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Dienstag, 29. Dezember 1981.
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I zu danken haben, daß so viel Tschechen hier Nicht gegen die Tschechen wollen und sollen wir demonstrieren, sondern unser Abscheu sei ge­richtet gegen die, denen wir sie zu verdanken haben." Der Mann hat von seinem Standpunkte aus in mehr als einer Beziehung recht, und was er da­mals schrieb, läßt sich auch heute noch sagen. Das Deutschtum der Deutschnationalen hat nie weiter gereicht als bis zum Geldbeutel, und wenn es um den Profit^eht, hängen sie chre unentwegt nationale Gesinnung in den Schrank. Di« Tetschen-Bodenbacher Baumeister sind durchwegs gutedeutschbewußte Männer", aber wenn der tschechische Maurer billiger arbeitet, ist er ihnen willkommen. Die Spediteure tragen nationales Empfinden" zur Schau und ziehen oen billigeren tschechischen Arbeiter dem deutschen  vor. Wie viele gut dtutschnationale Haushalte in Tetschen   und Bodenbach mögen tschechische Dienst ­
mädchen haben, und der deutschnationale Bürger­meister von Tetschen   verschmäht kein Geschäft mit den Tschechen. Ihnen allen steht der deutsche   Arbeiter als Volksgenosse" solange nahe, als er sich von ihnen behandeln läßt, wie sie es wünschen und es ihr Profitinteresse verlangt. Wenn er aber leben will, wenn er Ansprüche stellt, an der deut­ schen   Kultur Anteil haben will, hört er auf,Volksgenosse" zu sein, und wenn er in Ge­meinschaft mit dem tschechischen Arbeiter ein höheres Lebensniveau erstrebt, ist er einVer­räter" am Deutschtum. Internationale Ausbeutung verträgt sich mit dem Deutsch­tum dieser Herrschaften. International« Solida­rität der Arbeiter aber ist>,Verrat". Denkende Arbeiter aber haben den Wert dieses Deutsch­tums längst erkannt und wissen, daß er nichts anderes ist als ein großer Schwindel.
Wahlerlebnille in DeutschbShmea.
In der WeihnachtSnummer derAr­beiterzeitung" gibt Gen. Albert Sever  ei« paar Erinnerungen aus Wahlkämpfen der Vergangenheit zum Besten. Wir geben hier davon einiges wieder, dessen Schau­platz das deutsch  « Gebiet der Tschechoflo- wakei ist: Aue kalte Lusche. Bei einer Nachwahl in dem deutschböhmi- schen Bezirk Asch kandidierte die Partei Franz Schuhmeier   gegen den berüchtigten All­deutschen Franko Stein, Georg Schönerer  » großmäuligen und breitpratzigen Schildknappen. Ich begleitete Schuhmeier um die Ascher Ge­nossen bei der Wahlarbeit zu unterstützen. ES war harte Arbeit. Der Ascher Bezirk war zur Zeit der Monarchie eines der traurigsten Elends­gebiete, die Arbeiter verdienten so wenig, daß sie wirklich nicht einmal Brot kaufen konnten. Ein Beispiel dafür: Der Wahlleiter von Asch, Genosse Rutz, lud einmal Schuhmeier und mich zur Jause ein. Wir sagten gern zu. Der Genosse bereitete unS Gästen ein Festmahl: eS gab Kaffee, Erd­äpfel und Heringe. Zu jedem Schluck Kaffe« biß er ein Stück von dem Hering ab und forderte uns auf, ein gleiches zu tun. Wir konnten keinen Bissen hinunterbringen. Die Arbeiter waren mit großem Eifer bei der Wahlarbeit. Es gab Flugzettel und Plakate und in jedem lleinen Orte wurde wenigstens e i n e Versammlung abgehalten. Am letzten Sonntag vor der Wahl war der Hauptsturm. Volkert und David waren aus Wien   ge­kommen, dazu stand eine Reche von deutsch­böhmischen Genossen als Referenten zur Ver­fügung. Im strömenden Regen fuhren wir aus. So ost der Zug hielt, kam ein Genosse in den Zug und holte sich einen Referenten.