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Nr. 26.. mm. i Deilllge des LllMiilts" Kerlim WlksdlÄ. mn, A. ZMtt!89S. -- i--_ i.- i Reichskag« 21. Sitzung. Montag, 30. Januar 1839, 1 Uhr. Anl Bundesrathstische: T i r p i tz. Zunächst wird ein schleuniger Antrag A g st e r(Soz.) und Ge- Nossen   angenommen auf Einstellung der gegen den Abgeordneten Thiele(Soz.) bei dein königl. Landgericht' in Halle a. d. Saale  tchwebenden Strafverfahren für die Dauer der Session. Ferner liegt ein Antrag A g st e r und Genossen vor: Der Reichstag wolle beschließen, dem Eliten Staatsanwalt beim könig- lichen Landgericht Magdeburg wird die Genehmigung zur Strafverfolgung des Abg. S chmid t(Aschersleben  ) wegen angeblicher Majestätsbeleidigung und Beleidigung eines Mitgliedes des königlichen.Hauses ertheilt. Abg. Giuger(Soz.): . Unser Antrag steht in, Gegensatz zu den sonstigen Anträgen dieser Art, die E i n st e l l u n g eines Strafverfahrens gegen einen Abgeordneten verlangen. Die Ursachen unseres Antrages sind kurz folgende. Vor einiger Zeit wurde in Magdeburg   der verantwortliche Redakteur des dortigen sozialdemokratischen Blattes wegen Majestätsbeleidigung u. s. w. zu der geradezu exorbitanten Strafe von zirka 4 Jahren verurtheilt. Die Verurthcilung erfolgte, trotzdem drei Kollegen des Angeklagten bezeugten, daß dieser an den betreffenden Tagen gar nicht in Magdeburg   anwesend war, sondern sich nur, von einer Reise zurückgekehrt, 10 Minuten in der Redaktion derVolksstimme" aufgehalten hatte. Diesen Zeugen wurde nicht geglaubt, sie wurden nicht vereidigt. Welchen Eindruck aber ihre Aussagen trotzdem gemacht haben,' geht daraus hervor, daß einem dieser Zeugen jetzt eine Anklage wegen desselben Ver- gehens zugestellt worden ist. Das rigorose Urtheil wird in Magde  - bürg aus der gegen die Sozialdemokratie beim dortigen Gericht herrschenden Stimmung erklärt. Nachdem nun das Urtheil ver- kündet war, ließ es unserem Kollegen Schmidt- Aschcrsleben, der zu jener Zeit den verantwortlichen Redakteur vertrat, keine Ruhe. Er konnte es nicht mit seinem Gewissen und seiner Ehre vereinbaren, daß ein völlig Unschuldiger auf diese entsetzliche Weise 4 Jahre seines Lebens mit durch ihn beraubt werden sollte. Cr hat sich daher als Thäter angegeben und ersucht, die Klage gegen ihn anzustrengen. Der Staatsamvalt hat dies vorläufig abgelehnt mit der Begründung, daß. da Schmidt Reichstags-Abgeordne'ler sei, das Strafverfahren doch während der Dauer der Session nicht eröffnet werden könnte. Daher unser Antrag. Wir verkennen nicht, daß es etwas Außergewöhnliches ist. dem Reichstag zuzumuthen, das Privilegium der Immunität seiner Mitglieder in einem einzelnen Falle aufzugeben, hoffen aber, daß der Reichstag diesmal eine Aus- «ahme machen wird. Um den Abgeordneten aller Parteien Gelegen- heit zu geben, die Sache ganz eingehend zn prüfen, beantrage ich Ucberweisung unseres Antrages an die Geschäftsordnuiigs- k o m in i s s i o n. Das Haus beschließt diesem Antrage gemäß. Das Haus tritt sodann in die zweite Berathung des Etats ein, die bei dem Etat der Marineverwaltung fortgesetzt wird. Abg. Lieber(Z.) befürwortet als Berichterstatter die unveränderte Annahme des Etats. Beim Titel Staatssekretär bemerkt Abg. Tinger(Soz.): Ich will dem Herrn Staatssekretär deS Reichs- Marine- Amts Gelegenheit geben, sich über einzelne Handlungen der ihn, unter- gebenen Beamten auszusprechen, die ein gewaltiges