Gauateg, 20. O0Mkt flfi. Nr. 220. Otto Glöckel einem Kandidaten der FrantiZek Navratil-Liste zum Mandate. Unumwunden erklären wir, daß uns jeder tschechische Sozialdemokrat hundertmal lieber ist als ein Mitglied der Fememörderpartei, oder ein Diener des Weihvauchkessels oder des Geldsacks. mia" behauptet, daß Dr. Czech mit den Klerikalen an einem Strick zieht, so ist das eine Lüge, oder ob Parteien, die einander sonst zu bekämpfen vorgeben, zu einer unappetitlichen Mandatsversicherungsgesellschaft sich vereinigen. Deutsche Sozialdemokraten verhelfen nicht schäft, unter welchem Namen sich die—... Partei verbirgt. Diese Partei hat den Wählern so wenig zu sagen, daß einer ihrer Redner in ihrer Prager Versammlung uNieren Wahlaufruf zu Hilfe nehmen mußte, welchen er ausdrücklich als richtig bezeichnen mußte. In ihrer Verlegenheit nehmen sie Zuflucht zu erfundenen Behauptungen über unsere Prager Organisation. Unter lebhaftem Beifall der ganzen Versammlung spricht der Redner über das mit den tschechischen Genossen und der kommu nistischen Opposition getroffene Koppelungs- Prag . Eine sdiöne Wahlversammlung der Prager Organisation. Mit einer überaus zahlreich besuchten Ver sammlung leitete Freitag die Prager Organi sation den Wahlkampf ein. Lange vor Be-| ginn der Versammlung begann sich der große j Saal der„Urani a" zu füllen. Pünktlich zur festgesetzten Zeit traten die O r d n e r an, um den ungestörten Gang der Versammlung zu sichern. Als die Fahnengruppe der sozialisti schen Jugend in den Saal emzog, war kein Plätzchen mehr frei. Jeder verfügbare Raum war besetzt, so daß auch die G a l e r i e geöffnet werden mußte. Nachdem die sozialistische Jugend das Scharlied,„Was will das Proletariat" ge sungen hatte, eröffnete der Bezirksvertrauens mann Gen. Schönfelder die Versammlung. Nach der Wahl des Präsidiums erteilte er dem ersten Redner des Abends, Genoffe Dr. Schwelb daS Wort. In einer Zeit, führte der Redner«. a. aus, in welcher der Kapitalismus den Bankrott seines Systems nicht mehr verschleiern kann, hat eS die Sozialdemokratie nicht nötig, von ihrem alten Standpunkt abzugeben, daß jede, auch die kleinste Wahl, eine große politische Bedeutung hat. Alle bisherigen allgemeinen Gemeindewahlen haben auch die Richtigkeit dieser Anschauung bestätigt. Es wird auch diesmal sich darum handeln, ob das bürgerliche oder das sozialistische Lager siegreich aus den Wahlen hervorgeht. Das Bürgertum wird also versuchen, teils selbst mit Hilfe der fascistischen und kom- munfftischen Listen den Sozialdemokraten Stim men abzunehmen. Das Ergebnis der Parlaments wahlen hat bewiesen, daß nur, wenn auch eine Verschiebung inerhalb der sozialistischen Parteien zugunsten der Sozialdemokraten erfolgt, eine auch nach außen hin wirksame Verschiebung des Krcffteverhältniffes Wischen den beiden großen Klaflenlagern, dem Bürgertum und der Arbeiter schaft, herbeiführen kann. Jeder Erfolg der Kommunisten oder Völkischen hat nur die Mehr heit der Parteien, die den Bürgerblock gebildet hatten, verstärkt . In Prag tritt den Sozialdemokraten aber auch eine besondere Spezies entgegen, die es an-! derswo nicht mehr gibt. Die Natur scheint■< manchmal eine Vorliebe für Antiquitäten' und Kuriositäten zu haben und konserviert! bei uns einen Ueberrest aus dem vorigen Jahr-- hundert, die Arbeit-- und Wirtschaftsgemem-! elchem Namen sich die alte liberale' mit den Parteien des Bürgertums können wir Kampfgefährten nur im Lager der Arbeiter suchen. Donnerstag wurde uns milgeteilt, daß die beiden deutschen bürgerlichen Listen in Prag unbedingt koppeln werden. Es ist eine ungeheuerliche Zumutung für uns, daß wir mit der Fememörder-Partei zusammengehen sollen, die mit dem Blute sozialistischer und republika- nffcher Arbeiter besteckt ist. Es ist vielmehr unsere Pflicht, alles zu tun, daß dem Deutschtum Prags die Schmach eines Hakenkreuzmandates erspart wird.