Nr. 289.Mittwoch, 10. Dezember 1930.Seite S.Einsturz einer Kirche. Montag stürzte plötzlich ein Teil des Gewölbes der StadtlohnerKirche(Westfalen) ein. Durch das herunterfallende Gemäuer, das zum Teil mehr als einenZentnLr wog, wurden einzelne Kirchenbänkezerschmettert. Da zur Zeit des Einsturzes keinGottesdienst stattfand, befanden sich nur wenigePersonen in der Kirche. Drei von ihnen wurden verletzt, davon eine schwer. Die Kirchewurde gesperrt. Die Ursache des Einsturzes istnoch unbekannt.DaS krank« Kind in den Brunnen geworfen.Rach dreimonatiger Suche gelang es, in der Gegendvon Avellino(Italien) eines Kindesmörders habhaftzu werden, der sich seines jüngeren Söhnchens auffurchtbare Weise entledigt hatte. Der KleinhäuslerAntolini, der mit seinen zwei Knaben einsamhaust«, litt darunter, daß der jünger« Sohn kränkelte. Er weckte in der Nacht den größeren Knabenund befahl ihm, den kleinen auf den Rand einesBrunnens zu legen. Dort hieß er ihn, den kleinenBruder in den Brunnen zu werfen. Unter demunbarmherzigen Griff des BaterS gehorchte derKnabe und warf das Kind in die Zistern«.Entdeckung eines Goldschatzes. In den Kellerräumen eines Hauses der Bia Abundantia inPompeji wurde«ine verfallene hölzerne Truhe entdeckt, die mit einem reichen Gold- und Silberschatzaus der römischen republikanischen- und aus derKaiferzeit gefüllt war. Es handelt sich um goldeneund silberne Armbänder, Ohrgehänge, edelsteinbesetzt« Ringe, Halsketten, Pokal«, Tischgeschirre,Spiegel, Salbenbüchsen, Dustslaschen ufw. Der sensationelle Fund soll an materiellem und kulturgeschichtlichem Wert all« bisherigen entsprechendenFurche in den Schatt«» stellen.Ein neues Verfahren für das Abheben vonFingerabdrücken. Der Kriminalist Major Jo neehat«in neues Verfahren für di« Sicherung vonFingerabdrücken erfunden und patentieren lasten,das dem Erkennungsdienste sicher wertvolle Diensteleisten wird. Bisher ließen sich die am Tatortehinterlastenen Fingerabdrücke nur auswerten, indem man sie photographierte. Befanden sich nundie Fingerabdrücke an unebenen Flächen, z. B. ge-wülbten oder hervorstehenden Ecken, so erhielt manunter Umständen ein ziemlich verzerrtes Bild, dasdie Identifizierung erschwert«. Das überaus einfache Verfahren des Majors Joyce besteht nundarin, daß der Fingerabdruck mit Aluminium-bronze bestaubt und eine Art Heftpflaster daraufgedrückt wird. Bei seiner Ablösung nimmt dasHeftpflaster den Abdruck in allen seinen Einzelheitenauf. Da das Pflaster schmiegsam ist, so könnendie Fingerabdrücke auch von unebenen Flächen abgenommen werden; eine Photographie des übertragenen Abdrucks gibt ihn ohne Verzerrung wieder.Furchtbarer Tod«in«S Eisenbahners. Linengrausigen Tod erlitt ein Lokomotivführer in derNähe von Marseille. Während der Zug an- einemNeubau vorbeifuhr, beugte sich der Lokomotivführerweit aus dem Zuge. Durch mehrer« weit hervorragende Eisenstangen wurde der Mann buchstäblichenthauptet und der Kopf fortgeschloudert.Kampf mit auSgebrocheneu Irren. Nach einemKampf gelang es am Sonntag den Detektiven undder Polizei in Brooklyn, vier der gemeingefährlichen Geisteskranken habhaft zu werden, die voreinigen Tagen aus einer Strafanstalt in NewJersey entwichen waren. Unter ihnen befand sichder Mann, der als der„wahnsinnige Metzger" bekannt ist. Die