Veichsksg. 48. Sitzung, Freitag, 3. März tSSS, t Uhr. Llm Bundesrathstische: v. G o ß l e r. Die zweite Etatsberathung wird beim Militiiretat, Titel.Kriegsminister- fortgesetzt. Abg. Paasch«(natl.) wünscht für die Abiturienten der Oberrealschulen daS Recht zum Ein- tritt als Offiziere in Heer und Marine. Redner wendet sich sodann gegen die gestrigen Ausführungen des Abg. Bebel. Der Abg. Bebel hat in der Frage der vorbestraften Rekruten die Sache vollständig verschoben. Es handelt sich gar nicht um unsere sozialen Verhältnisse. Es handelt sich nur darum, daß die Zahl der Vorbestraften in den letzten Jahren zugenommen hat. Ist denn seit 1882 die soziale Lage schlechter ge- worden? Giebt es jetzt mehr arbeitende Frauen als vor 1882? Und haben sich die Schulen seitdem verschlechtert? Im Gcaentheil: Alles ist besser geworden. Die Sozialdemokraten haben ja selbst ihre Wer- elendungstheorie aufgegeben. Nein, Kollege Lingen hat vollständig recht: die wachsende Irreligiosität ist schuld an der wachsenden Verrohung unserer Rekruten... Vizepräsident Schmidt: Herr Abgeordneter, ich kann den Zusammenhang zwischen Ihren Ausführungen und dem Gehalt des Kriegsmiuisters nicht entdecken. (Oho!) Abg. Paasch«(fortfahrend): Das bedauere ich.(Heiterkeit I) Ich bin nur auf die gestrigen Ausführungen des Abg. Bebel eingegangen und werde mit Er- laubnitz des Präsidenten darin fortfahren.(Sehr richtig! Sehr richtig I) Vizepräsident Schmidt: Dann bitte ich den Herrn Redner, sich kurz zu fassen.(Heiterkeit.) Abg. Paasche(fortfahrend): Schuld an Mein ist, daß der Glaube an die allein selig- machende Kirche dem Volke abhanden gekommen ist.(Lebhaftes Lachen bei den Sozialdemokraten.) Das sage ich, daS sagt ein Nationallibcraler, das sagt der Abgeordnete Dr. Paäschc! (Stürmische Heiterkeit bei den Sozialdemokraten.) Ich habe selbst als Student in sozialdemokratischen Versammlungen mit Abscheu die Hohn- und Spottliedcr angehört, die dort gegen den Allmächtigen gesungen wurden. Ein Fluch dem Gotte, zu dem wir gebeten, ans den wir vergeblich gehoftt und geharrt, er hat uns gefoppt, er hat uns genarrt! Solche Lieder wurden dort gesungen im Anfang der siebziger Jahre. Und, meine Herren, glauben Sie denn, daß die Männer(Redner immer mehr in den Predigerton fallend), die damals solche Lieder sangen, ihre Kinder gelehrt haben, die Hände zu falten im Gebet an den All mächtigen? lUuunterbrochenes Gelächter bei den Sozialdemokraten, lebhaftes Bravo! rechts, in der Mitte und bei den Nationalliberalen.) Ja. meine Herren, Sie lachen darüber und die Nohhcit des Volkes hängt zum größten Theil damit zusammen. Sie wissen gar nicht, was Sie dem Volke nehmen, wenn Sie ihm den Glauben an den all- mächtigen Gott rauben(Sehr wahr! rechts) und eS nur auf das Materielle verweisen.(Anhaltende Heiterkeit bei den Sozialdemo- kraten.) Für den Glauben, den Sic ihm rauben, wissen Sie dem Volke nichts, gar nichts zu geben.(Sehr wahr! rechts. Lebhafter Widerspruch bei den Sozialdemokraten. Rufe: Wir geben ihm die Hoffnung auf ein besseres irdisches Loos!) Mit Ihren Theorien helfen Sie dem Volke nicht und untergraben nur Autorität, Sitte und Moral. (Sehr gut I rechts.) Wenn der Glaube an jegliche Autorität verloren geht, dann kann es nicht wunder nehmen, daß Diebstahl. Betrug noch immer mehr überhandnehmen.