Fr. 102.
Erinnerungen zum 1. Mai
1916.
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Donnerstag, 30. April 1931.
falls begeisterter Esperantist und wie es sich nach vorsichtiger Frage herausstellte auch Sozialist war.
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Flirtu la sangruga flago, super la sogar mond' svingu gin gin..." ( Wehe du blutrote Flagge, über die Welt schwingt sie...)
Am gleichen Abend trant der Deutsche mit einigen italienischen Genossen in einer verschwiegenen Hafenosteria roten Spuanti. Es war der 1. Mai. Fabricius erzählte von den Mai- Feiern Im Brüsseler Lazarett. Der Saal für in Deutschland . War's die Begeisterung? Oder Leichtverwundete. auch nur der rote Spuanti?
„ Erster Mai, heute", richtete sich Vandree Der Setzer aus dem„ Cittadino" stimmte ein wenig aus dem Bett auf. Blidte in grü die italienische Sozialistenhymne an. Eine Sebelnder Trauer zum Bett seines Nachbarn. funde lauschte Fabricius der bekannten Melodic. Erster Mai", sann Herbler. Und drau- Weischte dann seinen kräftigen Baß in den Klang ben ist Krieg. Denkt denn feiner von den Weil des Kampfliedes. Millionen Soldaten, was..."
Schweigen.
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Und feine rote Fahne. Nichts."
Nichts. Nur zehntausend Tote an jedem
Tag. Deutsche, Franzosen, Russen. Wie mancher von unseren Genossen
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Steine rote Fahne", flebte Vandree zäh an feinem Gedanken.
Schweigen.
Bandree sann verbissen in die Stille des Saales. Keine rote Fahne? Seine Augen such ten. Nichts. Ueberall nur weißes Linnen, weiße Schwesternkittel, weiße Lazarettwände. Doch- die Wunde, der Beinschuß! Schnell, ehe der Arzt zur Ronde kam und der Verband erneuert wurde. Fuhr mit den Händen unter die Bettdecke. Riß den Verband auf. Färbte ihn mit dem quellenden Blut.
Oh, es tat doch verdammt weh!
Schon drehte Herbler den Kopf zu ihm herüber.
Du stöhnst ja so. Hast du Schmerzen? Nanu, du bist so bleich?"
,, Unbesorgt. Während der Maifeier wird fo mancher bleich. Hier, Genosse es lche der 1. Mai!"
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Mit zitternder Hand nahm Herbler die rote Standarte. Nun wurde auch er bleich, als die Finger das Blutig- Rote" fühlten.
Freude sein Blick. Freudiger Schmerz in feinem Händedruck.
Genosse, so lange ich lebe, diesen 1. Mai werde ich nie vergessen!"
1919.
Durch die Straßen der Stadt ipogen die Massen. In breiten Zügen. Zähe Kolonnen. Schweigend marschierten sie in der Erbitterung des Hasses, knirschender Wut. In chernem Taft. In Gliedern zu viert. Taufende, Tau sende. Schweigend marschieren sie. Tasten mit ihren Bliden. Suchen, schweigen, hassen.
Born, an der Spitze des Zuges, schwanken die Särge der Zoten auf den Schultern der Marschierenden. Schwarze, schlichte, schmudlose Sarge . Seine Blume, fein Kranz. Nichts. Sechs ann tragen je einen dieser schwarzen, schlich ten, schmudløsen Särge.
Männer, Frauen, Kinder.
Die Männer in ihren Blusen der Arbeit. Die Schwielenfäuste schwingen im Tact des Marsches. Die Frauen, hart und finster der Blid, halten tapfer mit dem Schritt der Män ner mit. Die Kinder, ernst und schweigend.
Füllen die Straßen mit der breiten Wucht ihrer Massen. Stunden schon wälzt es sich hin durch die, dumpfen Schächte der Vorstadt,
Eine Demonstration wuchtiger Ungeheuer lichkeit.
Das Broletariat trägt seine Toten zu Grabe. Das Proletariat bezahlt seine Revolution. 1923.
In Madrid . Der Blut- Mai 1923. Straße frei!"
Die Sicherungsflügel der Karabiner schlugen in aufreizender Eraktheit zurüd.
Brüder, zur Sonne, zur Freiheit Trotzend, verbissen, in fanatischer Begeiste rung lang die Antwort aus den Massen, Bohernd, wabernd brandete der gewaltige Sang durch die Straße.
Seitengewehr, pflanzt auf.
