10. August 1926. Seite 5. Ein raffinierter Diebstahl im Schnellzug. Auf raffinierte Weife ist im Schnellzug Eger— Karlsbad ein pensionierter Finanzbeamzer bestohlen worden. Als der Beamte in Eger einstieg, saßen in dem Abteil dritter Klasse» das er betrat, bereits zwei Herren und eine Dame in sehr ele- ßanter Kleidung. Die Gesellschaft unterhielt sich rn einer fremoen Sprache, die der pensionierte Beamte nicht verstand. Er setzte sich in eine Ecke und wollte ein Schläfchen machen. Bevvr er einschlief, überreichte ihm die Dame mit einigen Worten, die er nicht verstand, lächelnd ein« rote Nelke und steckte sie ihm eigenhändig ins Knopfloch. Der Beamte verfiel gleich daraus in einen festen Schlaf, aus dem er in der Stafion Falkenau durch das Zuschlägen einer Coupetür erwachte. Die freundliche Dame und die beiden Herren waren verschwunden. Der Beamte fühlt« eine große Mattigkeit in seinen Gliedern und als er sich einigermaßen erholt hatte und nach seiner Brusttosch« fühlt«, machte er di« Entdeckung, daß ein Einlagebuch einer Sparkasse in Pftaum« berg , das er bei sich trug, mit einer-Einlage von 16.000 K, in dem sich außerdem noch 2600 L bar befanden, fehlte. Jetzt erst nahm der Herr den eigenartigen Geruch wahr, den die Nelke ausströmte. Die Blume war mit einem Narkotikum getränkt, das seine Wirkung auf den Herrn nicht verfehlt hatte. In Karlsbad angekommen, verständigte der Bestohlene sofort die Staatspolizei und die betreffende Sparkassa in Pfraumberg, um zu verhindern, daß die Gaunergesellschaft die 16.000 K behebe. Die 2600 K bares Geld werden allerdings für ihn schon verloren sein. Man forscht nun nach der Bande, vor der das reisend^ Publikum dringend gewarnt wird. Aufhebung der Abiturientenkurs« an den Handelsakademien. Wie die„Prager Presse" meldet, sollen die Abiturientenkurfe an den tschechischen und deutschen Handelsakademien allmählich aufgehoben werden. Es geschieht dies aus pädagogischen Gründen, da die Lchrerorganifation fostgestellt hat, daß das Lehrprogramm innerhalb eines Jahres nicht durchgenommen werden kann, welch«? sonst auf vier Jahre verteilt ist. Insbesondere kann der Erlernung moderner Sprachen nicht die erforderliche Aufmerksamkeit gewidmet werden. Än Stelle der Abi» turientenknrse werden die Absolventen der Mittelschulen nach, abgelegter Prüfung ans den fremden Sprachen dir Möglichkeit erhalten, den dritten und vierten Jahrgang der Handelsakademien zu besuchen. Eine lehrreiche EsrlSgeschichte erzählt Mich, von Lindenhecken in der neuen Nummer 32 deS republikanischen Witzblattes„Lachen links: Ein Esel war im Zoologischen Garten geboren und aufgewachsen Seit Eselsgedenken trabte er den gleichen Sandplatz aus und ab,— von einem Gitter zum andern. Immer wanzig Schritt hin, bis seine Schnauze gegen die Stäbe stieß, dann zwanzig Schritt zurück. Er kannte kein anderes Dasein. Eines Tages aber erhob sich ein Wirbelwind: Der richtete gewaltige Zerstörungen an und warf auch dar Eselsgatter um. Der Esel sah den verhaßten Zaun fallen und gewann seine Freiheit.. Meim Ihr! Aber Ihr unterschätzt das treue Eselsgemüt Als der Esel die Linie erreichte, wo das weiland Gitter gestanden hatte, zuckte er, als habe er sich die Schnauze gestoßen und machte kehrt. 