Nr. 297
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Vorwärts
Berliner Volksblatt.
15. Jahrg.
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Kernsprecher: Bmt I, Mr. 1508. Zelegramm Adresse: ., Bozialdemokrat Berlin ".
Redaktion: SW. 19, Beuth- Straße 2.
,, Auf der Saujagd!"
Dienstag, den 20. Dezember 1898.
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Expedition: SW. 19, Beuth- Straße 3.
ins Gesicht schlägt und die Wahrheit auf den Kopf stellt, indem war, leistet jett Widerstand. Aber Herr v. Senden- Bibran ist er den Worten truzig das Gegentheil ihres Sinns unter- plöglich frant geworden und hat zur Pflege seiner Das treffendste Wort, das tödtlichste Mort, das in der legt er hat nicht die Manieren des rohen Korpsburschen, Gesundheit einen Urlaub( zur Nimmerwiederkehr) biertägigen Budgetdebatte des Reichstags ertönt ist, wurde der, wenn er einen Schwachen vergewaltigt, von ihm noch bis zum 1. April des nächsten Jahres erhalten. Einen nicht von einem der Redner gesprochen, sondern von dem als sein Beschützer anerkannt sein will. Er ist kein Fürst Bismard, folchen Urlaub erhielt seinerzeit Herr Hollmann, als Reichstage selbst, wenn auch nicht in seiner Gesammtheit, doch der es für den Gipfel der Wahlfreiheit erklärt, wenn jeder Wähler er die uferlosen Flottenpläne" nicht befürworten wollte. in seiner entschiedenen Mehrheit. Als Bebel am Donnerstag durch einen Polizisten zur Wahlurne geschleppt und vor Ver- Die Ableugner der Wahrheit behaupten jetzt, um dem feststellte, daß der Reichstanzler, der einzige Mann im führung durch Fortschrittler oder Sozialdemokraten beschützt Publikum Sand in die Augen zu streuen, das neue Deutschen Reich, der dem deutschen Volk und der deutschen wird. Dieser junterlich brutale Zynismus ist dem Grafen Flottenbild des Kaisers sei ein gedrucktes Bild Voltsvertretung für das Thun der Regierung und nach Posadowsky fern. Er ist ein Mann von feinen Manieren, vom August dieses Jahres. Aber das Druckbild ist nach Posadowsky's Erklärung auch für das Thun des Kaifers und er glaubt was er fagt. Das gerade ist aber das Er einem Original des Kaisers gemacht. Und im berantwortlich ist, nicht an seinem Plaz war und bei dem schreckende. August hatte der Kaiser schon den neuen Flottenplan. Statt Gericht, das über die Regierung gehalten ward, durch Abzu entkräften, bestätigt dieses Dementi die Richtigkeit der wesenheit glänzte, da wogte und murrte und brauste es im Nachricht, daß uns eine neue Flottenvermehrung „ Haus". in großem Maßstabe bevorsteht und zwar schon vor Ablauf der Frist des in Kraft be. findlichen Flottenplans.
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Auf der Jagd! Auf der Saujagd!" scholl es aus dem Reichstag ein Ruf, zehn Rufe, hundert Rufe! erst leise, dann anschwellend, bis sich mit Elementarkraft der ganze Grimm, die ganze Empörung in dem Zornesruf Luft machte: Auf der Saujagd!
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Ein hervorragendes Mitglied der Regierung, das allen Ernstes das Deutsche Reich im deutschen Reichstage für einen freien Staat mit den denkbar besten Rechtsgarantien" hält! Wir reiben uns die Augen. Hätte Herr v. Posadowsky von dem Regierungsplatz verkündigt, die Sonne drehe sich um die Erde und alles Schlimme auf Erden komme von Heren und Hererichen, die man verbrennen müsse er hätte fein ge ringeres Verständniß für die offenbarsten Wahrheiten und Thatsachen bekundet.