Geheimpolizisten spürten den Flüchtlingen bis nach einet Zweizimmerwohnung nach,vor der sie warteten, bis die vier Männer eln-tvaten. Dann stürmten sie die Wohnung. Nebenden vier Geisteskranken, die Revolver mit sichführten und geschlagen werden mußten, bis si« sichergaben, fand die Polizei eine vollkommene Ausrüstung von Einbrecherwerkzeug. Eine Frau wurdezur selben Zeit verhaftet und wird unter die Anklage gestellt werden, den Verbrechern Unterkunftgewährt und ihnen zur Flucht verhalfen zu haben.Gegen die Todesstrafe. Heute abends umhalb 8 Uhr im Gcwerkschaftshaus am PerätynManifestationsversammlung der Liga für Men-schenrechte. Tagesordnung:„Gegen die Todesstrafe!" Redner der Rektor der PreßburgerUniversität Senator M i l o t a und Dr. FriedrichBill. Eintritt frei.Liebe im»ade.Die Nachahmung der französischen Ber-schwendungssucht im 17. und 18. Jahrhuirdert,die schließlich zum Ausbruch der großen Revolution von 1789 führte, fand nicht nur in Preußen, sondern auch in den kleineren deutschenStaaten Förderer. An erster Stelle steht hierBayern, wo sich heute ein besonders sprödesMuckertum breit macht. Dort konnte man sichnicht genug Arn, mit Frankreich zu sympathisieren und ihm den Rang in Prunksucht undwüstem Leben abzulaufen. Ein Kulturhistorikervon Rang schreibt über die adligen Herren, diedamals nach dem Untergang des Rittertumsnach den Höfen drängten, folgende Charakteristik:„Da sie weder etwas Nützliches gelerntnoch Kenntnisse zur Ausübung eines Berufeserworben hatten, schlugen sie ihre Zeit mitTrinken, Spielen, Jagen und Raufhändeln tot".Es entstand die Sucht, sich Wappen und Stammbäume beizulegen und welche zu erfinden, wennkeine vorhanden waren. Besonders gern gingenherabgekommene Edelleut« im 17. und 18. Jahrhundert in französische Dienste und wirkten,wenn sie nach Deutschland heimkehrten, für dieVerbreitung welscher Sprache, Tracht und Sitte,so daß Deutschsprechen als Unbildung galt.Adelsbriefe wurden käuflich. Die Prahlerei mitkostspieligen Courtisanen wurde zur Lebensbe-dingung eines Herrn von Welt.Schon der Kurfürst Max Emanuelvon Bayern(1679 bis 1726) hatte nichtweniger als vier zur linken Hand angetrauteFrauen: Anna Franziska Louchir, die spätereGräfin Arco, von der ein Sohn, Graf Emanuelvon Bayern, stammte, ferner Fräulein von Sin-zendorf, Gräfin Paar und Gräfin Wehlau. Einefünfte stand in noch engeren Beziehungen zuihm, doch ist ihr Name von der Geschichtsschreibung nicht an uns überliefert. Bon ihr stammteine uneheliche Tochter, die den Namen Maximiliane von Leithorst erhielt. Seine rechtsmäßige Frau war die Kurfürstin Therese vonBayern. Diese ließ sich von dem JesuitenpaterDorotheus Schmacke so eifrig unterweisen, daßsie ihm einen Sohn, Johann Christoph Aretin,den, späteren Baron von Aretftnbesabenteuer dieser bayerischen Fürsten sindausgedehnt und interessant, daß es schwierig ist,in so kurzen Ausführungen hindurchzufinden,ohne Wichtiges auszulassen. Mehr als alle anderen, doch gewiß auf erotischem Gebiete nichterfindungsarmen Fürsten zeichnete sich der bayrische Kurfürst Karl VII.