«r. 116. Smmwg, 17. Mai 1931. Seit« 5. Vom Prager Rundfunk Professor Gusti Beidl-Hackl sprach über Sprechchöre, stellt« fest, daß, wie alle Kunstftrmen, euch die literarischen ihre Prägung durch di« Gesell­schaftsform erhalten; infolge der im Ar lege ausge­lösten starken Spannungen und des Hervortretens'der Masse in politischer und Waler Hinsicht, der Massen­entfesselung, trat der Sprechchor jn Erscheinung. Auf Parallelen früherer GeschichtsaHschnitte wurde hin­gewiesen, eine Fülle von bemerkenswerten Einzel­heiten ward gegeben und di« Literatur über den Sprechchor behandelt. Ergebnis: der Sprechchor ist nicht nur ein neues Mittel, ein« Vortragsfolg«inter­essanter zu machen, er ist eine neue Form d«r Gesellschaftlichkeit, das auszusprechen in Chorform, was einem einzelnen auszusprechen unmöglich ist. Seine Wirkung ist gefühlsbeseelend,«r wirkt aus hoch und niedrig, auf di« Besten unter uns. Wenn man auch einzelne Ansichten d«r Vortragenden nicht teile« möchte, wie z. B. den Gedanken, im Laienspiel «tu« dem Sprechchor innerlich verwandt« Erschei­nung sehen zu wollen, so können wir doch im allge­meinen-«stimmen und sind dankbar für den Vortrag, der über ein« uns so wesentlich naheliegende Kul­turerscheinung viel Anregung und Aufklärung bracht«. In der Arbeitersendung wurde wieder einmal eine im Rundfunk sehr günstige Form ver­wendet, das Gespräch. Die Genossen Karl Kern (Reichestberg), H. Müller(Aussig  ) und Schwei­ zer  (Brünn  ) sprachen über proletarische Erziehung. De; gegenwärtige Zustand ist unbefriedigend. Pro­letarische Eltern können fetten gute Erzieher sein; zu dem auch den bürgerlichen Eltern eigenen Kehlen pädagogischer Einsicht kommt bei ihnen der Mangel an Zeit und Mitteln zu erzieherischem Verhalte«. Unsere Schul« erzieht durchaus nicht in unserem Sinn, ja nicht einmal im Sinne demokratisch-fort­schrittlicher Bürgerlichkeit, sondern noch ganz für den aalten AutoritätSstaat. Deshalb greift das. Proleta­riat zur Sellbschilse mit den Organisationen der Kin­derfreund«, der Roten Falken, des sozialistischen   Ju­gendverbandes, der Aibeitersporwereine, hier wer­den die Kinder zu dem Geiste sozialer Gemeinschaft gebildet, den chnen ihr« sonstige Umwelt nicht geben kann. Freilich, wie überall auf diesen Gebieten noch viel Arbeit zu leisten ist, so darf doch auch die päda. I gogische Aufklärung der Arbeitereltern nicht vernach- ; kässigt werden. Gerade die Einwirkungen der ersten Kinderjahre find entscheidend für die Charakterbil­dung und für di« späte« Entfaltung der natürlichen j Anlagen. Das in di^er Zeit Versäumt« ist später 1 nifsen, der Einfluß der Eltern, besonders der Mut- j Nissen, de rEjnsluß der Eltern, besonders der Mut­ter, doch immer noch maßgebend. Reben di« groß­angelegt« OrganisationStätigleit muß also unabläs­sige Aufklärung und Anleitung der Arbeitereltern zu individueller Pädagogik traten; es muß gelingen, ihr ! Dechalten dem Kinde gegenüber auf sozialistisch« Grundsätze aufzubauen; in den tausend Wejnften Vor­kommnissen des Alltags wird mehr gegen den Geist stS Sozialismus gesündigt, als di« großen Veran­staltungen der Festtage wiedergutmachen können. Zwei Vorträge in der Woche ist wohl wenig und man kann nicht sagen, daß dieser Mangel durch be­sondere Güte der gebotenen Kunst wäre weLtgemacht worden. Das Chorkonzert der deutschen Leh­rerbildungsanstalt in Prag   und des deutschen Man- nergosongvereins Smichov war hübsch, besonders im ersten Teil, der Madrigale von Änft, Isaak und Orlando Lasso   