(Leb- Haftes Bravo l rechts.) Herr Bebel hat dann gestern wieder eine ganze Reihe von An- klagen gegen die Militärverwaltung gerichtet, diesmal allerdings nicht wegen Soldatenmißhandlungen, sondern er beklagte sich über Klassenjustiz. Gewiß, er hat dem Herrn Kriegsminister vorher die Fälle, die er vorbringen wollte, mitgetheilt, ich erkenne das an, aber das ändert nicht das Geringste an der Wirkung � seiner Beschuldigungen gegen das Heer, mag der Herr Kriegsminister auch noch so gründlich widerlegen. Im „Vorwärts" werden die Verdächtigungen Bebells gegen das Heer ganz ausführlich wiedergegeben, vo'm Kriegsminister aber wird gesagt: er könnte nichts wiederlegen und entkräften.(Hört I Hört I rechts.) Was den Rittmeister Stolberg anbetrifft, so werden wohl die meisten von uns ein lebhaftes Gefühl des Mitleids für den Mann gehabt haben, der so lebhaft für seine Kompagnie ein- tritt; man muß seine That entschuldigen, denn er war blutig gereizt.(Lebhafter Widerspruch bei den Sozialdemokraten.) Bei dem Fall des Mannheimer Rekruten, der seinen Stuben- kameraden erstach, hätte der Abgeordnete Bebel wohl darauf hinweisen können, daß also auch bei den Mannschaften Rohheit zu finden ist und nicht nur bei den Vorgesetzten. Sie scheint aber in der menschlichen Natur begründet zu sein, der Meister quält den Gesellen, der ältere Kamerad bei Militär den jüngeren. Eine Tracht Prügel ist ihm angedroht worden I Das ist doch nicht so schlimm, ich habe selbst gedient, und weiß, wie es dort zugeht. Natürlich treten aber auch'wir jeder Rohhcit bei Unter- gebenen und Vorgesetzten im Heere entgegen und wünschen, daß daS Heer eine Schule der guten Zucht für das Volk werde. Herr Bebel hat sich dann ferner über das Hazardspiel unter den Offizieren aufgehalten. Nun, der Herr Kriegsminister hat ihm darauf ja bereits erwidert, er hat auch hinzugefügt, wie unendlich groß die Gefahr ist, die sich an den jungen Offizier herandrängt. Wir haben das vollste Vertrauen zu dem Herrn Kriegsminister, daß er alles thun wird. Um dem zu steuern. Noch einS zum Schluß: die Worte des Herrn Kriegsministers, daß er alles thun werde, um jede Bethätigung sozialdemokratischer Gesinnung in der Armee zu verhindern, hat bei den Herren auf der Linken allgemeine Entrüstung hervorgerufen. Herr Stadthagen rief sogar: Verführung zum Meineid! Es handelte sich da um den Fall Wiese. Aber der Herr Kriegsminister bat nachher festgestellt, daß lediglich eine private Anfrage des Richters vorlag, auf die der Zeuge gut die Antwort hätte verweigern können. Da kann man doch nicht von einer Verführung zum Meineid sprechen. Auch wir wollen, daß der sozialdemokratischen Agitation im Heere entgegengetreten wird. Man kann cS nicht dulden, daß in der Armee, die zum Schutze des Staates da ist, eine Partei Einfluß gewinnt, die eben diesen Staat untergraben will.(Sehr richtig I rechts.) Zum Schluß will ich noch sagen: Wir glauben, daß die Armee im wachsenden Maße eine Schule der Zucht und der Ordnung sein wird. Diese Thätigkeit des Heeres ist in unserer verderbten Zeit ebenso wichtig, wie eine tüchtige, militärische Schulung.(Lebh. Beifall rechts.— Lachen links.) Abg. Gröber(Z.): Es sollte mich sehr freuen, wenn der Vorredner mit seinen An- schaumigen über die Religion die gesammte Fraktion hinter sich haben sollte.(Zuruf bei den Nationalliberalen: Immer!) Nein, meine Herren, das war nicht immer der Fall. Wie war es denn zur Zeit des Kulturkampfes, als Sie gegen die katholischen Geistlichen hetzten, als Sie ehrwürdige Männer ins Gefängniß schleppten? Suchen Sie die Schuld an der Verrohung nicht allein in der Sozialdemokratie, suchen Sie sie auch in ihren eigenen Reihen. Der Kulturkampf hat nicht zum Wenigsten zur Verrohung der Gemüther beigetragen. Und denken Sie an Ihr Verhalten, als eS den Einfluß der Kirche auf, die Schule galt! Jetzt reden Sie von der Irreligiosität der Masse, aber Sie selbst haben Sie der Religion entfremdet!