Sonntag, 7. Auguft 1927.
Ein irrfinnig gewordener Erfinder. Ein angeb
"
In Männerſtrafanſtalt Bory.
licher Dr. Georg Mery, der Erfinder einer nach der thm benannten Ultafrequenzlampe, die für die Verfuche der Bildübertragung von großer Wichtigkeit sein foll, der sich seit einigen Wochen in Budapest aufhielt, überfiel in der Nacht seine von ihm getrennt lebende Frau in ihrem Schlafzimmer und erzwang von ihr die Herausgabe eines Geidbetrages im Werte von 9000 Mark, den die Frau am gleichen Tage von einer Bank abgehoben hatte. Dabei fam es zu einem verzweifelten Stampfe zwischen den beiden Ehegatten, bis herbeieilende Verwandte der Frau die Gatten trennte. Dr. Mery wurde festgenommen und auf Grund eines ärztlichen Zeugnisses in die Budapester staatliche Frrenanstal: eingeliefert. Er gibt vor, Professor an der Charlottenburger Tech nischen Hochschule zu sein, doch ist dort ein Mitglied des Lehrkörpers, das diejen oder einen ähnlichen Namen trägt, nicht bekannt.
Von J. Reismann.
( Schluß.)
ich das Bild wenigstens an mein Herz drücken fann. Ja, wenn ich meine Familie bei mir haben könnte, dann läge mir nichts an meiner Freiheit. Aber mein Weib und meine Kinder liegen mir am Herzen. Und 22 Monate soll ich noch in einer Zelle bleiben, 6 Meter lang und 3 Meter breit, mit einem Stuhl, einem Tisch und einem Stroh= jack auf einem Gestell als ganzen Haushalt. Liebes Weib, bist Du gesund? Ja, zwei Jahre verheiratet und schon wieder getrennt, auf so lange Zeit? Warm habe ich gerade Dich unglücklich machen müssen, gutes Weib, verzeihe es mir! Wenn mir jemand helfen könnte, wenn ich wieder nach Hause zu dem Kinde dürfte! Ich bin schlecht daran, den ganzen Tag allein, da kann ich so viel spekulieren und gehe ich in die Gemeinschaft, dann muß ich 36 Monate machen, das wären 14 Monate mehr als in Einzelhaft. Und 22 Monate allein in einer Zelle, das ist etwas für einen Familienvater..."
Seite 5.
VERLANGET UEBERALL
VOLKS ZUNDER
SOLO
A.S.I
Ein paar erläuternde Worte zu der von Dr. Roči erwähnten Sträflingsfürsorge, wenn der Kočí Sträfling die Anstalt verläßt. Es existiert ein Verein mit dem bezeichnend schönen Namen Nový Zivot",(„ Neues Leben"), der dem Sträfling durch materielle Unterſtügung und durch Hilfe zur Erlangung einer Stelle in den ersten Tagen nach dem Verlassen der Anstalt beisteht. Dieser Verein, von dem die Oeffentlichkeit leider nicht sehr viel weiß, benötigt natürlich Mittel. Herr Dr. Koči, welcher der Vorsitzende des Vereines ist, hat v. J. eine Ausstellung der Arbeiten der Sträflinge auf der sozial- hygienischen Ausstellung der Stadt Pilsen veranstaltet. Er zeigte mir einen Raum, in welchem er eine Reihe von Ein schwerer Eisenbahnunfall ereignete fich am Sträflingsarbeiten, die individuellen Charakter Freitag nachmittags auf dem Bahnhof BerlinZehlendorf an der Strecke von Berlin nachtragen, vereinigt hat. Es sind außer Bedarfsge Botsdam. Ein von Berlin nach Potsdam fab- genständen wie Korbstühlen u. ä. Sachen, ganz render Güterzug stieß auf einen Güterwagen, der entzückende Gegenstände darunter, so ein Puppen, spieltheater für Kinder mit Puppen, Brotknetegerade entladen wurde und an der Lagerrampe von reien, darunter eine sehr schöne Schatulle, Ge Zur