Nr. 303. Seite 5 Donnerstag, 81. Dezember 1831. ^efutft Bei 6erSufitama". 70 Meter unter dem Meeresspiegel.   Ein Stahlrohr frißt sich in den Schiffsleib. Technik der Tub. Frank Erilleh und sein Bruder. SPD  . N«w-Bork, Mitt« Dezember.  (Eig.»Ber.) Amerika ist immer noch in technischer Hinsicht das Land der unbegrenzten Möglichkeiten. Ein Ingenieur Simon L a k e, hat jetzt«in großartiges Projekt entworfen, das die bisherige Submarine­technik von Grund auf revolutionieren wird. Bisher war man bei Schiffshebungen auf die unvollkom­mene Arbeit von Tauchern angewiesen. In Zukunft wird man die Taucher größtenteils entbehren kön- nen. Ein riesiges Rohr, sozusagen ein Wurm von Stahl und Eisen, wird in die Ozeanties« vor­gestoßen und mit dem Schiffswrack in direkte Ver­bindung gebracht. Die Mündung des Stahlrohrs frißt sich förmlich in den Schiffsleib ein. Gegen­stände, die man heben will und die eine gewisse Größe nicht überschreiten, werden mittels eines be­sonderen Instruments im Innern des Stahlrohrs, derTub", an di« Meeresoberfläche   befördert. Di« Schätz« in d«r Lutin«". Ingenieur Lake beabsichtigt, um die praktisch« Verwertbarkeit seiner Projektes nachzuweisen, dem­nächst dem Wrack-erLusitania  " einen Besuch ab­zustatten. Dieser Schiff, dar im Kriege mit 2500 Passagieren von einem deutschen U-Boot versenkt wurde, liegt westlich der irischen Küste, 50 bis 70 Meter unter dem Meeresspiegel im atlantischen Ozean begraben. Noch nie hat«in menschlicher Auge diesen schlummernden Schiffskoloß erschaut. Nun wollen die Amerikaner dar Unglaubliche mög- lich machen. Ingenieur Lake gab bei«inem Presseempfang in New-Park«ine Reihe interessanter Einzelheiten über sein gigantischer Unternehmen bekannt. Dar Stahlrohr, dessen technisch« Details ängstlich geheim gehalten werden, wurde von Lake schon vor zwanzig Jahren erfunden. Damals, im Jahr« 1911, hatte er den Auftrag erhalten, da- Wrack des holländischen Dampfers ,Lutin«" am Ausfluß-e- Zuidersees zu heben. Dieser Dampfer barg unermcßliche Schätze in seinem Innern, so Goldbarren im Wert« von 20,000.000 Mark. Simon Lake   kam damals auf die Ide«, ein Stahlrohr zu bauen, um bis an die Lagerstelle-es Wracks zu gelangen. Der Au-bruch des Weltkrieges verhindert« die Verwirklichung die­ses PlaneS. Noch heut« ruhen die Riesenschätze der »Lutine" in den niederländischen Gewässern. Wie in«in«» U-Boot Inzwischen hat Simon Lake   sein« Erfindung bedeutend vervollkommnet. DaS Stahlrohr ist fertig­gestellt und hat schon mehrere Proben erfolgreich überstanden. Es reicht bi- zu einer Tief« von hun­dert Metern. Lake glaubt, innerhalb von zwei ruhi­gen Wintertagen die Bergung des Kassenschrankes der»Lusitania  " vornehmen zu können. i Tas Begleitschiff, ein gechartert«! amerikani­scher Dampfer, ermittelt zunächst di« genau« Lage des Wracks. Dann wird da- Stahlrohr in die Tief« gelassen. Sein« Mündung setzt sich auf den Körper derLusitania  ". Di« Wände-es Stahlrohrs, das biegsam ist, sind derart konstruiert, daß sie den höch ­sten Wasserdruck auszuhaltcn vermögen. Im Innern wird man nichts von diesen submarinen Gefahren verspüren, sondern-en Eindruck haben, sich in einem Unterseeboot zu befinden. Zwei-Kammern-System." Auf Leitern und Treppen steigen Arbeiter und Ingenieure von Bord des Begleitschiffes aus in die Tiefe des Rohres. Am Ende befinden sich zwei Luftkammern. Tie erste ist das große Hauptquar­tier der Submarinetechniker. Sie enthält Telefon«, Maschinen, Motore und Periskope. Und von mehre­ren Glasfenstern