Seite 4 Sonntag, 20. November 1932 Nr. 274 Politische Gefangene, der sich an der Aktion nicht beteiligt, ist Nationalsozialist. Die llngediMgen. Die erste Bierbrauerei in USA angemeldet! Dover (Staat Delaware ), 19. November. Gestern wurde hier zur Eintragung in das Handelsregister das belegte Gesuch der e r st e n Bierbrauerei- Gesellschaft vorge.legt, die nach den letzten Wahlen gemäß den Gesetzen von Delaware gegründet wurde. Die Gesellschaft will helles und dunkles Bier und andere Gc- tränkearten erzeugen. Das Grundkapital der Gesellschaft beträgt eine Million Dollar. -»> Dnudesexekutive gegen Bundesstaaten? Washington, 19. November. Der Direktor der Prohibitionspolizei Amcs W. Woodoocl erklärte, di« Prohibitionsagenten seien bereit, in die Länder, die die Prohibitionsvor- fchristen durch lokale Gesetze abschaffen würden, einzurücken und deren genaue Einhaltung unter Verantwortung des Bundes zn erzwingen. W o o d o o ck ist aber der Ansicht, daß diese Maßnahme nicht notwendig sein wird. Bomben in Barcelona . Barcelona , 19. November. Vor einem Möbelgeschäft explodierten gestern abends zwei Bomben. 14 Personen, darunter zwei Polizeibeamte, wurde» verletzt. Die Täter sirrd unbekannt geblieben. Nach einer Version soll es sich um einen Racheakt streikender Tischler handeln, nach einer anderen soll es sich um di« Tat linksgerichteter Elemente, die am Vorabende der katalanischen Wahlen Unruhen Hervorrufen wicklen, handeln. Mysteriöser Tod zweier Generalkonsul«. Sa« Francisco, 19. November. Der Generalkonsul der Republik Honduras Dr. Josä a Membreno wurde gestern in einem hiesigen Hotel tot aufgefunden; neben ihm lag in bewußtlosem Zustand der Generalkonsul der Republik Panama , Adolf Aleman. Im Hotelzimmer wurde eine halbleere Whisky«- Flasche gefunden, die von der Polizei beschlagnahmt wurde und deren Inhalt behördlich untersucht werden wird. Ehlorvergiftung durch ein gebrochenes Ventil. Tilsit, 19. November. Auf dem Anschlußgleis der hiesigen Zellstoffabrik stieß heute nachmittag ein mit Chlor beladener Wagen gegen einen unbenutzt stehenden fahrbaren Kran. Infolge des Anpralls wurde ein Ventil des Chlorwagens abgebrochen. Durch die entweichenden Gase sind von dem Betriebspersonal der Fabrik sowie der Besatzung einiger aus dem Memelstrom liegender Fahrzeuge 23 Personen, darunter zwei schwer, an Vergiftungserscheinungen erkrankt. Alkoholgegnerische Gesetze und Vorschriften werden besonders mißachtet. Nicht nur in Amerika , sondern auch, wie man immer wieder beobachten kann, bei uns. In der Slo wakei gilt ein aus dem Jahre Ern LoSesrrrteil in HSrag. Gettsvte nngesehossen rsnv erOroffelt Prag , 19. November. Heute wurde der vierte Mordprozeß dieser Schwurgerichtssession verhandelt, in welchem der 21jährige Hilfsarbeiter Josef MatouZek aus Roztokh bei K r i v o k l a t h(Pürglitz ) unter der Anklage stand, an seiner um 6 Jahre älteren Geliebten Marie Topinka einen Raubmord begangen zu haben. Zum Raubmord wurde die Tat dadurch qualifiziert, daß der Mörder nach vollbrachter Untat sich einige Wertsachen und Geld angeeignet hat, die seinem Opfer gehört hatten. Ob die räuberische Absicht mit ein M o t i v zu der Bluttat gebildet hat, ist nicht sicher. Marie Topinka hatte um des Täters willen ihre Eltern verlaffen, da