Sk. 210
Mittwoch, 9. September 1931
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Geständnis Karl Streckers. Der Schriftsteller Karl Strecker   hat unter der Wucht des von der Kriminalpolizei zusammengetragenen Belastungs­material vor dem Potsdamer Untersuchungsrichter das Geständnis abgelegt, esine Billa   in Klein Mach­ now   bei Berlin   vorsätzlich in Brand gesteckt zu haben. Strecker wollte sich durch die seit Wochen vor- bereitete Tat in den Besitz der Versicherungssumme von 50.000 Mark setzen. Er erklärt:.Ich befand mich in einer furchtbaren Lage und hatte den Plan gefaßt, gemeinsam mit meiner Frau freiwillig aus dem Leben zu scheiden. Endlich kam ich auf den Ge­danken, daß es beffer sei, die Versicherungsgesellschaft zu schädigen, die es nicht allzu schwer empfinden würde, als zwei Menschenleben den unglücklichen Verhältnissen zu opfern." Strecker, der dir Tat allein ausgeführt haben will, ist mit außerordentlich küh­ler Ueberlegung vorgegangen. Er war in der Nacht vor dem Brande in Weimar   und ließ sich noch zu später Stunde von einem Kellner einen Grog aufs Zimmer bringen. Er machte hei dieser Gelegenheit den Kellner darauf aufmerksam, daß er di« späte Be­stellung genau im Gedächtnis behalten soll«; seine Erinnerung daran könne noch einmal sehr wichtig fein. Kaum hatte der Kellner das Zimmer verlassen, schlich sich Strecker zum Bahnhof, fuhr kurz nach 3 Uhr mit dem Schnellzug nach Berlin  , war bereits schon gegen 8 Uhr morgens in jllein-Machnow und steckte sofort seine bereits entsprechend präparierte Villa in Brand. Um 8 Uhr morgens fuhr Strecker noch Weimar   zurück, wo er gegen mittags ankam; km Hotel verlangte er sofort wieder den Kellner zu sprechen, der ihm den Grog gebracht hatt«. Mit dem Kinde in de« Tod. Die 31jährige Private Marie Bure sch- und'ihre achtjährige Tochter Erna wurden am Dienstag früh, in ihrer Wohnung in Wien   bei osfenstehenden Gashähnrn leblos ausgefunden. Aus einem zurückgrlassrnen Ab­schiedsbrief geht hervor, daß die Fran, anscheinend wegen liebloser Behandlung durch den Gatten, Selbstmord begangen und das Kind mit in den Tod genommen hat. Flugpost Hamburg  New?)ork über Grönland  ? Der deutsche Flieger von Gronan landet« Montag nm 18 Uhr 10 Ostnormalzeit, von Cleveland  kommend, in North Beach. Er und sein Begleiter reisen zu Schiff nach Deutschland   zurück. In einer Unterredung mit dem New Dorker Vertreter des WTB. erklärt« Gronau  , er werde nach seiner Rück­kehr nach Deutschland   die Einrichtung einer Klug­postroute HamburgIrlandGrönlandWestlaba- dorThieagoNew Jork Vorschlägen. Dies sei eine Gesamtstrecke von etwa 7000 Kilometern. Die Flugdauer würde 45 Stunden betragen. Mit Relais­flugzeugen an den genannten Punkten wär« ein rascher und vorteilhafter Poswerkehr möglich. Ein moderner Turm von Babel. Än der Avenue des Ehamps ElysLes, jener Prachtftraße im west- iichen Paris  , die tat Konkordeplab mit dem Triumphbogen verbindet, hat ein« New Horkcr Groß­bank einen riesigen modernen Palast für ihre Pari­ ser   Filiale erbauen lassen, den man als einen neuen Turm von Babel bezeichnen kann, denn an seiner Errichtung haben durch Stellung von Arbeitskräften und durch Lieferung der Baumaterialien zahlreiche Völker der alten und neuen Welt mitgewirkt. Der erste Architekt ist Amerikaner, der Chefingenieuer Brasilianer. Die Ziegelsteine, der Sandstein und der Marmor stammen aus Frankreich  . Di« Bauarbeiter sind Franzosen  , die Spezialisten, nämlich die Gips-, Zement- und Mosaikarbeiter dagegen Italiener  . Das Stahlgerippe der Bank ist aus den Bereinigten Staa­ten importiert und wird von Franzosen montiert.
