Nr. 183. Mittwoch, 15. Juli 1931. Seit« 5. Die Ara« von gestern und von Yente. Bon Hilde Maria Kraus. Blausäure-Vergiftung. Auf der Tabakfarm Salisbury(Südrhodesia) ereignete sich eine Massen­vergiftung mit Blausäure. Fünf Beiße und zwei Eingeborene kamen ums Leben. Das Unglück ge­schah dadurch, daß in einer bestimmten Abteilung der Tabakfarm Blausäure. zum Verdunsten gebracht worden war, ohne daß man dies vorher im ge­samten Betrieb brkanntgegrben hatte. Infolgedessen hatten die sieben Opfer den Todesraum ahnungslos betreten. Begesrmirg. Dies ist ein Stück aus einem Feldpostbrief: ,,. Unsere Division hatte den deutschen Aar, den sie einige Tage vorher unter schweren Verlusten ostwärts getragen hatte, wieder mal zweihundert Meter nach Westen getragen. DaS englische Sperr­feuer funktionierte nicht richtig, und wir waren ohne allzuschwerr Verluste in das britische Grabennetz eingedrungen. Wieder begann einer jener fürchterlichen Nah­kämpfe: Ineinander verkrampfte Körper, die sich gegenseitig erwürgen wollen Pistolenschüsse Schlamm Blutschwaden schrille Schreie dumpfes Brüllen auszuckend« Spaten bajo­nettzerschlitzte Leiber Handgranaten torkeln hin­ab in Unterstände Flüche Gesichter von Kame­raden, gräßlich verzerrt, daß man sie kaum wieder- erkennl mattes Winseln bisweilen schreit einer den Namen eines Weibes Schädrlknochen krachen unter Kolbenschlägen zusammen jemand ruft nach seinem Gott Und dir Augen der Ster­benden, die Augen der Sterbenden... Weil ich aber nicht mehr di« Absicht habe, andere Menschen umzubringen für Interessen, dir nicht meine eigenen sind, utck auch einen derartigen Heldentod nicht für das erstrebenswerte Ziel meines Lebens halte, verzog ich mich in einen kleinen, ver­lassenen Derbindungsgraben. Ich biege bei einem Maschinengewehrstand um die Ecke und stehe einem Tommy gegenüber. Einem jungen Menschen, einem Menschen von unerhörter Schönheit. Es ist garnicht möglich, das irgendwie zu schildern. Mir kam nicht im entferntesten der Gedanke, auszureißen, oder ihm etwas zu sagen, zu erklären, daß ich auf kriegerische Lorbeeren keinen Wert lege ich stehe nur und bin ergriffen, wie schön der Mensch ist. Wie eine blonde Flamme flatterte sein lichtes Haar im Wnde. Ich weiß nicht, wie lange ich ihn so angestarrt habe, es sind wahrscheinlich nur etliche Sekunde» gewesen. Vielleicht hat er hinter meinem stummen Stau­nen eine besondere Heimtücke vermutet Er hebt seinen Spaten, holt aus ganz fern denkt es in mir, daß rS nun zu Ende ist, er schlägt zu immer noch seh« ich, wie schön er ist Und nun geschieht das Seltsame: im letzten Augenblick reißt er den Spaten zur Seite, klatschend schlägt hie Waffe in die Grabenwand. ' Dann geht er an mir vorbei weiter. Rasendes Herzklopfen fällt über mich her, ich fange an, an allen Gliedern zu zittern, ich muß mich gegen die Grabenwand lehnen. Da kommt der Mensch zurück. Her zu mir. Faßt meine Hand und sagt: I chank you." Und geht wieder. Ganz schlicht: I chank you Ich danke dir... Bruno Bogel. Beikaisei und vpmmoff. Eft» Spaziergang durch di« Kindersprache. Bon Han- Reimann. Als mein Sohn Peter drei Jahre zählte, spielte er leidenschaftlich gern mit Wäscheklam­mern, und weil dies nicht nur dem Vater und der Mutter, sondern auch dem aus einer Donna