- Endlich kam auch die Reihe an mich. Ein Genosse in Röhren­stiefeln erschien im Waggon und nahm mich Mit. Im Regen stapften wir über Felder und Wiesen, der Begleiter in seinen Röhrenstiefeln hatte es ja gut ich in meinen Halbschuhen weniger. Bis zu den Knöcheln wateten wir durch Kot und Wasser. Dann waren wir zur Stelle. Die Versamm- lung fand auf dem Dachboden eines kleinen Gasthauses statt, etwa fünfzig Leute waren da, der Raum war dicht gefüllt. Den Referenten stellte man zur D a ch l u ck e, damit er im besten Lichte erscheme. Ich hatte zwar kalte Füße, ge­riet im Reden aber bald in Hitze. Plötzlich eine eiskalte Dusche: wahrscheinlich war die Dachrinne verstopft, und nun ergoß sich der In­halt beim Dachfenster herein in mein Ge­lt i ck. Ich konnte den Platz nicht verlassen, dazu war eS zu eng sollte ich die Versammlung stören? Also redete ich noch eine gute Stunde fort, ständig von fließendem Wasser erfrischt, daS mir beim Halskrogen hinein und bei den Schuhen wieder herauSrann. Ich fror elendig, aber der Versammlung hat meine Rede doch warm gemacht. Wahlen im Königreich Schwarzenberg. Bei den ReichScatSwahlen im Juni 1911 stand im Bezirk Krumau   im Böhmerwald   Anton Weber, dem Deutschagrarier P a u l i k gegen­über. Wahlen im Königreich Schwarzenberg
hatten chre Schwierigkeiten, standen doch alle dies« Holzknechte, Kleinhäusler und Zinsbauern unter der Botmäßigkeit des Fürsten  , der durch seine Forstbeamten und Gutsverwalter scharf die Ge- sinnung seiner Untertanen überwachte. Eigene Versammlungen in kleineren Orten zu veran­stalten, durften wir gar nicht wiwen, da hätten unS die Wirte die Lokale nicht geben dürfen, die Leute hätten sich auch nicht getraut, in eine Ver­sammlung der Roten zu gehen. Wir hatten also den Auftrag, die Versammlungen der Gegner zu besuchen urw dort zu reden. Da kam ich nun in daS Holzhauerdorf Unterreichen st ein, wo am nächsten Tag der deutschagrarische Abgeordnete Z u l e g e r eine Versammlung abhalten sollte. Ich kannte in dem ganzen Ort keinen Menschen, niemand wußte, daß ich gekommen war. In dem kleinen Gasthaus, in dem ich über Nacht bleiben sollte, war außer mir nur noch der Redner des nächsten TageS. Jeder säßen wir an einem Tisch, ich kannte ihn schon auS dem Parlament, er mich nicht. Am Morgen des nächsten TageS eS war ein Sonntag fand die Versammlung statt. In aller Frühe ging ich durch den Ort, um jemanden zu finden, den ich als Genossen anreden konnte vergeblich. Die Versammlung sollte in einem lleinen Saal im ersten Stock stattfinden; als ich die Stiege hinaufging, sah ich mir die Stufen genau an, um bei einem allfälligen beschleunig­ten Rückzug gut Bescheid zu wissen. Die Versammlung wurde durch einen G u t S- verwalter des Fürsten Schwarzenberg   eröff­net, dann kam Zuleger zu Wort. Er sagte, daß der nationale Kampf in Böhmen   eS notwendig mache, daß die Deutschen   aller Stände, Bürger, Bauern und Arbeiter, zusammenhalten gegen die Tschechen. Lauter Beifall, Händeklatschen und Zurufr fokgtrnder Rede.?-»^» Da waren sicher nur Gegner im Saal. Klopfenden Herzens verlangte ich dann das Wort. Erstaunt schaute der Vorsitzende auf. WaS wollte dieser Fremde? Ich war damals Landtagsabgeordneter, also reichte ich ihm meine Karte, auf der das zu lesen stand. Nun konnte er mir doch nicht daS Wort vosenthalten. Ich begann mit der Frage an Zuleger, warum denn, wenn alle Deutschen   zusammen­halten sollen, der Fürst Schwarzenberg   und seine Beamten die deutschen   Arbeiter so schlecht behan­deln, daß Holzarbeiter vor die Holzfuhren ge­spannt werden, um daS Zugvieh  »u ersparen, während doch der Fürst so viele Pferde im Stall stehen hat... Als ich so weit war, brach ein Beifall­sturm in dem Saal los, wie besessen llatschten alle diese Holzhauer und Kleinhäusler, die unter der Knute deS Fürsten   zu seufzen hatten. Und bei jedem neuen Satz neuer Beifall. Ich sprach wohl länger als ein? Stunde so und schenkte den Herren keine Schandtat. Wut­entbrannt sprang schließlich der Verwaljxr auf und rief der Versammlung zu, sie sollen nicht ver­gessen, daß der Fürst ihr Arbeitgeber ,st Er wurde niedergeschrien. Weber bekam bei der Wahl 3158 Stimmen, Paulik 2165. Erst in der Stichwahl wurde der Deutschagrarier mit einem knappen Borsprung gewählt.
