 S Eugens. Ach, unsre Juxend scheint uns wie ein See, der kaum das erste Morgenrot gespiegelt, von schwär»!» Wetterwolken überflügelt Trubwcllen treibt: der Menschheit großes Weh. Den grünen Wipfel, der»um Licht gestrebt, hat längst der Sturmwind bodenzu gebogen: der Aogcl Sehnsucht, de? ihn überflogen, klagt um die Freude, die uns nicht mehr lebt. Wir sind wie Gras, von Heister Luft verbrannt, uns ist der Erde Bitterkeit gegeben, der Zwang,»u fein und dennoch nicht zu leben... der Zukunft tief und unlösbar verwandt. Wir find die Saat, die aus den Furchen springt, bald steht das Feld voll feuerwilder Blumen. Bald weht ihr Duft au» allen Ackerkrumen. die Frevel einst mit Menschenblul gedüngt. Wir sind das Meer, da» sich zu Tale bäumt— die Wälder und die Berge werden lauschen. wenn einmal unsre Schäpserflulcn rauschen, von Weitgeburt, die unsre Seele träumt! ____« r t u r Z i ck I e r. was will Wilson? Von Adolf Werner. Don der Parteien Hast und Gunst verwirrt, schwankt daS Vild des amerikanischen Präsidenten im Urteil der Gegenwart: Von den Einen als Pazifist, alS Vorkämpfer einer internatio- nalen Äcltordmmg gefeiert, von den Andern als gerissener Denngoge und skrupelloser GcschäftSanwalt verflucht. Wilson ist der Diktator der stärksten Macht unter den Feinden Deutschlands . Ihre wirtschaftlichen Kampfmittel sind ungeheuer, die militärischen werden mit ungeahnter Energie entu klelt. Die Kriegs- und Friedenspolitik Deutschlands ist in hohem Grad mitbestimmt, wenn nicht geradezu abhängig von deni, waS der Führer der stärksten Feindcsmacht will. Darum ist der Versuch M. I. Bonns, eine Analyse der Wilsonschen Politik zu geben, sehr dankenswert.') Zum erstenmal in der Geschichte sind die Vereinigten Staaten als Welt macht aufgetreten. Bis Kriegsausbruch warm sie mit ihrer eigenen Politik und der Erschließung ihrer wirtschaftlichen Möglichkeiten voll beschäftigt, wenn sich auch be- rcits seit etwa zwei Jahrzehnten ein aggressiver Aug verriet, dosten Träger die Republikaner unter MacKinley und Roosevelt waren, und der im Kriege mit Spanien , dem Raub der Panamaenge, und einem rücksichtslosen Protektionismus ihren äußeren Ausdruck fand. Aber diese Strömungen hatten noch *) M. I. Bonn :»Was will Wilson?" Münster bei Georg Müller. nicht Oberwasser, die imperialistischen Kernsprüche waren noch nicht unbestritten. Mit Wilson kamen die Demokraten ans Ruder, die die Schutzzollmauer abbauten, den Pazifismus zur Staatsmaxime erhoben, Schiedsgerichtsvorträge schlössen und— was mehr gilt— ein praktisches Beispiel ihrer fr.ed- lichen Gesinnung gaben, indem sie während des Konflikts mit Mexiko eine Intervention vermieden. Präsident Wilson ist der Führer einer Partei, die geradezu den Spruch zu ihrem Leit- gedanken erkoren zu haben schien:„Bleibe im Lande und nähre dich redlich!" Sie war damit die Bewahreritt der alten ameri- kanischen Politik, die in der Isolierung von den europäischen Händeln die Sicherung der eigenen Entwicklung erblickte. Von dieser historischen Tatsache muß jede Darstellung aus- gehen, die Wilsons Ziele skizzieren und der Wahrheit ohne pole- mische Seitengedanken dienen will. ES ist daher auch falsch, wenn nicht lächerlich, hinter Wilsons Politik jämmerliche oder kleinliche Motive zu suchen. So die groteske Idee, Wilson, der Sohn einer englischen Mutter, empfände aar nicht ancerikanisch, sondern englisch und mißbrauche eigentlich seine Präsidentschaft zu einem Verrat an den Vereinigten Staaten zugunsten Eng- lands: oder gar die kühne Behauptung, Wilson habe den amerikanischen Schutzzoll nur deshalb ermäßigt, um die stagnie- rende Wirtschaft seines lieben Englands zu fördern; und endlich das oft wiederholte Diktum.Wilson habe den Krieg nur im In- tercsse der amerikanischen Lieferanten Englands und zur Sichc- rung ihrer Außenstände unternommen. Man mag Wilson für einen sehr dummen Menschen halten, aber für so dumm kann er doch wohl nicht angesehen werden, daß er schlechtem Gelde gutes nachwirft, daß er um die lumpigen paar Milliarden ungedeckter amerikanischer