Seife 2 Sonntag, 8. Dezember 1981. Ar. 284. len bei steigender Krise und Finanznol den Beamten eine Weihnachtszulage herausholten, hat nicht eine bürgerliche Zeitung dies als Erfolg quittiert, sondern von Trop- pau bis Eger herrschte ein einziger Chorus der Raunzerei, daß die Sozialdemokraten nicht mehr erreicht hätten. Bei den Ge- meindewahlen empfahl die gesamte Bürger- presse den Beamten, ja nicht sozialdemokratisch zu wählen, da man ihnen die Gehälter kürzen werde; daß die Bürgerlichen für die Verkürzung seien, wurde verschwiegen; die Wahlen brachten der Sozialdemokratie keinen Zuwachs, ihre politische Kraft reichte nicht aus, den Beamten die Zulagen zu retten. Wer ist schuld? Man lese die Bürgerpresse aller Sorten: die Sozialdemokraten! Erlauben wir uns gar, diese Demagogie aufzudecken, so wird uns von einem fingerfertigen Giftmischer- der Meinungsmache vorgeworfen, wir hätten die bürgerlichen Parteien, die sich„der Staatsbeamten annahmen"(Wo? Wann? Wie?) „aufs gröblichste beschimpft"! Die Gleichstellung der Altprn- franksten, von den Bürgerlichen unter Rechts- und Wortbruch verweigert, haben wir bei beginnender Krise unter den größten Schwierigkeiten durchgesetzt. Wer redet noch davon, wer hat je davon geredet? Die bürgerlichen Zeitungen wußten auch damals nur, daß wir nicht alles und nicht allen sofort daS Geforderte gebracht hätten, obwohl ihnen so gut wie uns bekannt war, welche Schwierigkeiten die Bürgerlichen bereiteten und wie raffiniert die Steuer- und Budgetpolitik des Bürgerblocks alle Wege zu neuen Ausgaben verrammelt hatte. Schlagen wir neue Steuern für die Besitzenden vor, so geht a tempo ein Wutgeheul los, als ob die Welt noch nie ein größeres Unrecht gesehen hätte, und keiner der Herren Meinungsfälscher wird zugeben, daß er nur die oberen Zehntausend schützt. Schettert unser Vorhaben an diesem Widerstand und müssen wir einer Belastung breiterer Schichten zusttmmen, so schaltet man die Maschine um und macht erst recht die Sozialdemokraten für die Massenbelastung verantwortlich. Daß unsere Mitwirkung an der Regierung sich an jedem Gesetz nachweisen läßt, daß wir in jedem Falle die sozial Schwachen geschützt, die Besitzenden stärker belastet haben, diese vielen kleinen Erfolge unserer Politik hat die Bürgerpresie so wenig anerkannt wie eine unserer größeren Errungenschaften(etwa die Gemeindefivanznovelle). Die Tätigkeit des Fürsorgemini st er s, der in zwei Jahren einen wahren Rekord an legislatorischer und administrativer Arbeit aufgestellt hat, dessen vorbildliches und einwandfreies Wirken die führende Zeitschrift 'der tschechischen Intelligenz vor kurzem gerühmt hat, erntet in der deutschen Bürgerpresse, von einem halben Dutzend Ausnahmen abgesehen, nichts als Hohn, Mißtrauen, gehässige Angriffe und Verdächtigungen, wäh- reno man den bürgerlichen Ministern ein Uebermaß an Vertrauen und Geduld entgegengebracht, sie nie nach ihren Leistungen gefragt hat. Nun, das alleSist— wird man einwenden— imGrundeselbstverständ- l i ch, entspricht dem Gesetz des Klassenkampfes. Allerdings! Aber ebenso selbstver- stündlich sollte es sein, daß kein Arbeiter diese Bürgerpresse kauft oder fördett, daß jeder Sozialdemokrat sie bekämpft, daß jeder Proletarier ein Soldat im Dienste seiner Partei ist! Das Borbild des Dritten