aus kann man die Arbeiten, die später in der zweiten Kammer vorgenommen wer­den, genau beobachten und überwachen. Ein beson­deres Verfahren sorgt für die Entlüftung. Der wichtigste Bestandteil derTub" jedoch ist di« zweite Kammer. Sie bildet gewissermaßen den Mund des gigantischen Stahlwurms. Zunächst werden die äußeren Tor« geschlossen, damit kein Wasser eindringen kann: Durch«ine kleine Tür ge­langen zwei Taucher von der inneren in di« äußere Kammer. Durch ein kleineres Rohr läuft nun von oben Wasser«in, bis di« äußere Kammer vollkommen angefüllt ist. Dann wirddicht gemacht". Eine elek­trische Press« erhöht jetzt den Wasserdruck in dem überschreiten. Den Rückweg treten di« beiden Taucher befinden, bii darin der gleiche Druck herrscht wie draußen" in 70 Metern Meerestiefe. Nun öffnen die beiden Taucher denMund" des Stahlrohres, verlassen di« Außenkammern und bcginnen ihre Arbeiten an dem Schiff-wrack. Elek­trisch betrieben« Bohrer, Krahn« und ander« Hilfs­maschinen stehen zu ihrer Verfügung. Mit diesem technischen Komfort" können di« Tiefsee-Techniker ganz andere Arbeiten vollbringen, als bisher die ge­wöhnlichen Taucher. Die Dauer de- Aufenthaltes in 70 Meter Ozeantiefe, soll«ine Stunde nicht übersreiten. Den Rückweg tret«» di« beiden Taucher in der umgekehrten Reihenfolge an. Männer ohne Todesfurcht. Und wer wird nun den Mut finden, sich diesen submarinen Gefahren auSzusetzen? Ingenieur Lake hat schon seinen Mann gefunden. Es ist der ame- rik^l Nische Meistertaucher Frank Crilley, der mit seinem Bruder die Arbeiten imMurcke" des Stahlrohrs vornehmen will. Dies« beiden Männer unternahmen kürzlich in einer Tief« von 92 Metern einen«instündigen Versuch, der zur vollständigen Zufriedenheit ausfiel. In diesem Winter noch steht nun die große Sensation bevor. In den nächsten Tagen dampft Ingenieur Lake mit seinen Mitarbeitern nach Irland   ab. Wird die ,Lusitania  " ihr 16 Jahr« ge- hütete- Geheimnis preisgeben? Simon Lake   glaubt fest au vollem Erfolge uüd die'amerikanischen Geld­leut«, die sein-Unternehmen finanzieren, offenbar ebenfalls. Es scheint,'als ob di« submarine Technik" sich wirklich an einer Wende ihrer Methoden befin­det. Und dann wird der Ozean kein« Mysterien mehr kennen. Selbstmord eines Zwölfjährig««. Irr Watten­ scheid  (Wests.) ließ sich ein zwölfjähriger Schüler von einem Personcnzug überfahren Seine Eltern hatten ihn wegen eines Tummenjungenstreichs auf . sein Zimmer verwiesen. TieSchande" glaubte er nicht überleben zu können... An einer Erdnuß erstickt ist der zweijährige !Knabe des Arbeiters August Bradka in Postelbcrg. Das Kind hatte eine sogenannte Burennuß geschluckt; der Kern blieb ihm im Halse stecken und der Knabe erstickte, bevor noch eine Operation an ihm vor­genommen werden konnte. Großfeuer in Breslau  . Im Breslauer Alten Schlachchof, einem mehrere hundert Jahre alten Gebäude, das jetzt nur noch als Lagerplatz dient, brach Mittwoch Nachmittag aus noch nicht bekannter Ursache ein Großfeuer aus, das die gesamte Bres­lauer Feuerwehr auf den Plan rief. Das Feuer fand an den eingrlagrrten Gegenständen, in der Hauptsache Lumpen, Knochen und Papier, außerdem aber auch an der starken Holzkonstruktion, die Balken bis zu 50 Ztm. Stärke aufweist, reiche Nahrung. Beim Erscheinen der Wehren stand bereits die Hälfte des etwa 25 Meter langen Gebäudes in hellen Flammen Gegen halb 6 Uhr war di« Gefahr für die alten Häuser der Umgebung es handelt sich um das älteste.Viertel Breslaus   beseitigt und das Feuer auf seinen