Seite 4. Freitag, 25. Dezember 1981. Jtt. 80«. Weihnachten in Liflitß soz.ü istsdisr Gesel s t&hskritik. Eduard Bernstein : ,^amPf-Weihnachten". DaS Bewußtsein der Größe unserer politischen Sendung hat zu allen Zeiten erhebend auf den Elan unserer Kämpfer gewirkt. Mit Stolz haben wir in den Jahren der Jugend der Partei gesungen: „Ein schwerer Kampf ist's, den wir tragen, z Zahllos ist unsrer Feinde Schar." DaS Gefühl wiegt noch heute bei uns allen vor und wird uns mit neuem Kampfgeist erfüllen, wenn wir uns gegenwärtig halten, wieviel Berfolgungeir gewalttätiger Natur die Partei unter den schwierigsten Verhältnissen erlitten und siegreich überstanden hat. Sie ist die größte politische Partei Deutschlands , der Stolz und die Hoffnung der internationalen Sozialdemokratie. - Wohl trifft es noch heute zu, daß„^ihllos unsrer Feinde Schar", und die Kampfesweise der meisten von ihnen gemeiner, verlogener als die schlimmsten der früheren Kampfmethoden., Immer wieder hat es sich jedoch gezeigt, daß die dicksten Lügen die kurzlebigsten sind In diesem Bewußtsein kann der deutsche Sozialdemokrat am Weihnachtstag mit Stolz und Zuversicht iu die Vergangenheit und in die Zukunft schauen. Er feiert das Fest nicht in der Fülle materieller Genüsse, nickt frei von Sorgen, nicht im Taumel der Gedankenlosen. Aber er feiert cs in dem erhebenden Bewußtsein, Mitkämpfer zu sein einer gewaltigen Kulturbewegung, die an Größe ihrer Gedankenweit in unserm Zeitalter ihresgleichen nicht hat, die der Zukunft sicher ist, um so sicherer, je mehr sie sich selbst treu bleibt. Dieser Gedanke, daß Treue an uns selbst die Bürgschaft unseres Sieges ist, sei unsere Parole am Weihnachtstag! So wohnt das befreite Volk in Karpathorußland. Bilder aus Uihorod. Das Elend des östlichsten Teiles unserer Republik ist heute kein- Geheimnis mehr, di« geographische Lage von Karpathorußland ist leider so ungünstig, daß eine enge Annäherung an die historischen Lander nur schwer möglich ist, so daß die Sperrung der Grenzen gegen die illachbarländer Polen und Ungarn dort noch Mel mehr fühlbar wird als bei uns. DaS ganze Land lecket Hunger; im wahrsten Sinn des Wortes urck die Not der Bevölkerung spricht am erschreckendsten aus den elenden Buden, in denen die Menschen dort Hausen; ich kenne kein Land Mitteleuropas , dessen rein äußerer Eindruck boxen Kirche,-heißt bezeichnerckerweise ,^?oloni.e zum SchweinefüIlern"! Dieser Buden, Häuschen oder wie man sie nennen will, gibt es zwei Hauptarten: die eine sieht man im Bild Nr. 1; es ist eine aus etwas größeren Kistenbrettern zusammengeschlagene Bude, in der der Hausbesitzer samt seinem Hausrat nächtigt. Wenn es zu sehr regnet, dann muß ihn einer seiner Genossen aufnehmen, der etwa über eine luxuriöse Villa verfügt, wie wir sie auf Bick Nr. 2 sehen. Dieses Gelaß hat den Vorteil, daß kein Wasier eindringt— wenn nänüich die Dachpappe noch dicht halt— dafür Herr Kubat dekretiert hat, daß das Lagern von Mensch«: beiderlei Geschlechts in Hutten verboten sei! Man sage diesen jungen Eheleuten» daß sie nicht in einem Raum hausen dürften mit ihren kleinen Geschwistern oder Kirchern und man registriere die Antworten für den Historienschreiber der herrschenden Klasse. Das Elend ist das einzige, was der Kapitalis mus in Hülle und Fülle verteilt, seine beamteten Hüter aber- erklären es dann sogleich für verboten, für verpönt! niemand hat aber noch den Einfall gehabt, die Moral dieser Welt praktisch zu betätigen und etwa daS Bestreben zu zeigen, den Volksmund Lügen zu strafen durch werktätige Hilfe, damit diese Kolonie„Zum Sch weine- füttern" verschwind«. ES wurde in Ukhorod gebaut: ein Beamtenviertel, eine Riesenpost, es stehen da ein modernes Gefängnis und Gericht, eS gibt ein gutes Hotel und viele Kirchen, eS gibt Vil- Zigeunerlaaer am Fluß unter und di« letzte, ganz in der Gewerkschaften stand, der Bruder des früheren sozialistischen Abgeordneten Amedeo und andere entweder auf die Inseln oder in