Reichs. Wie der italienische Fascismus die Preßfreiheit knebelt Uebcrall, wo die Nationalsozialisten Macht und Einfluß erringen, dort eröffnen sie einen Feldzug gegen die fundamentalen Rechte des Volkes, dort stellen sie ihre politischen Gegner außerhalb der Gesetze. Ueberall, wo Nationalsozialisten regieren, dort wird keine republikanische Versammlung unter freiem Himmel geduldet, dort wird die Aufführung fortschrittlicher Filme und Theaterstücke untersagt, dort wird ein wichtiger Faktor des politischen Lebens, die Presse, eingeengt und schikaniert.'In Thüringen wurden von Frick, in Braunschweig werden von KlaggeS auf Grund des Republikschutzgesetzes unter irgendeinem nichtigen Vorwand sozialdemokratische Zeitungen verboten. Erst kürzlich ereilte den Braunschweiger„Bolksfreund" das Schicksal, auf acht Wochen eingestellt zu werden und nur durch daS Eingreffen des Reichsinnenministers wurde die Berbotsfrist abgekürzt. Schon heute, da die letzte„Zitadelle der Demokratie und der Republik ", wie eS im Aufruf der preußischen Re- (sierung gegen den Volksentscheid hieß, noch be- teht, Witt» von den Ländern auS die Weimarer Verfassung systematisch ausgehöhlt. Es zeigt sich, wie recht der bereits eingegangene Berliner „Nationale Sozialist" hatte, als sr schrieb, daß der Nationalsozialismus die Antithese der Men-, schenrechte ist. Auch für den italienischen FasciS- mus bedeuteten die Menschenrechte ein Vorurteil, daS er allerdings gründlich überwunden hat. Mussolini hat jetzt seinen Schatten über Deutsch land geworfen. Die Nationalsozialisten ahmen den Fascismus bewußt nach, wenn auch nur mit dem zweifelhaften Erfolg, von Finzi, Mussolinis Unterstaatssekretär, als„Aeffchen Mussolinis" bezeichnet zu werden. Kein anderer als Hitler hat in seiner Diskussion mit Otto Strasser erklärt:„Wir haben ja ein Vorbild, das wir ohne weiteres annehmen können, den Fascismus." Frick, eine für nationalsozialistische Taktik zweifellos kompetente Persönlichkeit, sagte erst diesen Monat in einer Versammlung in Frankftrt a. d. Oder:„Der volksfeindliche Marxismus muß mit Stumpf und Stiel auSgerottet werden, so wie dies in Italien durch Mussolini geschehen ist." So wie in Italien ! Mit Rizinusöl, Mord, Brandstiftung und Deportation wollen also die„Erneuerer" Deutschlands Herr über ihre Gegner werden. Deutschland soll vor den Augen der gesitteten Welt ebenso auS der Reihe der Kulturstaaten auSgeschaltet werden wie Italien . WaS uns hier interessiert ist die Tatsache, daß der Sieg des Nationalsozialismus daS Ende der geistigen Freiheit bedeuten würde, durch Zensur, Verbot und Konfiskationen würde nicht nur die Freiheit der marxistischen Presse aufgehoben werden. Es kann uns nicht beirren, daß sich die Nationalsozialisten heute in der grotesken Rolle der Verteidiger einer bedrohten Demokratie gefallen. Auch darin hatten sie im FasciSmuS einen Vorgänger. Am 28. November 1919 schrieb Mussolini im„Popolo d'Jtalia", einer Zeitung, die sich noch bis August 1918„sozialistisches Organ" genannt hatte: ,^kst immer noch nicht die Stunde gekommen, die schandbare Zensur abzuschaffen?" Und noch am 29. Jänner 1929 gebot er:„Fort mit der Zensur, sie ist ein Schimpf und eine Schande der Freiheit!" Aber im vor- fascistischen Italien gab eS— abgesehen von der KriegSzensur— eine