(Lärm rechts und bei den Nationalliberalen. Zurufe links.) Ich will hier nur noch auf einen der vom Abg. Bebel an- geführten Fälle eingehen, auf den Fall Wiese. Die Darstellung Bebel's und des Kriegsministers stimmen da nicht überein. Ueber den Moment, wo die'Aeußerung gefallen ist, gehen die Meinungen auseinander. Nach der einen Version geschah sie auf eine private Anftage, nach der anderen erst nach Aufruf der Sache. Ist letztere die richtige, so muß ich bemerken, wenn einmal der Fall anfgerufen ist, die Zeugen zur Stelle sind, dann giebt eS kerne private Anfrage mehr. Der Zeuge hat dann jede Anfrage als eine solche zu bewachten, die zu beantworten er verpflichtet ist. Selbst vonr rein militärischen Standpunkt deZ unbedingten Gehorsams trifft den Zeugen keine Schuld. Denn der spätere Befehl eines höheren Vorgesetzten hebt jeden früheren Befehl auf. In diesem Falle befand sich der Zeuge einem Vorgesetzten— dem Richter— gegenüber, dem er nach seiner Zeugenschaft unterworfen war. Ein gesetzlicher Grund, die Aussage zu verweigern, lag für ihn nicht vor. Darüber lassen die betreffenden Paragraphen des Strafgesetzbuches keinen Zweifel. Auch vor der Vereidigung war er bei Verweigerung der Antwort Zwangsmitteln ausgesetzt. Jeder Jurist muß daher sagen: Es ist ganz unmöglich, da eine strafbare Handlung daraus zu konftnnren. Ich bitte daher den Herrn Kriegs- minister, bei der großen prinzipiellen Bedeutung der Frage noch einmal in eine Prüfung des Falles einzutreten.(Beifall.) Abg. Bebel(Soz.): Der Herr Abg. Paasche hat heute gegen mich eine Attake ver- sucht. Wenn ich seme Haltung mit der des Kriegsministers vergleiche, fällt dieser Vergleich außerordentlich zu Gunsten des Kriegsministers aus.(Sehr gut I und Heiterkeit.) Dieser war durchaus sachlich auf die von mir vorgetragenen Dinge eingegangen und hat sie. soweit es nöthig war. richtig gestellt. In der Hauptsache war ja alles, was ich mitgetheilt, richtig.'(Oho l rechts.) Oh, natürlich I Bei Ihnen ist es ja System, das, was ich vorbringe, zu bestreiten. Daß in einzelnen Nebensachen einem Menschen, der nicht als Richter eine Unter- suchung führt, Jrrthümer unterlaufen können, ist ja selbstverständlich. Herr v. Stumm ist ja auch schon von einem seiner Redakteure in sehr drastischer Weise falsch unterrichtet worden. Und selbst Staats- anwälte und Richter sind über Jrrthümer nicht erhaben, obwohl sie die Machtmittel des Staates zur Erforschung der Wahrheit in der Hand haben. Keiner der von mir angeführten Fälle ist in der Sache be- stritten worden.(Widerspruch rechts.) Ich sagte also, Herr Paasche war heute päpstlicher als der Papst.(Heiterkeit.) Er wollte den Krieasminister noch übertrumpfen und nahm die Handlungen gewisser Persönlichkeiten in einer Weise in Schutz, wie es der Kriegsminister niemals gewagt haben würde. Herr Paasche hat über die Verrohung der Jugend gesprochen und emphatisch gefragt, ob die allgemeine soziale Lage der Arbeiter sich im Laufe der Jahre nicht unerheblich gebessert hat. Ich bestreite das nicht, aber auch die Anforderungen an die allgemeine Lebenshaltung sind bedeutend gewachsen. (Sehr richtig I bei den Sozialdemokraten.) Bei der Lohn- crhöhung kommen namentlich die städtischen Jndustriebezirke in Beträcht. Dort aber sind allein schon die Hausmiethen in diesem Zeitraum so gestiegen, daß damit die Steigerrmg der Löhne voll- ständig ausgeglichen ist.