Erklärung der sogenannten Ginzelhaft den Arbeitern zu weit vorgeschoben war. Dabei geriet mälde usw. Hoffentlich findet sein Bemühen, durch diene, daß diese im Sinne des Gesetzes vom der Lokomotivführer des Güterzuges, der auf dem eine Sachlotterie oder durch Schaffung einer eige- 1. April 1872 nach einer Probezeit von drei Mo Trittbrett seiner Maschine stand, zwischen den Güternen Verkaufsstelle in Prag dem Vereine so eine naten eine Strafverkürzung um 1 Drittel bewirkt, wagen und die Lokomotive und wurde durch den Zusammenprall getötet. Auch drei Wagen des Güter- ständige Einnahmsquelle zuzuführen, recht bald doch darf der Häftling nicht länger als drei Jahre Verwirklichung. Auf meinen Einwand, daß die in Einzelhaft sein und muß dann in die Gemeinzuges und ein Bretterschuppen, auf den die führer- Sträflingsarbeit eine Gefährdung des Gewerbes fchaftszelle kommen. Die Einzelhaft wird so verlose Maschine fuhr, wurden stark beschädigt. und der Arbeiter bedeuten könnte, erwiderte der standen, daß der Sträfling entweder die ganze Direktor, daß die Sträflinge nicht arbeiten, um Beit über in einer Zelle ist, auch während des den Handwerkern und Arbeitern das Brot weg- Tages, und hier die ihm auferlegte Arbeit erledi zunehmen, sondern weil Müßiggang aller Laster gen muß und mit den anderen Sträflingen nur Anfang wäre; das Bedenken wegen der Konfur in der Schule, beim Spaziergang und eventuell In anderen Dofumenten, die alle rührend renz könnte durch Einhaltung des Marktpreises zum Gottesdienst zusammenkommt, aber nicht mit menschlich sind, bitten die Gefangenen um Sprachfür Bedarfsartikel gegenstandslos werden, bei ihnen sprechen darf, oder daß er mit andern in bücher Toussaint- Langenscheidt, Berlin , um ſtudieLurusgegenständen, fünstlerischen Arbeiten würde der Werkstatt gemeinsam arbeitet und dann über ren zu fönnen, meist erlaubt ihnen die Direktion ja ohnedies nur ein Liebhaberpreis in Betracht Nacht in die Einzelzelle zurückgebracht wird. Die den Empfang eines solchen Buches. Verzagtheit fommen. Dr. Kočí erklärt, daß man für die Ginzelzellen in Bory( 387) find alle besetzt, da spricht oft auch aus diesen Briefen, viele tragen Sträffinge wenigstens soviel brauche, um ihnen nach Ansicht der modernen Kriminalpsychologie ich mit dem Gedanken, wegen des Ehrverlustes. nach der Entlassung zur Gründung einer neuen die Einsamkeit und die Vermeidung des Unt ins Ausland zu gehen, meist ist es Rußland , wo Existenz die Möglichkeit zu geben, also etwa in ganges mit den anderen eine moralische Beeinfie ein neues Leben beginnen wollen, eine Stelle der Art eines Vorschusses, u. zw. feine Almosen, flussung des Sträffings cher bewirken sollen.( Bei aus einem solchen Briefe sei hier auch wörtlich zitiert: sondern eine n'a mhafte Summe, daß der Frauen ist dies ganz ausgeschlossen, weil sie getSträfling wirklich ein neues Leben beginnen testrant würden; daher existiert keine Einzelbaft für Frauen.) Inwieweit bei Männern die Einzelhaft einen vollen Erfolg für eine Wandlung ver bürgt, wird die Praxis hoffentlich beweisen. Ob das Goethewort:„ Die schlechteste Gesellschaft läßt dich fühlen, daß du ein Mensch mit Menschen bist," nicht gerade hier doch seine Berechtigung hat?