Herd beschränkt. Ter Brand des Alten SchlachthofS war gegen 7 Uhr bis auf kleiner Brandnester gelöscht. Der Schaden ist durch Versicherung völlig gedeckt. Wahrscheinlich ist das Feuer durch Kürzschluß entstanden. Prnfionistenstrom nach Ungarn  . Mit Rücksicht auf die neue ungarische Pensionsverordnung, durch welche die PenstonSgebührcn insbesondere der im Ausland lebenden Pensionisten verkürzt werden, wird der größere Teil der in Wien   lebenden ungarischen militärischen und zivilen pensionierten Würdenträger «ach Ungarn   zurückkehrrn. Wie dieStunde" mel­det, befindet sich unter ihnen auch Generaloberst Arthur A r z, der letzte österreichische Generalstabschef.! Urbcr die Unfälle der Bataslugzeug« bei ihren Reifen in den Orient erfahren wir folgend« Einzel­heiten:- Bi- zu«inem gewissen Grade hat das sprichwörtlich« Schusterpech von Beginn an die Balaflugzeug-Expedition begleitet. DaS Haupt- Fokkerftugzeug erlitt in der Syrte«inen großen Schaden am rechten Motor und konnte nur in­folge des bereitwilligen Zutuns der italirnischen Militärbehörden weiterfliegen, di« Bata ihren ein­zigen Reservemotor gleichen Typs verkauften. Dar dritte Flugzeug mit dem Ersatzmotor havariert« in den Hohen Tauern und die Flieger gelangten erst nych zweitägigem Nmherirren unter Hunger und Kälte nach Twang, woher sie einen Bericht senden konnten. Das zweite Flugzeug/ das dem ersten nach Nordafrika   nachfolgte, wurde ebenfalls von einem Unfall betroffen, zuerst bei Neapel  , wo sich der Pilot Stastny beim Anlassen des. Motors ver­letzte, und zum zweitenmal vor. der Ueberfliegung der Mittelmeeres, wo daS. FlugzeW. zu einer Not­landung in Trapani   bei Taft«! Vetrens auf Sizilien  gezwungen war, wobei es leicht havarierte. Es ist aber zum Weiterflug bis zum Erhalt der Ersatzteil« g«rignet. Tas Fokkerflugzeug mit Bata an Bord führte Dienstag eine weitere bisher die beste Etappe ihres Fluges von Damaskus   in die Hauptstadt des Jraj-Bagdad. aus. Mittwoch setzte das Fokkerflugzeug den Weiterflug nach Bush!re und Jask in Persien   fort. 3m Gedelkyreis find zwei Mahlzeiten sfir Bedürftige inbegriffen." Es gibt immer noch Leute, die etwas haben und etwa--ausgeben können trotz Massenent­lassunyen und Wirtschaftskrach. Sie möchten daS, was st« haben, ausgeb«» und natürlich zu Sil­vester! Aber der Gedanke, daß sie obeü tanzen und Sekt trinken, während unten das Volk im grauen Gleich versinkt, wird allmählich etwas peinlich. Zum Teufel, man hat doch schließlich auch ein Gewissen, zumal das nichts kistet! Dem zarten Gewissen des Besitzes ist die Ber- gnügungSindustrie für den kommenden Silvester verständnisvoll entgegengckommen. Sie veranstal ­tet beispielsweise in B e r l r n überall große Sil- vesterfeiern, wobei sich die Preise für das Abend­essen zwischen 9 und 25 Mark bewegen. 25 Mark für ein Abendessen, während mancher nicht 20 Pfennig hat, um sich eine warme Suppe zu kau­fen! Aber wir sind ja so sozial und also liest man in diesem Jahre keine Ankinchigung einer großen Vergnügungsstätte für Silvester ohne den Zusatz: Im Gedeckpreis sind zwei Mablzer- ten für Bedürftige einbegriffen." Wenn also der Herr Generaldirektor»nb Frau Gemahlin für 25 Mark pro Person in einem Ber­ liner   Luxushotel ihr Silvestersouper zu sich neh­men, kann sich ihr soziales Gewissen bei dem Ge­danken beruhigen, daß vier Notleidend.» dadrirch jeder eine 50Hfg.-M«chlzeit erhalten:'.