Außenstände in den Ententeländern zu retten, eine zehnmal größere Kriegsschuld kontrahiert, die Wirt- schaftlichen Vorteile der Neutralität leichtsinnig aus der Hand gibt, Millionen Amerikaner dem Kasernenzwang unterwirft und dem Tode aussetzt. Die kapitalistische Versippnng mit den Ententeländern mag die Agitation für den Krieg gefördert haben, zur Kriegserklärung zu führen, war sie zu schwach. Was also hat den Präsidenten in den Krieg getrieben und auf seine ehrenvolle Rolle als FriedenSverimttler verzichten lassen? Die Gefährdung der neutralen Schiffahrt durch den U-Boot-Krieg, der unglückliche Licbeshandel des Staatssekretärs Ziminermann mit dem mexikanischen Präsidenten und schließlich die Furcht vor einem Siege des„preußischen Militarismus", der auch die Vereinigten Staaten in das Joch des Wettrüstens zwingen wurde! Ja. so antworten die Zweifler an Wilsons Ehrlichkeit, hat Deutschland zuerst die neutrale Schiffahrt lalnu gelegt? Oder ist es nicht England gewesen, das zum Hohn gegen alles moderne Rechtsempfinden die brutalsten Sätze seiner alten See- volizei neu zu Geltung brachte und den Hungerkrieg gegen Deutschlands Frauen und Kinder eröffnete? Und hat nicht Präsident Wilson dazu fein säuberlich geschwiegen, oder wenig- stens nichts Rechtschaffendes unternommen? Präsident Wilson hat sich in der Tat zu allgemeiner Enttäuschung und Erbitte- rung in Deutschland mit einem kraft- und saftlosen Protest begnügt, Englands Blockadeministern aber praktisch freie Hand gelassen. Bonn weiß diesen Widerspruch mit einer sehr präzisen Formel zu lösen: „So einfach liegen indes die Dinge nicht. Amerika hat keine Schritte getan, um die Freiheit der Meere zu erzwingen, weil eS keine Maßnahmen ergriffen hatte, um die Verlehung der belgischen! Ncntralität zu verhindern. Immer und immer wieder ist den Amerikanern betont worden, daß man unmöglich wegen der Bcr- letzung einiger Handclsinteressen politische Schritte tun dürfe, nachdem man solche unterlassen habe, alS die Neutralität Belgiens auf dem Spiele gestanden sct.. Tie belgische Frage ist von so beherrschender Wichtig- keit, weil sie als Probe gilt, ob internationale Verträge, auf�die gerade die Demokraten in den Vereinigten Staaten ihre Politik gebaut hatten, gehalten werden und ihre Verletzung unter Strafe steht: Ein derartiges System(von internationalen Verträgen) ist aber nur gesichert, wenn die Grundlage, auf der es steht, der inter - nationale Vertrag, heilig ist. Solange die Auffassung besteht, intcr- nationale Verträge könnten einseitig aufgehoben werden, solange hängt der Völkerbund in der Luft. Die Lösung der belgischen Frage ist daher für die Neuordnung der Welt von bestimmender Bedeu- iung. Wenn Teutschland nicht durch Wiedergutmachung der begangenen Vertragsverletzung zeige, daß«S die Absicht habe, zur Vertragstreue zurückzukehren, sei aus seine Teilnahme an einem Völkerbunde nicht zu rechnen. Es bat nach der naiven amerikani- sehen Auffassung den Vertragsbruch in die Welt gebracht; es muß ihn wieder ungeschehen machen, wenn es der Völkerliga beitreten will Solange eS als Sicherheit gegen einen englischen Aufmarsch in Belgien noch besondere teeeitoriole Abmachungen suche, solange zeige es selbst, daß es an den Bestnud einer besseren Ordnung nicht glaube. Und solange derjenige Staat, der als Erster das internationale Recht gebrochen habe und immer wieder den Nachweis zu sühren suche, daß er dazu ein Recht gehabt habe, einer reinlichen Lösung der belgischen Frage widerstrebe, solange sei der Glaube au die Heiligkeit der Verträge nicht wiederhergestellt.... Tie deutsche Kritik an Wilson scheint deshalb von falschen Voratissetzungen auszugehen, indem sie ihn recht primitiv als Bösewicht abmalt. Das Zeugnis einer solchen Äufsassung war eine vor kurzem erschienene Karikatur der„Berliner illustrier- teil Zeitung", die den amerikanischen Präsidenten als Talmi- Gentleman darstellt, den Dolch in der Hand, um den ahnungslos daher schwebenden Friedensengel abzustechen. Das Schlimmste, das von solchen Produktionen gesagt werden