Befremden hervorrufen muhten. Der Ober- Werstdircktor von Danzig  , ein Herr von Wietersheim  , hat es für gut befunden, durch einen Erlaß an die ihm unterstellten Arbeiter sich bei den letzten Reichstagswahlen in den Wahlkampf einzumischen. Er hat einen Tagesbefehl erlassen, der vom 21. Juni 1898 datirt ist und folgendermaßen lautet:Nochmals wird von Euch Arbeitern verlangt, zu einer Stichwahl an die Wahl- urne zu treten. Wem von beiden Kandidaten Ihr Eure Stimme geben sollt, kann Euch nach dem, was ich Euch tn, Tagesbefehl vom 10. Juni d. I. gesagt habe, nicht zweifelhaft sein. Ich möchte aber vor dieser Stichwahl nochmals die wahren Ziele der Sozialdemo- kratie ettvaS niedriger hängen, da Ihr durch die letzthin ver- theiltcn, harmlos erscheinenden Flugblätter verleitet werden könntet, den Verlockungen und Versprechungen dieser Partei zu folgen." Der Herr Ober-Werftdirektor gicbt sodann eine Schilderung der letzten Ziele der Sozialdemokratie mit einer durch keine Sach'kenntniß ge- trübten Unbefangenheit. Er äußert sich da, wie folgt:Die Sozial- demokratie strebt den Umsturz der von Gott   eingesetzten Welt- orduung(Ruf rechts, vornehmlich vom Abg. v. Stumm: Sehr richtig I), der Vernichtung der christlichen Familie(Sehr richtig!) und des Staates an."(Sehr richtig!) Ich glaube Ihnen(nach rechts) gern, daß dieser Erlaß auch Ihre Ansichten vertritt. Dadurch werden sie aber nicht richtiger! Es heißt dann weiter:Sie leugnet Glauben und Religion und will die Monarchie stürzen. Und nur durch eine kräftige Monarchie ist das deutsche Reich in seiner Vereinigung stark und mächtig zu erhalten(Ruf, wie oben: Sehr richtig!) und dauernd gegen Angriffe von außen zu be- wahren." ES heißt doch wirklich, das ABC der sozialdemokratischen Grund- sätze nicht keimen, wenn nian derartige Behauptungen ausstellt, wie die, daß die Sozialdemokratie das Deutsche Reich zerstören will. Aus ivelcher Druchache, aus welcher Schrift, aus welcher Zeitung, aus welcher Rede kann das nachgewiesen werden? Das Gcgentheil trifft hier zu. Die Sozialdemokratie will all die Vortheile, die die Er- richtniig des Deutschen Reiches wenigen geschaffen, den Millionen der deutschen   Arbeiterklasse zugänglich machen.(Sehr richtig! links.) Nachdem also Herr v. Wietersheim   solchermaßen die Arbeiter über die wahren Ziele der Sozialdemokratie aufgeklärt hat, richtet er an sie die Ausforderung:Wer noch einen Funken von Liebe für sein deutsches Vaterland hat, wer noch in Treue zu Kaiser und Reich steht, der trete mannhaft am 24. an die Wahlume und gebe seine Stimme dem sta a t s e rh a l t e n d e n Kandidaten Danzigs  , dem treuen Bürger dieser Stadt."(Ruf rechts, vornehmlich Abg. v. S t u m m: Sehr richtig I Ruf von anderer Seite: Ri'ckertl Große Heiterkeit.) Ja,' meine Herren, so drollig dieser Satz in dem Schreiben auch klingt, so ist die ganze Sache doch viel zu ernst, als daß man in dieser gemüthlicheu Weise über sie hinweggehen könnte. Es ist Sache des Reichstags, dafür zu sorgen, daß der Unfug endlich ein Ende findet, daß die ChcfS der BcKvaltungsstcllen ihren Angestellten vorzuschreiben haben, welcher politischen Ileberzcugung sie sein sollen l(Sehr richtig I links.) Es ist für den Arbeiter einfach unerträglich, auf der einen Seite vor- geredet zu bekommen:Ihr habt ja das allgemeine Wahlrecht. Ihr könnt also zur Genüge Eure Interessen vertreten." und auf der anderen Seite sich vorschreiben lassen zu müssen, wie sie dies Wahl- recht ausüben sollen. Das ist einfach moderne Sklaverei (Sehr richtig! links), das ist ein Zustand, der in einem Kulturstaat nicht geduldet werden darf.