>nd hinter jeder Flasche Sekt steht der tröstliche Gedanke, da erhält wieder ein Arbeitsloser mehr ein Glas Wasser zu seiner Winterhilfe-Mahlzeit! ES gibt nichts Erbärmlicheres als diese soziale Bemäntelung der unsozialen Gesinnung als dies Gctvissensopium für daS schlechte Gewis­sen deS Großbesitzes! Rastelli. Bon Rhedo. DaS erste- und letztemal sah ich ihn Heuer im Sommer in Karlsbad  . Jung,- elastisch und sichtlich unverbraucht, balancierte er mit unnach- ahmlicher Selbstverständlichkeit und Grazie auf allen möglichen Körperteilen die leichten Bälle, die er nach der Vorstellung als handgreiflichen Beweis seiner Kunst an die anwesenden Kinder verteilte, in seiner Art einen Weltrekord haltend, elegant, ohne zu schwitzen(wenigstevs sah man niemals Schweiß an ihm) und ohne sich sicht­lich anzustrenge». Bor einigen Tagen trugen ihn sein« trauernden Landsleute zu Grabe, rn dem Bewußtsein, erneu Heros verlören zu haben, der, einen Ball im Nacken und einen in der Kniekehle, Herr über das Leblos« war, weil er das Höchste, was er besaß, seinen lebenden Körper, virtuos beherrschte. Rastelli tvar ein Genie des Fingerspitzen­gefühls. Es wohnte universal in seinem ganzen Körper, beseelte jeden Nerv, jeden Muskel, jede Sehne und jeden Knochen. Die Bälle gehorchten ihm wie märchenhaft dressierte Vögel, di« willen­los jeder Bewegung des Meisters folgten, sein Geist teilte sich der Materie mit, die er beseel:« und zu einem Teil seines Organismus machte. Er war kein Artist schlechthin, er war«in Künstler und seine Kunst war echt, denn sie schien müheloses Spiel. Wenn er die Bübne betrat, flogen ihm die Gummibälle und di« Herzen der Zuschauer in gleicher Wesse zu und während er die ersteren bändigte wie der Draht­zieher seine Marionetten, zwang er di« letzteren durch di« Negierung der Schwerkraft in seinen Bann. Er war ein König des Gleichgewichts, von dem er nie auch nur einen Bruchteil verlor, er zwang der Glätte der Kugel seinen Mllen auf und schuf ihr unsichtbare Ecken und Kanten, an denen sein Wille sie hielt. Semem Nachfolger, und welcher Weltmei­ster hält« nicht, allen Gesetzen der Wahrscheinlich­keit zum Trotz, einen Nachfolger gefunden, der noch um ein Gran iveltmersterlicher war, wird es schwer falleu, an seinem Körper ein« Stelle zu sinken wo der zehnte Ball ohne Quecksilber und Sywtheiikon, einzig vom unsichtbaren Spiel der Muskeln bezwungen, haften soll. Aber er wird sie dennoch finden. Volkswirtschaft und Sozialpolitik Sine düstere Prognose. Ueber die Kris« in der Baumwoll­industrie berichtet William Gregory(London  ) in derWirtschaft" schreckliche Tatsachen. Der Genannte schreibt u. a.: Die Berichte der verschiedenen Bereinigun­gen der Spinner auf dem Kontinent sprechen immer deutlicher von zunehmenden Stillegungen der Betriebe und die Gewißheit, daß in abseh­barer Zeit in Europa   rund 40 Prozent der Produktionskapazitäten der Baumwollindustrie von der Stärke der Ereignisse, stillgelegt sein werden, läßt sich heute nicht mehr ableugnen. Zu diesem furchtbaren Moment kommen aber nun noch die schier unübersehbar gewordenen Bilanzschfvierigkeiten in dieser Industrie in der ganzen, Welt, mit Ausnahme von Japan   und England., Es sind heute? rund neun Zehntel der. BoumKollindustrien. außerhalb. dies« Län­der und einschließlich jener in den Bereinigten Staaten von Nordamerika   nicht mehr in der Lage, eine Erfolgsrechnung aufzustellen, ohne völlig.passiv zu,sein." Di« Aussichten der Baumwollindustrie skizziert er wie folgt:In den mitteleuropäischen Ländern wird aller Wahrscheinlichkeit.nach nur ein Drittel der Kapazitäten von 1926 lebensfähig b