Bankrott der Arger. Ein« Jeremiad« KramarS. In der WeihnachtSnummer derNarodni Lisch" schreibt Dr. Kramar: Völliger Bankrott in allem, WaS nach dem Weltkriege so viel« suchten, vielfach mit Absicht, damit man vergesse, warum er entstand und was die Verbündeten wollten, daß nämlich nicht nur die kleinen Nation««, welche durch daS Germanen, und Magyarentum bedrückt und gefährdet waren, geschützt und befreit werden, sondern, daß dir ganze Welt von-er pangermanischen Gefahr, di« von einem Sieg« Berlins   und Wiens drohte, be­freit werde. Die wunderliche humanistisch« De­mokratie, welche ruhig zusah, wie Millionen d«S russischen Volkes gemordet wurden, di« sich nur um Handel und Profit kümmerte und die durch ihre Abrüstungsagitation eventuell unbewußt hilft, daß Deutschland   seine dominierende Stel­lung in der Weltpolitik wieder erhält, wird wenn nicht Frankreich festbleibt di« Ergebnisse -eS siegreichen Kampfe» paralisieren. Und wird schließlich Europa   wehrlos machen gegen di« Ab­sichten-er Sowjet-, die ganze Welt durch di« kommunistische Revolution zu erschüttern. Schließ, lich ist Frankreich  , wenn es auch dementiert wurde, nicht abgeneigt, den Sowjets die Neutralität zu garantieren, wenn sie durch irgend jemanden gefährdet würden. AuS Kramar spricht rin altgewordener Politiker» der die Welt nicht mehr versteht.
Lar Deutschtum der deutsche  » Bürgertums. Fast jede Nummer desNordb. Tag­blatt" oder auch anderevölkische" Blätter führt laute Klage über die Tschechisierung des deutschen   Siedlungsgebietes. Da» gehört ja auch zur Wesensart dieser Presse, und ihr Nationalis­mus ginge bald zum Teufel, wenn es keinen Gegenstand der nationalistischen Hetze fände. Die tschechischnationale Presse ist aber um kein Haar besser und, im Grunde genommen, gleichen die raufenden nationalistischen Brüder einander wie ein faules Ei dem anderen, und weder die eine noch di« andere Seite könnte lange ohne nationa­listische Verhetzung leben. Das war schon vor dem Kriege so, das ist heute nicht anoerS, und das wird solange sein, als das Volk, statt die gegenseitige Verständigung zu suchen, sich eben verhetzen läßt. Aber wie wenig Ursache gerade daS deutsch­nationale Bürgertum hat, andere für die Ver­drängung des deutschen Arbeiters vom deutschen  Arbeitsplatz verantwortlich zu machen und zu be­schuldigen, ergibt die Tatsache, daß eS stets die deutschnationalen Unternehmer waren, die den anspruchsloseren tschechischen Arbeiter den Vor­zug vor den eigenen Volksgenossen gegeben haben und heut« noch geben. Da liegen nun Kvei interessant« Zeitungs­ausschnitte aus dem Jahre 1905 vor, di« unS ein anschauliches Bild des nationalen Charakters des Tetschner Bürgertums gehen. Nach der amtlichen Volkszählung 1900 gab es in Tetschen 154 Tschechen. Im JAre 1905 aber wuttten 526 Tschechen gezahlt. Wer waren diese Tschechen, wckher die starke Zunahme, wer hat sie gebracht? Hören wir, welchen Be­rufskategorien sie angehörten: Es wurden ge­zählt: 8 Hausbesitzer, 131 Dienstmädchen, 52 Schuhmacher-, 59 Schneider-, 20 Tischler-, 15 Fleischergehilfen, 48 Arbeiter, 50 Kutscher und Hausmeister, 24 Verkäuferinnen, 15 kaiserliche Beamte, 