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Freitag, 28. Mar; 1932.

Nr. 73.

dein

kata»

schbarer Zeit von dieser Seite ohnedies nicht zu erwarten.

schon Vor- jetzt

Ein Vorwand war bei der Fülle von Fangeisen und Wolfsgruben, die in unseren Polizeigesetzen der Reaktion im Gebrauchsfalle stets bereit zur Verfügung stehen, bald gefun­den. Was über diese Berufung auf das angeb­lich verletzte Gesetz zu sagen ist, sagen wir noch an anderer Stelle. Kein Mensch im ganzen Staate wird an diesen Grund als den wirk­lichen zur Auflösung glauben. DieArbeiter- Hilfe" wird unterdrückt, weil damit bestraft werden soll, daß die skandalöse Wirtschaft der agrarischen Diktatur in Karpathorußland auch für die Blicke des Auslandes aufgedeckt worden ist und um in Hinkunft ähnliche Enthüllungen zu verhindern. Das Elend Karpathorußlands soll zugedeckt, der Hunger der Bevölkerung soll nicht gestillt werden, aber wenigstens soll die Kenntnis von ihm nicht mehr in die Oef-

das Reichsinncnmlnisterium wenn nicht «ngünstig, so doch wenigstens skeptisch das gehen Severings betrachtet. Wen» also Minister Groener selbst, der durch seine ver­schiedenen Konzessionen an die Nationalsozialisten in linksrepublikanischen Kreisen in letzter Zeit in Verdacht kam, auf die Gefährlichkeit eines nationalsozialistischen Putsch nach der Wahl des Reichspräsidenten verwies, so hören alle Zweifel darüber auf, daß ein Putsch tatsächlich vorberei­tet wurde. Mit welchen Mitteln die National­sozialisten den Umsturz durchführen wollte», wird erst das Ergebnis der Prüfung des beschlagnahm­ten Materials erweise«, die zur Zeit«och im preußische« Innenministerium fortgesetzt wird und über welche bisher nicht die geringste Mit­teilung erschien. Dr. Badt erklärte bloß heute vor dem Leipziger Gerichtshof, daß die Sichtung des Material« bereits zu überraschenden Ergebt nisten geführt habe.