vom Lande bestehenden Personal höchlich auf die Nerven siel, hörte Peter, der Stöpsel, häufig die kategorische Mahnung:»-Lasse liegen!", näm­lich die Klammern offiziell: die Lackeliege». StattSchachtel" sagte PeterGau". Warum Gau eine Schachtel war, wird in ewiges Dunkel gehüllt blechen. Jeden Bleistift, und er verkon­sumierte deren eine Fülle, nannte erRawwl- ruhle". Stand ihm der kleine Sinn nach Heidel­beeren, so schrie er:Reihenne!" Später fand er, daß Apfelmus das einzig Wahre sei, und so wandelte sich jegliches Kompott inAvselmuh". Eines TageS meldete sich Walter Mehring an, und Peter verkündete der Donna:Heute gibts Pellkartoffel mit Mehring!" Ter Sohn meines Freundes Jacobs redete bis zur Konfirmation fernen Papa alsKlein­vater" an im Gegerrsatz zumGroßvater". Jürgen behauptet von Tante Ella, sie habe eine grüne Stimme und dickbäuchige Beine; er salzt seine- Schokolade mit Zucker, jongliert mit dem Wortekulussal!" und bildet sich manchmal rin, die Sonne tropfe auf seinen Kopf. Der kleinen Johanna zeigte man ein Licht­bild. Johanna bekiekte sich das und tat den Ausspruch:Das die Mutti tot und an die Wand geklitscht." Die nämliche Johanna verriet mir:.Es war so furchtbar heiß da der Laubfrosch uiß ertrunken wie der erste sondern ertrock- net." Frank, der kaum dreijährige Sonderling, fragte bei mir an, ob der Schnee im Winter tief Durch ihr erstes Werk, die Erzählung Aerztinnen ", die zum Schauplatz der' Hand­lung ein Krankenhaus in Sowjetrußland hat, hat Hilde Maria Kraus mit einem Schlage eine sehr beachlliche Stellung in den ersten Reihen der gegenwärtigen Schriftstellergenera- tion zu erringen vermocht. Sie hat nun einen Roman erscheinen lassen(Neun Monate", Brrgstadt-Berlag, Breslau ), in dem die begabte Berstisserin aufs neue ihre Künstlerschaft be­währt. Mit Erlaubnis des Verlages drucken wir nachstehend eine Stelle aus dem Buche, das Gespräch zweier Gymnasiallehrerinnen über die veränderte Stellung der Frau>m Leben, ich: Rauchen Sie?" Marianne Trost reicht« Olga chre hölzerne Zigarettendost hin. Manchmal, Danke." Fräulein Trost rieb das Streichholz an. .... Sie hat hübsche Hände,... es fiel Olga auf... gesund und kräftig... die Spitze des Zeigefingers ist ganz braun.. Sie rauchen viel, nicht wahr?" Mariann« Trost zuckle die Atteln . .O ja. Es ist eine schlechte Gewohnheit von mir. Dafür büße ich während der Schulstunden. Uber was soll man machen? Ich habe früh damit angefangen und jetzt habe ich, ich möchte nicht sagen, keine Energie, sondern eigentlich keine Lust, es auf­zugeben." Olga lächelt«. Zu meiner Zeit hat man mchr oder weniger heimlich geraucht." Die Jüngere lachte. ,Lu Ihrer Zeit! Si« können doch höchstens sechs Jahre älter sein als ich." Frau Ealviut nickte. ,Zch bin vierunddreißig, aber ich habe manch­mal bat Gefühl, daß wir aus ganz anderen Zeiten stammen" Marianne. Trost zog di« Stirn in Falten. Mein Jahrgang, da- heißt vielleicht die Jahr- gange, dir während des Krieges> des Umsturzes im Gymnasium waren, sind anders als die vor und nachher. Wir sind eine Generation für sich." Olgas Brauen hoben sich ein wenig un­gläubig. Worin äußert sich dieser Unterschied und wo­her kommt er?" Der Kellner brachte den inzwischen bestellten Tee für Fräulein Trost und eine Tasse