2suf der anderen Seite gerade so. Er trabte ganz wie früher auf seinem Sandplatz hin und her. Das Gitter sah er zwar nicht mehr, aber er fühlte, „h»r muß es sein", und verhielt sich danach. So handelt ein Esel. Nicht so das deutsche Bols, besten Gatter der Wirbelwind vom November 1918 zerbrach Oder...? Nein, es gibt hier kein Oder! ,Lachen links" kostet pro Nummer nur 25 Pfg. und ist zu beziehen durch alle Buchhandlungen oder direkt vom Verlag: I. H. W. Dietz Nachf. Berlin , SW. 68, Lindenstraße 3. Selbstmord eines dentschnationalen Abgeordneten. Der Landtagsabgeordnete Wieland, der der deutschnationalen Partei angehört, hat sich in Magdeburg erschossen, und zwar so, daß er nach dem Schuß sofort in die Elbe fiel. Aus der Elbe hat man dann seine Leich« herausgeholt. Der so jäh Verstorbene hat mit diesem fteiwilligen Tod selbst ein Gericht an sich vollzogen. Es lag gegen ihn eine Anzeige wegen sittlicher Verfehlungen an einer Schülerin vor. Wieland war Gauführer im Stahlhelm. Todessturz bei der Arbeit. Bei dem Neubau eines HauseS in O l m ü tz kam es zu einem furchtbaren Unglück. Der 45jährige verheiratete Arbeiter Franz Kotla stürzte aus bisher noch ungeklärter Ursache vom dritten Stockwerke des Gerüstes auf di« Straße und brach sich das Rückgrat. Während deS Transportes in die Landeskraukenanstalt verschied der Verunglückte. Die gerichtliche Untersuchung ist eingeleitet. Ein ostböhmisches Kulturbild. Bor einiger Zeit wurde den Trautenauer Genossen mitgeteilt, daß in einem verfallenen Hause in A l t-R o g n i tz ein menschliches Wesen hausen soll, well- ches vollständig vertiert sei und um welches sich niemand kümmere. Sie konnten sich nun in den letzten Tagen davon überzeugen, daß daS Gerücht nicht nur wahr sei, sondern nicht im geringsten an die Wirklichkeit heranreiche. Denn tatsächlich wohnt in einem der letzten Häuser der Gemeinde Alt-Rognitz— nach den Angaben der Nachbarn schon seit mehreren Jahren— eine in die Gemeinde gehörige Frau, die voll st än- dig verwahrlost dahinvegetiert. Das Haus, welches sie bewohnt, ist von allem Inventar befreit, kein Tisch, kein Stuhl, kein Schwank, kein Fußboden, keine Feiffter in der Wohnung, mitten quer in der Stube eine hölzerne Bettstatt, in welcher sich weder Stroh noch Betten noch Decken befinden. Als uns ein Nachbar in das Haus hineinführte, lebnte qn dem rauchenden Ofen ein scheues irres Weib» kaum 40 Jahre alt, angetan mit einem schmutzigen Unterrock und einem Jgckchen, sonst nichts auf dem Leibe, als den Schmutz, in dem sie lebt. Das irre Weib geht die meiste Zeit vollständig nackt herum und wird gelegentlich, wenn sie sich draußen zeigt, mit der Peitsche in das Haus zurückgetrieben. Sie be- kommt ab und zu von Verwandten ein Brot, von dem sie lange Zeit leben muß. Ost sind rohe Feldfrüchte, ja sogar Gras ihre Nahrung. Wäsch« und Kleidung, Waschbecken und Seife kennt sie seit Jahren nicht mehr. Abseits und doch mitten unter den Menschen, eine Stunde von der Metropole OstböhmenS, siecht dieses Weib ohne Nahrung, ohne Pflege dahin. Sowohl bei der Gendarmerie als auch bet der Gemeindevertre- tung ist eine Reihe von Anzeigen eingelaufen, damit diesem Skandal«in End« bereitet würde. Bis heute indes hat die nächstenliebende Gemeindevertretung noch nichts unternommen, um das verlassene Weib geordneten Verhältnissen ent- gegenzufüyren. Trotzdem die Gemeindevertretung weiß, daß die Frau eine ständige Gefahr für ihre Umgebung bildet, versucht sie nichts, um Abhilfe zu schaffen! Der berühmte Ein» und Ausbrecher George RenS, der kürzlich nach einer Flucht aus dem Gefängnis in Ld Havre in Paris wieder festgenom» men wurde, ist am Donnerstag