Di« elektrischen Apparate sind amerikanischer und schweizerischer Herkunft. Die Ventilattonsapparate sind in Deutschland   hergestellt, die Trocknungsappa- rat« in der Schweiz  . Dir meisten Völker haben an der Wasserinstallation zusammen gearbeitet: di« An­lage ist amerikanischer Konstruktion, aber in Deutsch­ land   hergestellt und wird von Franzosen montier!, die unter Aufsicht schweizerischer Spezialisten arbei­ten. Die Telephon- und Klingelanlage, die Fahr­stühle und die Geldschränke stammen aus Amerika  und werden auch von Amerikanern eingebaut. Die Teppiche sind natürlich aus dem Orient eingeführt. Die Holzmöbel sind in Frankreich   gekauft, die Stahl­möbel dagegen in Deutschland  . Das Linoleum schließ­lich ist englischer Herkunft.
Todesstrafe und Henker. Von den Anhängern der Todesstrafe kermt man die frivole Wendung, die.Herren Mörder möchten mit dem Töten zuerst aufhören. Was aber würde aus der Todesstrafe, wenn eitles Tages die Herren Henker streikten?! Ter britische Henker Mr. Ellis hat in Pentonville ein Liebespaar hängen müssen, das
den trunksüchtigen und brutalen Gatten der Frau ermordet hatte, eine Bluttat, die bei dem Charakter des Getöteten nicht allzu weit von Notwehr entfernt war. Unmittelbar darauf hat sich Mr. Ellis pensionieren lasten und auf ein kleines Dorf zurückgezogen. Einem Journalisten, der ihn dort austuchtc, hat er jetzt erzählt: Als ich nach der Exekution Pentonville verließ, sah ich mehr als 2000 Manner und Frauen auf den Knien vor dem Gefängnis betend. Und ich faßte sofort den Entschluß, mein Gewerbe aufzugeben. Der Mörder ist ein bösartiges Wesen. Aber wenn das Gesetz einem ehrenhafte« Menschen vorschreibt, zum Mörder zu werden, so ist das etwas Entsetz­liches und mit dem menschlichen Gewissen nicht zu Vereinbarendes." Die Schilderung, die Mr. Ellis von dem Hergang' entwirft, in dem er die bereits völlig von Sinnen gekommene Frau an den Galgen gebracht hat, bestätigt diese seine Erkenntnis durchaus. Wollen wirklich die Gesetzgeber des 20. Jahrhunderts sich von der Menschlichkeit des HenkerS beschämen lasten?!
«MffWWWWOWWWWWWOWWWV Junge Angestellte und Arbeiter! Mittel- und Hochschiiler! Kommt zur Sozialistischen Jugend! Volkswirtschatt und Sozialpolitik Prager Produktenbörse.(Offizieller Bericht vom 8. September.) Die Produktenbörse hatte heute eine feste Grundstimmung am Getrcidemarkte, haupt­sächlich in Mahlgetreide. Die erhöhte Kauflust ver­half den Weizen- und Roggenpreisen zn einer Steigerung und einzelne Wrizensorten profitierten bis 1 K und Roggen 2 K. Gut behauptet lagen auch die Gerste- und Haferpreise, welche gleichfalls einen Anlauf zur Befestigung zeigten. Die amtlichen Notierungen blieben bei Gerste und Hafer unver­ändert, sogar etwas niedriger erwies sich die untere Preislage von fehlerhaftem Hafer, die sich um 4 K niedriger stellte. Die feste Tendenz von Mahlgetreide hatte keinen Einfluß auf den Mehlmarkt, der' in den Preisen im allgemeinen keine Aenderung auf­wies. Der Getreidcmarkt hatte auch das lebhafteste Aussehen, während die übrigen Marktgebiete eine ruhige Tendenz zeigten. Von Futtermitteln stellte sich heuriges Heu um 1 K höher, sonst konnte mau eine leichte Verbilligung(etwa um 1 Punkt am Maismarkt) in einzelnen Hülsensrüchten und Same» konstatieren, außerdem wäre noch auf das Anziehen der Eierpreise hinzuweisen, welche um 1 K. höher notierten. Ter Börsenbesuch war sehr gut und auch das Geschäft hatte einen recht lebhaften Charakter. Es notierten in K5: Rotweizen böhm. 81 bis 83 Kg. 136 bis 140, Rotweizen böhm. 79 bis 80 Kg. 131 bis 135, Wetzen gelb böhm. 77 bis 79 Kg. 125 bis 130, Weizen gelb böhm. 75 bis 76 Kg. 122 bis 124, Manitoba I 96 bis 97, Roggen böhm. 69 bis 72 Kg. 148 bis 151, AuSwahlgerstc 185 bis 140, Gerste la 125 bis 181, Gerste mittlere 119 bis 123, Hafer böhm. 118 bis 120, Hafer fehlerhaft 104 bis 118, Donaumais 58 bis 59, Rumän. Futtermais, klein­körn., neu 57 bis 58, Futtermais La Plata   58 bis 59, Erbsen Viktoria 1981 180 bis 210, Erbftn gelb 160 bis 175, Erbsen grün, großkörn. 