Ein gefährliches Großfeuer brach am Freitag vormittags in einer chemischen Fabrik im östlichen Stadtteil von Berlin aus. Das Feuer war in einem größeren Arbeitsraume der Fabrit, in dem leicht brennbare Stoffe lagerten, anscheinend durch Schadhaftigkeit eines mit Gas geheizten Trocken ofens ausgebrochen und hatte sich schnell ausgebreitet. Mit Hilfe von drei Löschzügen wurde der Brand nach einer halbstündigen Tätigkeit der Feuerwehr auf seinen Herd beschränkt. Der durch Versicherung gedeckte Sachschaden, der durch die Zerstörung wert voller Maschinen entstanden ist, beträgt mehr als
20.000 Mark.
Drei verirrte Alpinisten gerettet. Am 31. Juli hatten drei junge Touristen sich bei der Besteigung
fönnte.
der Nordwand des Haindelkar- Turms so weit ver. Von der inneren Einrichtung der Strafan irrt, daß sie sich weder vor noch rückwärts bewegen stalt soll diesmal nicht berichtet werden, da sie sich fonnten. Eine Rettung von Verirrten ist in diesem mit dem bereits beschriebenen im wesentlichen Gebiete im allgemeinen wegen der platten Schluch- deckt, eine Belle sieht genau so aus wie die andere. ten und handbreiten Steige nur sehr selten möglich. Es gibt unter den Häftlingen heitere und auch Die drei Touristen verbrachten auf einem schma- wieder sehr verzagte, ganz apathische Häftlinge, len Gefimje aneinandergepreßt sißend drei Tage welche die Aussichtslosigkeit, je wieder einmal und zwei Nächte in Erwartung einer Rettungs- über eine lachende Sommerflur zu wandeln, in expedition. Schließlich gelang es der Admonter die traurigste, dumpfe Gemütsstimmung versetzt Rettungsmannschaft unter Leitung des Bergführers hat. Für jene Leute ist wohl das Lichtbild, daß den Mathias Gindl, der schon bei mehr als hundert Sträflingen gewährt wird, eine große Frende, die gefährlichen Rettungsaktionen mitgewirkt hat, nach Direktion zeigt vor allem Bilder, in welchem die langwieriger und lebensgefährlicher Rettungsarbeit menschliche Arbeit gewertet wird, Bergwerke, Fadie drei Verirrten aus ihrer verzweifelten Lage zu brifen, damit die Sträflinge sehen, wie hart die befreien. Arbeiter draußen um den Bissen Brot zu fämpfen Hungerstreit im Rigaer Zentralgefängnis. Un haben. Die Zellenbewohner haben genug Bücher ter den politischen Gefangenen im Rigaer Zentral- zur Verfügung, in einer Zelle fah ich bei einem gefängnis ist ein Hungerstreit ausgebrochen, dem Insassen ein ruffisches Lehrbuch, Hefte und Belich bald darauf auch die Striminalverbrecher an- letriftif. Der tschechische Abstinenzverein treibt hier schlossen, so daß zur Zeit etwa 130 Säftlinge die fleißig Propaganda, der Rauchentzug wird jetzt Annahme von Nahrung verweigern. Ferner haben durch die Sträflinge vielleicht leichter ertragen, fich auch 34 im Termingefängnis untergebrachte weil die Antitabafligen bereits vom letzten Kon politische Gefangene dem Hungerstreit angeschlossen. Der Streif richtet sich gegen die neue Gefängnis. ordnung, und wird als eine kommunistische Mache angesehen. Bezeichnend ist, daß ein in Sowjetruß land erscheinendes lettisch- kommunistisches Blatt schen vor einiger Zeit scharfe Angriffe agen jene Gefängnisordnung gerichtet hat. In Regierungs freisen erwartet man einen schnellen Zusammenbruch dieses Hungerstreifs, zumal da die Gefängnis ordnung inzwischen ein Abänderung zugunsten der Gefangenen erfahren hat.
Heiteres.