(Sehr richtig! links.) Es muß klar und deutlich hier erklärt werden: Es geht die Ver- waltung gar nichts an. wen die Arbeiter wählen. Indem der Ar- beiter seine Arbeitskraft an die Verwaltung vermiethet, verzichtet er nicht auf die Ausübung seiner staatsbürgerlichen Rechte. Wie ich gehört habe, befindet sich Herr von Wietersheim   nicht mehr an jener Stelle. Nach den Gepflogenheiten des letzten Jahres muß ich an- nehmen, daß er für seine Heldenthat befördert worden ist.(Heiterkeit und Sehr richtig I links.) Noch einen zivciten Tagesbefehl will ich hier anführen, dern Laufe des letzten Jahres von einem Verlvaltungsbeamten des Rcichs-Marine-AmtS erlassen worden ist. Er stammt aus Wilhelms- bauen, hat zum Autor den Ober-Werftdirektor von Schuchmann. ist datirt vom 7. Mai 1898 und lautet: Tagesbefehl zum Aushang Montag, 7. März 1398. Ständiger Aushang: Die sich mehrenden Anträge der Steuerbehörden auf Lohnbeschlagnahme der Arbeiter wegen rückständiger Steuern geben Veranlassung zur Vermeidung der durch Erledigung der Restanten- listen enlsichenden zeitraubenden Arbeit, die betreffenden Arbeiter aufzufordern, für rechtzeitige Entrichtnng der Steuern Sorge zu tragen. Außerdem liegt eine rechtzeitige Entrichtung der Steueri, um so mehr im wirthschastlichen Interesse der Arbeiter, als die Kosten der Zwangsvollstreckung öfters so erheblich sind, daß sie fast die Höhe des Steuerbetrages erreichen. Ich bestinime hiernach, daß diejenigen Arbeiter, welche ohne ge- nügende Entschuldigung in einem Jahre dreimal die Steuern nicht rechtzeitig entrichtet haben, so daß deren Einbeziehung durch die Werst hat erfolgen müssen, aus der Werftarbeit zu entlassen sind." Dieser Erlaß bedeutet einen derartig unerhörten Eingriff in die privatrcchtlichen Verpflichtungen der Arbeiter, daß ich ihn einfach nicht begreifen kann. Da scheint es mir doch absolut nothwendig, daß der Herr Staatssekretär eilien Tagesbefehl erläßt, in dem er seine Be- amten anweist, ihre Erlasse nicht eher zu veröffentlichen, als bis er sie selbst geprüft hat.(Sehr gut! bei den Sozialdemokraten.) Denn ich kann nicht annehmen, daß auch der Staatssekretär der Ansicht ist, nian müsse durch einen solchen Ukas an die Untergebenen, z. B. an die Herren Offiziere   denn auch bei denen sollen manchmal Zwangs- Vollstreckungen vorkommen(Heiterkeit) die Steuerbehörde unter- stützen. Die Steuerbehörden geben keine Auskunst über die Verhältnisse der Steuerzahler, von allen Seiten ist betont worden, daß die Einzeichnung in die Stcuerlisten nicht zu Denunziationen benutzt werden dürfe, und hier benutzt ein Vorgesetzter seine tvirthschaftliche Macht, um Denunziationen der Steuerbehörde nachzukonime». Auf Ivelchem Recht basirt denn ein solches Vorgehen? Welcher Privat-Jndustrielle würde sich zum Büttel der Steuerbehörde abgeben? Und die Marine- behörde soll zu solchen Diensten in Anspruch genommen werden? Ich will aber jetzt noch nicht die Hoffnung aufgeben, daß die Erwiderung des Herrn Staatssekretärs derart sein wird, daß das verletzte Rcchtsgefühl der Arbeiter Gcnugthuung erhält.