(Sehr richtig!) Und dabei ist die Wohn- weise der meisten Arbeiter schlechter geworden und gerade hierin liegt ein Hanptmoment für die Zunahme der Verrohung. Besonders traurig sind die Wohnungsverhältnisse der ländlichen Arbeiter. Nun hat Herr Paasche weiter die für einen Abgeordneten doch etwas seltsame Frage erhoben, ob denn in dem Zeitraum der letzten lö Jahre die Zahl' der Arbeiterinnen so bedeutend zugenommen habe, daß deren Mehrbeschäftigung einen so üblen Einfluß auf die heranwachsende Jugend hätte ausüben können. Wenn Herr Paasche das nicht weiß, muß ich ihm mit einigen Zahlen dienen. Vom Jahre 1882 bis 189S ist die Zahl der in Landwirthschast. Fabriken. Industrie, Gewerbe und Handel be- schäftigten weiblichen Personen von 41 2 Millionen auf rund 6 Millionen gewachsen, d. h. sie hat sich um 33 Vz pCt. vermehrt, während die Bevölkerung nur um 14 pCt. gewachsen ist. In dem bayerischen Bezirk ist, wie der Fabrikinspektoren- Bericht ergiebt, die Zahl der Arbeiterinnen beispielsweise von 1896 bis 1897, in zwei Jahren also, von 65 678 auf 68 975, also um 5 pCt. gestiegen. Die Zahl der jugendlichen Arbeiterinnen von 14—16 Jahren ist in diesem Bezirk in dem genannten Zeitraum um 11,6 pCt. gestiegen. Nach den Angaben der Fabrikinspektion des zweiten württembergischen Be- zirkS sind von 1894 bis 1897 die jugendlichen Arbeiterinnen von 11 3SK auf 13 693 gewachsen, also um 20 pCt. Fm Fürstenthum Reuß, allerdings einem großen Tcxtilbczirk, ist die Zahl der verheirathcten Frauen im Vergleich zu der Gesanmitzahl der beschäftigten Arbeite- rinne« 41 pCt.!(Hört! hört! links.) Im Regierungsbezirk Düffel- dorf beträgt die Zahl der vcrhcirathetcn Arbeiterinnen im Vergleich zur Gesammtzahl der beschäftigten Arbeiterinnen im Jahre 1894 24,38 pEt. In der Gruppe„Nahrungs- und Genußmittel" und Zigarrenfabrikation beläuft sich diese Zahl sogar auf 38,17 pCt. Diese Zahlen schlagen die Widersprüche des Abg. Paasche gegen meine Behauptungen glatt zu Boden. Aber er hat wieder den bekannten Sündenbock für alle ilcbel entdeckt, die Sozialdemokratie. Wenn die nicht wäre, kämen Sie in manche Verlegenheit hinein.(Heiterkeit.) Wir sollen auch schuld sein an der allgemeinen Verrohung der Jugend. Keine Partei ist im Reichstage vorhanden, die in Bezug auf ausgedehnten Arbeiter- und Arbei'terinnenschntz so große An- forderungcn stellt, wie gerade wir. Wer sträubt sich aber gegen erhöhten Arbciterschutz? Die Majorität und die Regierungen. Wir dringen fortgesetzt auf Erhöhung der Bildung der Massen. In den Landtagen, die dafür in erster Linie zu sorgen haben, haben wir gar keine oder keine entscheidende Stimme. Sie trifft also allein die Schuld. Sie klagen über abnehmende Religiosität. Dabei leben wir ja im Zeitalter der Kirchenbauten und' ich würde einer gewissen Person im Deutschen Reiche sehr gern einmal für die künftige Geschichte den Namen„der Kirchenbauer" beilegen. Wir haben gehört, daß in allen Kasernen Andachtsübungen ab- gehalten werden und also auch da für die Religiosität ausgiebigst gesorgt wird. Gewiß hat auch die katholische Kirche noch einen großen Anhang im Volke. Ich weiß also nicht, woran e» liegt, daß der religiöse Sinn immer mehr schwindet. Nun sollen wir daran schuld sein, meint Herr Paasche. Ich habe mich sehr gewundert, daß gerade Herr Paasche hier so für den