irgend ein Elendsdorf in Suditalien verbracht worden sind. Ueberflüffig zu bewuen, daß von diesen Tumulten und diesen Maßnahmen in der italieni « scheu Presse kein Wort erwähnt wird, damit niemand Anlaß nehme, an der allgemeinen Zustimmung zum geliebten Regime Benito Muflo- linis zu zweifeln. Dies um so mehr, als diejenigen, die in Italien mit sehenden Augen und hörenden Ohren leben, nicht mehr daran zweifeln, daß der sehr kleine Napoleon Italiens hinter dem Terror und dem Elend sich anschickt, seirst letzte Karte auszuspielen. In Italien spricht man nur noch vom Kriege. Und diese Gerüchte finden ihre Wurzel nicht bloß in der täglichen Feststellung militärischer Vorbereitungen aller 2trt, sondern auch:n noch bestimmterer Form in den Verbindungen, die zwischen dem italienischen und dem deutschen FascismuS in aller Offenheit angeknüpft werden. Es ist natürlich schwierig, über diese Abmachungen nähere Einzelheiten zu erfahren; aber es ist bereits ein Symptom, wenn man öffentlich von der Notwendigkeit eines Krieges ge- genFrankreich spricht, der nach der M a ch t- ergreifung Hitlers ausbrechen soll. Eine psychologische Kriegsvorbereitung, die nicht weniger gefährlich ist, als die militärische, Und mehr als daS! Bon allen Seiten bemüht man sich die Meinung zu verbreiten, daß der Krieg notwendig sei, um der Wirtschaftsdiktatur Frankreichs ein Ende zu bereiten, die als die hauptsächliche Ursache deS Elends Europas und vor allem des Elends Italiens dargestellt wird. Dies hat nicht nur den Zweck, den FasciSmus von seiner Verantwortung gegenüber dem Lande zu befreien, sondern auch den, die Verelendeten und Verzweifelten ibr letztes Heil in einem neuen Kriege suchen zu lasten. muß aber auch Luft und Licht diese Wohnstatt mecken. Gekocht wird nur in den seltensten Fällen im Häuschen selbst, der„kanonck", di« kleine Gulaschkanone, steht gewöhnlich im Freien, um das„Haus" nicht zu gefährden. Fm Winter muß allerdings mit Klaubholz ein kleines Feuer im Raum erhalten werden, doch soll man sich, wie mir übereinstimmend erklärt wurde, ziemlich rasch an den Rauch gewöhnen. Im Raum selbst lebt natürlich alles über- und durcheinander, ganz Wohlhabende besitzen ein Metallbett, Kinder, Eltern, auch jung Verheiratete teilen die Schlafstatt! Für jeden Richter sollte man vor seiner Anstellung eine Pflichtvisite solcher Kolonien einführen; es ist anzunebmen, daß sich unter dem Eindruck dieses Elends die Begriffe von Gut und Böse etwas zugunsten mancher Angeklagten verschieben- müßten. Da wird immer von Sittlichkeit gesprochen, davon, daß der Mensch höher sei al- das Tier! Wer aber diese typischen Anhäufungen des Elends visitiert, der wird die Verlogenheit dieser Moral und ihre verbrecherische Härte erkennen. Man predige diesen Kindern Moral, deren einziges Kleidungsstück ein Hemd ist(Bick 8), man sage ihnen, daß es sittlich sei, die Blöße zu verhüllen und man beantworte dann ihre'Fragen: wie und womit? Man sage diesen Menschen etwas von der öffentlichen Sittlichkeit, die uns etwa len und kleine Palais: aber wie immer ist all diese Wohnungsfürsorge an die geknüpft, deren Geck Gewinn bringt. Die nackte Existenz gibt noch kein Anrecht auf einen Stall, geschweige denn auf eine Wohnung. Und dem Frencken sagt der Schutzmann nur ungern, wo er das Elend finden kann; man schämt sich denn doch der schreienden Armut des befreiten Koloniallandes. Walter Lustig . Wilhelm Sollman«:„Sozialismus und Christen tum." Fest der Verkündigung. Fest der Verhei ßung, Fest der Erlösung, Fest der Liebe:„Siehe ich verkündige euch große Freude, denn euch ist heute der Heiland geboren..." Wir streiten uns nicht mit den Gläubigen um den Stern von Bethlehem . Wir vergleichen den frommen Text mit dieser Welt wie sie ist, neunzehnhundert Fahre nach Christi Geburt und fragen, wo die Weihnachtsbotschaft Wahr heit und Wirklichkeit geworden ist. Unsere Frage kann mit vielen Worten aus der Theologie be antwortet werden, aber die eine Antwort, aus