reffag, 15. April 1927.
Das„ rote Jesuitent'ofter".
Draußen in Döbling an der Peripherie Wiens , steht ein Schlößchen, das vor Zeiten einmal der Kaiserin Maria Theresia gehörte. Heute ist es Besitztum unserer österreichischen Bruderpar tei und beherbergt die Arbeiter hochschule, die eben am 1. April ihren zweiten Lehrgang beendete. Hier bietet die österreichische Sozialdemo fratie wissensdurstigen Proletariern Gelegenheit, fich das geistige Rüstzeug zu erarbeiten, dessen der Sozialist bei seinem praktischen Wirken für die Partei bedarf. Sechs Monate lang fann hier der Parteischüler, unbeschwert von den Sorgen des Alltags, lernen und sich jenes Wissen aneignen, das den Nichtbegüterten in der heutigen Gesell schaft vorenthalten bleibt, obzwar gerade sie es amt dringendsten brauchen würden. Das Sprichwort: Wissen ist Macht", das schon der Wahlspruch der Bildungsvereine der Arbeiter vor Jahrzehnten war, hat heute noch ebenso, wenn nicht noch mehr Geltung als chedem. Noch immer ist es so, daß die Arbeiter in ihrer übergroßen Mehrheit auf die Armeleuteschule, die Volksschule, angewiesen sind und dort gerade recht und schlecht lesen und schreiben lernen. Allzuviel Wissen könnte den Arbeitern schaden, denken die Herrschenden und be= trachten auch die Bildung wie so vieles andere als ihr alleiniges Vorrecht. Also bleibt den Arbeitern nichts anderes übrig als sich selber Bildungsmöglichfetten zu schaffen. Die Arbeiterklasse hat diesen Weg beschritten, weder Mühe noch" Opfer gescheut und hat Erfolg gehabt. Heute ist die österreichische Arbeiterschaft schon so weit, eine eigene Hochschule, eine Arbeiteruniversität, ihr eigen zu nennen und darauf kann sie ebenso stolz sein, wie ihre Gegner wütend sind. Die Klerikalen nennen das Schlößchen in Döbling nicht anders als das„ rote Jesuitenkloster", ein Spott name, der zugleich verrät, wie sehr die schwarzen Jesuiten die Roten " fürchten.
Das Schlößchen ist für die Schulzwecke vom Genossen Karau entsprechend eingerichtet und ausgestattet worden. Im Vorraum weisen Fresfo gemälde des proletarischen Künstlers O. Scha z auf die Bestimmung des Gebäudes hin. Im Erd geschoß befinden sich noch die Küche und die Wohnräume des Hanspersonals. Im ersten Stock sind der Lehrsaal. Studierräume, die Direktionskanzlei und einige Schlafzimmer untergebracht, im zweiten Stock gibt es gleichfalls noch mehrere Schlafräume. Badegelegenheit ist vorhanden, auch ein ,, Radiosalon" fehlt nicht. Die Schüler essen und wohnen in der Anstalt und finden keinen Anlaß zur Beschwerde. Ein kleiner, aber sehr hübscher Garten macht den Schülern den Aufenthalt dop pelt angenehm.
Die Kosten für die Schüler tragen die delegierenden Organisationen. Die Zahl der Teilneh mer am gaveiten Jahrgang, der vom 3. Oktober 1926 bis zum 1. April 1927 dauerte, betrug 31; 30 Schüler, darunter vier Genossinnen, waren aus Desterreich, einer aus der Tschechoslowakei . Dic Schüler befanden sich im Alter von 20 bis 36 Jahren.
Unterrichtet wurde von 8 bis 12 und von 13.30 bis 18 Uhr. Der Mittwoch und Samstag Nachmittag wurden in der Regel zu Exkursionen benüßt, die Abende zu geselligen Zusammenfünften oder zu Vorträgen, die außerhalb des Lehrplanes lagen. Der Sonntag war schulfrei.
18 Parteigenossen trugen in 20 Unterrichtsgegenständen vor. Die wichtigsten seien angeführt: Nationalökonomie: Genosse Otto Bauer , Politif: Genosse Karl Renner , Revolutionsgeschichte: Genosse Siegmund Kunfi. Vor Beginn einer jeden Unterrichtsstunde wurde das in der vorigen Stunde Vorgetragene furz wiederholt, außerdem mußten die Schüler des Defteren schrift liche Arbeiten machen, die sich auf den Lehrstoff bezogen. Journalistische und rednerische Uebungen waren im Unterricht inbegriffen. In den Schlußreferaten, die in den letzten Tagen vor Schulschluß stattfanden, hatten die Schüler zu zeigen, was sic gelernt haben.