bracht«; di« Dolksliedbearbeitungen aber sind übliche Liedertafel und die Sololisder von Tschaikowsky   und Marx sind Limonade, also kein« auf- und anregende Angelegenheit. Balladen von Löwe vorn und Arien von Wagner und Meyerbeer  hinten, mit der gewohnten Wortunverständlichkeit ge­sungen: erfreulich nur di« von Frau Liselotte Berk­mann geschmackvoll und rein gespielten zwei Sätze aus einer Cellosonate von Sammartini  . Turmhoch hob sich die einfache, seelenvolle Schönheit dieser alten Musik über die Nachromantik des 19. Jahrhunderts. Schillers Todestag beging Herr Martin Miller vom Stadtthrater Reichenberg mit dem Vortrag des Demetriusfvagments. Herr Miller ist ein guter Sprecher mit einem gewissermaßen schneidigen Pa­chos; er differenziert genügend, um die gewaltige Reichstagsszene plastisch zu gestalten. Ein inter­essantes Programm brachte das Liederkonzert der Frau Relly Grasern. Von Dr. Hertha Wien» C lau di manchmal etwas zu zurückhaltend beglei­tet, sang sie Goethe-Lieder in Vertonung von Beet ­hoven, Schubert   und Hugo Wolf   und gab so«inen Hinweis auf vielfach unbekannte Schätze der Kunst- Auch sie spricht leider nicht klar genug aus; musika­lische Sicherheit und eine in ollen Lagen ausgegli­chene Stinflne sind ihr« Vorzüge; diese Stimme aber ist zu hell, um die dunkler« Leidenschaft, das tiefste Gefühl auszudrücken, ihr gelingen am besten heiter bewegte oder schalkhaft neckische Stimmungen. So blieb denn auch in ihrem so wertvollen Pro­gramm manches unerfüllt. Im Ganzen bewies diese Woche wieder di« inner« Planlosigkeit unseres deutschen Radiobetriebs. Könnte man nicht ein wenigstens Ave-iwöchiges Rahmenprogramm aufstel- 'len, worin b«i Wechsel der Vortragenden uird Einzel­themen die Stoffgebiet« regelmäßig wiederkehrten, das gäbe schon einen festen Weg, der uns das auf die Dauer unerträgliche Schwanken hcs Zufalls er­sparte. Fn r st e n a u. Die genarrten Spiritisten. Die Geister, di« Herr Bouchard rief, wird er nicht wieder los. Chauffeur in guter FahrtGaunereien" eines Hingerichteten. Die Bewohner der schönen Rhonestadt Lyon Caroes oder dem jungen Bey re bestimmte Geld- scheiiren sich, ähnlich wie Dr. Faust der Magi«, dem summen für chn übergeben, di« an geheimnisvollen Spiritismus ergeben zu haben. Denn in kaum einer sicheren modernen Großstadt dürfte der Spiritismus so viel Anhänger besitzen, wie in Lyon  . Nicht weniger als fünf eingetragene Spiritistenvereine haben dort ihren Sitz, daneben zahlreiche Privat­zirkel. Angesichts so heftiger Spiritisterei ist«S natürlich erklärlich, daß bi« Leute den Sinn für die Wirklichkeit allmählich verlieren und sich von geris­senen Grunern   nach allen Regeln der Geifterkunst ausbeuten lassen. Mit welcher Frechheit«in' solcher Gauner vorgegangen ist und welche Naivität die Opfer an den Tag gelegt haben, zeigt folgender Fall, der zur Zeit ganz Lyon   in Aufregung hält. Der Chauffeur im Aftralkknb. Der Fabrikant Bouchard hatte im Krieg seinen einzigen Sohn verloren. Er tröstete sich schließlich über den Verlust dadurch, daß er mit feiner Frau urck» einigen Freunden, darunter einem jungen Manne namens Beyr«, in abendlichen Zusammen­künften Tischrücken veranstaltete und dabei den Geist des Verschiedenen frechen ließ. Eines Tages grün­det« di« Familie mit ihren Freunden einen Klub, dem der pompös« RaineAstralklub" gegeben wurde. Bouchard besaß em Auto; er hatte sogar«inen Chauffeur. Dieser Chauffeur,-«in junger Breton« namens Jos« Caraes, sollt« ihm zum Verhängnis werden. Denn