Kaffee für Olga. Seine Anwesetcheit unterbrach das Gespräch, unb es schien Olga ein« Ewigkeit zu dauern, bis er den Marmortisch mit seiner angegrauten Serviette abgewischt hatte und die Platte daraufichob;«Mich ging er, nicht ohne einen Stoß Zeitungen auf den leevgebliebenen Stuhl geknattert zu haben. So", sagt« Olga erleichtert,jetzt reden Siel" Marianne Trost goß dir Milch in den Tee; dann neigte sie sich vor. Ihre hellen Augen waren aufgeriffen. In der Generation vor uns waren die her-> vorragenden Frauen Kämpferinnen gegen den Mann und sein« angemaßten Vorrechte. Sie stammten hauptsächlich aus pen Kreisen de- Bürger­tums und wollten sich von den Männern frei­machen aus einer anerzogenen Überschätzung des Manner. Die Generation nach uns ist dem ent­gegengesetzt, so daß dir Wirkung die gleiche bleibt. Auch sie sind gegen den Mann, ich spreche nicht von dem flirtenden Gros, sie machen ihm Konkurrenz auf Gebieten, wo eS absolut sinn- und zwecklos ist." Frau' Doktor Calvins wurde ein wenig un- geduldig. Und Ihre Generation?" liege oder hoch. Wir stieben über eine Wiese, und Frank trat laut eigener Aussage tn den großen Wunsch von einer Kuh. Eine Weile später triumphierte er:«r habe Kaffeebohnen ge- acffen. Ich erlaubte mir die Belehrung» daß sotane Kaffeebohnen nichts anderes seien als der große Wunsch von Ziegen, worauf Frank in Nachdenklichkeit nnd alsdann in die Bemerkung ausbrach:Warum lügen denn die Ziegen so?" Die Grillen zirpten, was ihre Zirpe nur hergab, aber Frank glaubte nicht an Grillen, sondern taufte sie(mit Rechts Zirpen. Well sie nicht grillen. Für Lokomotive, diesen teuflischen Aus­druck, sagte er Kolomotive, und die Kolomotive änderte sich, als Frank mannbar wurde, zu einer Kolomottfi mit wuchtig herausgeschmettertem zweiten i.. Einmal kam er strahlend nach Hause: er hatte einen Pfennig gesindet. Einmal durste er mit in den Keller, und aus einem leeren Kar- toffelsack flatterte ein mottenähnliches Insekt her­vor. Frank brüllte selig:Oh' eine Lerche!" Frank lernte Gedichte auswendig und fügte jeder Zeile ein neckffcheSJuvivallera" hinzu; denn er hatte bemerkt, der kokette Schelm, daß mir dieses gefiel. Peter und Frank nannten die Milchflasche: Ich. DaSIch" war die Milch, die ihnen ganz allein gehörige Milch. Und es dauerte lang«, bis sich der Jch-Begriff in richtiger Anwendung ein­stellte. Sie redeten beide von sich in dritter Person. Peter sagte, Peter will was haben, und Frank sagte: Frank will was haben. Dann kuck­ten sie sich das ,Hch" voneinander ab und unter­schieden die diversen Jchs. Die ESkimoS und andere primitwe Böller reden unentwegt in der dritten Person oder im neutralenman". Wer die abgrundhäßlichen und nbgrundherrlichen Bücher Peter Freuchens liest(Der Eskimo" und Die Flucht inS weiße Land"), erlebt mitfühlend eine dumpfe Unsprachlichekit. Kaum aufge­schnappte Lautverbindungen in einen Topf gewor­fen. Dem Schwerhörigen ähnlich, der Unsinn zu vernehmen wähnt und ihn vorsichtshalber mit Mariann« Trost trank ein«n Schluck Tee. Wir, s«hen Sir, wir wollen nicht gegen, son­dern mit dem Mann arbeiten. Richt", setzte sie rasch hinzu, als Olga die Brauen hick,nicht, v-ie man so schön früher sagte, als Helferin ot cetera, nein, wie wen ein anderer Mensch." Olga neigte den