Wie ein greller Hieb prasselte das Eisengeraffel in das stockende Singen. Sie sahen es, bleich, mit brennenden Augen. Es wurde Ernst. Ein paar flüchteten. Jagten mit irr gehesten Sprüngen in eine Nebenstraße. Andere standen. Abwartend in eiserner Entschlossenheit.
Nieder mit dem König! Nieder die Dikta her! Es lebe die Republik!" Das tam aus einer Gruppe Arbeitsloser. Männer, Frauen.
Blinde Salve über die Köpfe weg! Fener!" Das Bellen der Karabiner erstickte in dem johlenden Wüten. Chaos wirbelte auf. In wil der Flucht stob die Menge auseinander. Zer täubte. Sammelte sich ชน aufgepeitschten Gruppen.
Ein Stein flog in die Soldatentruppe. Scharf schießen. Feuer!!" Ein paar taumelten auf. Schleppten sich, mie von einem wahnwitzigen Entseßen zer trümmt, einige Schritt vor. Sackten schwer zu Boden. Neben andere, die still und steif in einem toten Blutgerinnsel lagen.
1927.
Es war nur ein Zufall, daß der deutsche Monteur Fabricius von seiner Firma nach Italien geschickt wurde. Er sollte in der Zeitung Cittadino" zwei neue Setmaschinen aufstellen. Konnte kein Wort italienisch. Esperanto, ja, das fonnte er. Er war Sozialist und hatte mit flu gem Blick die völkerverbindende Kraft der Welt hilfssprache erkannt.
Und dieser spaßhafte Kobold Zufall fügte es, daß einer der Setzer des" Cittadino" eben
Die ganze Osteria dröhnte von dem Vers wider.
Dann tam die Polizei. Mussolinis fascistische Schwarzhemdengarde.
Die Inseln der Verbannten heißen Lipari, Pantelleria , Ostica, Favignana, Trémiti. In der Woche darauf schmachteten einige Berbannte mehr in ihren Kerfern. Schüsse in Madrid , Kerker in Rom . Schüsse und Kerker. Wie lange noch? R. R.
Die Straße frei!
Am ersten Mai, er stieg vor vielen Jahren Wie eine Flamme durch die Nacht,
Da haben manche, die mit in der Marschfront waren, An jenen März von achtundvierzig wohl gedacht. Sie sahen auch zerfetzte Fahnen flattern, Sie hörten Sturmgeschrei und Schüsse knattern, Ja, sie marschierten, Frau und Kind und Mann Die Straße frei
Am ersten Mai
Und sahen sich mit Siegesblicken an!
In London und Paris war eine Marschkolonne, Berlin und Wien vereinte sich im Schritt, Und in den Vormarsch nach der roten Sonne Ging eine Welt der Sehnsucht mit! Vorbei an einem Tag des Werktags Rattern! Sie sahen vor sich rote Fahnen flattern Und die marschierten Frau und Kind und Mann Die Straße frei
Am ersten Mai
Und eine neue Zeit begann!
Die neue Zeit: sie ging durch Kanonaden! Die neue Zeit: sie starb in Blut und Krieg! Die neue Zeit: wo sind die Kameraden? Das Volk verkam. Die Herren brüllten: Sieg! Doch hörten wir in Kampf und Flintenknattern Hoch in der Luft die alten Fahnen flattern, Es löste sich der blutige Bann Trotz Blut und Blei
Und Tyrannei
Und die Novemberzeit begann!
... In London und Madrid geht eine Marschkolonne, Berlin und Zürich einigt sich im Schritt,
Ja, in den Vormarsch nach der roten Sonne Geht eine Welt der Arbeit mit!
Nie mehr soll Krieg mit den Geschützen rattern! Die neue Zeit: Die Freiheitsfahnen flattern! Hell glüht das Ziel: Zerbrecht den Bann! Die Straße frei
Am ersten Mai! Arbeitervolk: Vorwärts! Greift an!
Weltkrieg und Zusammenbruch.
Bülows Denkwürdigkeiten.
Seite 7.
Die Tragödie von Chicago . Aus der Geschichte des Kampfes um den 1. Mai.
Am Beginn der internationalen Maifeier bewegung steht die Forderung des achtstün digen Arbeitstages. Der welterobernde Weg des Ersten Mai", hat diese Forderung hineingetragen in die Massen des internationalen Proletariats.
