( Einzelpreis 70 Seller.

Redaktion und Verwaltung: Prag , 11., Nelajanta 18

Telephone: Tagesrebattion: 26795, 31469.

Machtredattion: 26797.

Poftschedamt: 57544.

Inferate werden laut Tarif billigt berechnet. Bei öfteren Einschaltungen Preisnachlaß.

6. Sahrgang.

Sozialdemokrat

Zentralorgan der Deutschen sozialdemokratischen Arbeiterpartei in der tschechoslowakischen Republit.

Freitag, 4. Juni 1926.

Bezugs- Bedingungen:

Bel Zustellung ins Haus oder bel Bezug durch die Post:

monatlich.... 16.­Dierteljährlich halbjährig.. ganzjährig

-

48.­

96.­

192.­

Radftellung von Manu­Stripten erfolgt nur bei Ein­fendung der Retourmarten

Ericheint mit Ausnahme bes Montag täglich ir

Nr. 130.

Oswald Hillebrand gestorben! Oswald Hillebrand

ist nicht mehr! Nach langer, schwerer Strankheit, die wiederholt für ihn das ergste befürchten ließ, ist das Traurige eingetreten. Er ist gestern dem tüdischen Siechtum, von dem er seit längerer Zeit heimgesucht war, erlegen. Wir wußten es: wie ein zum Fällen bestimmter Baum war Hille brand seit vielen Wochen vom Tode gezeichnet, dennoch wirkt, da nun das Be­fürchtete Ereignis geworden, das Hinscheiden dieses seltenen, einzigartigen Menschen auf alle die ihn kannten, unvermindert erschütternd. Ein Kämpfer sinkt ins Grab, einer der besten, feurigsten und sturmerprobtesten, aber noch mehr: ein Mensch im wahrsten, höchsten und reinsten Sinne des Wortes. Ein Mensch, an dem kein Falsch und Arg war, der nie sein Leben für sich, nur für andere lebte, der die Vermenschlichung von Treue und Güte schien. Treue für das Proletariat, dem er mit jedem Pulsschlag seines Herzens diente, Güte, Warmherzigkeit, Mitempfinden für die Leidenden und Bedrückten, denen er sein ganzes, leider zu kurzes Leben hindurch sich innigst ver­bunden fühlte. Das haben die Arbeiter, denen er Freund, Führer und Berater war, stets gefühlt, darum hingen sie an ihm in Liebe und Verehrung. Vielen wird es unfaßbar scheinen, daß er, der sie in so vielen Kämpfen führte, dessen begeisternden, aufrüttelnden Reden sie oft voll Spannung ge­lauscht, nun nicht mehr unter ihnen ist, nicht mehr ihnen voranschreiten wird. Sein Tod hat die deutsche sozialistische Arbeiterschaft dieses Staates ärmer gemacht. Viele Tränen werden um Oswald Hillebrand fließen, um den opferfreudigen, hin­gebungsvollen Kampfgefährten und Weggenossen, um den edlen, lieben Freund, um den guten Menschen, und niemand braucht sich dieser Tränen zu schämen.

Jahre tätig, wobei er sich ebenso durch vorzügliche Sachkenntnis, wie durch einen glänzenden Stil auszeichnete. Das letztemal, daß er zur Feder griff, dürfte gewesen sein, als er im Herbste des Vorjahres den Wahlaufruf unserer Partei verfaßte, später machte ihm seine Krankheit die schriftstellerische Arbeit unmöglich, doch trat er noch öfter seither im Parlamente als Redner auf und, selber mit­gerissen von dem Feuergeist, der ihn erfüllte, vergaß er Leiden und Schmerzen. Aus Anlaß der Eröffnung der Parteischule in Reindlig bei Aussig hielt er feine leßte öffentliche Rede. Er begeisterte wie nur jemals seine Zuhörer, und die ihn hörten, hätten es niemals geglaubt, daß dem ewig Jugendfrischen und dem Kämpfer voll strahlender Tatkraft damals bereits der Tod im Herzen saß, daß sie nie wieder seine flangvolle, zu neuen Taten aufmunternde Stimme hören sollten.

?