Kopf. Und woher, glauben Sie, kommt dieser Unter­schied?" Fräulein Trost zog die Schultern hoch. Wir haben nicht gelernt, uns gegen den Mann zu wchrrn. Wir sind zu Verstand und so weiter gekommen, als dir erwachsenen Männer im Krieg waren; was wir trafen, waren gleichaltrige Jun­gens, denen wir die von der Kriegspsychose be- sessenen Mütter ersetzen mußt«n. Da gab eS keine Frage der Gleichwertigkeit. Wir haben zusammen an der Schulreform st cetera gearbeitet. Wir haben zusammen unser« Dumncheiten gemacht", Marianne Trost lächelte vor sich hin,gewisiermatzen waren wir Mütter, ehe wir Frauen wurden." OlgaS Finger knickten ein Zündholz nach dem andern. Und warum sprachen Sie davon, daß die Frauenbewegung aus der bürgerlichen Klasse her- vorgcht?" Fräulein Doktor Trost zündete eine neue Zi­garette an. Brachland. Prag , 14. Juli. Dem Berichterstatter, der seine Aufgabe nicht darin sicht, ein sensationslüsterne- Bürgerpublikum mit tat kleinen und großen Tra- gödien, die sich alltäglich vor Gericht ereignen, zu ergötzen, wird bei Prozessen, wie diesem, sonder­bar zu Mute. Da sicht ein Mensch vor Gericht, ein Mann aus denniederen Schichten". Er ist klug, intelligent, von ganz außerordentlichen Geistes- sähigkeiten. Er hat keine Schulbildung, aber die Art, wie er alle Punkte der Anklage bis ins De­tail beherrscht, wie er seine Verteidigung bis ins einzelne überlegt- und durchdacht hat, muß impo­nieren. Er hat Eheschwindeleien und son­stige Betrügereien begangen und der Schaden be­läuft sich auf etwa 5000 K also eine Bagatelle gegen die Lumpereien diverser Bankfunktionäre und Großunternehmer, die mit einer bedingten Strafe davonkommen. Hier drängt sich noch ein wei­terer Vergleich auf: Diese Unternehmer und Direktoren, bzw. Generaldirektoren begingen ihre. Gaunereien au- der unersättlichen Sucht des ohnedies Reichen nach demRoch- mehr". Dieser da hatte nicht- zu essen und ver­wendete seine Geistesgaben dazu, seine Mitmenschen zu prellen. Es ist bezeichnend, daß er noch wegen Bagabondage" mitangeklagt ist, weil er kein Dach über dem Kopf hatte undkeinen regel­mäßigen Erwerb" nachweisen konnte.(An zwanzig Millionen können dieser gesetzlichen Anforderung heute auf dieser besten aller Welten nicht entsprechen!) Aber man denke weiter: Dieser hochintrlligente, hochbefähigte Mensch findet nicht eine Möglichkeit, seinen Lebensunterhalt zu verdienen! Weil der Weg zum täglichen Brot heute ein winzig schmaler Pfad ist, eingeengt durch kapitalistische Wirtschafts­krise, Vetternwirtschaft und stupide- Qualifikations­wesen. Wäre das Gesellschaftssystem auf dem Nutzen der Allgemeinheit und damit auf der Aus­wahl der Besten gegründet was für unge­heure Kräfte, die heute verkommen, könnten sich frei einem drangehängten Fragezeichen wiederholt. Schwer aussprechbare Konsonanten werden vom Kinde durch bequem aussprechbare ersetzt oder glattweg unterschlagen. Zitatweise und aufs Geratewohl verwendet das Kind gefällige, ihm gefallende Wörter und erweckt dadurch bei törichten Eltern den Eindruck von AltKugheit oder gar Klugheit. Da- Kind hat noch keine trüben Erfahrungen hinter sich, hat noch keine rote Tint« geschaut, braucht noch nicht zu schreiben, darf sich ganz auf sein Gefühl und auf seine Phantasie verlassen, darf auf