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Als vor über vierzig Jahren der Interna tionale Arbeiterkongres am Tage der Jahrhundertfeier des Bastillensturms zu Baris zusammentrat, lag ihm ein Antrag vor, als Zeitpunkt der geplanten großen internationalent Manifestation den 1. Mai zu wählen. Warum den 1. Mai? Ju dem Antrag wurde darauf hingewiesen, daß der amerikanische Arbeiter- Bund eine Aktion für den Achtstundentag am 1. Mai 1890 plane. Würde man diesen Tag für die Kundgebung der gesamten Internationale wählen, so wäre damit der amerikanischen Achtstundenbewegung eine moralische Unterstützung in gewaltigem Ausmaß gesichert.
Diese geschichtliche Verbindung der Jdee eines internationalen proletarischen Kampf und Feiertages, die dus Frankreich stammt, mit dem aus der Arbeiterbeweamerikanischen
gung verständlichen Datum des 1. Mai ruft eine Erinnerung wach. Eine Erinnerung an die Tragödie von Chicago ".
Uneinheitlich und widerspruchsvoll ist das Bild der jungen amerikanischen Arbeiterbewegung in den 70er und 80er Jahren des vorigen Jahrhunderts. Tausende politische Flüchtlinge aus dem alten Europa hatten die dee des modernen Sozialismus in die neue Welt" getragen. Der bunten Fülle einer ungeflärten sozialistischen Gedankenwelt entwuchs eine radikale, revolutionär- sozialistische Gruppe, deren Programm Jdeen Proudhons und Marrens zu einem Anarchismus eigener Prägung vermengte. Johannes Me o st s agitatorische Kraft schürte diese anarchistischen Funken, die in dem Arbeiterelend der großen, 1824 beginnenden Krise des hemmungslos emporschießenden amerikanischen Kapitalismus bald in hellen Flammen emporzüngelten.
In Chicago waren Not und Erbitterung zehntausender verelendeter Arbeitsloser besonders groß. Die anarchistischen Apostel der Gewalt fanden stets wachsende Anhängerschaft. Jmnter näher rückte der
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1. Mai des Jahres 1886. Dieser Tag war vom Verband der Gewerfschafts- und Arbeitervereine der Vereinigten Staaten als& ampftag für den Ach t- studentag bestimmt. Woche Woche stieg die Erregung, Tag um Tag nahm die Be wegung an Ausdehnung und Entschiedenheit gu Ein Berband zur Erringung des Achtstunden tages" wurde gegründet. Taufende von Arbeitern trafen den Gewerkschaften bei. Hatten die Anarchisten zunächst dieser Aktion ablehnend gegenüber gestanden, so unterstützten sie nunmehr die immer größeren Umfang annehmende Bewegung mit ganzer Hingabe. Ihre Führer, glänzende, beliebte Redner, wie Spieß, Fielden, Parsons, Schwab sprachen in unzähligen Versammlungen. Es gab keine andere Frage mehr als die allen gemeinsame: Der erste Mai!
40.000 Arbeiter in Chicago, 360.000 in allen Staaten der Union legten an diesem Lage die Arbeit nieder. Nie hatten die amerikanischen Rapitalherren derartiges erlebt, nie erwartet. Ihre Wut kannte keine Grenzen. Revolution gegen die Macht des Dollars? Die Macht des Staates, die ihre war, stand hinter ihnen.