die alles ankommt, heißt: die Welterlösung durch das Christentum ist ausge blieben. Man kann uns in der Rückschau aus die vielen Jahrhunderte Menschen zeigen, die sich opferten in christlicher Hingabe für die anderen. Nicht aber sollte man behaupten wollen, daß die Sittenlehren und die religiösen Kräfte des Christentums zur bewegenden und zur beherrschenden Kraft im Leben der Menschen geworden wären. Das sagen wir Sozialisten den Christen, soweit sie noch immer Gott dienen wollen und dem Kapitalismus . Die Sozialdemokratie ist weder die Partei einer Kirche noch die einer atheistischen Philosophie. Wie der Sozialdemo krat zur Weihnachtsbotfchast steht, ist, Sache sei nes Herzens und seines Glaubens, Wohl aber haben wir das Recht, auszusprechen, w i e schwach das Wort ist, wo Geld und Ge walt gebieten. Was immer rein ökonomisch zugunsten der kapitalistischen Jahrhunderte gesagt werden mag: von den Höhen reifer menschlicher Sittlichkeit gesehen, sind barbarisch, voll Haß und Neid und Blut. „Vom Himmel hoch" mögen Gesänge und Erleuchtung kommen. Auf dieser Erde kann die heilige Nacht und^ können lichte Tage für alle nur durch die brüderliche sozialistische Verbun denheit neuer Menschen in einem neuen anti- mammonistischen Zeitalter Wirklichkeit werden. Max Barthel:„Der Kampf ums Licht". Prometheus , erzählt die griechische Sage, stieg in den Olymp. Ihn jammerte die Menschheit. Hier oben bei den Göttern war Frieden" und Licht. Da unten bei den Menschen auf der Erde war nichts als Nacht. Und da raubte Prometheus für die Menschen vom Zeus das Feuer. Er wurde dafür an den kaukasischen Felsen geschmiedet. Dann kam der Adler und hackte mit krummem Schnabel im Leibe des Gefesselten und fraß seine Leber, Jeden Tag kam der Adler, hackte und sraß. Jede Nacht heilte die Wunde. Jeden Tag wurde sie wieder aufgeristen. Prometheus schrie und litt. Manch mal lächelte er durch- alle Schmerzen. Er ver fluchte die Götter, er liebte die Menschen. Vou seinem Marterstein sah er das Feuer lodern. Das Feuer loderte, aber'es war noch nicht gebändigt. Die Menschen standen int Licht, aber sie standen bald wieder in der Nacht. DaS Feuer versank im Blutnebel vieler Kriege, eS ging unter in den Tränenmeeren geschlagen^ Ge schlechter. Der Schrei nach Prometheus,^ und daS war der Schrei gegen die Götter, der Schrei nach Frieden und Wohlgefallen, der Schrei nach Prometheus ging durch die Jahr tausende bis in unsere Tage. Der Schrei nach Prometheus war der Schrei nach Bändigung des Feuers, der Schrei nach Gerechtigkeit und Erlösung, Und dieser Schrei gebar neue Götter. Prome theus am kaukasischem Felsen undj^..,»» w- aiy ChripuS am judaischen Kreuz wur-jund erfüllende Wesen der Zeit. Fetzt geht'; zu Ende. Von G. E. Modigliani. Dies ist der historische Ausruf, der vor fünfzig Jahren bei den ersten Bauernunruhen in Italien von Mund zu Mund ging. Er besagte, daß man am Ende seiner Geduld angelangt und die Unzufriedenheit im Wachsen war. Man kann in diesem AuSruf zusammenfasten, was sich heute in Italien unter dem Deckmantel der fascistischen„Ordnung und Disziplin" vollzicht. Wahrend die italienische Preste bestrebt ist, glauben zu machen, daß im Lande nichts von größer Bedeutung Vorfälle und daß sogar Anzeichen einer Besserung der wirtschaftlichen Lage festzustellen siien, erhalten wir sehr zuverlässige Nachrichten, die gerade daS Gegenteil beweisen. In Roneado bei Treviso versuchte eine mehrhundertköpfige Menschenmenge, die Besitzer von Getreidelagern zur Auslieferung von Getreide und Lebensmitteln zu zwingen, weil die kleine Stadt geradezu von einer Hungersnot bedroht ist. Aus Furcht vor noch weiter gehenden Protesten wurden die„Rädelssührcr", die man in Hast gesetzt hatte, wieder freigelassen. In S orre n 1, das den Fremden nur durch seine Schönheit bekannt ist, hat der Hunger An- laß zu Tumulten gegeben. Ebenso in L o r e o und in verschiedenen Ortschaften Apuliens. ES muß daran erinnert werden, daß das Signal