gut Glück plappern, erntet Schmunzeln und Geläch­ter, spielt mit der Sprache wie mit seinen Bau- klötzchen, wird immer neugieriger, geht auf sprachliche Entdeckungen aus, konstruiert Wörter nach vorharwenem Beispiel, schwätzt Gehörtes nach, unbedenklich und hemmungslos, und be­tätigt sich als souveräner Künstler. Für Renate war einer, der mühselig zu schleppen hatte, ein Beckaffel, also ein mißverstandener Pack-Esel. Die Brille hießAugen", evangelisch hießfrönge- lisch", und Wischlappen, Staubtuch und Mop warenPuh", offenbar Putzlappen.Der Om­nibus" wurde zumOnnemoff", die Richard- Wagner-Straße wurde zurrichtigen Wagen- Straße", die Zeitung war«inLeis"(Bevschmel- zung von Lesen und dabei leise sein), der Dau­men war derDodo", das Telephon war das Halloh", und da Renate in Mannheim auf- wuchS, wurden ihre Strumpfbänder zumBum- bele-Bändele". Der Sprechende denkt, der Denkende' svricht das Baby ist stumm. Erziehen ist: mit gutem Beispiel vorangehen. Im Sprachlichen: sauber reden. Denn Kinder besitzen unheimlich scharfe Ohren und einen Wachen Berstand. Man kann chn wecken. Intelligenz und sprachlicher Sinn sind erlernbar, anerziehbar. Darum soll man nie mit Kindern daatschen und künstlich-kindisch schwätzen, sondern, sobald sie nach Ausdrücken tosten, wie mit seinesgleichen reden. Dann kommt die Welt weiter. Aber das ist doch klar. Wed«r die Proletarierin noch die Aristokratin hat dem Manne gegenüber ein Minderwertigkeitsgefühl. Nur die bürgerliche Frau haßt den Mann, weil sie gelernt hat, ihn zu bewundern, weil sie von ihm abhängig ist und weil sie sich für überflüssig hält. DaS ganze Strind- bergsche Eheproblem ist nicht« als das Dämmern dieser" Marianne lacht« plötzlich auf,ich rede da Worte der Weisheit urck bin wieder in die Literatur gekommen, meine Schwäche." Olga lächelte freundlich. Ich muß mir da- alles einmal durch den Kopf gehen lassen. Aber" Sie wollte schon sagen:wenn nun aber der Mann in einem den Gegner sicht", aber im letzten Augenblick erinnerte sie sich an einen Ausspruch Fvau Betty Grubers, der ihr einen starken Eindruck gemacht hatte. Die Köchin von Franziska Calvius sagte einmal von einer ihrer Verwandten, die des öfteren über häus­liche Zerwürfnisse klagt«:Die, di« bann nicht mal chr eigen Leck verschweigen." Und Olga schloß den angefangenen Satz: Mer es wird Zeit sei«, daß ich nach Hause gch«." Sie verabschiedete sich beinahe herzlich von chrer Kollegin. Der SpitznameAmazone" ist doch ein wenig äußerlich, dachte Olga, al- fi« die Treppe zu ihrer Wohnung hinaufftieg. Al- sie am Abend im Bett lag, schob sie zum erstenmal«in Kissen seitlich unter chren Leib. entfalten! Hier liegt rin ungeheure- Brach­land ungenützter Fähigkeiten und Energien, die teil- im zermürbenden Alltag-kampf um ein kleine- Stück Brot sich verzehren, teils aber und dies be­weisen täglich die Gerichtsverhandlungen auf die Bahn des Verbrechens gedrängt werden. 