diese von einer Bekanntschaft mit Matousek, der einen Übeln Leumund besaß, nichts wissen wollten. Sie arbeitete in einer Fabrik und unterstützte mit dem kärglichen Lohn(120 X pro Woche) noch ihren arbeitslosen Geliebten. Die beiden bewohnten nach dem Zerwürfnis mit den Eltern des Mädchens als Untermieter gemeinsam ein Zimmer in Roz- toky. Am 16. Juli d. I. fanden die Hausbewohner in diesem Zimmer Vie Leiche der Topinka, welche halbnackt im Bette lag. Ueber den Körper war eine rote Decke gebreitet. Die Mordkommission stellte eine Schußwunde über dem linken Auge fest, die von einer kleinkalibrigen Waffe geringer Durchschlagskraft herzurühren schien. Außerdem war der Hals der Toten mit einem Tuch fest umwickelt und zeigte Stranyulationsmarken. Die Obduktion ergab Tod durch Erstickung. Auf dem Bett, in welchem die Leiche aufge- funden worden war, hatte der Mörder ein Schreiben hinterlassen, worin er Selb st mord ankündigte. Das war aber nur ein Trick gewesen. Er fuhr vielmehr mit der Bahn nach Beraun und wanderte von hier zu Fuß in die Slowakei , wo er im Dorfe M o 8« n k o eine andere Geliebte hatte. Er wußte zwar unterwegs den Gendarmen aus dem Weg zu gehen, in in Moöenko aber nahm man den steckbrieflich verfolgten Mörder fest. Er vcrsuckte sich damit herauszureden, daß er in einem Streit ohne böse Absicht! mit seiner Flobertpistole auf seine Geliebte gezielt habe und hiebei sei z u f ä l l i g der Schuß losgegangen und die Topinka in den Kopf getroffen. Sie sei aber nicht tot gewesen und da habe er „um sie von ihre« Leide« z« erlöse«" sein« Geliebt« erdrosselt. Die Geschworenen bejahten die Schuldfrage auf Mord einstimmig, worauf der Schwurgerichtshof des OGR. Mike« den Angeklagten zum Tode verurteilte. ein QM drei Jahren einen Gesetzentwurf betreffs Un- StaatSsekr^ärS für Flugwesen und der Königklagbarkeit von Zechschulden ausarbeiten las-1 befanden r-»..«s unter den Glückwunschtelegrammen auch ,,> u. a. von ArNalie Earhardt und von dem französischen Rekordflieger Costes. Die Einzelheiten über den Flug 1883 stammendes Gesetz, das die Klagbarkeit von Zechschulden auf ein Mindestmaß beschränkt, Gesetz, das den Bauern, den Arbeiter vor dem Ruin schützen sollte. Desto mehr muß man sich wundern, daß das Landesamt in Preßburg anscheinend keine Kenntnis von diesem Gesetz hat, denn sonst hätte es weder die Klage des Gastwirts in P o l o m k a, noch eine Exekution für ein« Folgerung aus Zech- schulden zulassen dürfen. Beides ist nach dem in der Slowakei geltenden Gesetz u n z u l ä s- sig. Uebertreten werden auch die Verbote des Alkoholausschanks bei den Wahlen, die Sperr st undevor- s ch r i f t e n, obwohl sie keineswegs den heutigen Notzuständen entsprechen, ferner die Lex Höllischer, welche laut§ 7 DB, in allen Lokalen, wo alkoholische Getränke verabreicht werden,„an auffallender Stelle durch eine gut leserliche Kundmachung zur Kenntnis" gebracht werden soll. SBefcet in den Automaten noch in den unzähligen Gaststätten Prags findet sich eine solche Kundmachung. Uebertreten werden die L e t t- sätze über Konzessionserteilung vom 7. Oktober bis 7. November wurden m Prag 67 neu« Ausschankkonzessionen erteilt, trotz aller Proteste. Die Zentralstelle der deut" schen Enthaltsamkeitsvereinigungen in der