" Ins Innere" gegangen.
greffe ihre Flugblätter bis in die letzte Zelle der Strafanstalten geschickt haben. Auch über die modern eingerichtete Küche mit Bürstenreint schalen, Bad mit 44 Duschen usw. will ich keine gungsapparaten zur Reinhaltung der Menage überflüssigen Worte des Lobes verschwenden, die hier wirklich angebracht wären. Die Kranfenzahl ist gering, im ganzen waren elf Leute als frant gemeldet und natürlich überwiegend Tuberkulose. Ein typischer Sträflings- Stranfer war auch dort: ein Onanist, der ganz entkräftet durch die vielen autoerotische Befriedigung wahrscheinlich dem Untergange geweiht ist. Dies sind die wunden Punkte der Strafanstalten: Sexualleben und Strafvollzug.
"
Für den Unterricht der deutschen Sträffinge Weit draußen vor einer einsamen Stelle der hat die Strafanstaltsdirektion Bürgerschuldirektor westafrikanischen Flachfüste hatte der Dampfer den Johann Storch, den früheren Bezirksschul zur Unterſtüßung seines Amtsbruders hergeschickten inspektor von Neudef, gewonnen. Direktor Storch Missionar ausgebootet und durch kräftige Matrosen- findet hier für die ihm angetanen Kränkungen in arme durch die Brandung an Land gerudert. Dort boller Singabe an die schöne Aufgabe, feine ethisaß schon mit gütigen Triefangen und ungewöhnlich schen Grundsätze und völferversöhnenden Ansich fettem Bauch im europäisch afrikanisierten Staats- ten in die Herzen der Ausgestoßenen der menschornat der Oberhäuptling, umgeben von seinen lichen Gesellschaft zu pflanzen, eine teilweise GeHaremsweibern und Würdenträgern. Grinsend be- nugtuung. Aber es ist hier nicht die Stelle, den grüßte er den neuen Theologen. Dann fragte dieser, Fall aufzurollen, obgleich ich der vor Jahren da er die Sprache vorher ein wenig gelernt hatte: Fall Storch" aufzurollen, obgleich ich der vor Wo ist denn, o Häuptling, mein lieber Jahren ein ähnliches Schicksal wie Storch teilte, Amtsbruder?" vielleicht ein schlimmeres, vollauf für die Verbit terung dieses Mannes Verständnis hege. Direktor Storch besorgt auch die Briefzensur und es fann ihn daher nur freuen, daß die zahlreichen Sträf lingsbriefe an ihre Angehörigen wiederholt seinen Unterricht als einzigen Lichtblick in ihrem freud losen Dasein" bezeichnen. Unter der oft geradezu rührenden Sträflingsforrespondenz, die mir in Abschrift zur Verfügung steht, sind einige psycholo Siſch intereſſante Dokumente, von denen hier
Da zeigte der Negerberrscher vielfagend auf seinen Bauch und sagte befriedigt:„ Der ist ins Innere gegangen."
Leichtgewicht.
Nahrungsmittelhändler: Wissen Sie, mein Sohn, der mir früher im Laden half, ist jetzt Boxer geworden. Er hat übrigens schon eine
Meisterschaft gewonnen."
Kunde:„ Ach, das war ohne Frage die Meifterschaft im Leichtgewicht."
Der Schlafwandler.
einige wiedergegeben werden: Wie ein Sträfling glücklich wäre, wenn sich die Familie zu ihm bekennen würde, besagt dieser
Brief:
,, Liebes Weib, wie waren die Weihnachten bei Euch? Haben die Kinder Freude an ihrem Bäumchen gehabt oder hast Du ihnennichts beschert? Hören Sie mal, Frau Schmidt," so sagte sehr Ich bin am Heiligen Abend am Fußboden gelegen ernst der Herr Pfarrer,„ ich sah zu meinem Er- und habe weinend an Euch gedacht. Du staunen, daß Ihr Mann mitten in der Preglaubst nicht, liebes Weib, wie mir zu Mute war. digt die Kirche verließ. Das ist doch ein Jetzt weiß ich erst, wie das ist, wenn man von Weib und Kind getrennt ist. Ich bitte Dich, berecht eigentümliches Verhalten!" fuche mich einmal und bringe mir mein Annerl " Ach, Herr Pfarrer, er wird alt. Er wandelt mit, vielleicht fannst Du Dich mit den Kindern wohl im Schlaf." photographieren lassen und es mir senden, damit
Ein charakterischer Brief eines Sträflings nach A. R. im Karlsbader Bezirke:
,, Jaja, Rudl, 12 Monate ist kein Pappenstiel und ich habe es wirklich genug. Ein Tag wie der andere, eine Woche wie die andere, diese Gleichförmigkeit, wäre ich Jahre hier, ich müßte verrückt werden. Ein Trost für mich und ich darf wohl sagen, für alle Deutschen sind noch die Vorträge, die alle 14 Tage stattfinden, doch im beson deren muß sich jeder glücklich schätzen, dem die Erlaubnis zuteil wird, die deutsche Schule zu besuchen. Es sind die einzigen Stunden, wo man wirklich vergißt, daß man ein Gefangener ist. An diesem Unterrichte nehme ich auch teil, es sind mir die liebsten Stunden..."
