Ginzelpreis 70 Heller.
Sosialdemokrat
Zentralorgan 6.Deutschen sozialdemokratischen Arbeiterpartei i.6.Tschechoslowakischen Republik.
12. Jahrgang.
Erscheint mit Ausnahme des Montag täg'ich früh.
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Samstag, 12 März 1932
Nr 62.
Arbeit, Frieden und Freiheit!
Inbrünstig steigen diese Worte an unserem Frauentag aus den Herzen unzähliger Frauen auf die Lippen empor; inbrünstig werden sie geformt und gesprochen, als ein Gebet. Ein zuversichtlicher und ein drohender Klang ist in diesen drei Worten, denn sie bedeuten eine Forderung und keine Bitte. Millionen Menschen, unter thnen unzählige Frauen, haben tagaus, tagein um Arbeit gebeten. Tage-, wochen-, monatelang, vielleicht auch Jahre schon, haben sie mit ihrer Ware Arbeitskraft herumhausieren müssen. Ihre Arbeitsuche war ein Bittweg, ein Kreuzweg, reich an Demütigungen und Erniedrigungen. Eine unermeßlich lange Zeit drückt es sie schon seit damals, wo die Tore der Fabriken, der Bureaus, der Werkstätten und Geschäfte hinter ihnen ins Schloß fielen und sie aus, schlossen, und dem Hunger und dem Elend überantworte. ten. Sie alle geben die Hoffnung nicht auf, daß auch ihre ehemals nie ruhenden, nimmermüden Hände wieder zu ihrem Recht kommen werden, zum Rechte auf Arbeit. Denn Almosenempfänger, welch' furchtbares Los. Unzählige arbeitsfrohe,
Von Maria Deut, ch.
arbeitswillige Menschen tragen in der Gegenwart verzweifelnd dieses Los. Almosenempfänger... ein Dasein aufs engste verknüpft mit der bürgerlichen Gesellschaftsordnung. Nur eine Gesellschaft, die Parasiten fennt, fennt Hungernde und Bettler. Nur eine Gesellschaft, die auf der Ausbeutung des Menschen durch den Menschen beruht, verfügt über die Robustheit eines Gewissens, das das Stöhnen verzweifelter Menschen, das Wimmern hungernder Kinder mit Jazzmusik übertönt und die graue Dürftigkeit endloser Not mit dem Glanz und der Pracht des eigenen, sozial gesicherten Lebens überstrahlt.
Die Totentanzbilder des Mittelalters verblassen neben der Wirklichkeit, in der blühendster Reichtum mit tödlichster Armut gepaart, über die Erde geht. Denn alle Länder zeigen heute dasselbe Bild. Die Industrien sind Füllhörner geworden, aus denen sich ein endloser Strom von Gütern auf die Welt ergießt, es sind ihrer so viele, daß sie im Kapitalismus nicht an den Mann gebracht werden können und der Vernichtung preisgegeben sind. Der Ertrag des Bodens hat sich vervielfacht, Getreide und Früchte werden eingeackert, das Proletariat, ein neuer Tantalus streckt vergebens nach den vielen Gaben der Natur die Hände aus. Wenn Tantalus nach Speise und Trank griff, so stieß er auf die Macht der Götter, die ihm wehrten. Wenn das Proletariat die Hände ausstreckt nach den Nahrungsquellen seiner Existenz, so stößt es auf den Gewaltapparat der herrschenden Klasse, auf die Amtshandlung bis an die Zähne bewaffneter Gendarmien.
Alle Gewaltanstrengungen des Bürgertums werden nur ein neuer Ansporn sein, alle Kräfte im Proletariat mobil zu machen, denn der Verzicht auf eine planmäßige Aufteilung der vorhandenen Arbeit( 40 Stundenwoche) auf ausreichende staatliche Fürsorge für alle aus ihrer Arbeitsstätte verdrängten Menschen, wäre ein Verzicht auf den Kampf um die Bedingungen der physischen Existenz der Arbeiterklasse.
R
FELGEN HAUER
So furchtbar ist der Sturm der Krise geworden, daß es heute nicht um Zukunftsforderungen der Arbeiterklasse geht, nicht um ihre Aufstiegsmöglichkeit in der Zufunft, sondern um ihre Lebensmöglichkeit in der Gegenwart.
Die kapitalistische Welt gleicht einem, dem Untergange nahen, leck gewordenen Schiffe. Wie auf einem solchen Schiffe jeder der Passagiere nur an sich denkt, so denkt heute die herrschende Klasse eines jeden Landes und Volkes an sich allein. Der Protektionismus soll der Riegel sein, der jedes Land von der Not des anderen Landes abschließt. Aber Gewalt wird diesen Riegel sprengen, und diese Gewalt ist der Krieg. Die internatio= nale Verbundenheit der Wirtschaft verbindet die Völker auf Gedeih und Verderb miteinander, Kein Land kann für sich allein lebent, fein Land aber kann dauernd auf Kosten anderer Länder leben. Diese Lehre hat die Gegenwart außer Acht gelassen und einen Zustand geschaffen, der unhaltbar ist. Und so füttern die Länder und Regierungen alle ihren Militarismus und stehen jederzeit Gewehr bei Fuß zum Losschlagen bereit. Die Welt ist ein Pulverfaß gewor
den und ein Funke kann es entzünden. Der Zündstoff aber liegt nicht nur in den Arsenalen und Kasernen, er liegt auch in den nationalsozialistischen Gehirnen als einziger Lichtblitz bereit. Der revanchelüsterne Kriegswahn der Hitlerparteien vermißt sich Deutschlands Schicksal zu gestalten. Morgen wird die Entscheidungsschlacht in Deutschland geschlagen. Morgen soll das deutsche Volt beweisen, ob es sich von einer ruhmlosen Vergangenheit entgültig losgesagt hat, oder ob es die Drahtzieher, die heute nationalsozialistischen Prinzen, Generale und Feldmarschälle, die wie ein Deus ex máchina aus der Versenkung der Weltbühne, von der sie verschwinden mußten, auftauchen würden, zur Macht verhelfen will. Hitler bedeutet Krieg, das wissen die gestürzten Machthaber, die darauf brennen, mit der Kriegsuniform die alte Macht anzulegen, die sie zu Herren über Leben und Tod der Proletarier macht
Die Entscheidung über Deutschlands Schicksal liegt bei den Frauen, die morgen für oder gegen Hitler stimmen werden. Die Entscheidung über Krieg und Frieden ist in die Hände der Mütter gelegt, die zu wählen haben, ob sie ihre Söhne für den Kampf um die Zukunft der Menschheit bestimmen, oder als Opfer auf dem Altar des Vaterlandes darbringen wollen, das sie in Kampf und Krieg schickt für die Interessen der herrschenden Klasse.
Die Entscheidung über Krieg und Frieden der Welt, die Entscheidung über Leben und Tod der arbeitenden Menschen, die Entscheidung über Freiheit oder Versklavung nicht nur, des deutschen Proletariers, sondern des Proletariates in allen kapitalistischen Ländern, liegt vorwiegend in den Händen der Frauen. Denn entscheidend für den Sieg des Proletariates ist nicht allein der taktische Schachzug der Präsidentenwahl in Deutschland , sondern die Entschlossenheit und die Erkenntnis der Notwendigkeit des harten und schärfsten Kampfes, den die Arbeiterklasse um Arbeit, Frieden und Freiheit führt im Klassenkampf um den Sozialismus.