(1726 bis 1747) aus,der auch ein paar Jahre lang deutscher Kaiserund Verbündeter Friedrichs II. in seinen erstenbeiden schlesischen Krisen gewesen ist. Er bevorzugte unter allen Spielarten höfischer Galanteriedie Liebe im Bade. Wie vor Jahrhundertender deutsche König Wenzel verbrachte auch er dengrößten Teil seiner Regierungszeit bei seiner„schönen Baderin". Er ließ sich vor den Torenseiner Residenzstadt München ein Schloß erbauen, das eine luxuriöse Badeanlage mit prächtig ausgestatteten Kabinetten enthielt. Dortbrachten ihm sechzehn gefällige Damen das ge suchte Ergötzen und halfen ihm dabei, Leib undSeele zu reinigen. Die Badezeiten erstreckten sichüber ungezählte Stunden, während deren dieschönen Baderinnen ihrem fürstlichen Freundeviel Kurzweil verschafften. Für die Gnade, dieihnen wiederum der Fürst durch seine Huld erwies, zeigten sich die treuen Nymphen, die ihmsämtlich zur linken Hand angetraut waren,außerordentlich dankbar. Im Laufe der Jahreschenkten sie ihm nicht weniger als vierzig Kinder. Von diesen Sprößlingen des„Nymphen-Königs" sind einige in der Geschichte bekanntgeworden, u. a. der Graf Franz Luiyvig vonHohenstein und die Gräfin von Hohenfels, beides Kinder der Fürstennymphe Sophie von Jn-genheim. In dem Namen des Schlosses Nym-p h e n b u r g hat sich die Erinnerung an dieAusschweifungen dieses bayrischen Kurfürstenbis heute erhalten.Auch in der bayrischen Nebenlinie, die vorder Vereinigung der Regentschaft mit Münchenam Heidelberger Hofe residierte, herrschteeine unsagbare Sittenentartung. Die Tochtereines pfälzischen Kurfürsten, Louise Hollandine,die spätere Aebtissin von Maubuisson, gebarihrem Vater vierzehn Kinder, nach eigener Angabe„ohne Liebe". Dieser Kurfürst brachte esalso fertig, zugleich der Vater und der Großvater seiner Kinder zu sein! Unter sesnen Nachfolgern machte der uneheliche Sohn. des Kurfürsten Karl Ludwig von der Pfalz später alspreußischer Offizier von sich reden. Das warder Raugraf Karl Moritz von Degenfeld, derals Obrist-Leutnant im brandenburgischen Heerestand. Er war der sechste Sohn der dem Kurfürsten zur linken Hand angetrauten CourtisaneLouise von Degenfeld. Alle diese bayrisch-pfälzischen Wüstlinge übertrifft der pfälzische Kurfürst Carl Theodor, der im siebeniährigenKriege gegen Friedrich den Großen kämpfte. Erhätte es sich wohl nie träumen lassen, daß einerspäteren Zeit die Sittenverwilderung, die anseinem Hofe herrschte, als„gute alte Zeit"erscheinen würde. Die Not, die durch die vielenaußerehelichen Fürstenkinder entstand, war sogroß, daß sich Banden bildeten, die das Landbrandschatzten. Kurfürst Carl Theodor erließdaher an sein« Landjäger.den Befehl,„dieseHerumtreiber kurzerhand über denHaufen zu schießen". Zu den bekanntesten Maitressen Carl Theodors gehört FräuleinHuber, die Tochter eines Bäckermeisters inMannheim. Er beförderte sie später zur GräfinBergstein. Sie gebar ihm- eine Tochter Karo-line. Dieses uneheliche Kind wurde später dieFürstin von Asenburg-Offenbach-Birstein. Eineandere Maitresse war die Schauspielerin Josephine Seyffert. Sie wurde zur Gräfin Hey-deck erhoben. Durch die Geburt eines kräftigenReichsfürsten und dreier: Gräfinnen von Bretzenheim revanchierte si« sich■ für. die erhalteneGnade bei ihrem Fürsten. Die Chronik nenntferner die Freiin Elisabeth Schenk von Castell und die Gräfin Josephine von T ö r-ring- Seefeld als Konkubinen CarlTheodors.Das sind nur einige Beispiele. Währendseine Truppen im siebenjährigen Kriege feindlichgegen preußische Landeskinder kämpften, wüteteCarl