Mochten die Streifenden sehen, wie sie lebten oder starben. König Dollar regiert, und Streifbrecher finden sich; denn noch war der
Nach der Abseßung Bülows hier beginnt| Die größte, Bedeutung kommt den Aufzeichnun der dritte Band benimmt sich sein ,, faiserlicher gen Bülows weit über den Wert der Charakteri Herr" zu ihm nicht weniger undankbar und fierung dieser Unzulänglichkeiten und höfischen rücksichtslos" als zu anderen seiner früheren Puppen durch die, wenn auch vielleicht ungeWie Deutschland durch die Schuld seiner treuen Diener, insbesondere zu Bismard, der wollte, Brandmarkung des monarchistischen Regierer in sein gegenwärtiges Unglüd hineinge- nach seinem Rücktritt von vielen früheren Freun- Systems zu, denn dieses System war es, das trieben wurde, das darzustellen, unternimmt der den und Anhängern wie ein Bestkranter ge- diese willen und rückgratlosen Marionetten, soeben erschienene dritte Band von Bülows mieden" worden ist. Er bekommt auch des diesen Sumpf von Streberei und Schwachsinn Denkwürdigkeiten.( Verlag Ullstein, Kaisers boshafte Rachsucht zu spüren, der seine möglich machte und schließlich die Katastrophe Berlin. Preis 14 Mart, in Leinen 17 Mart.) Kreaturen losläßt, ihm kläffend an die Beine vorbereitete. Saben schon die Enthüllungen der ersten zwei zu fahren und in der Presse über die November- Man muß nicht zu Bülow unbedingtes VerBände, die der Tote gewissermaßen aus dem ereignisse eine so lügenhafte Darstellung zu ver- trauen haben und glauben, daß er, wie er es in Grabe heraus vornimmt, in den betroffenen breiten, daß sich Bülow veranlaßt sieht, in einem seinen Denkwürdigkeiten gerne wahr haben Kreisen Haz und blinde Wut hervorgerufen, die Schreiben an seinen Nachfolger Bethmann- Holl- möchte, es in den entscheidungsvollen Augenfich in leidenschaftlichen Angriffen gegen Bülow weg mit einem Prozeß zu drohen. Da die Gefahr blicken besser getroffen hätte, das Unglück des Luft machen, so wird dieser Band erst recht wie bestand, daß bei einem solchen Prozeß manche eine Bombe auf sie wirken. Zugegeben sei, daß Hintergründe enthüllt werden würden, renkte auch dieser Band der diplomatischen Lebens- Bethmann die Sache ein, allerdings ohne dem erinnerungen des deutschen Staatsmannes dessen Inspirator, Seiner Majestät", webe zu tun. Charakterbild nicht günstiger gestaltet, seine Dieser Allerhöchste" Herr, den Bülow als einen Eitelkeit und kleinliche Rachsucht vielmehr noch Neurastheniter", befallen von größter Eitelkeit, deutlicher hervortreten läßt. Ebenso bleibt die naivster Selbstsucht, ausgestattet mit einem Tatsache bestehen, daß Bülow selbst es war, der Mangel an Aufrichtigkeit" und" Mangel an mit dazu beitrug, Deutschland auf jene schiefe Augenmaß" fennzeichnet, steht wieder im Mittel Ebene zu bringen, von der es in den Abgrund punkt dieses Teiles der Erinnerungen Bülows abglitt. Das alles ändert nichts daran, daß er, und dieser bestätigt ihm hier aufs neue, er sei der zehn Jahre Kanzler des Deutschen Reiches für die Leitung und auch für die Kontrolle war, Menschen und Verhältnisse wie nur einer unserer Politik ebensowenig befähigt" gewesen, fannte und daher sicher berufen war, die Ur- vie für die militärische Führung in einem sachen der Tragödie des deutschen Volkes darzu etivaigen Striege". Daneben läßt Bülow vor den stellen. Die Gezeichneten und ihr Troß schreien Augen des Lesers eine wahre Bildergalerie von auf, doch das Bild seiner Zeitgeschichte, das charakterlosen Hofschranzen, politischen..WetterBülow abgesehen von der unglaublichen Enge fahnen" und armseligen Unzulänglichkeiten vordes Blickes gegenüber der dem Zusammenbruch überziehen: die Männer, die damals Macht und des monarchistischen, Systems folgenden Revo- Einfluß besaßen und in deren Hände in gefahrenlution entwirft, wird in seinem Wert nicht schwangerer Zeit die politische Leitung der Geim geringsten herabgemindert. schicke eines Siebzigmillionenvoltes gelegt war.
Strieges zu verhüten, doch bleibt seine Behaup tung unanfechtbar, daß zur kritischen Stunde in Desterreich sowohl wie in Deutschland alles cher als weitsichtige und aewandte Männer am Ruder waren, die mit der Plumpheit von Tölpeln und mit der Gewiffenlosigkeit von Verbrechern die europäische Menschheit in den Krieg hineinstolpern" ließen. Darüber sagt Bülow, daß noch amt 25. Juli die Möglichkeit bestanden habe, den Krieg zu vermeiden, wenn nach Wien hin erklärt worden wäre, Deutschland fönne einem Abbruch der Beziehungen Desterreich- Ungarns erst nach eigener genauer Prüfung der serbischen Antwort zustimmen, doch es sei so gekommen:
,, Nachdem wir ohne Zögern, vorbehalt Ios unsere Zustimmung zu dem Strafverfahren Desterreichs gegen Serbien gegeben und dem Wiener Kabinett die Wahl der anzuwendenden Mittel überlassen hatten, glaubten sich die Oester reicher unserer Rückendeckung absolut sicher und uns gegenüber an feine Rücksicht gebunden. Mit unserer Blankovollmacht in der Tasche setzten fic