190 bis 210, Erbsen, grün, kleinkörn. 165 bis 175, Linsen groß­körn. mähr. 1931 375 bis 4L5, Linsen mittlere 250 bis 300, Linsen kleinkörn. 200 bis 230, Bohnen 160 bis 200, Senf böhm. 1931 200 bis 250, Mohn blau 1981 410 bis 450, Mohn silbergrau 1931 460 bis 500, Mohn silbergrau(Daubaer) 1931 525 bis 575, Kümmel böhm. 400 bis 425, Kümmel holländ. 400 bis 410, Weißklee 1931 900 bis 1700, Schwedenklee 800 bis 950, Rosenklee 1931 325 bis 400, Kartoffeln gelbllrischig 1931 24 bis 26, Kartoffeln weißfleischig 1981 19 bis 21, Heu böhm. ungepreßt, sauer 1981 55 bis 57, süß 62 bis 64, gepreßt, sauer 57 bis 59, gepreßt, süß 64 bis 66, Roggenstroh in Bündeln, ungepr. 44 bis 46, Gersten- und Haferfutterstroh, gepr. 43 bis 45, ungepr. 42 bis 44, Andere Stroh­sorten gepr. 38 bis 40, ungepreßt 37 bis 89, Weizen- gries 248 bis 258, Weizenmehl OHH 280 bis 285, Weizenmehl O 210 bis. 215, Weizenmehl Nr. 1 180 bis 185, Weizenmehl Nr. 4 150 bis 155, Weizenmehl Nr. 8 106 bis 108, Roggenmehl Nr. O/l 224 bis 229, Roggenmehl 65 Proz. 214 bis 219, Roggenmrhl Nr. 2 128 bis 133, Roggenmehl Nr. 4 105 bis 167. Graupen Nr. 106 200 bis 2s5, Bruchgraupcn 200 bis 205, Hirse 245 bis 253, Reis Burma 2 180 bis 185, Reis Moulmain 245 bis 280, Bruchreis 160 bis 170, Weizenkleie 74 bis 76, Roggenkleie 75 bis 77, Amerikanisches Fett 960 bis 970. Eier:, frische böhm. u. mähr..37 bis 39, frische slowak. 35 bis 37, frische Polnische 32 bis 36,
ÄStzne und MnerOnHung. SM 3erHörnng«toctt Oer Lotterien.
Als häufigste Ursache für vorzeitigen Zahnver­lust wird inimcr noch die Zahnkaries, mit dem populären NamenZahnfäule" angesehen. Es handelt sich bei dieser häufigen und wohl jedem bekannten Krankheit um einen interessanten und gewöhnlichen langwierigen Prozeß, der sich um den Zahn abspielt. Am Zahn oder in den Zwischen­räumen zweier Zähn« haften Speisereste, die beim Kauen förmlich in die Zwischenräume und Taschen um die Zähne hineingepreßt worden sind. Diese Speisereste unterliegen der Auflösung und Ver­gärung, wobei durch chemische Umsetzung Säuren, in erster Linie Milchsäuren, entstehen. Diese Säuren greifen die Hartsubstanz des Zahnes an und- entkalken sie. Dadurch ist verschiedenen sonst harmlos im Munde lebenden Bakterienarten möglich gemacht, die Schäden der Hartsubstanz des Zahnes auszunutzen, sich anzusiedeln und das Zerstörungs­werk zu vollenden. Selbstverständlich wird sich dieser Prozeß an den Stellen des Gebistes am leichtesten vollziehen, die auf Grund anatomischer Lage oder angeborener oder erworbener Minderwertigkeit ohnehin geschädigt sind und weniger Widerstand bieten. So spielt als Voraussetzung für die Zahn­ karies   die Rachitis, die englische Krankheit, eine nicht zu unterschätzende Rolle, und zwar in allen ihren BerlaufSphasen und Entwicklungsmöglich­keiten, sogar schon als embryonal« Rachitis, während der Entwicklungszeit der ersten Zähn«, die ja bereits im Mutterleib« gebildet werden. ES gibt also ganz gewiß Menschen mit schlechten" Zähnen, die trotz sorgfältigster Pfleg« eine Zahnkaries nur schwer vermeiden können. Sonst aber wird gewistenhaste und regelmäßig« Zahnpflege gewöhnlich genügen, um die Zahnkaries zu verhüten, oder so lange wie möglich aufzu­schieben. Allerdings gehört zu dieser Zahnpflege die notwendige, häufige, mechanische Zahnreinigung, die der Entfernung der Speisereste dienen soll. Sie erfolgt am besten mit der Zahnbürste und einer der üblichen Zahnpasten. Die Mundspülung braucht dabei nicht außer acht gelastrn zu werden, doch ist sie nicht so notwendig, wie die Zahnreinigung.