Nachstehend der Brief eines Sohnes an seine Mutter:
,, Liebste Mutter, hätte ich Deine guten Lehren befolgt, könnte ich heute ein freier Mensch sein und Dich wenigsten an Deinem Krankenlager besuchen und eine Kleinigkeit zur Linderung Deines Leidens beitragen. So bin ich durch meine Schuld daran gehindert und kann nur in Liebe Deiner gedenken und Dir vom Herzen wünschen, daß Du wieder gesund werden mögest. Ich hoffe, Mutter, daß troß meines früheren Leichtsinnes, der den Verlust meiner Freiheit zur Folge hatte, noch eine Zeit kommen wird, wo Du an mir, liebe Mutter, noch Freude erleben wirst. In diesem traurigem Hause der Weltabgeschlossenheit hatte ich Gelegenheit, über meine Vergangenheit nachzudenken und ich bin zur Einsicht gefommen, daß es auf diese Art nicht weitergehen kann. Ich habe teures Lehrgeld zahlen müssen, zwei Jahre Freiheitsverlust. In der ganzen Zeit habe ich mich mit der Frage befaßt: " Wie kann ich meine verlorene Ehre wieder finden?" Ich habe mir fest vorgenommen, dieses Ziel wieder zu erreichen. Ich will beweisen, daß die Leute, die mich für meine Jugendstreiche aus der menschlichen Gesellschaft ausgestoßen haben, an mir hart gehandelt haben. Es genügt, wenn man die Freiheitsstrafe erdulden muß. Nach der Entlassung soll man jedoch wieder in den Besitz seiner Ehre kommen, da der Verlust der Freiheit leichter zu verschmerzen ist als der Verlust der Ehre. Ich will meine ganze Willenskraft aufbies ten, damit ich wieder ein nüßlicher Mensch werde und Dir, liebe Mutter, Freude mache. Im März ist meine Strafe zu Ende und ich werde dieses traurige Haus mit dem festen Willen verlassen, nie mehr seine Schwelle zu überschreiten.."
Ein Brief eines Sträflings, der in seinem Unglück das Glück hatte, daß sich die Familie zu ihm bekannte und ihn besucht hatte:
,, Liebes Weib, glaube es mir, wenn ich Dir sage, daß Du mich zum letztenmale in einem solchen Hause besucht hast, für mein Leben will ich nicht mehr dorthin kommen. Es wird nicht mehr lange dauern, nur noch 10 Wochen, und ich fehre zu Euch zurück. Dann werde ich Dir alles Gute vergelten und wir werden beide zusammen arbeiten und sorgen. Lieber will ich mir die Hände blutig arbeiten, als noch ein mal in ein solches Haus fommen. Ich freue mich schon hente auf das Wiedersehen und dann werden
wir ein Leben führen, wie es sich für einen anständigen Menschen gehört und gebührt. Ich muß Dir mitzuteilen, wie ich sehr erfreut war, als te Dich und unseren Knaben bei unserem letzten Besuche erblickte. Alle Tage sehne ich mich nach Euch und immer denke ich an Euch, was Ihr jetzt macht und wie es Euch geht. Ich hoffe, daß ich das Ende glücklich erwarte, und unser ganzes Leben lang werde ich mich nie mehr von Euch trennen."