l e i b e n. In England rechnet man heute mit einer Restquote von 26 Millionen Spindeln auf nach dem Kriege vor­handenen 58 Millionen..In. Frankreich   wird mit etwa 60 Prozent bestandfähiger Spindeln gerechnet. In Belgien   liegen die Pinge fast gleichartig. Ebenso vielleicht auch in Holland  . Schlimmer liegen sie aber in Italien  , wo die verschiedensten Cottonifices sehr krank sind, auch wenn die Zeitungen rm Reiche des Duce dar­über nichts schreiben dürfen.und am schwersten ist und bleibt die. Problemstellung im mittleren Europa   von Deutschland   bis nach Oesterreich   und Polen  . Da dürfte aber nach aller, auch noch so wohlwollender Voraussicht,^ vorläufig nichts z« kurieren sein." Siliester bei Steindergerr. Steinbergers hatten vor nicht allzu langer Zeit geheiratet. Bereits wenige Tage später wurden die ersten Besuche gemacht: beim Kollegen Napfschleif von der Makulaturabtcilung, bei Obersekretär Steguwcit und Lehrer Grünfetzen. Die Gegenbesuche wurden nun am Silvesterabend bei Stembergers erwartet. Frau Steinberger übrigen- hieß sie Bärbel, und da mir der Name gefallt, will ich jetzt auch immer.? r. also Frau Bärbel hatte schon leise bereut, die Sache mit den Bekanntschaften angezettelt zu haben» denn bei NapfschleifS hatte man drei Stunden lang g«äi>nk; Herr Steguwcit zeigte vier Postkarten­alben und erklärte nahezu jedes Bild, und Lehrer Grünfctzen spielte auf einer Hausorgcl, bei der die Bälge quietschen, ein ganzes ChoräÄuch durch.... damit nicht so viel gegessen würde, wie Herr, Steinberger behauptete. Als Frau- Bärbel ihren Mann beauftragte, für den Silvesterabend Steinberger Napf­schleif Steguwcit Grünsetzen eine Bowle zu brauen, verschwieg er seine völlige Unkenntnis auf dem Gebiete des Brauens im allgemeinen und des Bowlenbrauens im speziellen, denn ein Bürgersmann, der keine Bowle brauen kann, wird' nicht für voll angesehen, solange andere Männer dieses Problem lösen. Also erklärte Herr Steinberger, eine Bowle zu bereiten, von der seine Gäste noch lange nach dem letzten Schluck erzählen würden. Frau Bärbel verriet beim Fleischer' an Frau Steauwrit das Geheim­nis von der wunderbaren Silvesterbowle, die der ehreiuverte» Gäste harrte. Steinberger verbrachte eine schlaflose Nacht. Fragen mochte er nicht; irgendwie erfährt es eine Frau doch wieder. In der zweiten Nacht kam er auf einen glülichen Gedanken: das Kochbuch. Frau Bärbel pflegte eS in der Küche just über dem BehälterZwiebeln" auf dem Sims auf­zubewahren. Steinberger schlich sich in die Küche zur Geisterstunde eine Hundekälte übrigens. Er stieß mit den Zehen zweimal an je eine Schwelle und fluchte zischend. Durch diese Zwi­schenfälle zerbrach seine Aufmerksamkeit und da­durch auch ein Glas, das er in der Dunkelheit umstieß. Frau Bärbel erwachte... erschien ebenfalls in der Küche. Er log: es sei ihm nicht Wohl und trank unter Frau Bärbels mitleidigen Blicken zwei Gläser eiskalten Leitungswassers. Ten Rest der Nacht hustete er sich, so gut es ging, durch, um am nächsten Mittag vier LiterKrätze­berger Rachenputzer", letzter Jahrgang, mitzu­bringen. Dann schnitt er Aepfel in den Wein, weil Apfelsinen zur Zeit noch zu sauer erschienen. Er kostete: Apfelbowle... mal was anderes.'Da er vergessen hatte, die Kerne herauszuschlälen, fischte er die Apfelstückchen wieder heraus und entdeckte, daß auch die Schalen noch anhafleten. Das brachte ihn auf den Gedanken, es mit ge­dörrten Aprikosen zu versuchen. Diese edlen Früchte lagen dann zwei Stunden imKrätze­berger