Wenn aber die gefürchtete Zahnkaries«inge- treten ist, muß dann der betreffende Zahn gezogen werden? Diese Frage ist zunächst und für di« überwiegende Mehrzahl der Fälle zu verneinen. Gerade in der Erhaltung der Zähne liegt die Kunst des Zahnarztes. Die Möglichkeiten der modernen ZahnbehaMung sind außerordentlich weitgehend. Wenn dennoch gelegentlich ein Zahn entfernt wer­den muß, dann ist wohl stets die angeborene Min­derwertigkeit-d«S Zahnes, die ihn soweit kariös werden ließ, oder völlig mangelhafte Zahnpflege, oder' und das ist nicht so selten verspätete Zahnbehandlung Schuld daran. Die Angst vor dem Zahnarzt muß noch immer sehr beträchtlich sein. Denn auch heute noch kommen viele Menschen zu spät in zahnärztliche Behandlung. Gerade das, was sie vermeiden wollen, nämlich langwierige Zahn­behandlung, ist dann notwendig. Trotzdem wird man nach Möglichkeit den Zahn zu erhalten suchen. Der Verlust des Zahnes ist nicht ohne Folgen, wie im allgemeinen angenommen wird. Als Folge des Zahnverlustes zeigen sich bald ungünstige Stel- lungsänderungen der benachbarten Zähne. Die durch den Verlust eines Zahnes entstanden« Lücke bleibt nicht in dem ursprünglichen Zustande. Sie schließt sich teilweise durch Neigung der benachbarten Zähn« oder der Gegenzähne. Dadurch tritt eine Verschiebung im Gebiß ein, die zumal bei Verlust mehrerer Zähne, gleichbedeutend ist mit einer Her­absetzung der Kaufähigkeit des Gebistes überhaupt. Ein funktionsgestörtes Gebiß aber kann leicht die Ursache von Verdauungsstörungen, mangelhafter Ernährung sein, und somit d«n ganzen Menschen in seiner Lebenskraft herabsetzen. Alle diese Folgen können durch rechtzeitige Zahnbehandlung vermieden werden. Rechtzeitig jedoch heißt in diesem Falle schon, wenn die Zähn« sich noch nicht irgendwie schmerzhaft oder störend bemerkbar machen. Der Zahnarzt ist schon in der Lag«, eine Zahnkaries zu bemerken, wenn der betroffene Zahn. selbst noch kein« Beschwerden verursacht. Rechtzeitige Behand­lung setzt also eine regelmäßige U«berwachung der Zähne voraus. Dr. G. F.