Pressefreiheit, die eS Musso lini durchaus gestattete, seinen an Anarchismus grenzenden radikalen Anschauungen freien Lauf zu lassen, eine Pressefreiheit, die es ihm unbenommen ließ, als Leitattikelüberschrift„DaS Schwein Nitti" zu wählen. So sehr sich Mussolini selbst journalistisch austobte, als er zur Macht gelangt war, hat er die Presse seiner Gegner voll- ständlg vernichtet und zertreten. Nicht von den fascisnschen Raubzügen auf antifascistische Blätter soll hier die Rede sein, Peter N e n n i hat in seinem berühmt gewordenen Buch„TodeSkamps der Freiheit" in geradezu dramatischer Darstellung die wiederholten Ueberfälle auf den „Avanti" geschildert, so daß wir uns daS hier ersparen können, wir wollen unS mehr mit den offiziellen Maßnahmen der fascistischen Regierung beschäftigen. Unter der fascistischen Aera wurde einer Zeitung nach der anderen daS Lebenslicht auSgebla- fen, diesem Wüten fiel natürlich zuerst die sozialistische und demokratische OpposttionSpresf« in ihrer Gesamtheit zum Opfer. Dann drangsalierte man die Presse der nationalen Minderheiten. Die slowenische Zeitung„Edinost", deren Herausgeber W i l f a n der Präsident deS Minderheitenkongresses ist, wurde verholen. Die deutsche Presse Südtirols wprde erst vorübergehend, bald aber für immer eingestellt. Als Ersatz dafür erhalten die Südtiroler eine fascistische Zeitung in deutscher Sprache serviert,„Die Alpenzei- t u n g", die aber bald durch eine italienische Zeitung abgelöst werden soll. Jede auch noch so gemäßigte Zeitung, di« den fascistischen Kurnicht restlos billigte, wurde schließlich beseitigt, die letzten nichtfascistffchen Organe, die Zeitungen der katholffchen Aktion, wurden mit dem Konkordat Mussolini-Gasparri erledigt, da der heilige Stuhl Wohl oder übel erklären mußte, daß er an einer päpstlichen Presse im italienischen Ausland nicht interessiert sei, da ja sein Hauptorgan„Osservatore Romano " in der souveränen Batikanstadt erscheint. Nach dem „Handbuch der Weltpresse" gibt eS in Italien , nur noch eine Zeitung, die zwar die amtlichen Meldungen und Bekanntmachungen veröffentlicht, sonst aber ihre Spalten nicht mit Lobeshymnen auf den Fascismus füllt. Diese einzige Zeitung, die von Zeit zu Zeit die Kühnheit besitzt, außenpolitische Artckel zu bringen, die wenn auch nur wenig, von der Generallinie des FasciSmuS abweicht, fft ,$1 Lavoro" in Genua . Ihre Redakteure find ehemalig« Sozialisten und Republikaner. Als eS keine Oppositionsblätter mehr zu verbieten gab, rückte man auch der fascistischen Presse an den Leib. ES begann daS Massensterben der fascistischen Provinzzeitungen. Der oberste Rat deS FasciSmuS verfügte, daß in jeder Provinz nur eine Zeitung erscheinen dürfe, nur bei Städten über 190.000 Einwohner sollte eine AuS- nahm« gemacht werden. Damit wurde 160 Tageszeitungen und 50 Wochenblättern das weitere Erscheinen unmöglich' gemacht. Gewiß, diese Maßnahme des RateS war vom Wunsche diktiert, die Parteikassa zu entlasten, aber mitunter sind auch politische Gründ« dafür maßgebend, wenn plötzlich eine fascistische Zeitung vom Erdboden verschwindet. Daß es auch im Rahmen der fascistischen Doktrin keine Diskussion geben darf, das mußte sich das Organ der sasci - stischen Studenten„Rivolta Ideale" ebenso sagen lassen, wie der ultrafascistische„Jmpero". Die