3« Namen der Republik " der Angeklagte ist schuldig. Gewiß! Der Tatbestand des Para­graphen ist restlos erfüllt. Aber mußte es dazm kommen, daß ererfüllt wurde"? In der heutigen Gesellschaftsordnung ja. Denn diese Ord­nung, beruhend ausUnternehmer-Ini­tiative", auf deutsch : dem Raubrittertum der wenigen Besitzenden diese Ordnung hat keinen Platz für die Hunderttausende der Proletarier, die des Ausstiegs fähig und würdig wären... Dir Stick­luft schreit nach dem befreienden Sturm. Im übrigen zeigte sich der Gerichtshof milde: drei Monate Kerker unbedingt. rb. Der Siebzehnjährige nnd dir staatsgefährlich«« Flugblätter. Prag , 14. Juli. Im Juli 1930 war der Staat in schwerer Gefahr. Denn der siebzehnjäh­rige Ka.louS verteilte ip Pkibram Flug­blätter der kommunistischen Partei, die die tausend­mal gehörte kommunistische Litanei zum tausendsten­mal wiederholten. Mit Staunen und Ergötzen aber vernahm man'die Liste der eingeklagten Uebeltaten. Summa summarum waren acht Paragraphen vom Herrn Staatsanwalt hrrangezogen worden: S ch u tz- gesetz, Kolportage unerlaubter Druckschriften usw. usw. Unsere Weisheit reicht nicht aus, einem siebzehnjährigen Jungen zuzumuten, er solle sich vor Verteilung von Flugblättern(die ihn zu diesem Zweck von dritten Personen übergeben worden wa­ren)überzeugen, ob dir D r u ck f i r m a ange­geben sei." Die aus einem Zuhörer bestehendeO ef- fentlichkeit" wurde auf Antrag des Staats­anwalts alsbald ausgeschlossen, damit nicht das bol­schewistische Gift in die breiteren Massen dringe. (Nebenbei: wir haben schon bessere und stärkere Pro­ben der bolschewisttschrn Demagogie gelesen.) Der Junge bekam nur sechs Wochen Arrest und kann seinem Schicksal danken, daß er erst siebzehn Jahre alt ist> sonst wären es mindestens ebenso­viel Monate schweren Kerkers gewesen. rd. Kleine Chronik Schottische Perlen. Wenn man Perlen sieht, denkt man an die Südsee und den Indischen Ozean kaum jemand weiß, daß auch in Europa Perlen­fischerei betrieben wird. In Schottland gibt es auf den Flüssen Teich, Earn, Tay und Hchan seit Jahrhunderten Perlenfischerei; manchmal wird sie sogar mit ganz ansehnlichem Erfolg betrieben. So hat vor zwei Wochen der Fischer George M'P h e e, ein alter Perlenfischer in Tallander aus dem Teich ein« Muschel gefischt, di« fünf Perlen enchielt, drei gewöhnliche und zwei besonder- wertvolle schwarze. Die drei weißen Perlen sind alle so groß wie eine große Erbse, war eine sehr ansehnliche Größe ist. Da­sind aber nicht die wertvollsten Perlen, die in Schottland gefischt werden; vor zwei Jahren hat ein Mann aus dem See Loch Benn ach er eine Perle gefischt, die mehr als dreizehnhundert Schil­ling wert war, und noch einige Jahre früher wurde in der Provinz Pertshire, in der die besten Perlen­gewässer liegen, sogar«ine Perle gefunden, die mebr al- viertausend Schilling einbrachte. Freilich sitid die Zeiten für die schottischen Perlenfischer nicht mehr so gut, wir sie früher einmal waren. In den drei Jahren von 1761 bis 1763 sind in London Perlen, die bloß aus dem einen Fluß Tay stamm­ten, für mehr als zehntausend Pfund(dreihundert­vierzigtausend Schilling) verkauft worden, und noch im Jahre 1865 wird der Wert der ganzen schotti­schen Perlenfischerei mit zwölftaufend Pfund ver­zeichnet. Die schotttschrn Kronjuwelen enthalten einige prachtvolle einheimische Perlen von sehr hohem Wert. Seither haben aber die Perlrnmuscheln etwa- vom schottischen Nationalcharakter angenom­men und er kommt heutzutage kaum häufiger vor, daß eine schottische Muschel wertvolle Perlen liefert, als daß ein Schotte sich freigebig zeigt. Gerichtssaal