abermals entwichen. Bei seiner Verhaftung hatte er dem Polizeibeamten erklärt, er bleibe nicht lange tn den Händen der Justiz. Der Dieb, der eine Gefängnisstrafe von S Jahren abzusitzen hat, sollt« wegen eines Juwelenraubes vernommen werden. Ren», der" gut gekleidet war, hielt sich in einem Zimmer des Erdgeschostes des Justizpalastes etwas abseits von den übrigen Gefangenen. Plötzlich verließ er daS Zimmer. Als der draußen sichende Soldat ihn fragt«, wohin er wolle, antwortete er:»Ich bin Kriminalinspektor". Dabei fichr er den Gattnsten barsch an und tat so, alS ob er seine AusweiSkarte vorzeigen wolle. Der verblüfft« Soldat ließ ihn pastieren. RenS ist bereits fünf Mal aus dem Gefängnis ausgchrochen. Ei« furchtbares Unwetter hat in Akita(Ja pan ) 4000 Häuser zerstört. Das Unwetter richtete unter der Ernte auf tausenden von Morgen furchtbare Verheerungen an. Die Stadt Honja wurde von einer gewaltigen Wafferhose überschwemmt. Ein schweres Autobusunglück ereignete sich am Donnerstag in London Im Norden Londons stürzte ein vollbesetzter Autobus um. Dabei wurden 5 Personen getötet und 11 verletzt. Ein Hörapparat für Taub«. Ein englischer Ingenieur soll erfolgreiche Experimente mit einem von ihm erfundenen Apparat gemacht haben, der die Tauben befähigt, zu hören. Er veranstaltete vor einigen Tagen, wie ver„Manchester Guardian" meldet, vor dem Taubstummeninstitut in Hüll ein Gesangs» und Jnstrumentalkonzert. Der Konzertsaal war zu diesem Zweck selbstverständlich' mit den nötigen Apparaten versehen worden. Die Tauben erhielten einen Kopfhörer, der Über den Verteiler mit einem Mikrophon verbunden war. Als das Gefühl für Rhythmus allmählich in der Borstellungswelt der Gehörlosen aufging, verwandelte sich der Ausdruck der Leere, der die Gesichter bis dahin beherrscht hatte, in Bestürzung, und aus der Bestürzung wurde Jntereste, Freude und Wonne. Etliche der Hörer waren selbstverständlich enttäuscht, denn sie konnten den Sinn der Worte nicht fassen, obgleich sie den Rhythmus heraushörte». Einer der Tauben schrieb auf einen Zettel: ,^Fch höre daS Klavier viel bester als alles andere und kann zwischen hohen und tiefen Tönen unterscheiden." Ein anderer schrieb:„Es ist sehr gut, zum ersten Mal im Leben kann ich wenigstens etwas hören." Der Erfinder äußerte sich dahin, daß selbstverständlich nicht erwartet werden könne, daß Menschen, die taub gehöre» wurden oder, jene, die. seit Jahren taub sind, sofort befähigt sind, den Sinn der Worte zu begreifen. DaS sei eine Sache der Uebung und der Pfleg«. Als besonderer Erfolg deS Versuches wird betont, daß alle Tauben wenigstens etwas vernahmen. Die Schachpartt« im Löwenkäfig. Aus Min delheim berichten bayrische Blätter; Ein« hiesig« Dame erbot sich, bei der Abschiedsvorstellung eines Zirkus mit der Dompteuse im Löwenkönig«ine Partie Schach zu spielen. MS die Dam« gegenüber der Dompteuse Platz genommen hatte, nähert« sich ein Löwe dem Spieltisch. Er setzte, verwundert über den sonderbaren Besuch im Käfig, sein« beiden Pranken auf das Schachbrett und machte, indem er die beiden Damen„matt" setzte, dem Spiel ein Ende. Prager Kurse am 9. August. 100 bolländische Gulden. 100 Reichsmark 100 belgische Franks... 100 Schwerzer Franks.. 1 Prund Sterling...• 100 Lire... 1 Dollar 100 französische Franks.. 100 Dinar 10.000 magyarische Kronen 100 polnische Zloty.... 