(Beifall links.) Staatssekretär Tirpitz: Ich glaube im Einverständniß mit dem hohen Hause zu handeln, wem, ich mich nicht auf eine Sozialistendebntte einlasse. Von dem Tagesbefehl des Herrn v. Wietersheim   habe ich erst post festum Kenntniß erhalten und bin allerdings der Ansicht, daß der Herr nicht in dieser Weise bei den Wahlen hätte hervortreten sollen. (Hört! hört! links.) Ich habe diese Ansicht ihm gegenüber auch ent- sprechend l,im Ausdruck gebracht. Bezüglich der Konsequenzen möchte ich nur bemerken, daß die Slbkomniand'irung des Herrn v. Mieters- heim mit dieser Angelegenheit nichts zu thun hat. Was die zweite Angelegenheit betrifft, die Herr Singer erwähnt hat, so handelt es sich hier nicht um eine privatrechtliche Angelegenheit, sondern um eine staatliche Verpflichtung. Die Behörden sind ver- pflichtet, rückständige Steuern einzutreiben, und dies ist in Wilhelms- Häven ganz besonders schwierig, da es sich hier un, Steuern von zwei verschiedenen Staaten handelt. Zweifelsohne ist der Tages- bcfehl von einem Wohlwollen gegen die Arbeiter diktirt, weil der Ober-Werstdirektor ein großes Interesse daran haben muß, daß die Vermögensverhältnisse seiner Arbeiter geordnete sind.(Lachen links.) Im Uc'brigen finde ich, daß der Passus, her von der Entlassung handelt, etwas hart ist, bin jedoch nicht geliiigeud über die Sache oricntirt, um zu ersehen, ob er durch besondere- Gründe gerecht- fertigt ist. Abg. Rickert(frs. Vg.): DaS Vorgehen des Herrn v. Wietersheim   hat Ihre Heiterkeit erregt und ich muß gestehen, daß auch mir so etwas Komisches noch nicht vorgekommen ist. DieKreuzzeitung  " hat behauptet, daß ich diese amtliche Wahlbeeinflussung über mich habe ergchen lassen und dadurch einigen Stimmenzuwachs erhalten habe.(Heiter- keit links.) Ich nniß das ans das entschiedenste bestreiten. Wie wollen Sie überhaupt die Stimmen der Arbeiter in einer großen Stadt kontrolliren? Das ist ja gar nicht möglich. Die Erklärung des Herrn Staatssekretärs hat mich vollständig befriedigt. Jedes Eingreifen der Staatsbehörde bei den Wahlen kann nur die staat- liche Autorität schädigen und ich wäre glücklich, wenn diese An- schauung auf allen Seiten des Hauses immer mehr Platz greifen würde. Abg. Lingens(Z.) fordert, daß immer mehr dafür gesorgt werde, daß die Angehörigen des Heeres und der Marine ihren gottesdien st lichen Pflichten nachkommen können, natürlich unter strenger Wahrung des paritätischen Standpunktes. In Kiel   müßten sich aber die Sol- dateu mit außerordentlich engen Räumen begnügen. Staatssekretär Tirpitz: Die Schiffskommandantcn haben eingehende Instruktionen über die Abhaltung von Gottesdiensten für Katholiken, die auch streng gchaudhabt iverden. Wegen der Schwierigkeiten, die durch die engeü Räume der Siinultankirche in Kiel   entstanden sind, schweben bereits Verhandlungen. Abg. Frhr. v. Stumm: Wir auf der Rechten haben jeder Zeit den Standpunkt ver- treten, daß bei Wahlen auch jeder Vorgesetzte das Recht haben muß, seine Ansicht auszusprechen. Den Tagesbefehl des Herrn v. Wietersheim   können wir nicht als Wahlbeeinflussung auf- fassen, es ist lediglich ein wohlgemeinter Rath dieses Herrn an seine Arbeiter.