Theodor in seinem deutschen Ländchen.Gleichzeitig konnte der gegen Andersgläubigeunduldsame Fürst ungetadelt unter den Augenseines Beichtvaters sein illegitimes Liebeslebenzu einem solchen Umfange entwickeln, daß dieMenge der heimatlosen Bastarde zu einer Landplage anwuchs. Auch die bayrischen Lüstlingeverstanden es, ihr Volk wacker durch Steuern zubedrängen, um ihren Maitressenstaat zu sanieren. Später mußte Carl Theodor aus München,der neuen Residenz, zurück nach seiner angestammten Hauptstadt Mannheim fliehen, weilihm der Boden zu heiß würde. Es ist immerdas gleiche Spiel: Machtwillkür. und Ueberstei-gerung der Gewalt bis eines Tages sich allesändert und die verblüfften Machthaber sich andie Stirn schlagen und fragen; Warum?Hermann Walden.MMWM MS öMWilil.Prager Produktenbörse.(Offizieller Bericht vom S. Dezember.) An der heurigenBörse/ die nebenbei zahlreich besucht war, bliebdas Geschäft überwiegend schleppend, da die Anf-merksaurkeit der Besucher auf die eben stattfindenden Wahlen in den Börsenrat und das Schiedsgericht gelenkt war. Am Getreidemavkte warstarkes Angebot in Weizen und da sich für diesenArtikel Interesse in der letzten Zeit nicht bemerk-bar machte, mußten die Verkäufer um 1 bis L Xniedrigere Forderungen ansetzen, doch blieben di«amtlichen Notierungen unverändert. In Roggenmacht sich gewisser Warenmangel bemerkbar unddie Preise konnten sich befestigen, doch blieben dieamtlichen Kurse gleichfalls unverändert. In Haferwar der Verkehr gering und in Gerste hat sichdie Lage nicht geändert. Bloß Mais erfuhr«'neBefestigung um 2 bis 3 X. Sonst zogen im Preistnoch Kartoffeln um 2 X und einig« Kleefarnen»sorten an. Die übrigen Notierungen blieben gegenüber Freitag unverändert.— Es notierten inEine Schachtel enthält 20 Bonbonsund kostet nur Kc 10.—*Kronen: Rotweizen böhm., 81—82 Kg. 148—150.70—80 Kg. 143—146, Weizen gelb, böhm., 77—78Kg. 137—140, 74—76 Kg. 132—136, Roggen böhm.68—71 Kg. 92—95, Auswahlgerste 138—146, Gersteprima 128—130, mittlere 120—123, Futtergerste86—89, Hafer böhm. 96—100, fehlerhaft 93—95,DonaumaiS 69—70, rumän. FuttermaiS, kleinkörn.,neu 773—74, Futtermais La Plata 82—83, MaisLa Plata 75—76, Erbsen Viktoria 190—230, gelb140—160,' grün, großkörn. 190—220, kleinkönr. 150bis 170, Linsen großkörn. 490—520, mittlere 300bis 352, kleinkörn. 250—270, Bohnen 225-^300,Mohn blau- 500—540, stlbergrau 690—740, Kümmel Holland. 525—550, Kartoffeln gelbfleischig 24bis 27/weißfleischig 20—22, Heu böhm., ungepreßt,sauer 54—58, süß 64—68, gepreßt, sauer 55—60,süß 65—70, Roggenstroh in Bündeln, ungepreßt38—40, andere Strohsorten gepreßt 30—32, ungepreßt 29—31, Weizengrieß 283—293, WeizenmehlOHH doppelgriffig 263—273, Wcizenbackmehl 0 glatt22)8—24tz Weizenmehl Nr 1 178—183, Weizenbrotmehl Nr. 4 118—123, Weizenfuttermohl Nr. 892—96, Roggenmehl Nr. OH. 161—164, Nr. I.153—159, Nr. II. 85—95, Roggenfuttermehl 77 bis79, Graupen Nr. 10—6 190—225, gerissene Graupen 195—200, Hirse 220—240, Reis Burma II 245bis 255, Moulmain 325—345,. Bruchreis 225—235,ungarisches Grobmehl 245—250. kanadisches Mehl260—265, Weizenkleie 66—68, Roggenkleie 60—62,amerikanisches Fett 1160—1170, Eier(für 1 Schock)frische böhm. und mähr, fco Haus 62—64, frischeslowak. orig. 56—58.Sine vrdenrkomödie.Von Anton P. Tschechow.Der Lehrer am Militär^progymnasiumKollegialregistrator Pustiakow wohnte zusammenmit fernem Freunde, dem Oberleutnant Leden-cow. An ihn auch wandte er sich am N«u-jahrsmorgen.