100 Schilling Won 1357— 1363— 803.75— 807.75— 94.0250 96.32.50 652.62.50 655.62,50 163.97.50 165.17.50 113-55— 114.05— 83.70— 34— 99.80— 101.20— 59.53— 60.02— 4.6925 4.79.25 374— 380— 477.75— 480.75.- Volkswirtschaft. Ergebnislose Verhandlungen im Metall arbeiterltreir. Brüun, 9. August.(Eigenbericht.) Gestern vormittag begannen bei der politischen Landesverwaltung die Verhandlungen zwecks Beilegung des Streiks bei der Ersten Brünner Maschinenfabrik. Da sowohl die Unternehmervertreter als auch die Vertreter der Arbeiterschaft auf ihrem Standpunkt beharrten, mußten die Verhandlungen bald als ergebnislos abgebrochen werden. Sie werden aber heute in der Fabrik fortgesetzt. Ein weiteres Eingreifen der Behörde ist nur zu er-, warten, wenn diese Verhandlungen scheitern sollten. Die Arbeiterschaft wurde von der neuen Situation in zwei Versammlungen unterrichtet, die Vormittag und Nachmittag im Arbeiterheim stattenden und von der erregten Stimmung dW Streikenden Zeugnis ablegten. Die Industrie in WestlMmeu, Die allgemeine Wirtschaftskrise macht sich, wie dem Karlsbader ,^8olkswillc" aus Eger berichtet wird, in Westböhmen, in der Einschränkung großer Betriebe bemerkbar. So haben sich die bekannten Eska-Fahrradwerk« in Eger zur Entlassung von mehr als hundert Arbeitern und ur Zusammenlegung von Arbeits'chichten veranlaßt gesehen, und auch in den Premier-Werken daselbst, mußte ein Teil der Arbeiterschaft entlasten und der Betrieb— bis auf die Motor-Abtelung— eingeschränkt werden. Die bis vor kurzem noch sehr stark beschäftigte Spinnerei Seiler u. Co. in Eger , die monatelang in drei Arbeitkichichten täglich, produziert hatte, hat,.uw yicht einen Teil der Arbeiterschaft entlassen, zu müssen, Feierschichten eingelegt und arbeitet mit voller, Kapaz'iät nur- mehr an drei Tagen der Woche. Abbruch der Verhandlungen in der Zuck rindustrie. Wir das„Pravo_Lidu" meldet, haben di« Verhandlungen zwischen den Arbeitern und den Unternehmern der Zuckerjndnstrie am 6. August zum Abbruch geführt. Di« Vertreter der Unternehmer aus der Slowakei waren zu der Sitzung überhaupt nicht erschienen, Die Vertreter der Arbeiter beharrten auf ihrem früheren Standpunkt, das heißt, auf der Beibehaltung der alten Löhne und einem einheitlichen Vertrage für. das ganze Staatsgebiet, währenddem hie. Unternehmer die Herabsetzung der Löhne und die Ersetzung deS einheitlichen Vertrages durch Landesverträge (Böhmen , Mähren und Slowakei ) verlangten. Di« Herabsetzung der Löhne begründeten di« Unternehmer mtt den ihnen erwachsenden Leistungen aus der Sozialversicherung.(!) Die koalierten Organisationen werden für Arbeiter Richtlinien her- ausgeben. Schießerei in der Kestelfadril. Von Heinrich Lersch . Drei Monate war ich in Wien nach Arbeit gegangen. Um sieben Uhr mußten tvkr hinaus aus dem Ouartier, weil die Nachtschicht der Spinnerei zurückkam, und die hatten das Quartier gemietet. Wir waren drei Kesselschmiede und zwei Schlosser. In kleinen Buden und in den Gasthäusern, in den Volksküchen und Weinstuben fochten wir unsere Kollegen, die noch Arbeit hatten, an und so konnten wir uns am frühen Morgen gleich ein Stück Brot um 3 Heller kaufen, eh es die langen Märsche durch die große Stadt Wien gab. Um Mittag schlichen wir in den Volksküchen herum. Hatte einer seinen Napf nicht ausgegessen, so taten wir, als gehöre es sich, daß wir ihn leer äßen. Ter Schlosser hatte herausae- kriegt, wenn man vorher schon das Kreuzzeichen mach« und betete so jagte einen der.Aufseher nicht fort. Er muß w-Hl Glück dabei gehabt