Nr. 103.
Samstag, 30. April 1932.
Ein Angriff auf die Löhne von 10.000 Bauarbeitern in Nord- und Ostböhmen.
Die Unternehmer erkennen den Schiedsspruch nicht an.
Wie wir bereits mitteilten, hat das Lohn- bis zu 45 Seller per Stunde nicht schiedsgericht in Prag für das Baugewerbe in unterschreibt, erhält keine Arbeit, Nord- und Offböhmen einen Schiedsspruch ge- oder falls er schon in Arbeit steht, fällt, durch den die Bauunternehmer verpflichtet wird er bei Nichtanerkennung die werden, die im Vorjahre festgelegten Löhne auch fes Reverses sofort entlassen. Diese im Jahre 1932 zu bezahlen. Das Gericht be- Art von Erpressung ist eine Ungeheuerlichkeit gründet diese Entscheidung damit, daß weder die und muß zu schweren Kämpfen führen. wirtschaftlichen Verhältnisse noch die Lebenshal tung gegenüber dem Vorjahre fich wesentlich geändert haben und daher eine weitere Lohnsenfung nicht am Blaze ist.
Diese Entscheidung paßt den Bauunterneh mern Nord- und Ostböhmens nicht. Sie halten in allen Gebieten Konferenzen ab und be schließen,
daß sie diesen Schiedsspruch unter feinen Umständen anerkennen und denselben durch Reverse( Einzelabmachungen) mit jedem einzelnen Bauarbeiter zunichte machen werden. Durch solche Maßnahmen wollen die Herren praktisch den Schiedsspruch unmöglich machen und die Not der Bauarbeiterschaft zu ihrem
Vorteile ausnüßen.
Die Aktion mit der Lohnabdingung durch Reverse hat schon in einigen Gebieten begonnen. Es handelt sich den Bauunterneh mern nicht darum durch Lohnherabseung billiger zu bauen, sondern um das Diftat durchzusehen. Aus But über dieses Urteil, wo ihnen gerichtlich nachgewiesen wird, daß eine weitere Lohnsenkung nicht am Blaze ist, üben sie eine Art Erpres fung aus und erklären:
Troßdem ein Lohnschiedsspruch, der von einem Gerichte auf Grund gesetzlicher Unterlagen gefällt wurde, um das Baugewerbe vor untnötigen Erschütterungen durch Wirtschaftskämpfe zu bewahren, pfeifen die Herren Bauunternehmer auf das Gesetz und Gericht und machen, was sie wollen. Die Führung dieser Aktion obliegt dem Arbeitgeberbund für das nördliche Baugewerbe in Reichenberg.
Die Bauunternehmer, denen man öffentliche und subventionierte Bauten überträgt, wünschen scheinbar ein zweites Brüg, wie wir dies bei den Bergarbeitern gesehen haben. Die Arbeiter sollen provoziert, die Bauherrn sowie die Bauarbeiter und die ganze Bauwirtschaft um Millionen Kronen geschädigt werden.
Diesen erprefferischen und provokatorischen Bestrebungen Einhalt zu gebieten, wird Aufgabe aller Behörden und Körperschaften sein, die mit dem Bauwesen zu tun haben.
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ein Hauptmann aus Innsbruck , ein seelensguter Mensch, dent man es ansah, daß es ihm leid tat, uns bestrafen zu müssen. Und so erfundigte cr sich teilnahmsvoll, was wir denn eigentlich gemacht hätten. Als auserforener Sprecher pon uns sieben erklärte ich ihm dann, daß wir eine Maifeier gehabt hätten. Und als er dann so verwundert sagte: So eine Maifeier?" flärte ich ihn dahin auf, daß es doch in Tirol auf dem Lande üblich sei, daß am 1. Mai die Musikkapellen durchs Dorf ziehen und spielen, und daß sich alles freue, daß nun der Winter vorüber und Frühling und Sommer gekommen sei. Und dies sei auch der Zweck unserer kleinen Veranstaltung gewesen.