(Lachen links.) Mit der Erklärung des Herrn Staatssekretärs bin ich nicht ganz e i n v e r st a u d e n. denn wenn es unbestritten ist, daß kein Sozialdemokrat in einem staat- lichen Betriebe Stellung finden darf, so muß man logischerweise der Behörde das Recht zugestehen, ihre Arbeiter zu warnen, daß sie Gcsahr liefen, eirtlasse'n zu werden, wenn sie für Sozialdemokraten stimmten. Herr Singer hat die Aeußerungen des Herrn v. Mieters- heim in seinem Tagesbefehl als völlige Entstellung der Ziele der Sozialdemokratie bezeichnet. Darauf möchte ich noch kurz eingehen, wenn es auch kaum lohnt, bei so schwach besetztem Hause eine Sozialistendebatte anzufangen. Die Herren mausern sich ja aller- dings von Jahr zu Jahr, so daß es nicht ganz leicht ist, sich über ihre eigentlichen Bestrebungen klar zu werden. Aber was Herr v. Wietersheim   ausgesprochen hat, ist jedenfalls die Grundlage der sozialdemokratischen'Anschauungen und ich habe selten etwas gehört, Ivas so präzise und schlagend die Anschauungen und Ziele der Sozialdemokratie klar legt.(Lachen bei den Sozraldeniokrate».) Auf den Kongressen dieser Partei wird es ja auch jedesmal von Neuem festgestellt: Wir sind, Ivas wir waren, und werden bleiben, was wir sind!(Sehr richtig I bei den Sozialdemokraten.) Herr Singer hat heute speziell bestritten, daß die Sozialdemokraten Feinde des Deutschen Reiches sind. Ich verweise da nur z. B. auf einen Artikel in dem Januarheft desSozialistischen Akademikers" vom Jahre 1895: Was ist unser Vaterland? Dort heißt es:Nicht jedes beliebige Fleckchen Erde  , das ein Regent oder eine beute- gierige Bourgeoisie abgegrenzt hat, sondern die Stätte Aller, die menschlich fühlen und denken, ist unser Vaterland." Was ist denn schließlich die Liebe zum Deutschen Reich ohne Liebe zum Vater- land? dann ist sie eben ein leeres Wort. Ferner verweise ich wieder auf den rothen Kalender der Sozial- demokratie, in dem fortgesetzt anarchistische Mordthaten verherrlicht werden. Den Zweck dieses Kalenders hat derVorwärts" selbst in einem Artikel deutlich genug bezeichnet, wenn er sagt: dieser Kalender solle den Arbeitern, wenn sie verzweifeln wollten, Muth einflößen, Muth zu schweren Kämpfen. Ebenso find Aeußerungen von Bebel und Engels bekannt, daß die Sozialdemokratie vor keinen Gewalt« thaten, auch nicht einer gewaltsamen Revolution, zurückschrecke, wie sie ja auch stets die Blutthaten der Pariser Kommune   verherrlicht. Die grundsätzliche Gegnerschaft zwischen Anarchisten und Sozialisten, die d,e Sozialdemokratie immer behauptet, ist demnach nichts als Heuchelei. Ich habe hier Material genug, Ihnen das zu beweisen, und wenn Sie mich provoziren ich bin bereit, Ihnen Rede zu stehen.(Lachen bei den Sozialdemokraten.) Abg. Molkenbnhr(Soz.): Daß Herr v. Stumm jede Dummheit, die über die Sozial-, demokratie irgendwo geschrieben wird, gegen dieselbe ausnützt, ist! uns ja bekannt.(Sehr richtig! bei den Sozialdemokraten.) Ich erinnere nur an den Herrn Lorentzen, dessen Broschüre ja auch den vollen Beifall des Herrn v. Stumm hatte und der jetzt nicht etwa wegen sozialdemokratischer Gesinnung, sondern wegen ganz anderer moralischer Vergehen hat entlasse» werden müssen. Zu* dem ständigen Repertoir des Herrn v. Stumm gehört ja auch der rothe Kalender desVorwärts", der, glaube ich, in mehr als 50 pCt. seiner Reden erwähnt wird und zwar jedes mal mit der Be- hauptung, der Kalender sei lediglich eine Verherrlichung anarchisti- scher Verbrechen. Herrn v. Stumm dürfte es doch aber auch be- kannt sein, daß auch andere Daten, wie z. B. der Tag, an dem der bekannte Posadowsky-Erlaß datirt ist, sowie die Daten sämmtlicher' Kaiscrreden dort ausgeführt sind.