Caraes hatte schnell heranSgSfunden, daß fich mit der unschuldigen Spiritisterei feinet Chefs ein glänzendes Geschäft machen ließ. Er be­teiligte sich an den Geisterfitzungen und erwarb sich dabei ein solches Vertrauen, daß die Familie Bou­chard ihn bald wie ihren eigenen Sohn behandelte. Da Caraes große spiritistische Talente entwickelte, wurde sein Einfluß auf di« Familie und der Freund« immer größer. Schließlich entdeckte er angeblich in dem jungen Bey« ein glänzendes Medium und veranstaltete mit ihm Sitzungen, bei denen allmäh­lich der Geist des im Kriege gefallenen jungen Bouchard in den Hintergrund gedrängt und durch Geister berühmter Personen ersetzt wurden. Zu diesen gehört« vor allem der Freideuterkapitän Mandrin, der im Jahre 1758 auf dem Marktplatz von Valence   öffentlich gerädert worden ist. Nachdem durch Vermittlung des Mediums anfangs ein« Korrespondenz harmloser Art zwischen der Familie Bouchard und dem Geist Mandrins ausgetauscht worden war, wurde der Geist plötzlich anspruch-voll und verlangt« von Bouchard, er solle dem Chauffeur Orten deponiert werden mußten. Der Geist de» Geräderten. Bouchard zahlte, ohne mit der Wunper zu zucken, und war sogar erfreut, als ihm d«r Geist ab und zu durch Caraes auch Geld übermitteln ließ, das anderen Mitgliedern des Klubs abgeknöpft worden war. Schließlich kündete-er Geist Herrn Bouchard und seinen Freunden aus Dank für die streng« Be­folgung seiner Befehl« ein« große Üeberrafchnng an: er wolle ihnen bei der Auffindung von Schätzen behilflich sein, die er selbst zu feinen Lebzeiten an verschiedenen Orken versteckt hab«. Dazu müsse aber ei« Laboratorium eingerichtet worden, wozu 45.000 Franes nötig seien. Es klingt kaum glaublich, aber es ist wahr: Bouchard zahlte die verlangten 45.000 Francs an Caraes aus, der darauf einLaborato­rium Mr archäologische und überirdische Forschun­gen^ gründet«. Diese- Laboratorium sich sehr seltsam aus: es bestand aus einem fast leeren Zimmer, dessen Wände aber mit elektrischen Drähten, Anschlußrohren und Ga Sh ahnen bedeckt waren. Dann ging man auf die Suche nach den angeblichen Schätzen, die in Lyon  unter dem vor einigen Monaten durch die groß« Erdrutschkatostroph« bekannt gewordenen Fourvidre- Hügel, unter verschiedenen Schloßruinen in der Näh« von Lyon   und sogar in einem Dovst im Jura ver­graben sein sollten. Speck im Schloß. Das Tollste leistet« sich Caraes jm Namen des Geiste- anfangs dieser Jahre». Er ließ Bouchard folgerte Botschaft übermitteln:Stecke 5000 Francs in«inen Umschlag und übergib ihn Caraes, der ihn im Keller mein«s Schlosses verstecken wird." Jetzt spielte sich ein« Szene von höchster Komik ab. Da Bouchard zugegen fein wollt«, während Caraes mit dem Geist verhandelte, fuhr der Geifterb«schwör«r in einer dunklen Nacht mit Bouchard und dem Medium Bey  « nach den Ruinen des Schlosses Rochefort bei Lyon  . Schlag Mitternacht stieg das Trio in den Keller des Schlosses hinab, wo Caraes bei Kerzen­licht den Umschlag unter einen Stein legte. Dann wurden all« Lichter gelöscht und die Anwesenden verharrte« in tiefem Schweigen. Plötzlich ertönte ein leichtes Geräusch. Als die Lichter wieder ange­zündet wurden, war der Umschlag mit dem Geld« verschwunden.Der Geist Mandrin- ist in den Besitz des Briefes getreten", erKärte Caraes und Herr Bouchard»ah sich damit zufrieden. Jn ähnlichem Str!