Und nun hielt uns der Hauptmann eine väterliche Ermahnungsrede. Ob er uns die Aufflärung über den Charakter unserer Maifeier glaubte, möchte ich dahingestellt sein lassen, jedenfalls aber nahm er es hin, und das Ende vom Liede war, daß wir alle sieben je dreißig Tag: Kasernenarrest erhielten.
Daß solche Zeiten nicht wiederkehren, soil unser Gelöbnis am Maitag der Arbeit sein! Madrid .
Ju Madrid. Der Blut- Mai 1923. Straße frei!"
Die Sicherungsflügel der Karabiner schlugen in aufreizender Exaktheit zurück.
Brüder zur Sonne, zur Freiheit..
Trozend, verbissen, in fanatischer Begeisterung flang die Antwort aus den Massen. Lohend, wabernd brandete der gewaltige Sang durch die Straße.
DES
KONSUMVEREINES! FORDERT DIE
GENOSSENSCHAFTLICHE
WERDET MITGLIEDER
EIGEN PRODUKTION
Die Bauarbeiter selbst müssen Besonnenheit üben, sich nicht provozieren lassen und sich nur nach den Weisungen ihrer Organisation richten. Das Verlangen der Schiedsspruhlöhne ist Pflicht. Einzelverträge fönnen nur höhere Löhne beinhalten.
Den Schiedsspruh anerkennen Solange der Konflikt in Nord- und Ostwir nicht. Wer den Revers mit Kün- böhmen nicht beigelegt ist, reise kein Baudigungsausschluß und Lohnabbauarbeiter in dieses Gebiet.
Beratungen der Großmächte
Genf , 29. April. ( Wolff.) Die deutsche, englische, amerikanische, italienische und franzöfische Delegation haben heute ein gemeinsames Kommunique ausgegeben, in dem es heißt:
In der Villa des Bessinge, dem gegenwär tigen Wohnort des amerikanischen Staatssekre tärs Stimson, hat heute Nachmittag unter dem Vorsitz Ramsay Macdonalds eine Besprechung zwischen den gegenwärtig in Gens weilenden Hauptdelegierten Deutschlands , Ame rifas, Großbritanniens , Frankreichs und Jtaliens stattgefunden. Es herrschte Einverständ
werden ehestens fortgesetzt.
nis darüber, daß es dringend erwünscht sei, daß die mit der Aussicht auf gute Ergebnisse zwischen den Führern dieser Delegationen eingeleiteten Unterredungen so bald wie möglich wieder aufgenommen würden, nachdem sie dadurch unvermeidlicherweise un terbrochen wurden, daß der französische Ministerpräsident Tardien im Augenblick nicht nach Genf zurückkehren konnte. Es ist beabsichtigt, daß die Wiederaufnahme der Unterredun gen innerhalb der nächsten 14 Tage stattfindet. Der genaue Zeitpunkt wird dieser Tage festgefeßt.
Geschichten um den 1. Mai.
Am Pietrosul.
1918. Am Fuß des Pietrosul hatte sich unsere Gruppe eine Art Jagdhütte gebaut. Villa Malepartus. Waren alles vernünftige Knaben. Der Oberjäger, Sohn eines Altsozialisten, der der Tagung in Brüssel teilgenommen hatte. Ein paar andere Familienväter, die vom Krieg die Nase schon mehr als voll hatten. Nur ciner. Ein Forsteleve. Ein ganz vornehmes Aas. Morgens pfiff er:„ Siegreich wollen wir Frankreich schlagen", abends die Kaiserhymne. Bis eines Tages die Stiefelspitze des Oberjägers in den Teil von des Forsteleven Rücken aus rutschte, wo höchst derselbe anfing, seinen anständigen Namen zu verlieren. Seitdem hatte er der Forsteleve erfreulich lichte Momente..
In der Campagne.
Einer sagte auf einmal: Heute ist der 1. Mai!" Erstaunt sahen wir den Mann an wer von uns fümmerte sich um die Tage und Monate, es war Krieg, und der Krieg ist ohne Zeit.
Der Mann sprach weiter:„ Am 1. Mai feiern die Arbeiter aller Länder das Fest der Arbeit, ihr Fest, das Fest der kommenden Zeit!"