„Weißt was, Georg", sagte er nach derüblichen Beglückwünschung,„heute muß ich dichum etwas bitten. Ich würde es ja nicht tun,wäre die Sache nicht unbedingt notwendig. Tumir also den Gefallen, mein Lieber, und. leih'mir für heute deinen„Stanislaus". Ich binnämlich beim Kaufmann Spitschkin geladeri. Dukennst ja diese Kanaille von einem Spitschkin:Er schwärmt für nichts anderes als für Orden,und wenn nicht eine Auszeichnung um den Halsoder auf der Brust hängt, der gilt bei ihm einfach gar nichts... Du verstehst mich ja, meinBester. Gib mir also deinen Stanislaus, sei soMg!"DieS alles sagte Pustikaw stotternd und errötend^ wobei er fortwährend zur Tür schaute.Der Oberleutnant neckte ihn anfangs undmachte, als ob er nicht wollte, zuletzt aber erklärte er sich einverstanden.Um 12 Uhr mittags fuhr Pustiakow ineinem Fiaker zu Spitschkin. Unterwegs öffneteer«in wenig den Pelz und betrachtet« seineBrust: dort glänzte der fremde Stanislaus inGold und Email, befestigt an einem rotweißenBande.„Gleich fühlte man eine größere Achtungvor sich", ging es dem Lehrer durch den Kopf.„So«in kleiner Schmarren, nicht mehr als fünfRubel wert, und was für einen Eindruck dasmacht."Bor dem Hause Spitschkins angelangt,öffnete er wieder den Pelz und zahlte dem Kutscher langsam und bedächtig. Als dieser denI Orden sah, wurde er für einen Augenblick starr.Doch Pustiakow tat nur ein RäuHertt undwandt« sich dann dem Eingang zu. Während erim Vorraum den Pelz ablegte, warf er einenBlick in das Speisezimmer. An einem langenTisch saßen dort bereits fünfzehn Personen undverzehrten das Mittagessen. Man hörte einangeregtes Gespräch und das Klirren von Gläsern und Geschirr.„Wer läutet dort?" ließ sich die Stimme desHausherrn vernehmen.„Ah... Leiv Nikolajewitsch!... Bitte, kommen Sie nur näher! Siehaben sich zwar ein wenig verspätet, das machtaber nichts..."Pustiakow schob die Brust vor, erhob denKopf und betrat dann mit einem vergnügtenHändereiben das Zimmer. Hier aber erblickte eretwas Furchtbares. An dem Tisch, schräg gegenüber dem Eingang, saß sein' Dienstkollege, derfranzösische Sprachlehrer Trambleau. Diesenden Orden zeigen, hieße eine Serie höchst unangenehmer Fragen über sich ergehen lassen,war gleichbedeutend mit Schande und unsterblicher Blamage... Was tun?„Zuerst kamPustiakow der Gedanke, den Orden herunterzureißen oder davonzulaufen; der Stanislaus waraber gut befestigt und zu einem Retirieren wares ebenfalls schon zu spät. Er deckte also raschden Orden mit der rechten Hand zu. machte vorden Anwesenden eine ungeschickte Verbeugungund setzte sich dann, ohne jemand die Hand zureichen, auf den ihm reservierten Sessel, direktgegenüber dem Franzosen.