28 Bahnbeamte, 19 Liebwerdaer Hörer, 9 Kellnerinnen, 8 Ziegelarbeiter und 7 Priva­tiers. Also von den 8 Hausbesitzern, 7 Privatiers und den paar staatlichen Beamten abgesehen, waren e» durchwegs Arbeitnehmer, die bei den deutschen   und zumeist auch deutsch  - nationalen Herrschaften, Handwerkern und Unternehmern eine Beschäftigung fanden und die deutschen   Arbeitnehmer vom deutschen   Arbeits­platz verdrängten. Das Deutschtum des Tetschner Bürgertums charakterisierte damals einBeobachtet in derT e t s ch e n- B o d e n b a ch e r Z e i t u n g" folgendermaßen: War nützt unser Demonstrieren gegen die Tschechen, wenn wir Leute unter unS haben, di« zum Hohne in den Gaschäusrrn mit ihrem Deutsch­tum prahlen und doch diejenigen sind, denen wir
Pariser Weihnachten. Paris  , LS. Dezember 1931. DaS war diesmal das traurigste Weihnach­ten in der Geschichte deS siegreichen Frank­ reichs  . Eine Million Arbeitslose! DaS drückte auf die Stimmung. Eine echt« deutsche   Weihnachtsstimmung gibt es hier ohnehin nicht. Der Schnee fehlt. Die Leute sitzen, sübst wenn das Quecksilber im Thermometer weit unter Null fällt, bei kleinen offenen Oefenauf den Terrassen der CafäS. Wie ja überhaupt das Weihnachtsfest in Frankreich  weit weniger in der Familie gefeiert wich als viel mehr draußen in den Restaurants, die be­sondere Festessen vorbereitet hatten. Im Ver­gleich zum vergangenen Jahr waren auch dabei nr allen Restaurants die Preis« mächtig gesenkt worden. Die Kundschaft bleibt auS. Zu Weihnachten und schon vor den Weih- nachtStagen ist man in Frankreich   sehr viel auf der Straße. Regelmäßig erstaunt daS große Pa­riser Warenhaus Louvre mitten in der Stadt durch eine riesige Lichtreklame, die nachmittags und abends von Tausenden bewundert wird, so daß auf dem Louvre.Platz, wo der Verkehr äußerst bewegt ist, oft Kunstpausen von den Autos eingelegt werden müssen. Was zeigt nun
im Jahre 1931 die Beleuchtung dieses großen Pariser   Warenhauses? Man sieht einen satten Mann an einer Tafel sitzen, vor sich eine Schale Früchte, die er vor lauter Sattheit nicht einmal anschauen kann. Zu seiner Rechten windet sich ein Huhn am Spieße, das von geschickten Köchen mit safttgen Saucen bespritzt wird. Ein nach­gemachter Dampf entsteigt sanft dem Bratherd. In Kopfeshöhe zu seiner Rechten hat der Mann ein Glas Bier, das vor den Augen des Publi­kums langsam gefüllt wird. Links von ihm sind große Weinfässer angebracht, aus denen ge­pumpt wird. Der LichtmechaniSmuS besteht nun darin, dem Mann, der ohnehin vor Dickheit platzt, die einzelnen Hühnerbissen in Magenhohe hinzuschieben und ihm gleichzeitig den Wem tropfenweise ins Maul zu pumpen. Wo das all«S hin soll, weiß ich nicht. Aber eS ist geradezu phantastisch, beobachten zu müssen, daß man zu Weihnachten 1931 aus keine sinnreichere Idee als auf die ekelerregendste verfallen ist. Und an diesem Lichtungetüm wandern nun neben der verarmenden Mittelklasse, die ohnehin schon meist ohne noch etwas kaufen zu können, durch di« Warenhäuser zieht, mehrere Hunderttausend Pariser   Arbeitslose oder Kurzarbeiter in diesen Wochen vorüber, mit knurrendem Magen, mit jabgewandtem Gesicht.