(Starker Beifall.) Bon lebhaftem Bestall empfangen, beginnt Genoffe Nationalrat Stto Glöckel fein Referat über die heutigen Aufgaben der SeHialdemokratie. Jede Wahl gibt uns die Möglichkeit, unserem Ziel, die Herrschaft des Willens einzelner Personen durch den Willen der Gesamtheit zu ersetzen, näher zu kommen. Wir wollen die Möglichkeit auSnützen, die Macht und den Einfluß der sozialistischen Bewegung zu verstärken. Das Schicksal des Einzelnen ist unlösbar verknüpft mit dem Geschick der«Gsamcheit. Die Demokratie gibt nicht nur Rechte, sondern sie verlangt auch Pflichten und Verantwortung. Unter demokratischem Wahlrecht wird daS Volk genau so regiert, wie es gewählt hat. Ein jeder hat sich heute di« Frage vorzulegen: Gehöre ich in die Reihen deS Proletariats oder in die Reihen der Bourgeoisie? Bei der Mehrheit der Proletarier, welche sich instinktiv zur SoziaDemokrtie hingezogen fühlen, ist dies ein natürlicher Vorgang. Komplizierter wird es bei den Intellektuellen. Auch diese entscheiden zwar in der Regel gefühlsmäßig, aber sie entscheiden meist in falscher Richtung, sie werden Opfer von Vorurteilen und Oberflächlichkeit. Die LebenSlüg«, welcher sie erliegen, ist die Vorstellung deS Einzelnen, daß er«S zu etwas gebracht hat, eine gesicherte Position hat und sozial herabsteigen würde, wenn er sich dem Proletariat anschließenwürde. Manche erliegen der Vorstellung, daß der Gebildete der bessere Mensch sei, sie wissen nicht, daß B i l d un g erhöht« Verpflichtungen dem Kellek- tivum gegenüber bedeutet. Die dritte Gruppe zählt jene Leut«, di« glauben, über„Politik" erhaben zu sagen, die Politik, wie sie sagen, zu durchschauen. Sie übersehen, daß alles, waS um uns vorgeht, durch die„Politik" beeinflußt wird und daß niemand sich ihr entziehen kann. Wenn dann der Intellektuell« erkannt hat, daß eü sein« Pflicht ist, nicht oberflächlich zu urteilen, sondern zu überlegen und sich zu entscheiden, wohin er gehört, dann fängt für ihn, die Schwierigkeit an, sich in der bunten Muster- kart« der politischen Parteien zurechtzufinden. Auch das ist nicht zu schwer: Zwei Gruppen bilden sich schließlich immer heraus, die Verteidiger und Nutznießer des heutigen. Systems, dessen Entwicklung in der nächsten Zeit I schwer vorauszusagen ist(denn selbst ein bürger-■ f sicher Nationalökonom, wie S o m b a r t sagt, daß der Kapitalismus in die Wechseljahre eingetreten ist, unfruchtbar wird) und ihnen gegenüberstehen, ddie sozialistische Bewegung. Zwei Pfeiler stützen daS heutige System. Erstens der KlerikaliSmuS, aufgebaut auf den: Mißbrauch des religiösen Gefühlt, welcher den Menschen auf daS Jenseits vertröstet und ihm Bedürfnislosigkeit im Diesseits predigt. Ihm ist so lange ttidu zu trauen, solange er nicht selbst mit gutem Beispiel vorangeht, sondern lieber Kämpfe umeinluxuriösesBischoss- palais aufsührt. Der zweite Pfeiler ist der Nationalismus, auAebaut auf dem Miß- brauch der natürlichen Liebe zu seinem Volk. Der Nationalismus übertreibt diese Regung, er erzieht zur Ueberschatzung des eigenen und Geringschätzung anderer Völker, er trekbt damit immer dem Kriege entgegen. Heute muß man schon erkennen, daß.nach redem Krieg eine internationale Nieder!age kommt, daß es keilt Siegervolk gibt, wenn es sich wirklich um di« Völker selbst handelt und nicht um die, die Geschäfte mit dem Krieg und dem Nationalismus machen. Die heutige Krise ist das Ergebnis der Tatsache, daß im kapitalistischen System nicht das Bedürfnis entscheidet, sondern das Einzelinter- effe, ob die Arbeit den genügenden Profit abwirft. Die Arbeitslosigkeit ist die SchichsalS- frage der heutigen Gesellschaft. Denn wenn auch in erster Reihe die Arbeiterbetroffen werden, nach ihnen folgen dann die anderen Schichten, die Gewerbetreibenden, die geistigen