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Dieser Ruf war der erste Ausbruch ursprünglicher Leidenschaft in diesem neuen Reichstag der erste lebendige Deutschland ein freies Land und die Oeynhauser Rede Beweis, daß der politische Nerv noch nicht todt ist in den des Kaisers allein hat uns einige hundert MajestätsErwählten des Voltes daß sie die Tiefe der Nichtachtung, beleidigungs- Prozesse gebracht, und die Palästinareise nicht bis zu welcher der„ Areopag der deutschen Nation" sich hat weniger. Deutschland ein freies Land! Und das Zuchthausherabdrücken lassen, zu fühlen, zu ermessen anfangen. gefes im Anzug. Und nicht einmal im Reichstag, dem Asyl Eine Budgetberathung ohne verantwortliche Regierung für das obdachlose Wort, wird es als Pflicht anerkannt, auf das ist in einem konstitutionellen Staate noch nicht vor die Quellen der Regierungs- Anarchie und der wirren gekommen, etwas Undenkbares. Der deutsche Konstitutio- Bidzad- Politik hinzuweisen. Deutschland ein freies Land! nalismus gehört dazu, das Schauspiel zu ermöglichen. In jedem und keine unserer Zeitungen darf wagen, auszusprechen, was anderen Lande unmöglich, ist es in Deutschland Wirklichkeit die ungeheure Mehrheit des Volkes über die Zustände denkt, - typische Wirklichkeit das getreue, wahre Bild unserer und keine unserer Zeitungen darf wagen, abzudrucken, was politischen Zustände. die Presse des Auslandes über Deutschland schreibt. Dieses Bild Bild von Sais, würde vielleicht na ch Bekannten Mustern Herr v. Posadowsky fagen- diefes Saisbild des deutschen Konstitutionalismus, das dessen innerstes Wesen, dessen modernde Fäulniß unter gleißender Schaale enthüllt dieses entschleierte Saisbild ist die unschäßbare Er rungenschaft der letzten Budgetdebatte, die sonst durch ihre Nichtigkeit, durch ihren Ausblick in das Chaos, in das Chaos nicht schöpferischer Kräfte sondern der Impotenz, in das öde blöde Nichts auch die Hoffnungsvollsten niedergebeugt hätte.
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Eine solche Budgetdebatte!
Und Rechtsgarantien! Stann nicht jeder deutsche Staatsbürger jeden Augenblick auf der Straße und in seiner Wohnung verhaftet werden? Kann ihm nicht jeden Augenblick feine Wohnung durchsucht, jeder Brief geöffnet, jedes Schloß gesprengt werden sobald nur vorher ganz unbedeutende Formalien erfüllt worden.
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Wähler Deutschlands , seid auf der Wacht! Man will Eure Aufmerksamkeit einschläferu! Seid auf der Wacht! Und bewacht namentlich Eure Abgeordneten, daß sie sich nicht umgarnen lassen und Eure Interessen nicht verrathen!
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Man muß es bei ruhiger Erwägung allerdings für aus geschlossen halten, daß vor Ablauf der Dauer des jetzigen Flottengesezes, das die Werften vollauf beschäftigt, noch ein neuer und natürlich erweiterter Plan auftauche. Das ist aus verschiedenen Gründen nicht denkbar und es müßten dem auch vorher einige der Personen, die die Verantwortung für das legte Flottengesetz übernommen haben, ihre Stellen räumen. Ebenso sicher aber ist, daß nach Ablauf des jezigen Flottengefeßes Forderungen für eine weitere Vermehrung fommen werden. Für diese Stimmung zu machen, ist ja die Aufgabe der Flottenvereine und der von diesen und von anderen Freunden der Marine in ungewöhnlicher Ausdehnung und mit großem Geschick betriebenen Werbung. Es ist seit langer Zeit für feine Jdee eine so umfangreiche und planvolle Propaganda in der Presse, in Broschüren und, was nicht zu unterschäzen ist, in Familienblättern, in illustrirten Journalen und in der ers zählenden Literatur gemacht worden, wie für die Parole, daß Deutschlands Zukunft auf dem Wasser liege. Die Wirksamkeit der Propaganda wird wesentlich auch davon abhängen, ob unsere gesammte Politit, namentlich auch die Handelspolitik, in wohlverstandener Uebereinstimmung mit dieser Parole geleitet
wird."
Die Freisinnige Zeitung" schreibt:
" Von neuen Flottenplänen soll an maßgebender Stelle nach der Nordd. Allgem. 3tg." nichts bekannt sein. Das Reich 3= Marineamt aber hat auf eine Petition der städtischen Körperschaften in Pillau um Errichtung einer Torpedoboots- Station geantwortet, der Pillauer Hafen genüge als Stützpunkt für Torpedoboote allen Anforderungen; der beste Schutz unserer Ausbau" unserer Flotte heimischen Küste werde durch den gewährleistet. Das klingt nicht, als ob das Reichs- Marineamt an neue Flottenpläne nicht dächte."