Ein wenig weiter, auf den großen Boule­vards, sind wieder auf zwei Wochen die 2500 lleinen Holzbaracken aufgestellt, in denen lleine Kaufleute und Angestellte allerhand Zeug im Höchstwerte von 40'Franken verkaufen dürfen. Nur der Verkauf von Parfums, Hüten und Regenschirmen ist dabei verboten. Dieses südliche Jahrmarkttreiben geht bis auf daS Jahr 1789 zuruck und war zur Zeit des Kaisers Napoleon  verboten worden. Nur Franzosen werden als Verkäufer in dm Baracken zugelassen. Da kann man alles haben, Knöpfe, Rasierklingen, völlig ungenießbare Schokolade, lleine Kokosnußrinden und neue praktische Erfindungen für den Haus­gebrauch. Es hat sich die Gewohnheit herausgebildet, daß die Besitzer der Baracken kurz vor Ablaus der zwei Wochen die Frau deS Republik  -Präsi­denten bitten, diese möge bei der Polizei dafür eintreten, das Fest nröge noch um einige Tage verlängert werden, so daß die Hauptstraßen von Paris   regelmäßig auch noch nach dem 2. Jänner diese» Iohrmarktsleben aufweisen. Der vorige Republik  -Präsident, Herr Doumergue  , war nicht verheiratet. Da wandte man sich an seine Schwester. Kurt Lenz.
T agesneuigkeiten Hauch der Vergänglichkeit. Weihnachten auf dem Schönauer Friedhof unweit von Teplitz  . Der Schnee schmilzt, man hört das Wasser rieseln. Ein paar Sonnen­strahlen huschen über das gelblich-grüne Gras, das die Graber bedeckt. In meiner Nahe schluchzt eine schwarz gekleidete Frau, hinter der ängstlich schweigend zwei Kinder stehen. Im vorigen Jahre da standen sie wohl noch um den Weihnachtsbaum herum, an dem die Lichter brannten und den der Vater geputzt hatte. Wie herrlich war doch der Abend gewesen! Nun ruht der Vater in der naß­kalten Erde und das leise Schluchzen der Mutter unterbricht die Stille. An dem Hauptwege des Friedhofes steht ein Grabmal, dar die Aufmerksamkeit aller FriedhofS- besucher auf sich zieht und sie wohl auf einen Augenblick ablenkt von ihrem eigenen Leib und Wey. Ein ganz grauer Stein, durchzogen von rotbraunen Adern, darin gemeißelt Manner   und Frauen, proletarische Gestalten, die die Hände zum Schwure heben. In all der Schwere des Daseins, in aller Not und Vein wollen sie treu ßin der Idee Josef SelrgerS, der hier auf esem Hügel, umgeben von den Industrie­dörfern des rauchigen, nebligen Teplitzer Bezirkes nach einem Leben von Kamps und Unrast di« letzte Ruhestätte gefunden hat. Elf Jahre sind eS her. seitdem daS tückische Schicksal ihn gefällt hat, seitdem der Schall seines hinreißenden Wortes verklungen ist. Geschichte ist geworden, was einst miterlebte, mitgesuhlte Gegenwart war, was Kampf und Gefahr, aber auch Geselligkeit und Freude gewesen ist. Ich stelle mich etwas abseits und beobachte. Ein Arbeiter geht vorüber, er schaut auf das Grabmal und liest den Namen. Er schüttelt zu­stimmend den Kopf. Er weiß, welcher Geist den Körper erfüllt hat, der in dieser Erde verwest. Der Gedanke der Vergänglichkeit, der mit dem Winde hergeweht scheint, erfüllt alles. ES beginnt zu dunkeln, in der Ferne sicht man die Lichter oer Stadt, leis« hort man daS Rattern eines Autos. Nur gedämpft klingt der Lärm deS Lebens her zu diesem Hügel, dessen naßkalte Erde einen Körper birgt, in dem die brennende Sehnsucht nach einer Zeit lodert«, die besser sein wird al» die unsere, als eine tnibe Gegenwart, die auch am WeibnachtStage Millionen von Menschen keine Stunde der Freude beschert hat. E. St.