(Heiterkeit links.) Weiter hat Herr v. Stumm gemeint, Vorgesetzte müßten ihren Untergebenen mit Rath bei den Wahlen zur Seite stehen dürfen. Nun der Rath eines Vorgesetzten seinem Untergebenen gegenüber kommt einen, Befehle gleich, durch den die Freiheit des Wählers wesentlich ein- geschränkt wird. Das ist aber verfassungsgemätz durchaus unzulässig. Nun geht Herr v. Stumm von der Ansicht aus, daß Sozial- demokraten in den Staatsbetrieben nicht beschäftigt werden dürfen. Wenn Sie die Sozialdemokraten auf immer aus diesen Staatswerk- stätten herausnehmen würden, glauben Sie denn, daß Sie dann die Eisenbahnen und den Schiffsbau in Betrieb erhalten können 1 Speziell auf den Werften ist die Zahl der Sozial- demokraten so überwiegend, daß Sie den Betrieb ganz einstellen inüßten. Unter den Entlassenen würden nämlich gerade die intelligentesten Arbeiter sein(Widerspruch rechts, sehr richtig! links.) Doch ich will mich mit Herrn v. Stumm nicht mehr länger beschäftigen, dazu ist ja noch oft Gelegenheit und es wäre heute schade, die Zeit damit zu vertrödeln.(Sehr richtig! links.) Ich will zu einer anderen Materie übergehen. Im vorige» Jahre ist eine Lohnstatistik von der Marine-Verwaltung heraus- gegeben worden. Die Mittheilungcn über die Arbeitslöhne sind darin zu summarisch, so daß der Zweck einer Lohnstatistik durchaus nicht erreicht wird. Die Arbeiter sind da in neun Kategorien ein» getheilt und von denen ist der Durchschnittslohn»ntgetheilt. Der Durchschnittslohn ist nur in der Weise ermittelt, daß man von den einzelnen Dicnstgruppcn das erste Halbjahr genommen hat, wo dann auch Akkordarbeit und Verdienst aus Ueberstunden mit eingerechnet worden ist. Im ersten Halbjahr aber werden die Schiffe zur Indienststellung ausgerüstet, es sind sehr viele Ueberstunden und auch mehr' Akkordarbeit nothwendig: dadurch wird der Durchschnittslohn schon an und für sich ein höherer. Das Bild wird noch dadurch unrichtiger und unübersichtlicher, daß man zu große Gruppen Handiverker zusammen genommen hat und viel zu summarisch verfahren worden ist. Nun ist es doch bekannt, daß es auf der Werft ganz bestimmte Lohnklasscn giebt und zwar sind die Arbeiter im Allgemeinen in 8 Lohnklaffen eingetheilt. Sieht man nun die Lohnklassen näher an, so findet man, daß in der zweiten Kategorie, die in der Statistik mit einem Durch- schnittslohn von 4,30 M. angegeben ist, sich Leute mit befinden, die wie die Blockmacher einen Verdienst von 24 bis 30 Pf. pro Stunde, haben. 30 Pf. ist also die höchste Lohnklasse, bis zu welcher es ein Blockmachcr bringen kann. Dasselbe ist bei den Böttchern und Metall- arbeitcrn, den sogenannten Zuschlägern der Fall. 30 Pf. pro Stunde kommt einem Tagesverdienst von 3 M. und einem Jahresvcrdienst von 900 M. gleich, was gar nicht mit den Ziffern der Lohnstatistik stimmt. Diese aber sind, wie gesagt, eiuinal dadurch entstanden, daß man das erste Halbjahr zur Durchschnitts- bcrcchnung herangezogen hat, zweitens dadurch, daß Ueber- stimdcnverdienst mit eingerechnet ist, und drittens daß die Löhne der Vorarbeiter, die ja höher sind, mit eingerechnet worden sind. Rechnet man nun von den 300 M. Verdienst 200 M. für Miethe und Kassenbeiträge ab, so verbleiben 700 M. für den Lebens- unterhalt im Jahr oder bei einer Familie von fünf Köpfen 38 Pf. pro Tag und Kopf, das ist eine Summe, von der mair sich n i c!: z satt essen kann und solche Sozialpolitik sollte die M a r i n e v e r w a l t u n g nicht treiben.(Sehr richtig I links.) Steuerrückstände sind da begreiflich und der Tagesbefehl des Herrn v. Schuchmann ist eine grobe Rücksichtslosigkeit.