digsten Kleidungsstücke, halten sich in den Wohnungen nackt ans oder sind nur mit einem Hemdchen bekleidet. So ist Karpathorußland das richtige Exerzierfeld für die Konununisten geworden, die den Hunger der Bevölkerung für ihre po­litischen Zwecke auszunützen suchen. Hier fan­den sie für ihreHungermärsche" alle Vor­aussetzungen und sie verschrieben sich auch den bekannten kommunistischen Schriftsteller Lud­ wig Renn , sowie den Engländer Gerald Hamilton , der als radikaler Pazifist nicht unbekannt ist, damit diese an Ort und Stelle die Verhältnisse kennen lernen. Daß den Kom­munisten nur darum zu tun war, das auf diese Weise gewonnene Material propagandistisch zu verwerten, mag den schuldigen Behörden nnd der tschechischen Agrarpartei peinlich sein, umso peinlicher, als durch die Berichte der bei­den Ausländer auch das Ausland auf die Zu­stände in dieser tschechoslowakischen Kolonie aufmerksam wurde und natürlich in einer für die Staatsverwaltung nicht gerade ehrenvol­len Weise, aber das ändert nichts an der Tat­sache, daß die beiden Herren über ihre Beob­achtungen in Karpathorußland so Erschüttern­des zu berichten wußten, daß es in jedem , Falle Pflicht des Staates gewesen wäre, mit einer großzügigen Hilfsaktion der dem schrecklichsten Hunger verfallenen karpathorus- sischen Bevölkerung augenblicklich beizusprin­gen. Es genügt, zu sagen, daß Hamilton be­hauptet, er sei in den Hungergebieten Chinas und Indiens gewesen, Ende 1918 und Anfang 1919 während der Hungerblockade auch in Deutschland , doch nirgends habe er Hunger und Not so kraß wie in Karpathorußland ge­funden. Und Ludwig Renn berichtete, er habe Wohnungen gesehen, die früher Schweineställe waren, Frauen und Kinder, die barfuß im Schnee und Kinder, die nur ein Hemd oder gar nichts anhaben, Kinder, die splitternackt üuf dem Ofen sitzen und zittern, wenn durch Oeffnen der Türe ein kalter Windzug herein­strömt. In vielen Dörfern war in den meisten Häusern nicht ein Stückchen Brot aufzutrei­ben, manche der Kinder hatten schon aufgetrie­bene Hungerbäuche und alle sind so zurückge­blieben, daß man Sechsjährige für drei Jahre alt halten kann. Eine Erwerbsmöglichkeit gibt es nicht mehr und damit schwinde auch immer mehr jede Lebensmöglichkeit, so daß die Ge­fahr des langsamen aber sicheren Verhun­gerns gegeben sei. Das agrarische Regime rea­gierte auf diese Enthüllungen damit, daß es durch das offizielle Preßbüro eine Polemik veröffentlichte, in der die karpathorussische Not zum Teil zu beschönigen, zum anderen Teile Gerald Hamilton dadurch herabzusetzen gesucht wurde, daß es von ihm behauptete, er habe verschiedeneVorstrafen" auf dem Kerbholze, obwohl die Verfasser des lumpigen Schrift­stückes sehr gut wissen mußtet, daß er die Strafen nur wegen seiner Pazifistischen Tä­tigkeit erlitten hat». Diese kleine und nieder­trächtige Bosheit genügte den betreffenden Stellen, von denen sie ausging, nicht und so hat der agrarische Innenminister dem Rache­verlangen der Presse seiner Partei noch da­durch Rechnung getragen, daß er von seiner Polizei die Auflösung derInternationalen Arbeiter-Hilfe" verfügen ließ.

werden sollen, so daß der Zins dann insgesamt das Sechsfache des Borkriegszinses ausmachen würde! Bewußt verschweigt das Abendblatt, daß die MietzinSsteigerung auf zehn Jahre, bis 1942, verteilt werden muß. Daß dasRudä Prävo" alle Fortschritt«, wÄche der Gesetzent­wurf des Ministeriums für soziale Fürsorge gegenüber dem bisherigen Stand bringt, und ebenso alle darin enthaltenen Maßnahmen zur Belebung und Förderung der Bautätigkeit nnt ein paar Worten zu übergehen versucht, ohne wie es Pflicht eines Blattes wäre, welches den Interessen der arbeitenden Bevölkerung zu dienen vorgibt seine Leser darauf aufmerksam zu machen, daß die bürgerlichen Parteien einen Generalsturm gegen den Gesetzentwurf vor­bereiten, vervollständigt nur das gewöhnte Bild kommunistischer Polemik. DerBenko v" und sein Nachmittags­ablegerB e e e r" entsprechen in ihrervolks­tümlichen" und von persönlichen Gehässigkeiten gegen Genossen Dr. Czech strotzenden Darstellung durchaus den in sie gesetzten Erwartungen. Der Hauptschlager dort ist die geplante Wohnungs­kontrolle. Wir werden mit der Würdigung dieserArgumente" später immer noch zurecht kommen. Wie wir die agrarischen Blätter kennen, werden sic den Stuß solange wiederholen, bis selbst dem abgebrühtesten ihrer Leser sich der Magen dabei umdreht. Neue Ideen sind in ab-

fentlichkeit dringen, darum und dazu wird die Polizei mobilisiert. Man tvird uns keinerlei Vorliebe für die Konununisten nachsagen kön­nen und wir kennen auch die Skrupellosigkeit ihrer Demagogie, mit der sie verzweifelte Mas­sen in ihre Netze zu locken suchen, um sie für ihre Parteizwecke zu mißbrauchen, aber das wird uns daran nicht hindern, der neuesten Tat der agrarischen Gewalthaber auf das ent­schiedenste entgegenzutreten. Die Polizei ist kein Heilmittel gegen den Hunger. Was ver­langt iverden muß, das ist, daß der furcht­barste Not leidenden karpathorussischen Bevöl­kerung schleunigst Hilfe zuteil und das arme Land von einer Herrschaft befreit werde, die in ihrer sträflichen Unfähigkeit es strophalsten Elend überliefert hat.