Das Verhältnis zwischen. Schülern und Lehrern war das denkbar innigste, es war das Verhältnis von Mensch zu Mensch, von Freund zu Freund. Die einzige Autorität in der Schule war der gemeinsame Wille. Ein gewählter Schülerrat regelte im Einverständnis mit der Direktion, die Genosse Luitpold Stern innehat, alle. Angelegenheiten, die sich durch den Aufenthalt in der Schule ergaben und die zuvor in Schülerversammlungen besprochen wurden.
Die Schüler, die das Glück hatten, ein halbes Jahr lang sich ganz dem Studium widmen zu können, haben manche frohe, aber auch manche feierlich ernste Stunde in dieser Schule erlebt. Unvergeßlich wird allen bleiben jene Viertelstunde, in welcher der in Schattendorf gemordeten Arbeiter gedacht wurde, jener Augenblick, wo Genosse Frizz Adler von den Schülern sich verabschiedetc. Nur ungern schieden die lernenden Genossen, die wetteifernd sich bemühten, in sich aufzunehmen, was die Schule ihnen bot, voneinander. Sie gelobten beim Abschied, das erworbene Wissen weiterzutragen unter die arbeitenden Massen, das Gelernte anzuwenden in dem großen Befreiungslampfe, dem sie mit ganzem Herzen sich zugeschworen haben.
Schwerer als je ist heute der Kampf, den die Arbeiterffasse gegen ihre Gegner zu führen hat. Alle Seräfte der Reaffion haben sich gesammelt, um wieder zunichte zu machen, was die Sozial demokratie unter ungeheuren Opfern aufbauen fonnte. Die Entscheidungsschlacht zwischen Rapitalismus und Sozialismus hat begonnen. In haben vor allem die
Mann zu stellen. Sie werderhochschüler ihren
erfüllen, sie werden mit freudigem Herzen der Mahnung folgen, die an sie ergeht:
Genossen und Genoffinnen! Arbeiterinnen und Arbeiter!
In einer Zeit, da nicht nur in der Tschechoslowakei , sondern auch in einer Reihe an derer Länder die bürgerliche Reaktion sich ausbreitet, aber auch in einer Zeit des raschen Anwachsens der sozialistischen Bewegung und in einer Zeit, da der Weltfapitalismus sich in einer seiner wichtigsten Positionen, im fernen Often, aufs äußerste bedroht sicht, rufen wir euch zur Feier des ersten Mai!
Wir vereinen am ersten Mai unsere Stimmen mit denen der sozialistischen Arbeiter der ganzen Welt.
Für die Wiederherstellung der politischen Freiheit und der Demokratie in den durch den Fascismus versflavten Ländern.
Für die Befreiung der politischen Gefangenen.
Wir werden an diesem ersten Mai antreten zu entschlossenstem
Kampf gegen die reaktionäre Front des
tschechisch- Deutschen Bürgertums!
Dieselben deutschen bürgerlichen Parteien, die mit der Parole des Kampfes für die Lebensinteressen des deutschen Volkes in die Wahlen gingen, haben sich, bedingungslos die so oft gepriesenen nationalen Belange" preisgebed, mit dem tschechisch- chauvinistischen Bürgertum zur Durchsetzung ihrer Klasseninteressen verbündet.
Sie haben um ihres Profites willen euch Arbeitern das Leben unsäglich erschwert durch die Zölle und durch die Erhöhung indirekter Steuern, sie haben euch neue gewaltige Militärlasten aufgebürdet und schicken sich an, durch eine reaktionäre Verwaltungsreform die Grundlagen der Demokratie zu zerstören und sich die Herr schaft in den Verwaltungsförpern zu sichern, um jede soziale Verwaltung unmöglich zu machen. Sie hetzen gegen die Sozialversicherung und gegen die sozialpolitischen Errungenschaften. Sie geben widerspruchslos dem fapitalistischen Staate der nun in Wahrheit auch der Staat des deutschen Bürgertums geworden ist, was Bureaukratie und Militär für ihn und damit auch für das am Staate profitierende Bürgertum fordern, sie nehmen für sich, was sie zu erraffent vermögen,- sie handeln nach dem Grundsav kapitalistischer Ethik:
Alles für die Ausbenter, nichts für die Arbeiter! Diesem fapitalistischen Ausbeutungs- und Knechtungswillen stellen wir gegenüber den Lebenswillen, den Troy, die Kraft und den unbeugfamen Freiheitswillen des Proletariats! Durch den Aufmarsch gewaltiger Massen werde
ber erfte Mai zum Gerichtstag über die arbeiterfeindlichen Bürgerparteien!