auf diese Art erwirkte Beseitigung der Pressefreiheit konnte nur dapr führen, den Inhalt der Zeitungen vollständig eintönig zu machen und das Leserpublikum abzuschrecken. Es gibt keine Abwechslung mehr, seit eine Zeitung der anderen gleich ist, seitdem di« besten italienischen Blätter zum Teil überhaupt nicht mehr erscheinen, wie„Tr i b u n a",„S e c o l o" und „Ambrosiano" oder aber eine vollständige redaktionelle Umgestaltung durchmachten, wie der Mailänder„Corriere de la Sera". Zur Eintönigkeit der Tendenz aller Presseerzeugnisse Italiens kommt noch die Nichtigkeit ihres Inhalts hinzu. Der innerpolitische Teil der Zeitung auf den der Italiener früher den größten Wen legte, ist heute auf ein Minimum zusammengeschrumpft, da eS ja kein demokratisches Parteileben und keinen Parlamentsbericht mehr gibt. Bon außenpolitischen Ereignissen darf nur va» den Lesern übermittelt werden, WaS die offiziöse „Agenzia Stefan!" meldet. So mußte sich alft die bedauernswerte Publizistik Italiens auf die unpolitischen Vorgänge des Alltags, auf die Lokalchronik beschrmcken. Aber auch diefes Gebiet wurde, so unglaublich eS ist, beschnitten, so braucht man um ein Eisenbahnunglück zu melden, erst di« Erlaubnis der Behörde. Der Präfett hat jederzeit das Recht, einer Zeitung seiner Provinz die Berichterstattung über irgendeinen Vorfall zu untersagen. Mussolini hat m einem Brief an seinen Bruder Arnoldo, der ja Chefradekteur des„Popolo d'Jtalia" ist, den Wunsch geäußert," daß in der Lokalchronik die Meldung von Verbrechen, Selbstmorden und Unglücksfällen einzuschränken sei und jene Themen des städtischen Lebens sollten in den Vordergrund gestellt werden, die schöne, gute und nützliche Vorgänge berichten. Kann man sich unter solchen Verhältnissen wundern, daß der Großteil des italienischen Volkes gern darauf verzichtet, Zeitungen zu kau- fen, wenn er auS ihnen nicht erfahren kann, was in der Heimat und in der Welt vorgeht? Daher ist die Auflagenziffer der italienischen Blätter seit der staatlichen Machtergreifung des FasciS- muS rapid gesunken. Bei folgenden drei Zeitungen ist daS klar ersichtlich: Corriere de la Sera Messagers Giornale d Italia 1922 700.000 150.000 500.000 1930 300.000 50.000 100.000 Der Italiener hat keinen anderen Ausweg als zu ausländischen Zeitungen zu greifen, wenn er sich über di« politischen Vorgänge in scinetn Lande wahrheitsgemäß informieren will. Das konnten die fascistischen Regierungsstellen nicht dulden, man verbot auch alle ausländischen Organe, die ei» Solidaritätsgefühl mit einem geknechteten Volk« zeigten. Alle ausländischen sozialistischen Zeitungen sind daher verboten, von den kommunistischen Blättern sind die russischen, als die offiziellen Organe der Sowjetregie» rung, erlaubt. Als Gegenstück dazu diene die Tatsache, daß eS in Moskau Wohl einen Vertreter des nationalistischen ScherlverlagS geben darf, aber keinen Korrespondenten des sozialistischen Pressedienstes. Auch bürgerliche Blätter deS Ausland- werden verboten, namentlich französische, die in Italien am meisten gelesen werden, weil sie infolge der gespannten politischen Verhältnisse zwischen Frankreich und Italien sich nicht so zahm über den FasciSmuS äußern, wie in« 19 Dr. Tolpe’s Rache. Roman von A. Aitschui Das Schuljahr hatte Besitz ergriffen von