Arbeiter, all« Kategorien der Angestellten, denen Löhne, Gehälter und schließlich sogar Pensionen gekürzt werden. Die Interessen des Kapitalismus werden durch die bürgerlichen Parteien vertreten. Die Grenzen werden absichtlich verwischt, und es ist die Aufgabe der Sozialdemokratie, hier den Kampf§u organisieren, die Welt deS Kapitals zu zerstören und eine neue, schönere Welt auszubauen. Unter gespannter Aufmerksmnkeit der Zuhörer schildert Genoffe Glöckel dann die Entwicklung der Geschehnisse in Oesterreich von der Entstehung der Heimwehrbewegung noch dem 15. Juli bis zum letzten Putschversuch der Hahnmschwänzler. Die österreichischen Arbeiter »verdau die Republik, die sie geschaffen hoben, zu verteidigen wissen.» Die Sozialdemokratie, schließt Glöckel, stt der Exponent einer gewaltige», unaufhaltsamen Bewegung. Nach der Erkampfung der Gleichheit politischer Rechte wird sie das gleiche Recht auf Bildung und das Recht auf den vollen Ertrag der Arbeit erkämpfen müssen. Die Idee des Sozialismus wird jumg und alt ergreifen, denn sie bedeutet den Fortschritt. Wenn wir die Geschichte der Bewegung übersehen, die so reich ist an Märtyrern wie keine andere, wenn wir wiffen, waS der Sozialismus ist und welche Ideale in ihm schlummern, so dürfen wir stolz darauf sein, daß wir Sozialisten sind. Glöckel- Rede einigemal von stürmischen Zu- stimnrungskundgebungen unterbrochen, wurde mit langandauerndem Beifall aufgenommen. Da von den anwesenden Gegnern sich niemand zur Debatte meldete, wurde die Versammlung nach einem kurzen Schlußwort des Vorsitzenden nach dreistündiger Dauer beendet. gerlichen Preffe? Leise Vorwürfe, die erst lau ter werden, als es schien, daß es ein schlechtes Geschäft war, welches da gemacht wurde. Na tionale Interessen? Ach was, die Dividende wird ja steigen, mit den Aktionären darf man es sich nicht verderben. Wird der F. B.-Redakteur der„Bohemia" den Geirevaldirektor etwa der Rothau-Neudeker Eisenwerke in seinem Blatt behandeln wie er, der Beauftragte dieser armseligen Splitter partei, die Anmaßung hat, der größten deut schen Partei gegenüberzutreten? Der Herr Redakteur wird es nicht tun! Wir haben mit den tschechi schen Sozialdemokraten in Prag gekoppelt. In Orten, wo die Situation eine andere ist, wie z. B. in Dux, wo es um die deutsche Mehrheit in der Gemeinde geht, haben wir allerdings das Wahlabkommen mit den deutschen Parteien treffen müssen— wahrhaftig nicht leichten Herzens . In Prag müssen wir mit der Möglichkeit rechnen, daß mit unseren Stimmen ein tschechischer Sozial demokrat mehr in die Gemeindevertretung kommt. So wie in Prag koppeln die beiden sc^ialdemokratischen Listen auch in vielen anderen Orten. Was sagt dazu der Bevollmäch tigte der AWG im„Prager Tagblatt"? Wir zitieren wörtlich: ES liegt uns fern, dies« Koppelung in einer deutschen Provinzstadt gutzuheißen, doch müssen wir zugeben, daß der Verlust in einer deutschen Stadt nur minimal sein kann, da dort die deutsche« Sozialdemokraten ein oder mehrere Man date erzielen, so daß nur mehr oder weniger bedeutend« Stimmreste in Betracht kommen. Hiebei kann, wenn der deutsche Stimmrest größer ist als der tschechische, sogar der Fall eintreren, daß mit Hllf« von tschechischen Stimmen«in weiteres deut sches Mandat erzielt wird. Man steht also, daß vom wahltechnischen Standpunkt aus eine der artige Koppelung in einer deutschen Prodinzstadt keine ungünstigen Folgen für dar Deutschtum bringen muß. Der Vorschlag, der damit gemacht wird, nämlich nur dort zu koppeln, wo ein Erfelg für die Deuffchen zu erwarten ist, ist ebenso 1 praktisch undurchführbar wie unehrlich. Solche Roßtäuschermethoden können nur zwi-' scheu bürgerlichen Parteien usuell sein i (siehe Deutschdemokraten im Jahre 1925). Ob. die deuffche oder die tschechische Partei im 1 Reichsdurchschnitt um ein paar Mandate