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Genug.Deutschland ist der freieste Staat und hat die besten Rechtsgarantien"! Das ist's, was ein deutscher Minister dem deutschen Reichstag über die Zustände in Deutschland zu sagen hat. Ebenso gut einem zum Hungerto de Verurtheilten vorreden, daß die Schmerzen in seinen Eingeweiden von einem Deutschland in Mitten einer Krise, die über unsere Zukunft lukullischen Mahl herrühren, mit dem er sich den Magen verauf Jahrzehnte hinaus entscheidet. Die Wogen ringsum dorben. an das Schiff schlagend, brandend, der Sturm entfesselt, Das reicht beinahe an die Saujagd. Klippen ringsumt und kein Mann am Steuer! Und ein anderer Minister hat gesprochen, sogar viel Ein Drängen am Steuer, ein Hin- und Herhuschen gesprochen, und schön gesprochen Herr v. Bülow, der und von Männern, deren Gesicht man nicht sieht, schatten- neue Sekretär des Auswärtigen. Er sollte sprechen über hafte Hände ums Steuer fämpfend, bald es fassend, das Verhältniß Deutschlands zu Rußland , über das Verhältniß bald verschwindend, die Männer, welche die Regierung Deutschlands zu England und zu Frankreich über die barbabilden nach dem Buchstaben der Verfassung-, unsichtbar, rischen Ausweisungen und das durch sie getrübte Einvernehmen unsichtbar und unmerkbar vor allem der Mann, der einzig mit anderen Staaten, über die lächerliche und gefährliche berantwortlich ist für die Regierung des Reiches. Am Rolle, die wir in Riautschou spielen, dm Ein Denunziantenerfolg. Er sprach Steuer fein Mann. Kein Mann, der dem deutschen Volfe von allen möglichen und unmöglichen Dingen, er spreizte Die" Post" und gefinnungsverwandte Blätter hatten die verantwortlich ist und der deutschen Volksvertretung. Und sich behaglich im Klang der sonoren Phrasen, die ihm aus freimüthige Kritit, die Professor Delbrück an der neuesten ein Drängen und Balgen um das Steuer. Jetzt ein Ruck dem Mund flossen, wie Wasser aus einemt aufgedrehten Hahn, Ausweisungspolitik geübt, nicht mit Widerlegung, sondern mit rechts- wieder ein Rud- links. Zickzackkurs- und Zickzack- und er sagte nichts. Stein Aufschluß! Auf teine Frage Denunziationen beantwortet. Das Organ des Herrn kurs in brandender See, im Sturm und zwischen Klippen. eine Antwort! Allgemeine Redensarten, Kannegießereien von b. Stumm betrachtet es ja als seine vorzüglichste Aufgabe, In diesem Moment keine Regierung im Reichstag nicht höherem Niveau als des ersten besten Berliner Weißbier- die Wahrheit unschädlich zu machen, und, da dies niemals geder verantwortliche Reichskanzler auf der Saujagd! philisters. lingt, die Menschen aus dem Wege zu räumen, die von der Eine solche Budgetdebatte! Vier Lage hat sie gedauert. Auch der Herr Kriegsminister v. Goßler hat gesprochen. Propaganda ehrlicher Ueberzeugung nicht zu lassen vermögen. Und in drei Tagen von diesen vier, in denen es sich um Er sagte uns, daß ein gewisser Erlaß nicht bestehe, worüber Es versteht sich, daß die zarten Anregungen eines Organs des Frhrn. die Ehre, um die Sicherheit des Staates handelte, hat der wir noch sprechen werden. Und er sagte uns etwas, b. Stumm nicht ungehört verhallen. Und so bringt denn der ,, ReichsReichskanzler, der einzige dem Reichstag und dem Lande ver- worüber wir uns allerdings schaudernd gefreut haben. Er Anzeiger" ein ganz ungewöhnlicher Vorgang! folgende antwortliche Vertreter der Reichsregierung, nicht ein Wort sagte uns, daß ein Offizier, der während eines Krawalls, Ankündigung: gesprochen und am vierten Tag ging er auf die statt in die dichte zusammengefeilte Menschenmasse hinein, Saujagd. über die Köpfe der Menge hinweg schießen lasse, sich einer Die Saujagd war ihm also wichtiger als der Reichstag Todsünde schuldig mache gegen den Heiligen Geist des und die Regierung. Oder war es ein Akt der Re- Militarismus, der zwar den Modeparfüm des Christenthums gierung, daß der deutsche Reichskanzler auf die Saujagd führt, aber allem menschlichen Gefühle gegenüber falt und fremd bleibt. ging?