haben, uns schmissen sie doch manchmal an die Luft. Es war Winter und die Kälte hielt sich so um 12 Grad. Das war herrliches Wetter zum Schlittenfahren für die Herrschaften, für uns aber war es die umgestülpt« Hölle. Eines Tages hieß es die Brunner Maschinenfabrik sucht Kesselschmiede. Da reiste eine ganze Anzahl Kollegen dahin und so» kam eS, daß ich in Wien blieb. Denn, mich interessierte Brünn gar nicht, um so mehr aber das Burgtheater, die Oper, da- BolkSheim und die vielen Bibliotheken schön geheizt. Aber wenn man hinein wollt«, mußte man drei Heller bezahlen. DaS war unser Frühstück; so schob ich denn den Besuch der Bibliotheken auf, bis ich Arbeit gefunden hatte. Für drei Heller Brot im Leib, daS ist schließlich für einen wachsenden Jungmann wichtiger als die ganze Weltliteratur. Da fing ich als Kesselschmied bei Panker und Sohn an zu arbetten. Das heißt, ich versuchte es. Di« Fabrik hatte eine ganz andere Methode, Kefselnähte zu stemmen und wenn man gerade die Lehre auS hat, fängt das Lernen erst an. Ich besah mir die Stemmbrocken, die Nähte und wußtt tatsächlich nicht, wie beginnen. Ein Photographengehilfe oder Schneider wäre nicht dümmer dran gewesen als ich. Was zu machen? Der Meister haßte mich wie die Pest, denn ich war ein Preuße und er ein alter Korporal, der den Krieg noch gegen die Preußen I mitgemacht hatte. Ich sah es ihm an, er hatte mich lediglich angenommen, um mich zu piesaken. Ich überlegte nicht lange, spioniert, sah einen lungen Kerl in einen Kessel kriechen, von innen zustemmen. Dem kroch ich nach. Tosender Lähm von drmrßen. Ich schrie ihm in die Ohren: „Zeig mir wie man die Nähte macht. Ich komm aus Holland , da macht man es anders. Zeigst du eS mir, geb ich dir bei der nächsten Löhnung einen Gulden, zeigst du eS mir falsch, schlag ich vir die Rippen kaputt," Verdammt, da war der Kerl ein Galizier, der kein Wort deutsch verstand. Nun gings Per Zeichensprache. Nach fünf Minuten wußte ich Bescheid. Kletterte raus, stellt« mich an den Schuß des Kessels, sah ein paar Augenblicke einem Kollegen zu und begab mich unter den Augen deS Meisters an die Arbeit. Natürlich klappte es und der Meister verzog sich. Am zweiten Tag geh ich zu dem Korporal hin und verlange einen Zettel für Vorschuß. Ich hatte nichts zu essen und bei der Kälte gchts Appetit. Er schlagt ihn mir ab. Eine FabrikS- kantiye gab'S nicht. Zeug zum Versetzen hatte ich auch nicht. Ich geh aufs Büro und verlang ohne Zettel Vorschuß. Ich erzähle Schauerromane und krieg auch das.Geld. Und der Meister seinen Rüffel. Da liebt« er mich erst recht. Am dritten Tag— ich hatte zum erstenmal »seit Monaten einmal richtig zu Mittag gegessen und war so rundherum selig um den Leib— da schlägt mein Kolonnenkamerad lang hin, schreit, streckt sich aus und ist tot. Der Meister, der mich im Auge hatte, konnte mit dem besten Willen nichts gegen mich aussagen, der Tote hatte ei» kleines Loch im Kopf und verriet nichK. Die Fa- brik stand eine» Augenblick still, da der Mann aber nicht mehr lebendig wurde, ging die Arbett Wetter und ein anderer trat an seine Stelle. Es war mir wohl etwas eisig, wenn ich an den schrei, enden Kollegen dachte, an seine zuckenden Glieder. Aber so viel auch untersucht wurde, eS kam nichts dabei heraus. Am andern Morgen, kaum eine Stunde nach Beginn, da schlägt mir mein Kamerad ins Ge- icht und beschuldigt mich, ich hätte ihn mit einem Messer gestochen. Reißt den Aermel auf und eine lang« Wunde blutet auf seinem Arm. Ich werde untersucht, ich habe kein Messer und war bei der Arbeit deS Stemmens mtt zwei Händen beschäftigt. Es war aber sonst niemand in seiner Nähe. Der Kamerad läßt sich.den Arm verbinden, geht mit einem Krankenschein nach Hause und em anderer wird eingestellt. Ahnungslos arbetten wir zusammen;* da, kurz vor Feierabend springt ihm der Meißel ans den Fingern und seine Hand blutet.