allmächtigen Gott ein- getreren ist. Herr Gröber hat ihn ja schon an seine Vergangenheit erinnert, ich besinne mich übrigens, daß ftüher Herr Gröber gerade den Nationalliberalen vorwarf, die Professoren ihrer Partei unter- graben auf den Universitäten und in ihren Schriften die Religiosität. Auch Windthorst hat oft gesagt: Gewiß, die Sozialdemokraten sind schlimm, aber schlimmer noch diejenigen, die den Sozialdemo- kraten erst die religiösen Lehren beibringen und das sind Sie meine Herren Nationalliberalen. (Heiterkeit.) Sie werden mir auch zugeben, daß David Strauß , Renau. Feuerbach keine Sozialdemokraten waren. Uebrigens muß ich offen sagen, ich habe den Abg. Paasche bisher immer für einen Weltmann gehalten(Heiterkeit) und Weltmänner haben nicht die Gepflogenheit sehr religiös zu sein. Ich konnte eS nicht unterlassen, mich zu fragen, ob er wohl selbst an den von ihm so gepriesenen Allmächtigen Gott glaube. Ich glaubenicht zu viel zu sagen, aber ich denke in unseren religiösen oder antireligiösen Ueber- zeugungen ist zwischen dem Abg. Paasche und mir kein großer Unterschied.(Große Heiterkeit.) Der Ab- geordnete Paasche hat dann weiter von Spott- und Hohnliedern ge- Iprochen, die in sozialdemokratischen Versammlungen gesungen worden sein fallen. Sie werden mir alle zugeben, wemi solche„Spott- und Hohnlieder schlimmster Art", wie er sie charakterisirt hat, in sozial- demokratischen Versammlungen gesungen worden wären, so müßten sie auch gedruckt sein, sonst könnten sie der Masse nicht zugänglich gemacht werden.(Zurufe bei den Nationalliberalen. Glocke des Präfidenten.) Präsident Graf Ballestrem: Ich ersuche die Herren, die Zwischenrufe zu unterlassen. Abg. Bebel fortfahrend: Ihre Behauptung ist eben unwahr, das halte ich so lange auf- recht, bis Sie den Beweis der Wahrheit erbracht haben.(Sehr richtig l bei den Sozialdemokraten.) Ich werde bei nächster Gelegenheit Herrn Paasche ein wunderschönes Lied eines nationalliberalen Hof - schornsteinfegermeisters vortragen(Große Heiterkeit), das zur Zeit des Kulturkampfes mit offenem Beifall in seiner Partei begrüßt wurde und da» vllerbedenklichste nach dieser Richtung enthält,' was denkbar ist. Herr Paasche hat dann behauptet, ich verdächtige die Armee. In meiner ganzen gestrigen Rede wird er nicht ein Wort finden, das diese Behauptung rechtfertigt. Der Hauptgrund, weshalb ich hier Jahr für Jahr die Klagen über einzelne Personen und Miß- stände in der Armee vorbringe, ist folgender. Die Armee verschließt ihre gesummten Angelegenheiten vor der Oeffentlichkeit und dadurch, daß wir hier Mißstande, die wohl vor die Oeffentlichkeit gehören. vorbringen, hoffen wir eine Beseitigung dieser Mißstände zu er- reichen. Dafür müßte uns die Armee dankbar sein.(Sehr richtig! links.) Nun noch ein paar Worte über die bekannten Zahlen des Herrn Kriegsministers. Ich habe hier eine Statistik, die beweist, daß die größere Zahl von Körperverletzungen gerade in den Be- zirken vorkommt, in denen die Sozialdemokratie weniger vertreten ist. Der Prozentsatz der wegen Körperverletzung Verurtheilten betrug 1896 in Ostpreußen 28,1, m Westpreußen 35,4, in Posen 32,4, in Berlin 14,2(Hort! hört!), im Königreich Sachfen, das so durchseucht ist von der Sozialdemokratie, 8,6(Hört I hört! links), in Hamburg 11,1. Also gerade in den Provinzen, in denen Königstreue, Religiosität und all' die Tugenden, die Sie verlangen, in so reichem Maße vor- handen sind, haben den größten Prozentsatz wegen Körperverletzung