Berlin , 24. März. Erst heute wurde aus Grund der Aussagen vor dem Leipziger StaatS» aerichtShos über die Borbereitungen der National­sozialisten zu einem Putsch Klarheit grschafsrn. Die Aktion der preußischen Regierung, welch« Haussuchungen bei de« nationalsozialistischen Or­ganisationen anordnet«, wurde bisher vielfach als übereilt angesehen. Auch in Kreise«, die der Hitlerbewegung nicht günstig gesinnt find, setzte sich di« Meinung durch, daß es sich bei dieser Aktion eher um einen politische« Schachzug deS preußischen Innenministers, des Sozialdemokra- ten Srvering, handelt. Dies« Zweifel wurde« heut« durch di« Aussagen des Vertreters der preußischen Regierung Dr. Badt und insbeson­dere durch deffeu Mitteilung zerstreut, daß die Initiative zu der Polizeiaktion gegen di« Nationalsozialisten vom Reichs­minister Groener auSging. Dies« Mittei­lung ries allgemeine Verwunderung und Sen­sation hervor, denn bisher wurde behauptet, daß

Die Putschpiline Hitlers Groener stellt die Razi bloß.

Wer hat geschossen? Wien , 24. März.(Eigenbericht.) Bor dem Grazer Schöffengericht farw heute ein Prozeß statt, der«in Nachspiel zu den blutigen Vorfällen in B o i tsb e rg war. Angeklagt war ein Kom­munist, der einem Gendarmen das Gewehr ent­rissen und gefeuert haben soll. Daraufhin habe die Gendarmerie die Salve abgegeben, die drei Todesopfer forderte. Da aber Zeugen aus­sagten, es sei aus einem hakenkreuzlerrschen Ver- sammlungSlokal ein Schuß abgegeben worden, wurde die Verhandlung zwecks neuen Zeugen­einvernahmen vertagt.

... Hie Grenzen seiner Artigkeit überschritten..." In der Begründung, die das Innenmini­sterium schandenhalber seinem Racheakt an der Arbeiterhilfe" gibt, werden als belastende und die Auflösung bedingende Momente angeführt, daß der Derein von seiner Gründung an die Grenzen kiiw» Tätigkeit überschritten hat, di« er sich in. den genehmigten Statuten gesetzt hat.. Es wird dann wiederholt, daß der Verein seine Statuten überschritten habe, daß er ein un- politischer Verein gewesen und dennoch kommu­nistische Agitation getrieben habe. Wir wisten nicht, ob einem Verwaltungs­juristen daS hier Behauptete wirklich als zwin­gend und logisch erscheint. Dem Normalmenschen wird man so nicht Weismachen können, daß es sich um mehr als einen Gewaltakt aus ganz ge­wöhnlichen Rachcmotiven handelt. Denn die Grenzen seiner Tätigkeit überschreitet doch jeder Verein und am meisten diejenigen, die sich der wärmsten behördlichen Förderung erfreuen. Jeder Feuerwehrverein, der an einem nationalen Fest mitwirkt, überschreitet die statutarischen Grenzen, wird man ihn darum auflösen? Der Sokol, der ein Turnverein sein soll und eine große nationalistisch-politische Organisation ist, über­schreitet er nicht mit 90 Prozent seiner Tätigkeit die Grenzen der Statuten, in denen er sich mit bescheidenen zehn Prozent hält? Die verschiedenen Narodni Jednota sind klassische Beispiele für dauernde grobe, wir möchten sagen notorische und beinahe schon wieder statutarische Ucber- schreilungen ihrer statutarischen Tätigkeit. Ver­eine, die mißliebige Beamte entfernen und ihnen genehme avancieren lasten, die dreinreden, wenn der Staat eine Sparkaste saniert, die Schulbauten diktieren, Gerichtsverfahren aufhalten, die müß­ten von rechtswegen aufgelöst ivcrden, well sie ihre Statuten in gemeingefährlicher Weise über­schreiten. Derartige Vereine sollen aber hierzu­lande recht ungeniert ihr Unwesen treiben kön­nen... Klerikal« Fürsorgevereine, die politisch agitieren, Tischgesellschaften, die in Fascismus machen, Standesver- eine, die gefährlich viel Politik treiben, bleiben ungeschoren und sollen es unseretwegen auch bleiben. Aber man bekenne sich, wenn man Ar­beitervereine verbietet, wenigstens zum Prinzip der Gewalt, der Willkür und der Rachsucht und hülle sich nicht in ein fadenscheiniges Gewebe von Logik und Recht. Die Grenzen ihrer Tätigkeit hat in diesem Staate keine Institution in dem Maße überschritten wie die so gern prügelnde, willkürlich einschreitcnde und auflösende Poli­zei, die nun leider darüber wacht, daß andere die Grenzen einhalten, die sie dauernd verletzt!