kann, ist, daß sie das Entzücken der Urtetlslosen im eigenen Land und das Aergernis aller Urteilsfähigen bei Freund und Feind ist. Es ist nicht nötig zu lügen, um Wilson zu kritisieren! Viel wirksamer ist ein Vergleich zwischen seinen angestrebten Zielen und den wirklichen Folgen seiner Methoden. Er will den Völkerfrieden, die Achtung jeder nationalen Individualität, die Freiheit der Meere, Teilnahme aller Völker zu billigen Bedin- gungen an den wirtschaftlichen Erwerbsmöglichkciten der Welt, selbstverständlich unter Einschluß des deutschen Volkes, wenn es mit Gleichberechtigung zufrieden ist und nicht die Vorherrschaft erstrebt. Tatsächlich hat aber Wilson, der Demokrat und Pazifist, der so standhaft allen mexikanischen Versuchen widerstrebte, die imperia- listischen Instinkte seines Volkes geweckt und zu hellen Flammen angeblasen. Schon interpretiert L o d g e, der Vorsitzende des Senatausschusses für auswärtige Angelegenheiten, die Wilson- schen Kriegsziele in einer Weise, daß sich die schlimmsten fran- fischen Chauvinisten vor Entzücken nicht zu fassen vermögen. Wilson selbst, der die Einmischung in die innere Politik der Der Seeigel. Von Erich Kuttner . Tief im Innern eines Kreidefelsens lag, wenige Kilo- ineter hinter der Front, die gewaltige Höhle, in der der Feldherr der großen Armee arbeitete. Abgeschnitten von allen Geräuschen der Welt und gleichzeitig durch hundert Meter dicke Felsenschichten gegen die Einschläge auch der schwersten Ar- tillerie gedeckt, grübelte er hier Tag und Nacht über Land- karten und Berichten und entwarf jene gewaltigen Pläne, deren Ausführung jedesmal die Welt in Erstaunen und die Gegner in Schrecken setzte. Der größte Teil des unregelmäßi- gen Raumes war in Finsternis gehüllt, nur über dem mit Karten bedeckten Tisch verbreitete eine Glühlampe helles Licht. Ein einziger, schnurgerade durch den Fels gehauener Gang führte zum Tageslicht, und die Ordonnanz, die jetzt die Höhle verließ, erschien wie ein Insekt, das durch einen Gewehrlauf krabbelt. Als die Schritte verhall! waren, herrschte Totenstille. Ab und zu tickte ein herabfallender Tropfen. Der große Feldherr aber saß unbeweglich und der Blick des kantigen Gesichts, aus dem noch niemand eine Gefühlsregung hatte herauslesen können,- haftete minutenlang auf dem Schreiben, das ihm soeben über- geben worden war. Keine Falte verzog sich in dieser hart- gemeißelten Maske, nur ein ganz feines Vibrieren der Nasen- flüget kündete, daß in den Zügen Leben war. Tcr Brief war ein persönliches Handschreiben des Mon- archen. Der König machte seinein Oberbefehlshaber eine fol- gmichwere und bochbedeutsame Eröffnung: Die Feinde hatten den Frieden angeboten. Das Angebot war über alle Erwar- tungen günstig.' Nur in einem Punkte hatte man Bedenken: Ter Feind forderte unbedingt die vollkommene Räumung des jetzt von der eigenen Armee besetzten Teils seines Gebietes. Jin Ministerrat waren die Ansichten hierüber geteilt gewesen, jwd es war zu heftigen Zusammenstößen gekommen. Der König verlangte den Rat und die Meinung seines ruhmgekrönten Fcldberrn zu hören. Einen Augenblick schien es, als ob die zusammengepreßten Lippen sich ganz wenig nach unten verzogen. Ein Lächeln ivar über das hagere Gesicht gehuscht, ein Lächeln, vor dem man sich fürchten konnte. Gab eS denn hier noch Rat und Meinung? Er, der Feldherr, hatte seit dem ersten Kriegstage nur einen Gedanken gehabt. Er wußte bereits, als er den ersten Marsch- befehl unterzeichnete, daß es nur ein Ziel gab: die Besetzung dieses Landstreifens. Diese Höhenzüge mit ihren tiefeinge- schnittenen, verschluchteten Tälscharten, sie waren die natürliche Burg, die der Herrgott selbst wie zum Schutze deS Vaterlandes aufgerichtet hatte. Nur kurzsichtige frühere Geschlechter konnten dies übersehen, und gerade diese Gebietsteile beim letzten Frie- denSschluß dem Feind gegen wertlose Kompensationen überlassen. Ob je das Geschick noch zum zweiten Male dem Lande diesen Schutzwall in die Faust geben würde? Man durfte es nicht zum Ztoeitenmal herausfordern. Noch