Der erste Mai war einst der Erweder des Proletariats zum Klassenbewußtsein, er hat Jahr für Jahr neue Massen proletarischer Streiter in den Kampf geführt. Von Mai zu Mai lassen sich die Etappen des proletarischen Aufstieges verfolgen. Oft und oft war er stolzer Siegestag des Sozialismus. Gestaltet ihn d'esmal, Genossinnen und Genossen, zu einem Tage der Entfesselung des Volkszornes wider die Knechter und Bedrücker, zu einem Tage der Aufrüttelung bisher unserem Wollen und unserem Kampfe fernstehender Arbeiter, zu einem Tage der Sammlung der proletarischen Sträfte, zu unüberwindlichem Widerstande gegen die reaktionären Bestrebungen des Bürgertums.
Wir demonftrieren am ersten Mai:
gegen die reaktionäre, arbeiterfeindliche Bürgerregierung und besonders gegen den immer gefräßiger, immer anspruchsvoller werdenden Militarismus, gegen die geplante reaktionäre Verwaltungsreform! gegen die kulturelle und politische Reaktion!
gegen die Angriffe auf die Sozialpolitik, die vor allem die Sozialversicherung, die Bergarbeiterversicherung und den Achtstundentag bedrohen! Indem wir den Achtstundentag verteidigen, unterstüßen wir den Kampf der Arbeiter anderer Länder um die Ratifizierung. des Abkommens von Washington,
gegen die kapitalistische Steuerreform!
Wir kämpfen am 1. Mai:
für den Ausbau der Sozialpolitit!
für die ausreichende Unterstüßung der Arbeitslosen!
für die Bekämpfung der drückenden Wohnungsnot!
für eine Steuerreform, welche die Arbeiter entlastet, insbesondere durch Festschung eines entsprechend hohen steuerfreien Existenzminimums!
für die Abschaffung der Lebensmittelzölle!
für Jugendschuß und Jugendrecht!
für die Rechte aller fämpfenden Arbeitergruppen, vor allem der Bergarbeiter, der Eisenbahner und der Glasarbeiter des Jsergebirges, denen wir unsere brüderliche Hilfe zusagen!
für die nationale Autonomic!
für die Abrüstung und den Völkerfrieden!
Arbeiter, Arbeiterinnen!
Gebieterischer denn je drängt sich euch die Notwendigkeit des Kampfes für den Frieden auf! Während die Diplomaten schöne Reden über die Notwendigkeit der Rüstungseinschränfungen halten, geht das wahnsinnige Weitrüsten der Staaten weiter. Immer deutlicher zeigt es sich, daß die bürgerliche Welt unfähig ist, die Kriegsgefahr auch nur zu mildern durch Einschränkung der Rüstungen, immer eindringlicher lehren die imperialistischen Exzesse in allen Teilen der Welt: die Festsetung Italiens in Albanien , der fapitalistische Streuzzug der Ver einigten Staaten gegen Merifo, die militärischen Vorbereitungen gegen das revolutionäre China , daß der Kapitalismus, wenn nicht der erstartende revolutionäre Wille des Proletariats ihm Salt gebietet, die Völker in nene Striege treiben wird.
Als Proletarier eines Staates, der durch die Kleine Entente mit zwei Balfanstaaten verbündet ist, die daher durch jeden Konflikt auf dem Baltan in Mitleidenschaft gezogen werden können, schließen wir uns mit besonderem Nachdruck der alten, nun wieder so aktuellen Forderung der Internationale nach Schaffung einer Förderation freier Balfanvölker an.
Die weltpolitischen Ereignisse mahnen das Proletariat, sich zu einheitlicher internationaler Abwehr zu sammeln.
Unsere Maifeier muß darum werden ein impofautes, erhebendes
Befenntnis zum revolutionären internationalen Gozialismus!
Am ersten Mai geloben wir erneut allen tämpfenden Repolutionären der Welt underbrüchliche Solidarität, güßen wir vor allem das revolutionäre China ! Wir schließen uns an der Forderung der Sozialistischen Arbeiter- Internationale nach Rüdbcrufung der fremden Truppen und Striegsschiffe aus China !