Stille. Nur das unaufhörliche dumpfe Dröhnen des Trommelfeuers pochte an unsere Ohren. Und wieder sprach einer: ,, Kennt ihr den Wahlspruch des 1. Mai? Proletarier aller Länder vereinigt euch! Wann, wann, wann tommt der Tag, da wir die Waffen den Generalen um die Ohren hauen und die Kaiser und Könige mit nassen Feßen davonjagen, wann, wann, wann?"
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Dann kant der 1. Mai. Wir hatten beschlossen, ihn mit größter Feierlichkeit zu begehen. Kein Dienst, keine Such- Patrouille. Zwar, man mußte verdammt vorsichtig sein. Deshalb schick- Wir wandten uns nach dem um, der diesen ten wir den Forsteleven mit noch einem unsiche Hochverrat im Trommelfeuer begangen hatte. Es ren Stantonisten nach Borja ins Depot. Sie foll- war unser Kompagnieführer, ein Leutnant der ten Lebensmittel holen. Das dauerte gewöhnlich Reserve, der mit uns seit Jahren im Schützenzwei bis drei Tage. graben lag. Wie ein Rausch kam es über uns, Ten ganzen Tag vorher wurde geschrubbt, wir stürzten auf ihn zu, umarmten ihn, küßten gewaschen, gekocht und geschmurgelt. Oberjäger uns. Und auf einmal hob einer zu singen an, Heinrich bastelte seit Stunden in einer Ecke an und zwei, drei fielen ein, aber jeder wußte, irgend etwas Geheimnisvollen. Kam man under- was die fremden Worte bedeuteten, der polnische sehens näher,„ gaste" er sich aus seiner halblan- Bauer wußte es, der tschechische Schlosser, der gen Pfeife ein. Und er raucht so' ne Marke, daß niederösterreichische Fleischer, der Wiener Bäcker, selbst der Mutigste und Neugierigste erschüttert der ungarische Lehrer, der steirische Beamte. Aus Soldaten waren wieder Menschen geworden. den Rückzug antrat." Erst zum gemeinsamen Mittagessen Alle sangen mit, mit unverständlichen Worten Lammbraten, Pudding und 50 türkische Bigaret- aller Sprachen. Aber die Melodie übertönte die ten rüdte er mit seinem Geheimnis heraus. trennenden Sprachen, die Melodie: Allons Eine Feldflasche. Mit Sand gefüllt. Ein fein enfants de la patrie, les jours de la gloire sont ladierter Stab darin. Und eine rote Fahne! jarrivée." Nie war die Marseillaise so gefunden War das ein Freuen unter uns! Der eine worden.
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fag ganz verklärt vor dem roten Stück Tuch. Dann, erschüttert von der namenlos großen Schämte sich nicht der Träne, die in seinen 3ot seelischen Erregung, hodten wir wieder stumm telbart follerte. Wir andern standen in jäher im Loch. Ergriffenheit. Es war nur ein rotes Stück Tuch, gewiß. Uns war es viel, viel mehr. Bedenkt doch, wenn es auch schon 1918 war, dennoch!
Schwere Schritte polterten über die Treppe: Alarm, Alarm! Gegenangriff! Heraus aus dem Unterstand!" Wir stürzten uns wieder in die Oberjäger Heinrich sprach ein paar Worte. Hölle. Noch einmal, einmal noch am letzten Martig und ohne Phrase. Zukunftshoffen glomm 1. Mai im Kriege...
in unserm Herzen auf. Wer hätte gedacht, daß im Spital. schon der Herbst unserem Sehnen Erfüllung schenken würde. Nachher fangen wir. Die Internationale. Brüder zur Sonne, zur Freiheit. Da mals fannten wir noch nicht einmal die Texte unserer Lieder auswendig. Wir hatten seit dem 1. August 1914 feine Gelegenheit gehabt, sie je ju fingen.
So standen wir am nächsten Tage, sieben Wann hoch, ich als Oberjäger am rechten Flügel und links der Metzger aus Linz , beim Rapport. Unser Abteilungs- Kommandant war damals
Seitengewehr, pflanzt auf..