« ging es weiter, bis Bou­chard etwa 200.000 Francs und sein Freund fast ebenso viel an den Geist bzw. an Caraes ausgezahlt hatten. Schließlich würden Bouchard die ständigen Geldforderungen doch bunt und er zeigte-je Sache bei der Polizei an, di« Caraes wegen Be­truges und Erpressung sofort verhaften ließ. Telefonate am dem Jenseits. Natürlich fand nian nirgends eine Spur von den Schätzen. Zur Fortsetzung der Nachforschungen verlangte der Geist immer neue Summen, einmal 25.000 Francs, dann 12.000 Francs ufw. Obgleich Herrn Bouchard die Sache allmählich verdächtig wurde, zahlten er und ein anderes Mitglied des Klubs weiter, da sie durch geheimnisvoll« aus dem Jenseits kommende Briefe und Telefonanrufe zur Erfüllung ihrer Pflicht unter Androhung strenger Strafen ermahnt wurden. Jm November vorig«« Jahres wurde Bouchard sogar durch-en Geist auf­gefordert, einem Amerikaner namens Wall«ine Voll- iimcht zum Ankauf seiner eigenen Fabrik auszustellen, wofür der Geist ein« Kommission von 2500 Francs verlangt«. Herr Bouchard gehorcht«, aber der Ver­kauf seiner Fabrik erfolgte natürlich nicht. B-dt. Volkswirtschaft und Sozialpolitik Resolution der Gewerkschaften 8h« die Arbeitsvermittlung. Die Konferenz der Gewerkschaftsverbände, die in der gemeinsame» Gewerkschaftszentrale, dem Odborove sdruLeni öeskoslovensks, vertreten sind, hat in der Sitzung vom 14. Mai 1931 die Frage der Arbeitsvermittlung behandelt nnd ist der Meinung, daß die beschleunigte Lösung der Frage der gesetzlichen Regelung der Arbeitsver­mittlung eines der wichtigsten Mittel ist, durch welche zur Herabsetzung der Arbeitslosigkeit bei­getragen werden kann. Die Konferenz erachtet die Borlage über die Regelung der Arbeitsver­mittlung Mr eine rein wirtschaftliche und sozial­politische Frage, deren Vertagung einen großen Schaden für die Arbeitslosen und somit auch für Staat und Volkswirtschaft bedeutet. Die Borständekonferenz verlangt eine ein­heitliche Regelung» wobei auch die Mitwirkung der Gewerkschaften und ihrer Arbeitsvermitt­lungen garantiert wird. Die Vorständekonferenz begrüßt die Vorlage, welche das Ministerium für soziale Fürsorge vorbereitet und verlangt deren baldige Durchberatung. Wenn auch die gemein­same Zentrale gewisse Einwendungen gegen ein­zelne Bestimmungen der Vorlage hat, so erachtet sie dieselbe für eine geeignete Unterlage einer dringenden gesetzlichen Behandlung. Sollte das Gesetz über die Arbeitsvermittlung seine Aufgabe erfüllen, so muß es beinhalten: 1. Einheitliche Regelung der Arbeitsvermitt­lung und der Mftwirnma der gewerkschaftlichen Organisationen und die Anerkennung ihrer Ar­beitsvermittlungen. 2. Die Pflicht der Arbeitslosen sich zu mel­den und desgleichen die Pflicht der Arbeitgeber, di« frei gewordenen Stellen anzumelden. 3. Die Beseitigung der konzessionierten Ver­mittlungen, welche gewerbsmäßig geführt wer­den, ebenso der Vermittlungsstellen solcher Ver­eine, die keine Arbeitslosenunterstützung mit dem Staatsbeitrage gewähren. 4. Die Unentgeltlichkeit der Arbeitsvermitt­lung. -n i. Frauenlaus. Novelle von Ernst Ludwig Auge». Theo Unruh ist todmiche, da er nach Haus« kommt. Und am liebsten hätte er sich sofort auf sein Bett geworfen und geschlafen. Tief, lange, endlos geschlafen. Ws in all« Gwigsseit! Um nur ja nicht wieder auftuwachen. Er versucht es auch wirklich, er versucht «-. Aber er liegt kaum zehn Minuten, so, mit geschlossenen Augen, dann springt er wieder auf. Er kann nicht schlafen, er kann ja nicht. Läuft in seinem Zimmer auf und ob, auf und ob. Immerzu, ohne Unterbrechung. Wie ein Tier wie die Eisbären im Zoologischen Garten. Ja, wie irgendein« Bestie, wie«in LÄve