Veurtheilter. Herr Paasche hat auch die Armee als einen Träger von Zucht und Sitte gepriesen. Ich habe Ihnen gestern das Urtheil de? Hof- Predigers Fromme! über die Armee verlesen, heute kann ich noch ein anderes Urtheil vorbringen. Ein Herr Pastor Wagner sagte in einem Vorwag 1894:„Könnten wir unS nicht im Anschluß an einen Vortrag über die Sittlichkeit in der Armee mit einer Jmmediat- eingäbe an Se. Majestät den Kaiser wenden, damit dieser einmal erfährt, wie traurig es vielfach in seiner Arme« mit der Sittlichkeit bestellt ist." Weiter hat Herr Paasche den Rittmeister Graf Stolberg nicht nur entschuldigt, sondern geradezu verherrlicht ganz im Gegensatz znm Herrn Kriegsminister, der die Sache von feinem Standpunkt aus durchaus objektiv dargestellt hat. Freilich kann auch er nicht aus seiner Haut heraus, das zeigte sich vor allem darin, daß er diese That des Osfiziers möglichst eingehend psychologisch zu erklären suchte. Bei Vergehen Untergebener wird diese Art der Beurtheilung aber niemals angewandt. Bei einem Vorgesetzten heißt es. sein lebhaftes Temperament habe ihn verleitet, bei einem Untergebenen ist sofort von größter Rohheit, Niederwächtigkeit u. f. w. die Rede. Solche Unterschiede werden gemacht, je nachdem der Mann einer bestimmten Klasse angehört. Diese Klafsenunterschiede erklären ja auch die großen Unterschiede in den Urtheilen der Zivilgerichte bei ähnlichen Vergehen. Der Ltitt- meister soll„blutig gereizt" gewesen sein. Das ist doch unerhört, solche Behauptungen auszustellen nach den gestrigen Er- kläruugen des Herrn KriegsmmisterS. Gewiß hat der Sergeoltrt Scheinhardt sich ungeberdig benommen, aber der Mann war offenbar nachdem er von. der Suche nach einem Faß Bier zurück- gekommen war, nicht mehr ganz nüchtern. Im bürgerlichen Leben gilt dieser Umstand als Milderungsgrund, und außerdem kann »uan doch von einem gebildeten Manne, dem in ungebildeter und roher Reihe entgegengetreten wird, verlangen, daß er nicht mit gleicher Münze heimzahlt. Das Reglement schreibt übrigens vor, daß ein Soldat, der in solchem Zustand angewoffen wird, sofort in Arrest abgeführt wird. Wäre nach der Verordnung gehandelt worden, so hatte dieser Todtschlag nicht vorkommen können. Der Herr Kriegsminister hat dann als mildernden Umstand auch angeführt, daß der Schlag nur mit stumpfer Waffe geführt wurde. und nur unerhebliche Wunden festgestellt sind. Nun, eine Gehirn- erschütterung entsteht nicht durch einen leichten Schlag, möglicher- weise ist sie auch schon durch die Ohrfeige entstanden, die der Sergeant erhielt und die so heftig war, daß er gegen einen Wagew tannrelte. Besonders bedenklich ist aber stets ein solches Verhalten von Seiten eines ManneS in hoher gesellschaftlicher Stellung, eines Offiziers, also eines Mannes mit, wie man annimmt, ganz besonders feinem Ehrgefühl. Die außerordentlich milde Swafe, auf die zweifei- los eine Begnadigung folgen wird, ist unter keinen Umständen zu> vertheidigen. Herr Paasche meinte nnn weiter, den Fall in Mülhausen hätte ich ganz anders behandelt. Ich habe den Mann durchaus nicht bemitleidet, sondern ganz objektiv erzählt, was mir bekannt war. Dieser Fall liegt doch aber himmelweit anders als der eben erwähnte. Der Mann ist gequält worden und man hat ihm für den Abend wieder eine Tracht Prügel mit der Klopppeitsche an- gedroht. Herr Paasche meinte, daran sei nicht viel, er sei auch Soldat gewesen und kenne das. Es that mir leid, daß er nicht auch ein paar Trachten mit der Klopppeitsche bekommen hat.