Wie ein greller Hieb prasselte das Eisengerassel in das stockende Singen. Sie sahen es, bleich, mit brennenden Augen. Es wurde Ernst. Ein paar flüchtefen. Jagten mit irr gehezten Sprüngen in eine Nebenstraße. Andere standen. Abwartend in eiserner Entschlossenheit.
Nieder mit dem König! Nieder die Diktatur! Es lebe die Republik!"
Das famt aus einer Gruppe Arbeitsloser. Männer, Frauen.
Blinde Salve über die Köpfe weg! Fener!" Das Bellen der Karabiner erstickte in dem johlenden Wüten. Chaos wirbelte auf. Jn wilder Flucht stob die Menge auseinander. Zerstäubte. Sammelte sich zu aufgepeitschten Grup
pen.
Ein Stein flog in die Soldatengruppe. Scharf schießen. Feuer!!"
Ein paar taumelten auf. Schleppten sich, wie von einem wahnwißigen Entseßen zertrümmt, einige Schritte vor. Sackten schwer zu Boden.
Bolnischer Kommunistenführer
in Rußland als Spion erfchoffen. Warschau , 29. April. Die vor einigen Tagen aus Moskau eingetroffene Meldung über die Hinrichtung des ehemaligen kommunistischen Abgeordneten im polnischen Sejm Silvester Woj e- wodzki hat heute ihre Bestätigung gefunden. Gleichzeitig mit Wojewodzki wurde auf Grund eines Urteils der G. P. U. seine Gattin, die erst vor kurzem aus einer Frrenanstalt entlassent worden war, hingerichtet. Wojewodzki, der vor der Verfolgung durch die polnischen Gerichtsbehörden nach Sowjetrußland geflüchtet war, wurde gemeinsam mit seiner Gattin von der G. P. U . beschuldigt, zugunsten des polnischen Militärbundschafterdienstes in Sovjetrußland tätig gewesen zu sein. In Polen wurde Wojewodzki nach seiner Auslieferung durch den Sejm von den Gerichtsbehörden wegen Hochverrates und kommunistischer Propaganda verfolgt.
In der Mandithurei wird weiter netämpft
Charbin, 29. April .( Reuter.) An der jüdöstlichen Front der Mandschurei ist es zu heftigen Kämpfen zwischen japanischen Truppen und Chinesen gekommen, die sich gegen die neue man dschurische Regierung in Aufruhr befinden. Die japanische Hauptkolonne unter General Muvai griff die Aufständischen an, die Haflin besetzt hielten. Der Kampf dauerte die ganze Nacht vom Mittwoch bis zum Donnerstag an. Die Chinesen, deren Zahl auf 6000 Mann geschäßt wurde, hatten 200 Tote zu verzeichnen. Die Japaner, die Hailin besetzt haben, erbeuteten einen Panzerzug, zwei Geschütze und anderes Kriegsmaterial.
Sektion der Privatangestelltenverbände im Deutschen Gewerkschaftsbund.
Am 24. April d. J. fand in Brünn eine Sigung der Sektion der Privatangestelltenverbände im Deutschen Gewerkschaftsbunde statt. Die Beratungen in dieser Sizung erstreckten sich vor allem auf die notwendigen Ergänzungen des Pensionsversicherungsgesetzes, so hinsichtlich der Herabsetzung der Altersgrenze für den Bezug der Altersrente, der Regelung der Ueberweisung der Prämienreserven von einem Sozialversicherungsträger zum anderen, besonders bezüglich der Prämienreservenüberweisungen von der Zentralsozialversicherungsanstalt zur Allgemeinen Bensionsanstalt und umgekehrt, der Durchführung des § 176 P.V.G.( Erhöhung der Rente für die militärische Kriegsdienstleistung) und der Durchführung des Gesetzes über die Anrechnung der nichtversicherten Dienstzeit. Einen beträchtlichen Teil der Beratungen nahmen die Besprechungen über die Krankenversicherung der Angestellten und über die Vorbereitungen für ein neues Angestelltengesetz ein.