in seinem Käfig. So läuft er herum. Unermüdlich. Macht seinem Namen alle Ehre. Das mit Hilde ja, das kommt ihm nicht aus«dem Sinn. Immer rtmß er an sie denken, an diese letzte Unterredung mit ihr, vor«in paar Stunden. Bor einer halben Ewigkeit. Sie hat ihm einen Korb gegeben. Gut! Er liebt sie und sie sagt: Danke nein! Es ist schlimm, ist gewiß sehr schlimm. Aber dies und Aehnliches ist hundert Millionen anderen Männern auch passiert, vor ihm. Sie habe« ein Mädelchen ge­liebt und einen Korb bekommen. Ein harter Schlag, natürlich. Eine grausame Enttäuschung. Aber sie haben es überwunden, alle. Don wenigen Ausnahmen abgesehen haben sie es über- tvunden. Die anderen, die Ausnahmen, endeten als Selbstmörder. Sic haben diese Enttäuschung in sich hinein- ßesrcflen wie ein« bitter« Medizin. Haben fich geschüttelt wie Hunde, die man unvermutet ins kalte Wasser geworfen hat, und haben dann doch weiter gelebt. Vielleicht nicht mehr ganz so froh, so heiter, so unbeschwert wie bisher. Aber doch gelebt. Und Wenn sie Glück hatten, wenn das Schick­sal es gnädig mit ihnen meinte, haben sie noch zwei, drei Jahren ein« ander« kennen gelernt, lieben gelernt. Und sind, was man so nennt, Aücklich geworden, haben die Erste vielleicht gar vergessen. Aber dies aber hier! Das ist doch etwas anderes. Etwas, das man nicht, nie vergißt. Denn hat Hilde nicht, all die Monate hin­durch verstanden, ihm den Glauben einzuflößen, sie liebe ihn? Nicht weniger innig, nicht weniger heiß als er sie liewe? Hat er nicht zwei Dutzend Briefe aus ihrer Hand, die alle, vom ersten bis zum letzten, das sagten? Dieses eine rmd einzig«. Und nun, plötzlich, soll Has alles nicht ge­wesen sein? Soll das alles nicht wahr sein? Unruh kommt sich, beschimpft, erniedrigt, ge- demütigt vor. Durch die Liebe zu einem Mäd­chen beschmutzt, das ihn wegwirst wie ein aus­gedientes Spielzeug, in dem Augenblick, da der andere erscheint. Der Reiche, der Wohlhabende, der ihr ein Leben in Glanz und Wohlstand bieten kann. Der sie gekauft hat mit dem Recht des Goldes, das alles kauft. Auch Frauen! Auch Liebe! Sie hat gesägt, die Hilde, sie liebe den anderen. Sie habe sich getäuscht und sie liebe nicht ihn, sondern den anderen. Er solle es ihr verzeihen, es ihr nicht nachtrogen. Weil sie doch beide unglücklich werden würden, wenn er sie bei dem einstmals gegebenen Wort nähme. Sie liebte chn, den anderen. Gut, natürlich liebt sie ihn. Und ihn, Unruh, den armen, un­berühmten Maler hat sie Iveggeworfen, wie eine leere, ausgepreßte Zitrone. Aber sein Herz ist keine Zitrone, die man ausquetfchen und wegwerfen kann. Er wird sich rächen furchtbar wird er sich rächen. So nahe wohnen Liebe und Hoß beieinander? Die Frage quält den Mann. Wirklich so nahe? Jawohl so nahe! Immer nur trennt ein fadendünnes Wässerlein, eine hauchdüim« Wand das Reich der Liebe iwn dem des Hasses. Ein einziges unerwartetes Ereignis, ein« Bitterkeit, eine Enttäuschung eine einzige Demütigung- und man ist drüben auf der anderen Seite... Ich könnt« sie töten" denkt Unruh. Wirk­lich, ich könnte sie töten. Ein schöner Gedanke. Ein trostreicher, wohltuender Gedanke. Aber fünf Sekunde« später weiß er scbon, daß damit nichts, gor nichts gewonnen wäre.