Zehntausenden wird, da sie die Kunde von seinem Hinscheiden ereilt, vor dem geistigen Auge sein Bild erstehen. Ein schmächtiger, fast zarter und gebrechlich scheinender Körper, aber voll Bähigkeit, der die größten Strapazen, wie sie das Leben eines Agitators mit sich bringt, spielend leicht ertrug. Ein schmales, blasses Gesicht, dessen Züge starken Willen verrieten und in dem die Augen Güte lächelten. Seit Jahren war dieser Körper von bösen Schmerzen gequält, doch eine unbändige Willensfraft hielt ihn aufrecht, faum jemals fam eine Klage über seine Lippen und er blieb streitbar bis zu dem Augenblicke, da ihn das fortschreitende Leiden zu Boden warf. Wer ihn sah, wer hätte es geglaubt, daß ihn ihm eine Stimme wohne, die wie eine Orgel mächtig dröhnend jeden Saal bis in den letzten Winkel erfüllen konnte! Seine Steden waren von hinreißendem Schwung; das prasselte wie ein Feuerwerk und die Worte fielen wie Keulenschläge nieder. Aber dabei war seine Rede nie­mals oratorisches Blendwerk, denn sprach er, dann wußte er auch etwas zu sagen. Nur wer tiefinnigst von dem Glauben durchdrungen ist. den er verkündigt, ver­mag bei anderen Glauben zu erwecken, vermag mitzureißen und zu überzeugen. Das galt in vollem Maße von Hillebrand, dem der Sozialismus ebenso Welt­anschauung wie Lebensinhalt war. In den engeren Parteiberatungen hörte man stets gerne seinen flugen Rat: niemals rechthaberisch, polternd und nörgelnd, voll fluger Mäßigung, Besonnenheit und stets im Vollgefühle seiner Verantwort lichkeit. Grundzüge seines Wesens waren Frohsinn und Optimismus, nie, auch nicht in trüben Zeitläuften und nach erlittenen Enttäuschungen, die das Ringen des Proletariats unausweichlich bedingen, sahen wir ihn fopfhängerisch, niemals den Glauben und das felsenfeste Vertrauen an den Wiederaufstieg der sozia­ listischen Bewegung verlieren. Kleinmut war ihm fremd, er war ein Stürmer, doch nicht, weil er gefühlsmäßig einem blinden Draufgängertum huldigte, sondern weil er von der Sieghaftigkeit seines Ideals erfüllt war und den Glauben hatte, der Berge zu versetzen vermag. Nicht nur Redner war Hillebrand, er verstand es auch, gewandt die Feder zu führen. Seitdem er in der Arbeiterbewegung stand, hat er, der den hohen Wert der Arbeiterpresse stets voll erkannt, an ihr mit gearbeitet. In der Eigenschaft als sozialdemokratischer Journalist war er viele

Oswald Hillebrand war ein Proletarierkind und hat alle Bitterkeit und Freudlosigkeit eines solchen ausgekostet. Er sollte Lehrer werden, aber

die Armut seiner Eltern unterbrach diese Lauf­bahn. Er mußte sein Studium unterbrechen und dem Broterwerb nachgehen, der ihn nach Wien führte, wo er unter Sorgen und größten Ent­behrungen ein fümmerliches Dasein fristete. Schon als Student war er durch den Besuch von Ar­beiterversammlungen mit der sozialistischen Be­wegung in Berührung gekommen und hatte für die Arbeiterpresse lokale Beiträge geliefert. Zu jener Zeit war es nicht leicht, sozialistisches Wissen zu erwerben, denn Bücher und Broschürenmate= rial gab es nur in beschränkter Menge. Hillebrand arbeitete dennoch rastlos an sich und seiner geistigen Ausbildung, und als er endlich nach bitteren Leidensjahren in Schlesien eine mäßig bezahlte Parteistelle fand, legte er bald Proben seiner Ver­wendbarkeit ab. Er wirkte später in Teplitz und Starlsbad und im Jahre 1911 wurde er, nachdem er mittlerweile Mitglied der Landesparteiver­tretung in Böhmen geworden war, im Wahl­freise Asch gegen den deutschradikalen Herrn Dr. Ritter von Stransky als Gegenkandidat auf­gestellt, wobei es ihm gelang, dieses uneinnehmbar scheinende deutschradikale Vollwerk zu stürmen. Genosse Hillebrand war nach dem Umsturz Mit­glied der böhmischen Landesregierung und wurde bei den ersten Wahlen in das Parlament zum Abgeordneten gewählt. Er hat in dieser Eigenschaft schon in Desterreich, noch mehr in der Tschechoslowakischen Republik Ünschätzbares geleistet.

Mit Oswald Hillebrand verlieren wir einen unserer Besten und Wert­vollſten. Die deutsche Arbeiterschaft steht schmerzergriffen an der Bahre dieſes Mannes, der ein Stück von ihr war, der ihr drei Jahrzehnte in heißer Liebe und Treue gedient hat. Wir alle werden ihn, seine gute Kameradschaft, seine un­versiegbare Frohlaune, seinen Klugen Rat, schwer missen. Er war uns allen, die ihn gekannt haben, ein lieber, lieber Freund, dem kein ehrlich Gesinnter gram sein konnte, auch wenn er manchmal mit ihm in einer Frage in Widerspruch geriet. Oswald Hillebrand liebenswürdiges, stets freundliches Wesen, dem sede persön= liche Gehässigkeit fremd war, hat ihn allgemein geachtet gemacht, seine ehrliche, offene Kampfesweise hat auch den politischen Gegnern Respekt abgezwungen. Be­scheiden, grundgütig und voll glühender Menschenliebe, war er im politischen Kampfe stahlhart und unerbittlich. Er fannte feine Schonung gegen sich, aber auch keine gegenüber den Klassenfeinden des Proletariats. In Ehrfurcht und Dankbarkeit neigen sich viele zehntausende Proletarier vor dem Manne, der, so­lange er denken konnte, all sein Fühlen und Wirken der Befreiung der Arbeiter­schaft von ihren politischen und ökonomischen Fesseln geweiht hat. Sein Auge ist erloschen, sein Mund verstummt, sein Geist aber und sein Andenken wird unter uns fortleben. Der Name Oswald Hillebrand wird in den Herzen der Arbeiter in aller Zukunft unvergessen blei­ben, als der Name eines großen Menschen, als eines großen Vorbildes für die Lebenden und für alle, die nachkommen werben!