Er mar an ein Ass«... Von Kurt Münzer  . Doch, meine Lieben, einmal habe ich geliebt, ich alter Einspänner, ich Tiernarr, der ich mein Leben beschließe mit Katze, Hund und dem Ge­wimmel meiner Terrarien. Auch mir ist einmal die Frau begegnet, die einzige Frau. Aber, ja, sie hat doch versagt. Sie war nicht so seelenvoll wie das Tier, um das es ging, besten Tod sie verlangte. Ja, sie saß in der Loge urrd hielt den Daumen nach unten, die ewige Römerin: Töte! Und das Tier senkte das Haupt und sprach ihr nach: ja, töte! und ergab sich. Wer ist da edler, meine Lieben?... Ich mußte wählen. Und ich wählte und habe es nie bereut. Zur Zeit, als dies« Frau mir begegnete, Angelika, hatte ich einen Affen, einen großen Makaki, den ich im Kongo jung gefangen und mitgenommen hatte. Er war nun zwei Jahre bei mir, ein heiterer zärtlicher Kamerad, ein Weibchen, leidenschaftlich hing er an mir, wohnte auch mit mir, wir lebten zusammen, er schlief am Fußende meines großen Bettes, rührte sich die ganze Nacht nicht, nm mich nicht zu wecken. Und lag doch schon stundenlang wach, wartete regungslos auf das Aufgchen meiner Augen, um dann sofort über mich herzufallen, mich zu umarmen, zu küssen. Morgen für Mor­gen war es für ihn wie das erste, das neue Glück, immer wieder schien ich ihm neu ge­schenkt, er zu mir zurückgekehrt aus der tiefen Jenseitigkeit von Nacht und Schlaf. Aber vom ersten Blick an hatte der Affe eine Abneigung gegen Angelika. Ich sage Abnei­gung, aber es war Haß, eisiger tierischer Haß. Nur schien der Affe so sehr menschlich zu empfinden, so sehr menschlichen Seelenlebens bewußt und teilhaft zu sein, daß er mir zu Lieb« diesen Haß verbarg. Er beschrankte ihn einfach auf Nichtachtung des Mädchens, er nahm keine Notiz von ihr, er tat, als sähe er sie nicht. Nein, das interpretierte ich nicht phantastisch in sein Verhalten hinein, ich deutete cs ganz richtig. Hätte der Affe Angelika sehen, beachten wollen, dann hätte er sich auch nicht zügeln können, dann
hätte er über sic herfallen müssen. Eine wunder­bare Vernunft regulierte sein Verhalten. Aber Angelika war weniger vernünftig, sie nahm Notiz von dem Tier, sie verabscheute cS, wie die Schönheit die Ungestalt verabscheuen muß, sie haßte es, wie jede Liebende eine Riva­lin haßen muß. Denn sie sah ja, wie das Tier mich mit der ganzen Leidenschaftlichkeit seines Seins liebte. Und sie verlangte, ich sollte es fortschaffen, dem Zoologischen Garten schenken, dort könnte ich es ja von Zeit zu Zeit besuchen und sehen. Als sie das verlangte, begann meine Liebe zu Angelika mir wehe zu tun. Sie nahm nicht etwa ab ich begriff ja!, aber sie litt... Daß sie solches fordern konnte: nein, sie verstand nichts. Dieses Tier, das ich sechs Wochen äst bei der getöteten Mutter gefunden, groß gezogen, das zwei Jahre bei mir gelebt hatte, dieser stumme, zärtliche, selbstloseste Kamerad... .Ich sagte ihr Nein... Nnd das ließ sie nicht mich entgelten, son­dern den Affen. Jetzt lachte sie ihn höhnisch ins Gesicht.   Er, o, er wandte sich ab und versteckte seinen Kopf in einem Sofawinkel. Sie sagte ihm Häßliches und der Affe ja, er verstand die Absicht, wenn nicht die Worte er hielt llich die Ohren zu und sah mich an, mich... Das begriff er wohl nicht, daß ich erlaubte, daß ihm solches geschah. Er begann, an mir zu zwei­feln. Ich, sein Herr, sein Gott, bisher die Gnade und Liebe selbst, ich versagte... Morgens fiel er nicht mehr zärtlich über mich her, er blieb in seinem Bettwinkel hocken und sah mich nur an. Bis ich ihn rief. Dann kam er langsam, sich hin und her wiegend, die Arme hcrunterhängend, den Kopf abgewandt. Ich umhalste ihn, koste ihn, aber er blieb teil­nahmslos, Kummer war in seinem Auge, ja, Kummer. O du Auge des Tiers! Da es stumm ist, sagt sein Auge alles, und diese Sprache ist erschütternder als jede Rede der Zunge. Dieser Kummer warf einen Schatten auf unsere Liebe. Und es war die große, einzige Liebe, jene Liebe, die nur einmal zu einem Menschen kommt, denn seht Ihr, es kam keine zweite mehr zu urir. Ja, wer von uns hätte nun nachgeben müssen? Angelika de« Affen dul­