\ Das wäre keine hinreichende Sühne. Das entspräche nicht der Gröhe, der Glut seines Hasst». Eine Kein«, eine erbärmliche Rolle wäre das. Wie er wohl aussehen mag, der andere? Der Glückliche, der Rivale, der Bevorzugte? Er hat keinen Haß gegen diesen Unbekannten denn der hat ihm ja nichts getan, eigentlich. Ihn nicht belogen, und nicht betrogen. Uick> nicht ge- demütigt!... Fast ruhig denkt er an ihn. Wenn sie, wenn Hilde den anderen wirklich liebt so denkt Unruh dann, ja, dann mutz er wohl in allen ungefähr das Gegenteil von ihm sein. Weil doch jede Spur einer Aehnlichkcit Hilde an ihm, an Theo erinnern würde. Und ihr Gewissen wenn und sofern sie eines hat dauernd wach gehalten würde. Dauernd beun­ruhigen müßte. Er wird cckso grübelt Unruh groß fein, weil ich Lein bin, breitschultrig, weil ich schmal und zierlich bin. Er wird brünett sein, denn ich bin Äond. Und im Uebrigen hat sie mir früher einmal lachend gestanden, sie habe eine Schwäche für brünette Männer und es sei doch eigentlich komisch, daß man wirklich niemals seinen Typ Errate. Also braunhaarig oder gar schwarz wird er wohl sein und braune Augen hoben, die meinen sind bla«. Ein schmales Sport­gesicht mit scharfem Blick und energischem, vor­geschobenen Kinn. Weil meines rund ist mit weichen Zügen, und weil ich eine Brille tragen muß. Und sehr elegant, sehr gut geLeidet, wird er sein, nicht so wie ich, der onf solche Dinge nicht viel Wert legt. Ganz genau hat er ihn vor Augen, den anderen.' Bon dem er glaubt, von dem er über­zeugt ist, daß er ihm eigenstich gleichgültig sei. Dann denkt er wieder an das andere, an seine Rache. ,Zch darf sic nicht selbst töten" denkt er. Sie soll leben das ist eine größer« Qual. Ich will sie in dem tresten, was ihr das Liebst« ist. In dem anderen in meinem Nachfolger." ,^Ja in dem will ich sie treffen. Nicht weil ich ihn hasse ich hasse ihn ja gar nicht. Aber er muß büßen, was HWe verschuldet hat." Unruh kramt in stin«m Schreibtisch, greift wieder nach Hut und Mantel. Jetzt ist es schon spät, schon nach neun Uhr. Aber er kennt die Stätten, die Hilde bevorzugt, an denen sie zuweilen ihre Abende zu verbringen pflögt. Vielleicht findet er sie. Lange, ziemlich lange irrt Unruh umher. Endlich doch, kurz vor Mitternacht, erreicht er sein Ziel. Findet sie. Jn einem Leinen Wein­lokal, wo er selbst mit ihr manches Mal gesessen, getanzt, die rinnenden Stunden verplaudert hat. Neben ihr sitzt ein junger Mann. Selbst jetzt, im Sitzen, sieht man, daß er groß, sehr groß sein muß. Groß ist er und breitschultrig und brünett. Mit dem scharst», schmalen Gesicht des Sportsmenschen, vorgeschobenem Kinn, ener­gischen Zügen. Sehr gut, sehr elegant angezogen/ Unruh weiß Bescheid sogleich weiß er Be­scheid. Er besinnt sich nicht lange, denn er fürch­tet, Mut und Kraft könnte versagen, wenn er noch lang« überlegt. Er schießt, kaum daß Hilde mit einem fragenden, erschreckten Mick sein Hier­sein zur Kenntnis genommen hat. Der andere verzerrt sein Gesicht grauenhaft. Ganz schief sieht es jetzt ans, das Gesicht. Und eine Sekunde später rollte der schwere Körper des Mannes vom Stuhl herab auf den Fußboden. Hilde schreit furchtbar schreit sie auf. Alle Menschen im Lokal schreien, brüllen, laust« zu­sammen. Zwei, drei stürzen sich auf Unruh, greistn nach seinen Armen, entwinden ihm die Waffe. Er wehrt sich nicht, er sieht nicht auf den Liegenden. Auf Hilde blickt er. Und da ist auch einer in Uniform. Und noch einer. Und ein Dritter. Der wendet sich an das Mädchen, deutet auf den Körper zu seinen Füßen. Kennen Sie den?" fragt er. Das Mädchen nickt ihre Augen haben keine Tränen. Ja", haucht sie. Stottert sie.Es ist..... es ist mein... Bruder". Unruh dort nichts mehr, sieht nichts mehr. Das Lächeln, das grausame Lächeln erstirbt. Um ihn ift Dunkel!..,