der Zeit und lastet« auf allen gleich einem fürchterlichen Albdruck. Stunde um Stunde verging, ohne daß irgendeine Entspannung eintrat. Diese brütende Ruhe wurde schon beängstigend, legte sich um die Gemüter wie schwere eiserne Reifen, di« zum Zerspringen angespannt waren und verkündete«men nahenden, schrecklichen Sturm. Die Klasse glich einem gefüllten Pulverfaß, das der lleinste Funken zur furchtbaren Explosion bringen konnte und wehe dann denen, die dabei zu Brei zermalmt würden. Tolpe hatte sich in seiner Höhle zurückgezogen und steigerte durch seine Unsichtbarkeit die Spannung ins Uferlos«. Man sah ihn nicht, ahnte ihn nur, überall und nirgends zugleich. Die verbotene Zigarette schmeckt« nicht mehr während der Pausen und selbst die Frau deS SchukdienerS beklagte sich über einen merklichen Rückgang des Würstelgeschäftes. „Machen Sie sich nur nichts drauS, Frau Traut", tröstete sie Horn,„jedes Unternehmen muß mal eine kleine Krise durchmachen. DaS gehört, wie man so sagt, zum guten Ton." Frau Traut nickte betrübt zu diesen tristen Eröffnungen, nahm ein schmutziges Heft auS der Schublade und begann HornS Konto zu addieren. Horn schnitt ein saures Gesicht. ,Ja, eS find schwere Zeiten", seuftte«r und verschwand eiligst in der Klasse.— ,Hch kann heute nicht prüfen", eröffnete Professor Schwarek die Deutschstunde,„wir sind im Lehrstoff zurück und müssen doch zur Matura damit fertig werden. Ich trage jetzt vor und Sie werden sich für die nächste Stunde aus den ganzen drei letzten Kapiteln vorbereiten.— Also wir sind stehengeblieben bei... Bauer, was haben Si« jetzt zu reden? Das hatten Sie in der Pause fragen müssen. Stellen Sie sich dort rückwärts in die Ecke." Bauer stand auf und stellte sich gehorsam in den Winkel. In den letzten Bänken wurde eL unruhig. War man in einem Kindergarten oder war man im letzten Jahrgang, in der Oktav«? Einige Monate vor der Matura. Wird es dort auch so zugehen? Wie schön wird das doch klingen: „Herr Kandidat, stellen Sie sich strafweise dort rückwärts in die Ecke." Und der Herr Kandidat wird aufstehen und sich wirklich in den Winkel stellen. Vielleicht sogar im Smoking, mit schwarzem Schlips und steffgebügelter Hemdbrust. Nein, wie lustig. Die Unruhe wuchs. Plötzlich stand Horn auf, ging nach rückwärts zu Bauer und blieb neben ihm stehen. Ihm auf den Fuß folgten Geyer, Franzl, Kauder, Böcker»Holzer H. und Karsten. „Seid Ihr nicht bei Trost?" raunte ihnen Weiner zu, der auf der anderen Seite saß und mit seinem langen Gesicht gleichgültig vor sich hingestarrt hatte. Franzl beugte sich zu ihm:„Heute der Bauer, morgen du, übermorgen ein anderer. DaS darf nicht einreißen." Weiner schloß sich ihnen an. Auch Netzker folgte. Schwarek stand" regungslos da. Sein Gesicht verfärbte sich, die Augen traten aus ibren Höhlen, der hager« Hals dehnte sich und wurde dadurch noch dünner. „Was soll diese Völkerwanderung?" krähte er. Seine Stimme überschlug sich, wurde kreischend.„Marsch, zurück auf dl« Plätze, alle mit Ausnahme von Bauer." Niemand rührt« sich. „Na, wird'-?." Schwarek» Wut steigerte sich zur Raserei. Sein« Stirnadern schwollen unheimlich an, er bebte am ganzen Leibe. Geher trat einen kleinen Schritt vor.