bes- l ser abschneidet, ist reine Zufallssache. Immer wird es besser sein, wenn der fatalistische Ein-< fluß in der Gemeinde gestärkt wurde, als wenn irgend ein Klerikaler oder Hakenkreuzler das Mandat bekommt. Ganz besonders aber in Prag. Seit Jahren predigen die liberalen Blätter Verständigung der beiden Nationen, Zusammengehen der Gruppen, die gleiche wirtschaftliche und soziale Interessen haben. Im ersten Augen blick aber, wo sie zu beweisen hätten, daß cs ihnen ernst ist nut der Verständigung, ver sagen sie und getrieben von der Hoffnung, durch nationale Hetze der Sozialdemokratie zu schaden, tragen sie dazu bei, die nationale An näherung zu erschweren. Es ist ein Unterschied, ob zwei Parteien verschiedener Weltanschau ung und politischer Richtung zusammen in der„ t, Regierung sitzen— wenn F. B. in der„Bohe-'a b ko m m e n. Bei unserer Auseinandersetzung 5 Der Traumlenker Roman von Harmynia Zur Mühlen« Und wie wir so marschiert sind und unsere Schritte laut gepocht haben, da ists mir plötzlich eingefallen: Zweihundert Mann gegen einen einzigen Menschen. Und von da ab hat mir das Ganze keine Freude mehr gemacht. Ich hab mir den Hack vorstellen müssen, wie er lauft und läuft und sich hier versteckt und sich dort versteckt, und überall sind Feinde, jeder Mensch ist sein Feind. Und auch die Tiere sind seine Feinde, me Kühe können ihn durch ihr Brüllen, die Hunde durch ihr Bellen verraten. Sehen Sie, Herr Doktor, ich liebe die Tiere, wenn einer ein Tier quält, könnt ich ihn erschlagen. Verstehen Sie das, Herr Doktor?" ^,Ja, ja", erwiderte Peter etwas ungeduldig. „Erzählen Sie weiter." „Und bann ist mir eingefallen,— daß der Hack aus Not gemordet hat. Er ist früher ein braver Mensch gewesen. Vielleicht, wenn er Arbeit gefunden hätte, wäre er nie ein Mörder geworden. Und jetzt kämpft er um sein Leben. Kämpft e i n Mensch gegen zweihundert. Wie gesagt, Herr Doktor, das Ganze hat mir keine Freude mehr gemacht, und ich hab sonst doch immer den Dienst geliebt, hab immer meine Pflicht getan..'. Wir haben den Wald umzingelt, haben den Hack erwischt... Und wie ich fein Gesicht gesehen hab, da ist mir so schlecht geworden, daß ich hinter einen Baum treten und mich erbrechen mußte. So viel Angst, Herr Doktor, und so viel Verzweiflung! Wie gesagt, ich hab fünf Einbrecher festgenommen, Herr Doktor, und einen Mörder, und hab mir dabei nie was gedacht und jetzt träum ich jede Nacht vom Hack tmd seh sein Gesicht. DaS ist nicht auszuhalten. Können Sie mir helfen, Herr Doktor?" Franz Kies wischte sich den Schweiß von der l Stirn; seine großen Hände zitterten, sei« Vollmondgesicht war grau geworden. „Legen Sie sich aufs Sofa", sagte Peter tonlos, zutiefft erschüttert.„Schlafen Sie, schlafen | Sie." Trotzdem das Zimmer warm war, fror Peter. Er blickte auf den dicken schlafenden Mann hinab nnd empfand großes Mitleid mit ihm. Wie hatte er gesagt:„Unb da unterwegs»st mir das Unglück passiert, ich hab zu denken angefangen. „Armer dicker Mann, du hast fünf Ernbreckcr festgenommen und einen Mörder und hast dir dabei nichts gedacht. Und dann ist dir das Unglück passiert... ES gibt eben Berufe, bei denen der Mensch nicht denken darf: Polizisten, Soldaten, Börsianer, Großindustrielle, Politiker... Peter legte die schmalen lärmen Finger um die fleischigen Handgelenke des Polizisten. Wenn der Mann nur nicht gesagt hätte:„So viel Angst, Herr Doktor, und so viel Verzweiflung." Nun drängte sich diese- grauenhafte Gesicht deS gefangenen Raubmörders in den Trosttraum, den Peters Wille und Gehirn formten. Die Stehuhr tickte pochend in der Stille wie ein trauriges Herz. Die elektrische Lampe warf einen fahlen unwirklichen Schein auf den Schlafenden. Zitternde Schatten huschten über die Wände. Durch das geschlossene Fenster tönte das Tute« eines Autos, wie ein verzweifelter Klageschrei. Das