Die Braut erschossen. Am 1. Weihnachtsfeiertag meldete sich gegen 11 Uhr vormittags in der Kriminalabteilung des PolizÄommissariateS in Aussig   der 25jährige Privatbeamte Alois Dyrschmidt aus Schreckenstein und gab an, seine Geliebte, das Dienstmädchen Otnlie Stieber aus Teplitz- Schönau  , in seiner Wohnung in Schreckenstein 3, Beethovenstraße Nr. 42, durch«inen un­glücklichen Zufall"beim Hantieren mit einem Browning erschossen zu haben. Eine Kommission, die sich sofort nach Erstattung der Anzeige auf den Tatort begab, stellt« fest: In einem kleinen Zimmer des oben- angeführten Hauses im 2. Stockwerke, wo D. als Untermieter wohnt, lag auf einem Messing­bett halb bekleidet die Stieber, welche eine Ein­schußwund« oberhalb des linken AugeS in die Stirn aufwies, die sofort tödlich gewesen sein mußte. Die Bewohner des Hauses gaben an, etwa um 10.15 Uhr vormittags einen dumpfen Knall gehört zu haben, dem sie jedoch keine weitere Bedeutung schenkten. Dhr- schmidt unterhielt mit der Stieber schon längere Zeit ein Verhältnis und gedachte dieselbe dem­nächst zu ehelichen. Am Heiligen Abend kam die St. auf Besuch, beide waren bei den Eltern des D. in bester Laune. Der junge Mann, der die Pistole vor längerer Zeit gekauft hatte, gedachte sie nunmehr in Gold umzuwandeln, um nötige Gegenstände für den künftigen Haushalt einzu- kaufen. Beim unvorsichtigen Hantieren mit der Waffe ging der Schutz los. Am 2. Weihnachts­feiertage fand unter Führung des Bezirksrichters Dr. Heinrich eine gerichtliche Kommission statt, bei der auch photographische Aufnahmen am Tatorte gemacht und die Beschlagnahme der Leiche vorgenommen wurde. Gestern fand auch in der Schreckensteiner Totenhalle, wohin die Leich« überführt wurde, die Obduktion statt, bei der er sich vor allem handelte, den Verlauf des Schußkanals festzustellen, woraus man gewiss« Schlüsse über die Richtigkeit der Angaben Dyr- schmidtS zu ziehen glaubt. Samstag vormittags erschienen am Polizei­kommissariat der Arbeitgeber der Stieber, Herr Rudolf Reichert und dessen Gemahlin aus Teplitz  , deren Aussagen allerdings Dyrschmidt belasten. Sie erzählten unter anderem, daß Stieber sich die letzte Zeit sehr ängstigte, zumal sie einmal von ihrem Freunde mit einem Revol­ver bedroht wurde. Auch"habe es mehrfach Zwistigkeiten wegen ihres Kindes gegeben, daS Dyrschmidt ohne ihr Wissen und chre Zustimmung von Kummei^ursch nach Aussig   gebracht habe. Herr Reichert stellte der Stieher das beste Zeug­nis aus, sie sei sehr arbeitsam gewesen und habe die' Abende mit Handarbeiten für ihr Kind zu Hause verbracht. Die bürgerliche Presse bringt anschließend an diesen Fall eine ganze Menge Vermutungen und auch Aussagen, deren Richtigkeit natürlich vor­derhand nicht überprüft werden können, so daß wir unS mit der Feststellung dieser Tatsachen begnügen müssen. Im übrigen wird ja das Gerichtsverfahren wohl Klarheit in die ganze Angelegenheit zu bringen habe«.