- Niemand hat gesehen, daß ich etwas andere- als gestemmt habe rm gleichen Takt mit dem Kameraden uud den anderen. Aber, der dritte, der so merkwürdig mitten in der Arbeit verletzt worden ist, neben mir, bringt den Betrieb zum Stehen. Der Verwundete hatte ein Loch in der Hand, wie von einer Kugel durchgeschossen, konnte nicht weiter und der Kollege, der an ferne Stelle treten sollte, weigerte sich aus guten Gründen. Ich, aufgeregt, beteure meine Unschuld; der Prokurist kommt mit dem Ingenieur vom Büro. und«h werde auSgefragt, als fei ich ein Hexenmeister und böser Zauberer. Ich sage, daß ich kein Interesse an der Ver- wundung eines Kameraden habe, der Zufall spiew mir einen schlimmen Streich, ich sei stwh nach 5 Monaten Walze und 3 Monaten ArbeitSlosig- kett zu schaffen und zu essen zu haben. Der Alte aber sagte, die Preußen seien ewig Teufel ge- wesen, ich sei der gemeinste Teuftl, den er j< ge- sehen habe. Der Ingenieur lachte, aber er steckte mich zum Siedcrohrwalzen in eine Lokomotiv - feuerkiste und da ich einige Wochen darin zu tu» hatte, war ich ftoh, aus der Klemme zu sein, ii* Am nächsten Tage aber wurde ich wielH^ herauSgeholt, denn die. Arbeit stand still. SeliL ^ daß ich diesmal nichts zu schaffen hatte damit, sah ich, daß der Mann am Cornwallkessel- der mein« Stelle eingenommen, aus einer Halswunde blutete. Ich schauderte bei dem Gedanken, daß dieses Unglück im Grunde mir gelten" sollte. Der Ingenieur untersuchte den Blutenden und vermutete einen Schuß. Ich wurde wieder untersucht) aber ich hatte nicht eine Stecknadel, geschweige eine Schußwaffe. Der Arzt, der die zwei andere» untersucht hatte, sagte auch, es müsse ein Schuß sein, und zwar einer von oben her. Nun standen Wasserreiniger, sechs Stück auf- recht an zehn Meter hoch in ver HaÄ, auf denen die Schlosser die Maschinenteile anbrachten. Man* untersuchte diese, fand nichts. Bis zuletzt der Kranführer, der sich verdruckt hatte, geholt wurde. Dar war der Kesselschmied, den ich am ersten Tag um Rat gefragt hatte. Kurz darauf stieß er sich einen Span ins Knie und da er seine Arbeit nicht weiter tun konnte, wurde er ins Kranken- Häuschen gesetzt, um den Behelfkran zu bedienen. In die Enge getrieben sagte er immer nur: „Saupreuß, Schuft, Teufel, kaputt! Redete durcheinander, kam in Untersuchungshaft, von dort in das Lazarett. Seitdem ist nichts mehr passiert. Im Frühjahr mußte ich aufS Büro. Eine dickte Aktenschrift^lag da. Ich braucht« mir keine Sorgen zu machen, ich wurde nicht verhaftet. Denn der Schütze, der Galizier sei wahnsinnig. Er hätte bloß einen maßlosen Haß auf mich. Ob ich einmal Streit mtt ihm gehabt hätte. „Er kriegt»och einen Gulden von mir!"X> sagte ich, denn ich hatte vergessen ihm diesen zu geben. Den solle ich als Schmerzensgeld behalten, denn die Geschichte hätte hör ausgehen können. Ein Paar Tage später, als der Schnee geschmolzen war, holte ich mir meine Papiere und begab mich auf die Walze.
Ausgabe
6 (10.8.1926) 185
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