Vollmondgesicht entspannte sich nicht, der dicke Mann sah noch immer aus wie ein Baby, das gleich zu weine» anfangen wird. Beter fühlte, wie ihm kalter Schweiß über die Stirn floß. Wie lange rang er schon mit dem grauenhaften Gesicht, das nicht weichen wollte? Stunden, Tage, Jahre? Es wurde immer größer und größer, füllte das Zimmer aus, die Straße, die ganze Stadt. War nicht mehr das Gesicht eines Menschen, war das verschmolzene Gesicht aller Menschen, der ganzen Menschheit... Peter ließ die Handgelenke deS Polizisten loS und trat taumelnd zu einem Schram in der Ecke. Er öffnete ihn, nahm eine Kognakflasche heraus, füllte ein Glas und goß es hmunter. Ein" Seufzer ließ ihn den Kopf der Chaiselongue zuwenden.. „Es hat nichts genützt, Herr Doktor", stöhnte der dicke Mann kläglich. ,Lch hab ihn wieder gesehen." „DaS geht nicht so rasch, Herr Kies", beschwichtigte ihn Peter.„Kommen Sie morgen wieder." Er trat abermals an den Schrank und nahm eine Veronaltablette heraus. „Nehmen Sie die Tablette vor dem Schlafengehen. Vielleicht nützt es." „Danke, Herr Doktor, waS bin ich schuldig?" „Nichts." Der dicke Mann ging mit einer ungelenken Verbeugung. In dreser Nacht schlief er traumlos. Er hatte seinen Alpdruck auf. Peter abgewälzt, der di« ganze Nacht hindurch zitternd in ein grauenhaftes Gesicht starrte, verzerrt von Angst und Verzweiflung: Das Antlitz oer Welt. DritteSKapitel. Der Dittator. Sonntag Vormittag machte Peter Brenn Kasse. Er konnte mit dem Ergebnis der Woche zufrieden fein; hatte durchschnittlich dreißig Mark pro Tag verdient. Wenn daS so weiterging, konnte er von seinem tollen Plan ausgezeichnet leben. Er hatte bereits drei Patienten, die ein „Traumabonnement" für einen Monat genommen hatten, den Traum zu zehn Mark. Peter staunte über die Leichtigkeit, mit der er im Verlauf einer halben Stunde herauS- brachte, welche Träume für jeden Patienten die richtigen waren. Wie durchsichtig waren doch diese Menschen, wie primitiv, wie— barbarisch! Wie unkompliziert waren ihre Wünsche! Erfolg, Geld, Geld, Erfolg, höher verstieg ihr Sehnen sich in den seltensten Fällen. Ein einziger der neuen Patienten hatte cNvas anderes gewollt. Peter hatte gestaunt, als er den Mann daS Sprechzimmer betreten sah. Er kannte sein Bild auS illustrierten Zeitungen; das ganze Land kannte da» böse scharfe Habichtgestcht Edmund BrohmerS, de» allmächtigen Generaldirektors deS StahltrustS. ES wurde erzählt, daß dieser millionenreiche Mann sich keinen Augenblick Ruhe gönn«, daß er den ganzen Tag und die halbe Nacht schufte, wie ein Lasttier, daß er nicht trinke, nicht rauche, sich keine Frauen halte, nie in einem Unterhaltungslokal anzutreffen sei. Peter erschrak ein wenig, als der magere, bereits ergraute Mann ihm gegenüber im Lehnstuhl Platz nahm. Was konnte dieser Mann vom Traum verlangen, daS ihm das Leben nicht 'schon gewährt hatte? Er begann ihn vorsichtig auSzufragen. Vergeblich. Die Habichtaugen unter den buschigen Brauen stierten ihn mißtrauisch an, die Antworten deS Trustdirektors gaben Peter keinen einzigen Anhaltspunkt. Da kam ihm nach einer qualvollen Viertelstunde der Zufall zu Hilfe. PeterS Kanarienvogel begann im Nebenzimmer zu singen. W>mund Brohmer stockt« mitten in einem Satz und lächelt«. Die Jahre der Habgier und der Unbarmherzigkeit fielen von ihm ab, wie ein Kleid; vor Peter saß ein kleiner Junge, der sich freut, harmlos, kindlich freut. „Sehen Sie", sagte der allmächtige Generaldirektor des StahltrustS.„DaS ist das richtige." Und als Peter ihn verständnislos anblickte, fuhr Edmund Brohmer fort: „Sehen Sie..." Merkwürdig, dachte Peter, jetzt da er ganz natürlich ist, redet er wie Franz KieS, der Polizist. (Fortsetzung folgt.)
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11 (20.9.1931) 220
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