Ei» würdiger Anfang. Agrarische und kommunistisch«Ungenauigkeiten" über bas Wohnungsgesetz. Während die sozialistische Presse den Entwurf des Wohnungsgesetzes mit Befriedigung auf­nimmt, und die bürgerliche Pveffe, soweit sie sich nicht mit der bloßen Inhaltsangabe begnügt, ihre Meinung nur vorsichtig und ohne sich sestzulegen äußert, haben die kommunistischen und agrarischen Blatter Mit wüteichen Angriffen geantwortet. Was sie vorzubringen wissen, ist zwar nicht viel, aber um so bezeichnender. DasRud« Prüvo" sucht in der Frühaus­gabe in einem Vierspalten titel bei naiven Lesern den Eindruck zu erwecken, als sollten die Zinse Heuer um 90 bis 170 Prozent gesteigert werden. Daß es sich dabei auf dasPrager Tagblatt" beruft, wo das offizielle Kommunique des Mini­steriums für soziale Fürsorge vorlag, sei nur nebenbei bemerkt. Während es aber im Text selbst noch andeutet, daß es sich dabei um eine Gesamt- 'teigcrung gegenüber dem Jahre 1914 handelt rnd die Zinse tatsächlich nur um höchstens 40 Prozent gesteigert werden dürfen, bekanntlich auch das nur unter gewisten Bedingungen! läßt es in der Abendausgabe die letzte Scheu allen und behauptet, daß nach der Vorlage die . liitfc um 90 bis 170 Prozent im ersten Jahre, im nächsten Jahve bis um 500 Prozent erhöht