(Stürmische Heiterkeit.) Wenn ich wüßte, daß mir solche Be- Handlung droht, wäre ich in meinen Augen ein ganz elender, feiger Kerl, wenn ich mich nicht wehrte. Das ist Nothwehr, und ich nehme an, der Soldat ist auch nur aus Nothwehr zu seiner Handlung ge- kommen.(Sehr richtig! links.) Herr Paasche hat gemeint, der Kriegsminister habe durchaus recht, wenn er es nicht dulde, daß die Sozialdemokratie in der Armee die Oberhand gewänne. Wir machen durchaus keine Propaganda in der Kaserne, das wäre eine große Thorheit, denn bei der jetzigen Heeresorganisation ist jeder Erfolg ausgeschloffen. Auf der anderen Seite ist' es natürlich wahr, dafür können wir aber nichts, daß in dem Maße, wie unsere Anhängerschaft im Lande wächst, auch die Zahl der sozialdemokratischen Soldaten zunimmt. Das können Sie nur durch ein Gesetz verbieten, welches jedem Sozialdemokraten den Militärdienst verbietet.— Der Herr Kriegsminister thut seine Schuldigkeit, wenn er dem Gesetze gemäß sein Amt verwaltet, wir beklagen unS nur darüber, daß zeitweilig Dinge vorkdmmen, die den Anschein ertvecken, als werde mit zweierlei Maß gemessen. Ich muß dann noch auf einige Punkte eingehen, die gestern der Herr Kriegsminister erwähnt hat. In H a l b e r st a d t soll kein einziger Soldat zu Erdarbeiten verwendet worden sein. In der That liegt die Sache so. daß Militär zur Aushilfe zugesagt war, dann aber wohl durch Ordre von Berlin ans, die Arbeiten doch nicht durch Soldaten ausgeführt wurden.— In Bezug auf die körperlichen Beschädigungen von bei der Jagd als Treiber ver« wandten Soldaten, bleibe ich dabei, daß es unstatthaft ist. Soldaten zu außerordentlicher Beschäftigung heranzuziehen.— Für die Begnadigung des Brüse.witz hat der Herr Kriegsminister hier verschiedene Gründe angeführt. Zunächst die Krankheit. Der Grund läßt sich hören, ich wünschte nur, daß er stets, auch bei sozialdemokratischen Redakteuren als Grund zur Entlassung aus derHaft angenommen werden möchte. Ferner ist die gute Führung angeführt. Nun, eS ist bekannt, daß gerade die Sozialdemokraten sich meist musterhaft in den Gefängnissen führen. Begnadigt werden sie aber nicht deshalb, freilich würden sie auch darauf verzichten. Des Falles in Marienburg hat sich ja Herr Gröber in dankcnswerther Weise angenommen. Auf alle Fälle ist hier eine Verurtheilung erfolgt, die nur durch die ganz eigenthümliche Rechts- anschauung bei der Militärbehörde zu erklären ist, und der Herr Kriegsministcr hätte alle Ursache, alleS aufzubieten, daß der- artige, nach meiner Ansicht völlig ungerechtfertigte Strafen künftig nicht mehr vorkommen.(Bravo ! bei den Sozialdemokraten.) Es ist ganz ausgeschlossen, daß jene Frage anders als in ganz offi- zieller Gerichtsverhandlung gestellt worden ist. Sonst wäre es ja überhaupt gärnicht bemerkt worden, hätte nie in die Presse dringen können. Die Verurtheilung ist eben nur durch die ganz eigenthü'm- liche Rechtsauffassung der Militärbehörden zu erklären. Und nnn denken Sie sich den Fall: der Mann bekommt einfach die Aufforderung zur Arreststrafe, er hat keine Ahnung: wofür. Er hat eben nicht das geringste Bewußtsein, irgend etwas Strafbares begangen zu haben. DaS sehen Sie auch aus der Bereitwilligkeit. mit der er dem Borgesetzten sofort erklärte: Jawohl, das habe ich gethan. Für mich ist es ganz klar, daß die Bestrafung eine durch- aus ungerechte war.(Sehr richtig! bei den Sozialdemokraten.) (Schluß in der 1. Beilage.)
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