Kinder und Kindes- kinder sollten, durch das eroberte Land geschützt, ungestört in Frieden leben, sein Besitz sollte die Gewähr bieten, daß in Ewig- keit der Feind keinen Angriff niehr wagen würde. Der General ergriff den Sprechtrichter des neben ihm stehenden Parlographen und diktierte mit einer Stimme hinein. der niemand irgendeine Erregung hätte anmerken können:„Das Land, das mit dem Blute von Hundertwusend unserer besten Söhne erkauft worden ist, darf nicht wieder herausgegeben wer- den, es niuß mit dem Vaterland verbunden bleiben vis in alle Ewigkeit." Er wiederholte noch einmal die letzten Worte:„Bis in alle Ewigkeit." Dann beugte er sich wieder über die Karte und fuhr fort, das Projekt des nächsten großen Angriffs auszuarbeiten. Er rechnete:„Der Angriff an dieser Stelle kann ups bis zehn- tausend Tote kosten. Aber wenn die Artillerie leistet, was ich erwarte, und der Flankenangriff von Höhe 45G gelingt, so hat der Feind die doppelte Einbuße, und außerdem verliert er die für ihn sehr vorteilhafte Stellung längs des Flußrandes. Unser Angriff muß am ersten Tage durchstoßen bis...", und er setzte die Zirkelspitze auf der Karte ein. Er stutzte. Ein heftiger Schlag traf seine.Hand, wie von einem kleinen Hammer geführt, sodaß der Zirkel fiel und die Spitze abbrach. Im nächsten Augenblick war sich der Feld- Herr über die Ursache im klaren: Von der Decke des Gewölbes hatte sich ein Stein gelöst. Das kam öfter vor. Mit einer Handbewegung wollte der Feldherr den Klumpen von der Karte entfernen, aber plötzlich hielt er inne, nahm den Stein in die Hand und betrachtete ihn aufmerksam von allen Seiten. Der Stein hatte eine seltsam regelmäßige Gestalt, er glich etwa einem Spielkreisel, wie ihn die Kinder tanzen lassen. Von der kreisrunden Grundfläche nach der Spitze aber liefen in gleichen Abständen punktierte Doppellinien, die ihn in fünf Keile zerlegten. Ein paar Sekunden dachte der General über diese seltsame Erscheinung nach. Dann brach eine Erinnerung sich � in ihm bahn: Was er hier in der Hand hielt, war eine Versteinerung, ein Seeigel. Kein Wunder, denn die Höhle lag ja mitten in der Kreide, also war hier früher einmal Meer gewesen. Und nun geschah das Seltsame: Ter Feldherr, den noch niemand hatte erschrecken sehen, der keine Miene verzog, wenn von der Kampffront die kritischsten Nachrichten einliefen, fuhr niit der Hand nach der Brust, als habe ihm jemand niit einer Nadel durchs Herz gestochen. Ihm war zumute, wie einem Menschen, der plötzlich den Boden verliert und in die Tiefe stürzt, und tatsächlich mußte er gestürzt sein, denn er wurde sich be- wüßt, daß er auf seinem Stuhle saß, während er bis dahin gestanden hatte. Hier war das Meer.--- Er versuchte sich zu erheben, seine Gedanken wieder aus den Schlachtolan zu konzentrieren, aber es gelang ihm� nicht, Er horte, wie die Wassertropsen von der Decke herabtickten: Hier— war— das— Meer. Mechanisch verschloß er die Ohren, indem er sie mit den Händen bedeckte. i Aber nun war es sein eigenes Blut, das durch die Schläfen tickte und pochte: „Hier— war— das— Meer...." Das Meer— was wollte es hier? Dieser Punkt lag zweihundert, nein, fast dreihundert Kilometer von der nach- sten Küste entfernt. Die durchschnittliche Höhe der Kreide- felsen betrug drei- bis fünfhundert Meter. Diese Höhle lag 3Yst Meter über dein Nullpunkt. Und trotzdem: Hier war das Meer----- Freilich, das war vielleicht länger her, als es Menschen gibt. Aber was war, kommt wieder. Ja, es stand zum Er- schrecken deutlich vor ihm: einstmals würde das Meer wieder- kommen und hole, was ihm gehört hatte. Hunderttausend Mann hatte er geopfert, hunderttausend Frauen zu Witwcrt werden lassen, hunderttausend Mütter ihrer Söhne beraubt, um dieses Land zu erobern. Gegen wen? Gegen jenes Nachbarvolk, das noch. nickt einmal die Spitze irgendeines Berges abgetragen hätte! Und nunIwo er es in der Hand hielt, kam plötzlich ein ganz anderer Gegner und machte ihm das Land streitig, das er auf ewig mit dem Vaterlande zrx
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