Jan Illis/Der letzte Tag Ein tesdildillldKr Boman v Oskar Wöhrle (Verla«Der Bücherkrcil".®. n. b. Sntia Dv. Gl.) Ammon Weikli läßt den Mausefallenhändler stehen und geht abschätzend um den Holzstoß her­um, mit denselben wiegenden Schritten, wie der Erschaffer der Welt am siebenten Tag um das Werk seiner Hände. Er schaut an, was gemacht ist, und siehe, er findet es ebenfalls gut! Brav!" sagt er zufrieden,das mag so blei­ben! Ein Stoß, wie gescnkelt! Ein Stoß, der sich unter Stößen sehen lassen kann! Der Böhm darf sich drob freuen! Auf einem Schönerem als dem ist noch nie kein Chaib nicht zur Hölle gedampset! Es fehlen nur noch die Kirmesbändel und die bunten Pöppelen daran!" Keine Sorge, Meister, die wird das zu­schauende Weibsvolk mitbringeu!" Will's hoffen, Bläsi, daß der Stoß ausge­ziert ist, bis wir zurückkommen! Zu schade, wenn er ungeschmückt brannte! Aber jetzt, Gesellen, bevor der scharfe Dienst anfängt, die Herzen zu Gott ! Packt das Werkzeug zusammen! Wir müssen uns drarchalten, um noch zur Zeit an die Kommunion­bank zu kommen und des Leibs Christi zu genie­ßen! Loset, im Münster sangen schon die Älok- ken an!" In der Tai, die Münsterglocken sind mit gro­ßer Schallmacht aufgestanden, streichelt breit- schwüngig über Stadt und Landschaft und rufen mit ihren weithin hallenden erzenen Stimmen die frommen und gelehrten Väter des Konziliums zum Gottesdienst und zur Entscheidung in Hustens Prozeß. Eine volle Stünde hindurch läuten die Glok- ken. Immer nur den einen Ton' Hus! Hus! Hus! Die ganze Stadt hallt und widerhallt von dem bronzenen Ruf: Hus! HuS! Hus!

Wo zwei sich sehen und begegnen, das erste Wort: Hus! Wo zwei auseinandergehen, das letzte Wort: Hus! Wird er sich beugen und widerrufen? Die Glocken wissen nichts anderes als: Hus! Hus! Hus! Wir er starr bleiben und brennen? Die Glok- ken dröhnen ihr metallenes: Hus! Hus! Hus! Hus! sagt der Bürger; der Zunftsknecht sagt's nach. Hus sagt jeder Ritterbürtige, jeder Geschlech­ter. Es sägt's der Vogt, es sagt's der Rat. Der Kaufmann in seinem Gewölbe sagt Hus! Die Magd, die am Karren die Milch holt, sagt Hus! Hus! sagt der Bettelmönch. Der feiste Klosterabt sagt Hus! Die Nonne schaut den Gekreuzigten an und murmelt Hus! Die Lippe des Kardinals spricht zwar den Namen des Gefährlichen nicht aus, aber seine tiefgefurchte Stirne denkt nichts anderes als Hus! In den Schreibstuben, in den Kanzleien: Hus! An den Tischen der Wechsler: keine klirrenden Münzen heute, Hus, nichts als Hüs! Für wenige Stunden hat die Stadt des Krames den Drang nach Gewinn vergessen. Nicht mehr Sanktus Profit ist der strahlende Heilige, nein, für einige Stunden ist Hus der Stadt Kon­ stanz pochendes Herz! Er aber, der Mittelpunkt, zu dem die Ge­danken aller hinströmen, steht indessen in einem schmalen Gang des Barfüßerklosters und wartet auf seinen Abtransport. Das Kloster scheint eher eine Rüstkammer und ein Zeughaus als ein Bet­haus zu sein: vor und hinter Hus klirrt es voll Waffen. Doch dieser Lärm wird übertönt von quie­kendem Geschrei, daS aus dem anliegenden Kü­chenhof tönt. Auch die Klosterküche trifft ihre Vor­bereitungen für Hus. Der Endtag eines solchen Ketzers muß gebührend gefeiert werden, und wo­mit feiert der Orden lieber als mit Speise und Trqnk! Die Mönchsmägen sollen heute/ am Brandtag des Ketzers,«in Essen von solcher Fülle