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Gegen den ordentlichen Professor an der hiesigen Universität Dr. Hans Delbrüd ist wegen seiner Aeußerungen über die Ausweisungen aus Nordschleswig im legten Hefte der„ Preußischen Jahrbücher" auf grund des§ 2 des Gesezes vom 21. Juli 1852 über die Dienstvergehen der nicht richterlichen Beamten das Disziplinarberfahren eingeleitet worden.
Zum ersten Male wird in dieser feierlichen Form die
Sind nicht im neuen Deutschen Reich, das alle Und dieser Militarismus herrscht in Deutschland . nationalen Jdeale so herrlich erfüllt hat," die Sau- Wir danken Herrn v. Gosler. Daß er uns das mili- Oeffentlichkeit von einem gegen einen Universitätslehrer einjagden große Haupt- und Staatsaktionen, wie bei den alten tärische Bild von Sais gezeigt hat, wie seine Stollegen geleitet en Disziplinarverfahren in Kenntniß gesezt. Es ist ein Germanen vor zweitausend Jahren, oder bei den Griechen Posadowsky und Bülow das politische das soll ihm Bug von symbolischem Tiefsinn, daß das Gesez, auf grund zu Maleager Zeiten vor dreitausend Jahren und mehr? hoch angerechnet sein, und den zum Zielen auf die dessen Herrn Delbrück der Prozeß gemacht wird, just aus ft es wahr, was eine Berliner Zeitung in selbstzerfleischendem unbewaffnete unruhige Menge kommandirenden Offizier jener reaktionären Zeit der Kontre- Revolution stammt, deren Hohn sagt- war die Saujagd für den deutschen Reichskanzler wollen wir, wird das deutsche Volt nicht berunheilvolle Aehnlichkeit mit unseren heutigen Verhältnissen in der That wichtiger, als die Geschäfte des Reichstags? gesien, so wenig wie den Reichstanzler auf der längst aufgefallen ist. Gewiß ist der deutsche Reichstag kann keinen Reichskanzler Saujagd. und keine Regierung stürzen auf der Saujagd aber
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ist schon ein Reichskanzler und ist schon mancher Minister abgehalftert" worden, um den fachmännischen Ausdruck der Herren Junker zu brauchen.
Der Reichskanzler im Reichstag drei Tage kein Wort gesprochen, obgleich die Volksvertretung ihm inhaltsschwerere Fragen vorlegte, als je ein deutscher Reichstag sie vorgelegt hat und am vierten Tag auf der Saujagd! Und die übrigen Minister?
Politische Nebersicht.
Die Marinevorlage kommt!
Was Delbrück's zu erwartendes Schicksal anlangt, so be. ginnt die Reihe der Strafen mit einer einfachen Verwarnung und endigt mit der Dienstentlassung ohne Pension. Obwohl Herr Delbrück weder verdächtig ist, einen Meineid geschworen zu haben, noch fälschende Agenten unterhält und begünstigt, auch nicht auf Hintertreppen Politit treibt, Minister stürzt und die Das Dementi der Norddeutschen Allgemeinen" ist in Regierung durch verleumderische Angriffe durcheinander wirbelt, urtheilsfähigen Streisen überall als Bestätigung aufgefaßt so wird das Disziplinarverfahren gegen Herrn Delbrück worden. Die Thatsachen und die Logik der Thatsachen sprechen hoffentlich so glimpflich endigen wie das gegen- Herrn doch zu deutlich. Daß Herr v. Hohenlohe kein neues Flotten- v. Tausch.gesetz will, das bezweifelt niemand. Allein was ist der Reichsfanzler, wenn der Kaiser, der sein eigener Reichskanzler ist, das Gegentheil will? Auch andere Minister treten den Der Spruch der Geschworenen im Heilbronner Krawallneuen Plänen entgegen. Und der Chef des kaiserlichen Prozeß hat überall lebhafte Anerkennung gefunden, nur nicht Graf Posadowsky ist kein zynischer Menschenverächter, Marine tabinets, Sontre- Admiral von Senden bei dem Vorsitzenden des Schwurgerichts. Der Landgerichtsder absichtlich und höhnend dem gesunden Menschenverstand Bibran, der für die vorjährige Flottenvorlage sehr thätig Direktor Willich hielt es nämlich für nöthig, am Sonnabend
Sie waren am Platz. Und sie haben auch gesprochen. Bum theil wenigstens. Vornan Graf Posadowsky, der Bizefanzler.
Und wie gesprochen.
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Das gerüffelte Schwurgericht.