den oder ich den Affen entfernen? Ich glaube, man darf von der Liebe nicht Großmut erwar­ten. Oder es muß denn di« Liebe eines so selbst­losen Wesen- fern, wie eS dieser Affe ein Affe! gewesen. Hört zu. Das beßab sich. Ich hatte Angelika gebeten, den Affen mcht zu beachten, ihn nie zu kränken, einfach über ihn hinwegzusehen, wie er es ja mit ihr tat. Aber eine Frau ja, eine Frau hat doch ein bißchen den Teufel in sich, die Bosheit. Das macht sie ja so reizvoll, so feindlich süß, so gefährlich lockend. Also Ange­lika, eines Tages, als sich bei ihrem Eintritt der Aff« hinter einen Schrank flüchtete, dort sich versteckte, um sie nicht sehen zu müssen Ange­lika lief hin und schlug mit ihrem Schirm nach ihm... Er schrie auf, er war noch nie geschla­gen worden, er floh, er sprang auf den Schrank, da stieß Angelika, laut lachend, die Spitze des Schirms in seine Brust. Der Affe es ging wohl über seine Kraft der Beherrschung er sprang hinab, ans Ange­likas Schulter und bis sie ins Ohr... Am nächsten Tag stellte mir Angelika em Ultimatum: der Affe oder sie: Wenn der Affe nicht verschwand, dann verschwand sie aus mei­nem Leben! Ob es nun so selbstverständlich war, daß ich entschied: Angelika? Aber ich liebte sie ja,[ Freunde, ich liebte sie. Und der Affe er war doch nur ein Affe! Diesesnur" habe ich denn zuckenden Herzens zurückgenommen. Ich beschloß, ihn nicht zu verschenken, son­dern zu töten. Ich selbst mußte ihn töten. Ich konnte es keinem andern überlassen. Ich lud meinen alten Armeerevolver und rief meinen Kameraden. Er hatte auf dem Schreibtisch gesessen und zugesehen, wie ich lud. Ich war ans Fenster ge­gangen, da kniete ich hin, um Auge in Auge mit ihm zu sein, ich rief ihn. Er kam. Er kam mit ausgebreiteten Armen, denn den ganzen Tag war Angelika nicht dagewesen, er glaubte viel­leicht, nun beginnt wieder unsere alte Gemein­samkeit. Mit ausgebreiteten Armen schaukelte er mir entgegen, auf seinen kurzen Beinen, er fischte me Zähne, das war sein Lachen, er stteß
alle möglichen kleinen, helle« Laute aus. das war eine Liebeshymne, ein Lobgesang, ein Dank­lied anz herrliche Leben Da hob ich den Revolver und der Affe blieb stehen. Er sah in die Mündung, sah in meine Augen und er begriff! Ja, er begriff: der Tod! Er wimmerte auf, er erzitterte von Kopf bis Fuß, in seinen Aiigen war das Unsäg­liche und Namenlose,.die Todesangst, der Un­glaube und dann die Ergebung.. Er schlug die Hände vor sein Gesicht, er hielt sich die Augen zu, ja, er lieferte sich dem Tode aus, demütig und still, aber er wollte ihn nicht sehen. Aber ich sah sein Herz an die Rippen schlagen, sein Herz, das er mir darbot, es zu treffen... Re­gungslos stand er, verhüllten Gesichts, und er­wartete den Tod von mir Ich warf die Waffe fort, ich warf mich hin, vor das Tier, riß es an mich, ich nahm ihm die Hände von den Augen fort:Sieh mich an, mein Freund, ja, ich bin es, der gute Herr. Nie­mals, niemals sollst du fort von mir, du hast geträumt, du mußt vergessen, wir bleiben zn- lammen." Ich drückte ihn an mein Herz, er um­schlang mich, er wisperte in mein Ohr, Unver­ständliches? Rein, ich verstand ihn. Herz zn Herz hat die gleiche Drache. Auch das war Lieb«, meine Freunde, vielleicht die größere. Denn sie steht jenseits der Sinne, des Zwecks, des Glücks. Ich schrieb Angelika- wie es geschehen sei. daß der Affe weiterlebte und bei mir bleiben müsse. Ich schrieb ihr, noch'" zuckenden Herzens, diese ganze bittere, unwiderstehliche Szene, ich bat sie zu begreifen und Nachsicht zu haben. Sie antwortete nicht. Ich ging hin, sie war ab­gereist. Ich schrieb ihr viele Briefe, die sie er­reicht haben müssen, ich habe nie mehr von ihr gehört. Nur durch andere. Drei Monate später ivar sie verheiratet. So bin ich allein geblieben. An einem Tier scheiterte meine Ehe. Da ich an Schicksal glaube, habe ich nichts zu bereuen. Ich habe Angelika nie verschmerzt, aber ich habe auch den Affen nie vergessen. Er starb ein Jahr später. In meinen Armen... Run wäre er der Liebe nicht mehr im Wege gewesen, aber eS kam keine zweite Siebe mehr.