„Er muß betrunken sein", dachte Spitschkin,als er die Verwirrung des Ankömmlings sah.Man stellte vor Pustiakow einen TellerSuppe. Da er die rechte Hand von der Brustnicht weanehmen konnte, faßte er den Löffel mitder Linken, erinnerte sich aber gleich, daß esunziemlich sei, in Gesellschaft so zu essen undsagte deshalb, er habe schon gespeist und seinicht mehr hungrig.Sehnsucht und Kummer begannen die SeelePustiakows zu beschleichen: die Suppe duftetearomatisch und die Schüsseln bogen sich vor denerdenklichsten Leckerbissen. Pustiakow versuchte,die rechte Hand zu befreien und den Orden mitder Limen zu verdecken, doch angesichts so vielerGäste erwies sich auch das als undurchführbar.Nach dem dritten Gang blickte er furchtsam miteinem Auge zum Franzosen hin. Trambleauschaute ihn.ebenfalls irgendwie konsterniert anund berührte keinen Bissen. Nachdem sich beidegegenseitig angeschaut hatten, wurden sie nochverwirrter und senkten die Blicke auf die leerenTeller..„Er hat's bemerkt!" dachte Pustiakow.„Ichsehe es an seinem Gesicht, daß er's bemerkt hat!So ein Gauner! Gleich morgen wird er allesdem Direktor hinterbringen!"Die animierten Gäste hatten inzwischen denvierten-und fünften Gang beendet.- Irgendein hoher, siämmiger Herr mit einerHakennase und zugekniffenen Augen erhob sich,strich mit der Hand über sein Haar und sagte:„Eh hm... Ich bitte hie Her ren, das Glas auf das Wohl der anwesendenDamen zu leeren."Diesem Antrag wurde mit BegeisterungFolge geleistet und ein donnerndes„Hurra!!"ertönte im Zimmer. Die Damen, denen dieHuldigung galt, nickten lächelnd den Herren zu.Auch Pustiakow stand auf und nahm in dielinke Hand das Glas.„Lew Nikolajewitsch", wandte sich an ihnder Hausherr,„haben Sie die Freundlichkeit,dieses Glas Nastja Timozejewna zu reichen. Undachten Sie darauf, daß sie austrinkt!"Jetzt mußte Pustiakow zu seinem namenlosen Entsetzen die rechte Hand gebrauchen. Der'Stanislaus, dessen Band schon ganz zerknülltwar, erblickte dabei das Lickst der Welt undstrahlte nun mit seinen aoldenen Spitzen unddem Weißen Emailschild. Pustiakow wurde blaß, I! senkte das Haupt und blickte furchtsam zum| Franzosen hin. Dieser betrachtete chn anfangsstaunend, dann aber huschte über sein Gesichtein schlaues Lächeln und seine frühere Verwirrung schwand gänzlich...„Julius Augustowitsch!" sagte Spitschkin zuTrambleau, wollen Sie so gut sein, Ihrer Nachbarin einzuschenken."Der Franzose streckte zitternd seine Handnach der Flasche hin und.... o Glück!— Pü-stiakow erblickte auf seiner Brust einen Orden.Und es war kein lmnpiger„Stanislaus", sondern eine stolze„Anna"! Pustiakow schmunzeltezufrieden, nahm wieder Platz auf seinem Sesselrind streckte mächtig di« Brust vor... Jetztbrauchte er nicht mehr seinen Stanislaus zu verdecken. Beide hatten das gleiche getan, keinerkonnte etwas rapportieren, keiner dem anderendie Ehre schmälern...„Aaa... hm!" murmelte der Hausherr,als er den Orden auf der Brust Pustiakow- erblickt hatte.„Jawohl", bestätigte ihm dieser kühn.„Unddenken Sie sich, welche Merkwürdigkeit: Niemand von den Herren unserer Anstalt wurdediesmal zu Weihnachten dekoriert, nur allein wirzwei: Julius Augustowitsch und ich!"Trambleau nickte belustigt mit dem Kopfund streckte die linke Klappe seines Salonrocksvor, an der die Anna III. Klaffe hing.Nach dem Mittagessen stolzierte Pustiakowin allen Zimmern umher und zeigte den Damenseinen Orden. Die Eingeweide knurrten ihmzwar vor Hunger, doch in der Seele war es ihmleicht.„Hätte ich das gewußt"; dachte er und warf,als er mit Svitschkin über Orden sprach, einenneidischen Blick zu Trambleau hin—„ich hättemir einen Wladimir umgehängt' Schade!".Nur dieser Gedanke quälte ihn. Ansonstenwar er vollkommen glücklich.Autorisierte Uebersetzung aus dem Russischen.