zu gewaltsamen Erhebungen gegen unerträglich gewordenes Elend in Italien immer in Apulien gegeben worden ist. Zweifellos sind die Dinge in Italien stärker in Bewegung gekommen. In Norditalien ist eine gewaltige Zunahme der Zahl der Verhaftungen und Verfolgungen zu verzeichnen. So in Mailand, Turin und Como. Nicht zu reden von den Zwangsverschickungen, die von der Turiner Polizei vorgenommen wurden und bei denen der Ingenieur R o m i t a, ein ehemaliger sozialistischer Abgeordneter, der bereits früher drei Jahre lang verbannt war, der Schuster Dalbe r t o, der stet- in der vordersten Reihe der so erschütternd wäre, dessen Wohnstätten eine so deutliche Sprache rckcn würden. Selbst in den notleidenden und heute verelendeten Gebieten von Nordböhmen wird nicht der gleiche niederdrückende Eiickruck auf dem Reisenden lasten, denn das Elend pflegt sich gewöhnlich zu verstecken: hier aber grinst eS aus allen Ecken und Enden, hier muß man nicht viel fragen und suchen; denn die Not diese? Landes ist alt, sie ist sozusagen bodenständig, hier wurde immer auch unter der Friedensherrschaft der Ungarn Kolonial Politik getrieben, niemand hat sich jemals darum gekümmeü, wie die naiven und so lange» vernachlässigten Ukrainer und Zigeuner lebe«; aber was die Monarchie der magyarischen Magnaten geducket hat, daS darf der demokratischen Republik nicht gleichgültig sein. Und doch gibt«S in der kleinen Hauptstadt U L h o r o d nicht weniger' als vier N o t- standskolonten— die aber auch in gleicher Art in fast allen andere« Städten zu finden sind—, vier Kolonien, in denen das Proletariat ei» Leben führt, das kein Viehzüchter seinem Haustier zumuten würde. Eine Kolonie besteht aus elenden Lehmhütten, in der zweiten wohnen die Menschen in halb verfallene« EisenbahnwaggonS, die dritte ist ein Zigeunerlaaer am Fluß unter freiem Himmel, und die letzte, ganz in der Nähe ür präch tigen grrech isch-o r th o- ! den Brüder; auS Leck und Opferung soll Freude und Seligkeit kommen. Wir glauben nicht mehr an die strahlenden Helden, die mit verzückten Händen das Volk erlösen wolle«. Wir haben zuviel Strahlenglanz verschwinden sehen, zuviel Hecken haben nch als Narren oder Dummköpfe entlarvt. Das Proletariat befreit sich selbst. Die alte Botschaft von der Erlösung durch den Messias wird vielen Millionen Menschen nichts weiter geben können als ein bitteres Gefühl der Ohnmacht. Die Arbeitslosen wecken nicht satt davon. Ihre Kinder nicht fröhlich. Die Bergleute an der Ruhr, die Obdachlosen in den Asylen, die Metallarbeiter von Berlin und die.Hafenarbeiter in Hamburg hören andere Botschaft, die Botschaft nämlich: Schließt euch zusammen! Vorwärts! Kämpft! Wir wollen schon hier auf Ecken glücklich sein! AuS dem Winter der Not marschieren wir alle in den Frühling unseres sieghaste« Maitags. Das Feuerauf der Erde ist aber erst dann gebändigt, wenn es aus den roten Fahnen der befreiten^Völker leuchtet . Kurt EiSner:„Alle Tage Schenkel. Ich träume vor meinem Schaufenster, über das achtlos meine Blicke und wunschlos meine Pfühle Hinweggleiten, von einer anderen Zeit, einer neuen Zukunft. Man wird sie nicht das Zeitalter der Elektrizität oder des lenkbaren Luftschiffes oder sonst nach einer technischen Eroberung nennen, sondern einfach das Zeitalter des Schenkens. Und dann wird erst die Geschichte- der wahren Menschheit beginnen... Das Schenken wird alle Tage das höchste Gesetz des Daseins bilden. Alle schenken die Kraft ihrer Hände, di« Gedanken ihrer Kopfe, die Schönheiten ihrer Phantasie. Sie geben alles verschwenderisch hin! Freies Schassen und freie- Empfangen regelt alle Wirtschaft und bindet sanft die Beziehungen der Menschen. DaS Schenken ist nicht mehr das Vorrecht eines die übrige Zeit höhnenden Tages und nicht die Gunst einiger beverrechteter Kinder, sondern eS ist das tiefste und umfassende
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11 (25.12.1931) 300
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