... Du hast recht, lieber Bruder, das alte Jahr war kein gutes und das neue wird es auch nicht sein. Ich trage mich auch mit feinen Illusionen und denke immer noch an eine Auswanderung, z. B. nach Rußland . Was meinst Du? Selbstredend erst allein. Für Deinen lieben Trost, bei Dir wieder eintreten zu dürfen, danke ich Dir von Herzen, rechne aber nicht auf mich, denn ich brächte Dir mit meinem befleckten Namen nichts Gutes und dann ist mir das Geschäft verleidet. Bleibe ich in der Tschechoslowakei , so suche ich mir ein. nenes Arbeitsfeld, womöglich unter anderem Namen, ferne der Heimat..."
Und zum Schluß, da es nicht möglich ist, im Rahmen eines Aufsatzes mehr zu zitieren und for che Briefe als Buch ausgabe sicherlich auch viel Leser anziehen würden, der Brief eines Arbeiters an feine Leute im Falfenauer Bezirke:
„ Das kommt alles vom Nicht lesen ... mir, der ja so wenig Hoffnung hat, hinauszukommen, kann es ja gleich sein, aber ich dachte Edis Kinder, daß die einmal aufgeklärter sein sollen, als wir es waren. Ich wollte Euch zum Lesen ancifern, denn ich wollte haben, daß Ihr Euch aus der alten Tradition herausreißt, daß der Arbeiter keine Bildung brauche, wo man das Kind brav heißt, wenn es in einem Winkel gesessen ist und sich nicht gerührt hat. Was gäbe ich, wenn ich im Besitz von zwei so schönen Stindern wäre wie Edi oder sie wenigstens erziehen helfen könnte. Richtige Liebe zur Familie und zu den Kindern bekam ich erst seit einm halben Jahre, ja, ich muß sagen, daß ich mit ganz ande ren Gefühlen urteile, seitdem uns hier ein deutscher Lehrer alle 14 Tage einen Vortrag im sozialen Sinne hält. Dieser Lehrer, namens Storch, ist eine Seele von einem Menschen, in dessen Nähe man das Gefühl hat, als stünde man unter einem besonderen Schutz, und mit Sehnsucht warte ich immer auf den Sonntag, wo er uns mit seinem vom Herzen gut gemeinten Vortrage auf Tage lang unsere schweren Stunden erleichtert...".
Ob also das neue System Dr. Kočis, die Sträflinge human zu behandeln und zu bilden, Erfolge zeitigt? Eine fleine Episode, über die viel leicht andere hinweggehen würden, will ich aus eigener Erfahrung berichten. Ich trat in das Strankenzimmer der Tuberkulosen, lauter schwertrante Bettlägerige. Ich nahm aus meiner Tasche ein paar Stirschen heraus, um sie unter den Stranken- Mördern und Schwerverbrechern- aufzuteilen. Stirschen, ein seltener Genuß in einem Zuchthause! Als die Stranten merkten, daß ich die Stirfchen verteilen wollte, riefen sie mir einstimmig abwehrend:„ Nicht uns geben Sie es, aber dem alten Mann dort, der braucht's am dringendsten!" Ich trat an das Bett des Alten, er dankte mir, indem er mir mit seinen wachsgelben Fingern die Hand drückte: Sirschen, ach Seirschen, ich
hab mir so einmal Kirschen gewünscht, der Herr Pfarrer hat sie mir versprochen, aber..." Man erspare mir, meine Gefühle zu schildern, die ich empfand, als der totfranke Verbrecher auf den für sie so seltenen Genuß von ein paar Seirschen zugunsten des ältesten, schwerkranken Verbrechers verzichten fah, als mir, aus jener sogenannten ſittlichen Welt kommend, wo jeder für sich den besten Blaß zu erhaschen sucht und sich dabei mvralisch dünft, im Zuchthause von Schwerverbrechern durch einen unscheinbaren und doch so vicifagenden Vorfall neuerlich ein Beweis erbracht wurde für die Wahrheit des glaubenerfüllten Wortes:
" Der Mensch ist gut."