aufgetischt erhalten, daß sie noch nach Jahren mit Wasser im Munde an dieses herrliche Fest zurückdenken. Vierzig Schweine sind auf dem Küchcnhof zusammengetrieben und warten des Metzgermes­sers. Sie quieken vor Hunger; denn seit zwei Tagen haben sie nichts zu fressen gekriegt. Das ist bei den Barfüßern so Brauch, die dienenden Brü­der in der Küche wollen am Schlachttag mit dem Ausputzen der Därme so wenig als möglich zu tun haben. Tas Geschrei bei den Eingeschlossenen wird stärker. Zwei Brüder mit aufgekrempelten Aer- meln kommen, eine blaue Arbeitsschürze über die braune Kutte gebunden. Sie machen Jagd auf die durcheinanderstiebenden Schweine und fesseln denen, die sie fangen können, die Hinterfüße mit Stricken. Die Tiere liegen da wie brüllknde Säcke. Sie versuchen, sich mit den Vorderpfoten fortzuschlep­pen. Aber sie kommen nicht weit. Kaum sind sie ein Paar Spießlängen gekrochen, ist. einer der Blauschürzigen da, packt sie an den Hinterläufen, hebt sic daran hoch und schmeißt sie mit aller Gewalt auf eine der Holzplanken, die mit einem Ende auf der niedern Mauerbrüstung liegen. Zehn solcher Dielen sind da. Auf jede wird ein Schwein gebunden. Nichts ist mehr frei, als der abwärts hängende Kopf. Alles übrige, ist derma­ßen verstrickt, daß sich die Tiere nicht mehr rüh­ren können. Bald hängen zehn in einer Reihe ausgerichtet auf den schiefen Planken. Die Schweine schreien. Sic schreien entsetz­liche Aus ohnmächtiger, rasender Wut schreien sie. Sie möchten davon und können nicht. Furchtbar schnauben sie und beschlcimen die Rüsselteller mit wütendem Auswurf. Sie versuchten zu beißen, aber sie beißen nur in Luft. Ta setzen sie wieder zum Schreien an. Die noch nicht Gebundenen schreien ebenfalls. Sie sind von der Wut der ande­ren angesteckt und zornquieken gleichsam zur Ge ­

sellschaft mit. Dabei schießen sic, obwohl sie nicht mehr gejagt werden, wie tollgeworden von«in'k Ecke des Hofes in die andere, sich gegenseitig an­rempelnd und überrennend. Große, irdene Schüsseln werden gebracht und unter die Hälse der angebundenen Tiere gestellt. Jetzt kommt ein Metzger mit langem Messer, das er bedächtig an einem Metzgerstahl wetzt. Bei diesem Wetzgeräusch wird das Schreien der Schweine noch toller. Sie rennen jetzt nicht mehr wild im Hof umher, sondern drücken sich in eine Ecke, aus der sie sich nicht mehr rühren. Sie spüren den nahen, mefferwetzenden Tod. Bei den Schweinen, die auf den Dielen an­gebunden sind, kippt das Schreien der Wut um zu einem Schreien der Verzweiflung. Grauenvoll zieht es sich hin, herausbrechend aus der tiefsten Tiefe der Kreatur, die wie ein Mensch vor dem Nichts, vor der Auslöschung schaudert. Der Gefangene im Klostergang kann das Schreien nicht mehr ertragen. Es erinnert ihn an das Gekreiße einer gebärenden Fra«, das er ein­mal gehört hat und das genau so hoffnungslos und schrill und langgezogen klang, als ob es nie enden wollte. Jahrelang ist ihm dieses Schreien nachgegangen, das den Eintritt des Lebens in die Welt begleitet. Dann vergaß er's unter der Fülle und dem Andrang andern Geschreis. Jetzt haben es diese Schweine wieder aufgewühlt aus dem Schlick der Erinnerung. Diesmal ist es letzte Waffe des Lebens gegen den Tod. Wie tief sind sich doch im Grunde die Kreaturen verschwistert! Ter Metzger hört mit dem Wetzen seines Messers auf und steckt den Stahl in den hölzernen Köcher an seiner Hüfte. Wie der Griff eines Edel- manns-DegenS schaut er heraus, alS der Schläch­ter sich zum ersten Schwein niederbückt, um ihm die Schwarte am Halse zu ritzen. Da, das Schreien steigert sich zu seiner ent­setzlichen Höhe! (Fortsetzung folgt.)