Zur Stampfansage wider die kapitalistische Welt, zur Bekundung sozialistischen Wollens rufen wir euch, Arbeiter und Arbeiterinnen, rufen wir
cuch Söhne und Töchter des Proletariats, die ihr Erben unserer Kämpfer und Vollender unseres Werkes sein werdet,
euch Frauen der Arbeiterklasse, denen der erste Mai die alte Heilbotschaft von der Befreiung der Frau durch den Sozialismus fündet,
euch Männer des Proletariats, die ihr kampferprobt und siegeszuversicht. lich geworden seid in hundert Schlachten des Klassentampfes,
euch alle, das gesamte deutsche arbeitende Bolt, rufen wir zu würdiger Feier des ersten Mai, zur Demonstration für die Forderungen des Proletariats! Der Parteivorstand ber deutschen fozialbemokratifchen Arbeiterpartei in der Tschechoslowakischen Republit.
Seite 3.
Rundfunt für Alle!
Brogramm für morgen, Samstag.
Brag. 319. 10.45: Uebertragung aus dem Barlament: Die Friedenserklärung des Roten Streuses. 18.30: lleber tragung aus der Sanft Wenzels- Bafilifa, Emichow: Aufcrftebung. 1. Ravanello: Chriftus reffucerit. 2. Reinberger: Ofterlieber. 3. Mendelssohn: Resitatib und Finaie aus der Geigenfonate f- moll. 4. Lifat: Auferstehung aus dem Oratorium Chriftus 5. Brudner fam 150 6. Bicfa: Te beum. 7. Alleluja. 20 30: Schauspiel: Oftern. Rund funtfsenen von Dr. Stares. 21.30: Stonzert 1. Fibich: Der Fall Arlunas. Ouverture. 2. Novaf: Ballade. S. Dvorak: Drei Legenbent. 4. Sur: Webitation. 21: Seitfignal. 22: Seitfignal. 22.02: Leyte Nachrichten des Presbüros, Uebers ficht der Tagesercigniffe, Sport und beaternachrichten. Brann, 441 18.30: Wie Prag . 20.30: Wie Prag . 21: Seitfignal. 22: Wie Prag .
Presburg, 300. 10.45: 23ie Fran. 17.35: Gregor: Ofterlegende. 18.30: Wie Prag . 20.30: Wie Prag 21: Seit fignal. 22: Wie Brag.
Wien 517 17.30: Barfifal", Over von Wagner. Bitrim, 494, 16: Zanamufif. 17.30: Weinberftunde. 19: Glodengeläute. 19.30: Germanische Sagen vom Weltenbe. 20: Symphonic jingfier Dichtung. 21. Gefang und Konsert. Deutschland .
Königswusterhausen , 1250. 15: Franzöfifch 15.30: Efpe ranto. 16: Einbeitsfurafchrif: 16.30: Familie und Schule. 17: Die Entwidlung des Berufsbeamtentums. 17.30: Der Pingestellte in der Wirtschaft. 18: Zechnischer Lebraang für Facharbeiter. 1830: 2iffenfchaftlicher Bortrag für Tierärzte. 18.55: Oftern in Dichtung und Tondichtung. 20.30: Ueber. tragung von Berlin , 484, Bläferfengert. 22.30: Experimental bortrag über Fernempfang. 23.30: Aus auft von Goetbr. Breslan, 316, 16.30: Unterhaltungsfonsert. 18: Die deutschen Materdichter. 18 50: Internationale Martellierungen. 20.15: Lift- bend.
Frankfuril, 429, 12: Songert. 15.30: Rinberlieber. 16.30: vändel stongeri. 19.15: Theodor Bontane. 19.45: Ruffifche Ofterbrände 20.15: Symphoniekonzert. Sändel: Concerto groffo. Schumann: Cellofonsert. Symphonie.
Langenberg, 469, 13.0: Mittagsfongert. 15.30: mär chen. 16: Götterfagen aus be. Ebba". 17: Teemufif. 18: Klang und Formmittel der Wufit. 18.35: Indien und feine Stultur. 19.40: start warr. 20 10: Ostern in Rom. 20.30: stongert 22.15: Glodengeläute.
Hamburg , 395 16.15: Oftergefänge. 17: Nachmittags. Tonzert. 19: Faust", von Goethe. Tanamufit. Leipzig . 366, 16.30. 9aomittacofongert 18: Bastel, stunde. 19: Envas über Bbonctif 20.15: berühmte Dramen faenen. 22.15: Orcheſterfonzert.