„Wir stich nicht in der Volksschule, wo man strafweise ins Winker! gestellt wird. Aber wir können die Stunde auch stehend abhalten." Schwarek schwankte zwischen einer Ohnmacht und einem Schlaganfall, entschied sich jedoch für keines von beiden, sondern fauchte nur:„Dawerdet Ihr büßen, Ihr... Ihr geifernden Bestien." Dann setzte er seinen Vortrag über die politische Dichtung der Achtundvierzigerjahre fott.————— Die lähmend« Ruh« dauerte an. Der Zwischenfall in Schwareks Stunde wurde schwebend übergangen, hatte nicht einmal«ine Klassenbucheintragung zur Fotze gehabt. Etwas bereitete sich vor, was, das wußte niemand, daß öS aber fo war, fühlte jeder. Ja, etwas lag in der Luft. Wie eine Gewitterwolke zog eS näher und droht« sich mit fürchterlicher Gewalt zu entladen. Dann wird eS kein Erbarmen geben, alle, die sich widersetzen, sich nicht vor dem Sturm ducken würden, werden einfach geknickt, entwurzelt werden. Freue dich, Tolpe, daS wird dann deine Stunde fein, eine Stunde des herrlichsten Genusses für dich, du Kannibalenhäuptling. Wie wirst du lüstern mit der Zunge schnalzen, bis deine Opfer am Spieß schmoren werden, welch« Wonne wirst du dabei empfinden, bis du ihnen daS Messer an die Kehle setzen wirst, wie wird dein Herz vor Freude springen, wen« du ihnen sagen kannst:„Die Konferenz vom soundsovielten hat Ihren Ausschluß auS der Anstalt beschlossen." Glaube aber ja nicht, du Bluthund, daß daS alles so stillschweigend übergangen werden wird, wie du jetzt alles schweigerü» übergehst, um dann zu einem um so kräftigeren Schlag auSholen zu könne». Wenn wir Schlechtheit gelernt haben, so haben wir sie von Dir gelernt und wenn wir diese Schlechtigkeit anwenden, so warst wieder nur Du es, der uns dies lehrte. Freue Dich, lache nur, wir werde« uns auch freuen, werden auch lachen. Aber zuletzt. Und wer zuletzt lacht ... Du kennst das Sprichwort, nicht wahr? Also hüte Dich, Tolve, treib es nicht auf die Spitze, denn Du wirst e» sein, der eS bereuen wird.'— Franzl schreckte auf. Er hatte mit Erna eine Verabredung und hätte sie in seinen Gedanken über Tolpe beinahe versäumt. Schnell sprang er auf, ergriff Mantel und Hut und eilt« zur Straßenbahn. Der Wagen kam nicht. Niemals kommt der Wagen, wenn man Eil« hat. Die Zetzer rückten vor. Franzl schaute nervös auf dre Uhr. Er.wird zu spät kommen. Erna wird Watten. Er hielt«in vorüberfahrendes Tarr an und versprach dem Chauffeur ein großes Trinkgeld, wenn er rechtzeitig am Ziel wäre. Das Auto raste davon. Franzl wartete. x Eine Viertelstunde war schon verstrichen. Erna kam nicht.. ES begann zu regnen. Franzl stülpte den Kragen hoch. Ist sie vielleicht krank? Ist ihr etwas geschehen? Ein Auto, ein Wagen...: Nein, sie hat wahrscheinlich noch etwas zu tun gehabt und wird sich nur verspätet haben. Eine halbe Stunde schon. Franzl wartete noch immer. Er fror. Der Regen ließ nicht nach. Ein kalter Wind blieS ihm die Tropfen inS Geücht. Endlich kam Erna. Frffch, leicht, unbekümmert wie immer. verzeih", begrüßte sie Franzl,„hast lang gewartet? Weißt, lch war bei der Schneiderin, daS dauert immer so lange. Da kann man eS auf fünf Minuten nicht abzirkeln.— Brrr, ist daS«in Hundewetter. Ich habe schon ganz kalte Füße." Sie verkroch sich in ihren Pelzkragen. (Fortjetzung folgt.)
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11 (6.12.1931) 284
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