Rachenputzer", ohne daß sie weich wurden. Fran Bärbel wurde mißtrauisch: ob er denn was davon verstünde; es käme ihr fast so vor, wie wenn... doch ihr Gatte lächelte nur überlegen. Eine Stunde später lagen in der Bowlen­terrine außer den bereits erwähnten Gewächsen: Zitronenschalen, AnanaSstücke und Apselsinen- i scheiben. Steinberger erklärte, eS handle sich im vorliegenden Falle um eine sogenannte Fünf- s frucht-Bowl«, die besonders zu Silvesterfeiern in seiner Heimat bevorzugt Würde. Frau Bärbel kostete. Eine Minute später bekam sie Sod­brennen, Herr Steinberger warf, um die Gäste vor ähnlichen Unannehmlichkeiten zu schützen, einen Eßlöffel doppelkohlensaures Natron in das Gebräu, rührte kräftig um und gab ein wenig geriebene Muskatnuß nach. Er kostete wieder und meinte, dieses Rezept bekäme so leicht keiner heraus. Chemiker hätten sich darum bemüht, doch vergebens. Es sei Geheimnis einiger alt­eingesessener Leute in seiner Heimat. Darauchin kostete Frau Bärbel wieder und spie(in Wor­ten: spie) die seltsame Flüssigkeit sofort aus. WaS hast du denn? An den Geschmack muß man sich erst gewöhnen," flötete er. Das Flören war falsch; hatte er gelacht, so wäre ihm viel­leicht geglaubt worden. So aber spürte Frau Bärbet mit- jähem Instinkt die abgrundtiefe Lüge.Adolf, das ist gemein, solche Schwin­delei! Du kannst überhaupt keine... deine Bowle ist Dreck(sie sagt« tassächlich Dreck, aber da- hörte sich gar nicht so häßlich an, denn schon beikeine..." kamen ihr die Tränen und da klang eS dann viel weichex). Adolf wollte etwas entgegnen, aber Frau Bärbel rechnete bereits: ,... vier Flaschen Krätzeberger", die Apfelsinen, Zitronen, Apri­kosen, AnanaS..." Es läutete. Die Gäste erschienen. Adolf muhte öffnen, denn Frau Bärbels Tränen.,. na, ja; jedenfalls erschien sie erst später. Herrn Steinberger kam plötzlich der rettende Gedanke: Zucker fehlste der Bowle; das war alles! Er trällerte und sprang durch die Küche, erwischte auch die Büchse mit den rettenden Weißen Körn­chen und schüttete, eifrig rührend, die Hälfte des Inhalts hinein. Einige fielen daneben. Er tupfte sie mit nassem Zeigefmger auf, übernahm sie mit naschender Zunge und.. spuckte, wie vor einigen Minuten es seine Frau getan hatte. Dann drehte er die Büchse um und las in schöner Rustika-Schrift:Soda." Im gleichen Augenblick bat Frau Bärbel aus dem anderen Zimmer:Adolf, bring doch die Bowle!" Und nun freuen Sie sich schon, verehrter Mitbürger, auf das, was jetzt die Gäste... und so weiter. Falsch gedacht! Sie haben das Schicksal nicht mit hineinaezogen in ihr Exempel. Wenn nämlich daS Schicksal jemanden ein« satanisch« Bowle brauen läßt, so ist es gütig genug, eS nicht zuzulassen, daß sie getrunken wird. So auch hier. Wie Sie sich erinnern,.hatte Frau Bärbel bei der Kostprobe den Schluck Bowle anderswo untcrgebracht als jenseits der Zunge. Bei diesem Vorgang war ein Stück Zitronenschale auf die Türschwclle gehopst, über die jetzt sehen Sie ihn?! Herr Aoolf Steinberger leichenblaß mit der todbringenden Bowlenterrine schreitet,... schwankt... fällt. Die Terrine löst« sich in ihre Urbestandteile auf. Die Gäste jedoch verstanden eS nicht, wieso Herr und Frau Steinberger über das stimmungs­raubende Unglück sich noch freuen konnten. In einer jungen Ehe ist eben alles möglich, meinten sie und grnge« frühzeitig nach Hause. Seit dieser Zeit hat Herr Steinberger das WortBowle" nicht mehr ausgesprochen. Und Frau Bärbel hat sich nie wieder nach gesellschaft­lichem Verkehr gesehnt. O. F. Heinrich.