München , 536, 17.30: Das jüngste Gericht in der bildenden Stunft. 19.15: Paifion", von Wünfter. 20: Abendfon aert. Schubert: Symphonic codur. Bier 2: eber von Frans. Schumann: selavierkonzert.
Stuttgart , 380, 15: Märchen. 16: Unterhaltungskonsert. 18.15: Dramaturgie 18 45: Gefangenenfürsorge 19.16: Oftergeist. 20: Kammermufi! Beethoven : 3. Biolinfonate. Bier Lieber. Streichquartett op. 18, 9r. 1.„ Ein Spiel vom Lode" von Terramare.
Brünn , 441, 17: Wie Prag . 18.30: Wie Brag. 21: Prag . 349, 17: Hebertragung aus der Strenaberrenfirde. 1. Gounod : Andante religioso. 2. D'Jnch: Maria Magdalena .
Tagesneuigteiten.
,, Du lollit töten."
Vor dem Kriegsgericht zu Lyon stehen zwei Brüder. Ihr Anblid ist kaum mehr ein menschlicher zu nennen. Sie sind zu Steletten abgema gert und verantworten sich mit verlöschenden Stimmen, sprechen mit einem letzten Aufwand an Krafi.
Der eine ist 43 Jahre alt, der andere 46. Im August 1911 sind sie desertiert. Am Tage, an dem ihr Bataillon ins Feld zog, flüchteten fie ins Gebirge. Sie wollten nicht töten, nicht cuf ihre Brüder schießen. Sie sind Nachkommen jonev ffrenggläubigen Protestanten, die einst von den religiösen Verfolgungen geflohen waren und sich im Jura- Gebirge niedergelassen hatten. In Fröm migfeit und Gottesglauben sind die beiden Brü der erzogen worden und in ihren Herzen sind die Bibelworte: Du sollst nicht töten und: Liebe deinen Nächsten wie dich selbst, zur heiligen Wahrheit geworden. Was sind ihnen alle Geseze, von Menschen geformt und umgeformt, gegen ihren reinen Kinderglauben von Güte und Menschenliebe'
Zwölf Jahre haben sie im Gebirge von 2000 Meter Höhe gelebt, zwölf Jahre ein unbeschreib liches Dasein geführt, in Höhlen gewohnt, notdürftig von den wenigen Bissen gelebt, die ihnen. mitleidige Bergbewohner zukommen ließen. Sic haben kein Fleisch angerührt, weil sie fein Tier töten wollten, wie hätten sie da auf Menschen schießen fönnen?
" So furchtbar war ihr Leben, so unmenschlich und voll ununterbrochener Entbehrungen, daß einer ihrer Landslente, der jahrelang in der Front war, sagt, er hätte sein Leben im Schützengraben nicht gegen dieses erbärmliche Dasein vertauscht.
Zwölf Jahre nicht gewaschen, verkommen fast in Schmus, vor Hunger, in furchtbarster Einsamkeit und nur noch am Leben erhalten durch die Hingabe an ihren Glauben und die Straft ihrer Menschenliebe. So haben sie hoch oben in ihrem Versteck gelebt und unten schlach teten sich die Völker, im Namen des Vaters und des Sohnes wurde gehaßt, verfolgt, getötet.
Im Jänner dieses Jahres hat eine Gen darmeriepatroille bei einer Streifung die beiden Brüder aufgefunden. Sie wurden vors Kriegsgericht geschleppt.
Sie wissen, daß sie nicht mehr lange leben werden. Aber sie können noch sprechen, sich noch verantworten. Denn sie glauben, daß sie bor einem Menschen stehen, daß menschliches Urteil und ein menschliches Herz entscheiden. Darum fagen sie dem Richter:" Wir anerkennen nur das höhere Gesetz
1
Für das Kriegsgericht gibt es feine ,, höheren Gefeßze". Nur das Gesetz: Du mußt töten. Das Gericht entscheidet: Die beiden sind Feiglinge, weil sie nicht- töten fonnten, Desertenre, veil sic ihre Pflicht" nicht erfüllten.
Das Urteil: Drei Jahre Gefängnis.
Ein fünftes Todesopfer von Brünn .
Brünn , 14. April. Seute früh ist in der Banbestrantenanstalt der Arbeiter J. Rausar aué Ričet bei Rossitz seinen Verlegungen erlegen. Raušar erlitt eine schwere Verlegung der Beber und einen so großen Blutverlust, daß eine Blut transfusion vorgenommen werden mußte Sein Vater, der zu dieser Blutübertra gung sich sofort bereiterklärte, fonnte feinen Sohn nicht mehr retten.