(Sehr richtig I links.) Ein weiterer Mißstand auf den Werften ist das Spitzclthum. Durch den Fürsten Bismarck sind ja Spitzel im Deutschen Reiche in Masscnkulturen gezüchtet worden.(Widerspruch rechts. Sehr richtig! bei den Sozialdemokraten.) Selbst die Minister sind nicht ganz sicher, hier und da bespitzelt zu werden, wie seiner Zeit der Prozeß Tausch gezeigt hat. Für den Minister ist es nicht gefährlich, wen» er durch einen Spitzel zu Fall gebracht wurde. Er bezieht nachher eine ansehnliche Pension, be- konimt sogar auch häufig ein gut besoldetes Amt, wo er politisch thäiig sein kann, wie Herr v. Köster, ein Amt, wo er seine ganze Fähigkeit und Unfähigkeit im vollsten Maße beweisen kann.(Sehr gut! bei den Sozialdemokraten,) Wenn aber diese Spitzelwirthschast unter den Arbeitern um sich greift, dann werden bei der Werft- direktion stets Leute denunzirt werden, die persönliche Feinde der Spitzel sind, die es verschmähen, Bier für sie zu bezahlen, die aber offene und ehrliche Leute sind. Das wäre erträglich, wenn wenigstens den Arbeiten, gesagt würde, weshalb sie entlassen werden. Aber es wird immer nur angegebenwegen Mangels an Arbeit".. So sind im vorigen Jahre in Wilhelmshaven   Arbeiter entlassen worden, die 10, 13 und 16 Jahre angestellt waren. Ist in Wirklich- keit Mangel an Arbeit der Entlassungsgrund, so sollte die Werft-' Verwaltung nicht gerade so alte Arbeiter entlassen, sondern sie be- halten, wenn ihre Kräfte abzunehmen beginnen. Liegt aber ein politischer Grund vor, dann müßte män's ihnen ins Gesicht sagen und nicht als Lügner vor sie hintreten. Das geziemt einer solchen Leitung nicht. Jedenfalls wäre es wünschenswerth, wenn für die Besserstellung der Werftarbeiter etwas gethan würde. Das würde die Leistungsfähigkeit der Arbeiter heben und indirekt den Werften zu gute kommen; daß die ganze Spitzelwirthschast beseitigt wird, daß die Werftleitung den Zwischenträgern fern bliebe, das wäre nur anständig I Ich kenne viele Arbeitgeber, die auf derartige Zwischenträgereien nichts geben und die in ihre», Betriebe dabei besser fortkonime» als die, welche ein solches System eingeführt haben. Denn wer auf Spitzel etwas giebt, muß damit rechnen, daß sie ihre Stellung ausnützen, um ihre persönlichen Feinde heraus- zutreiben, damit sie ein Schmarotzerlcben führen können. Und die Werften sollten nicht für die Unterhaltung von Schmarotzern da sein. (Bravo   l bei den Sozialdemokraten.) Kontrc-Admiral v. Büchscl: Der Vorredner hat an der vorjährigen Lohnstatistik Kritik ge- übt. Die vorjährige Statistik war nur ein Anfang, in diesem Jnbre wird sie vollkommen ausfallen. Der Arbeiter Lorenzen ist eutlaffen worden, weil er sich gegen einen Vorgesetzten vergangen hat: seine politische Gesinnung spielte bei der Entlassnng nicht init(Hört. hört. links). Für das Spitzelwesen hat der Vorredner keinen Beweis erbracht. Die Entlassungen wegen Mangels an Arbeit kommen nur selten vor. Von 13 000 Arbeitern sind nur 51 aus diesem Grunde entlassen worden. Das Reichs-Marine-Amt wird bemüht sein, die Lohnverhältnisse der Arbeiter stetig zu bessern und sie zufrieden zu stellen. Das wird uns umsomehr gelingen, je weniger unsere Maß- nahmen von anderer Seite schlecht gemacht werden.(Beifall rechts.) Abg. Werner(Reform-P.) verurtheilt die Danziger Wahl- beeil, flussungen. Abg. Baffermaim(imtl.): Rein menschlich kann ich das Verhalten des Werftdirektors von Danzig   ja verstehen. Aber wir halten diese Einmischung doch für