Tschechoslowakischen Republik hat bereits vor je« und vor zwei Jahvm hat unsere Partei, s^che von Flyern mit M-lMamem so ine sich als einzige immer wieder für em- 1~--■- schränkende Maßnahmen gegen den Moholis- w mus einsetzt, dem Parlament einen solchen zeige»"den ungewöhnlichen Mut der Fliegerim Gesetzentwurf überreicht. Hoffentlich bringen die Vorgänge in der Slowakei eine raschere Behandlung des Antrages zuwege. Minister für soziale Fürsorge Dr. Tzech empfängt Dienstag, den 22. d. keine Besuche. Die Krise«nd die Ladenpöchter. Aus Weipert wird uns gemeldet: In den Kreise« der Geschäftsleute i« Weipert , die Läden in Miete innehaben, wird mit Rücksicht darauf, daß der Umsatz gegenüber de« früheren Jahren außerordentlich stark zurückgegangen ist, und der frühere sehr beachtliche kleine Grenzverkehr gleichfalls bedeutende Einbußen zu verzeichnen hat, eine Aktion vorbereitet, die darauf abzielt, eine He rabsetzungder bisher geltenden Mietpreise für Geschäftsläden von den Hausbesitzern herbeizuführen. In mehrere« Besprechungen, die von Geschäftsleuten aller Branchen besucht waren, wurde nach eingehender Beratung des Gegenstandes beschlossen, unter Hinweis auf die gegenwärtige chwierige Lage der Ladeninhaber und mit be anderer Berücksichtigung des Charakters der Grenzstadt eine bis zu 50 Prozent abgestufte Ermäßigung, bzw. Herabsetzung der bisher eingehobenen Mietpreise durchzüsttzen zu versuchen. Der in dieser Angelegenheit vorbereitete Kollektivschritt dürste schon in den nächsten Tagen erfolgen. Amy Mollifo« wird beglückwünscht. Die britisch« Fliegerin Amy Molli fon erhalt nach Beendigung ihres Fluges London —Kapstadt in Kapstadt Glückwunschtelegramme auS der ganzen Welt. Unter ihnen befanden sich als erste Glückwünsche des Königs von England, des britischen Amy Johnson wurde während ihres Fluges von einem Tropen-Gewitter überrascht, das sie er- solgreich überstehen konnte. Dazu kam noch eine Störung in der Oelpumpe, so daß sie im Herzen Afrikas zu einer Notlandung gezwungen war. Sie behob den Schaden mit improvisierten Werkzeug. Die Zeit, d. i. vier Tage, sechs Stunde» und 53 Minuten, die sie erzielte, wäre besser ge« wesen, wenn sie nicht gezwungen gewesen wäre, nach Gao zurückzukehren, als sie nach einem über ein« Stunde währenden Fluge über der Wüste bemerkte, daß ihre Be^nbehalter schlecht angefüllt worden waren und nur soviel Benzin enthielten, daß sie gerade noch genug Betriebsstoff hatte, um zurückzukehren und ihren Vorrat in den Behältern zu ergänzen. Trotzdem sie während der ganzen Zeit ihres Fluges nur fünf Stunden schlief, beendete sie den Flug tti guter Kondition, schlief aber nachher vierzehneinhalb Stunden ununterbrochen. Tödlicher Unfall durch ein unbeleuchtetes Auw. Gestern nach sechs Uhr abends fuhr der Chauffeur Adalbert DoleLal mit einem Autobus durch die Palacky-Straße in Prag - W-rscho- witz und stieß bei der dortigen Tranckascrne plötzlich aus ein leeres Lastauto, das der Chauffeur Josef Hrbek unbeleuchtet st ehe« gelassen hatte. Bei dem Zusammenstoß wurde ein Soldat das Infanterieregiments Nr. 28, dessen Name noch nicht ermittelt ist, so schwer verletzt, daß er nach der Ueberführung ins Gar- rrisouSsPitol verstarb. Außerdem erlitten noch ! zwei Personen leichtere Verletzungen. Der schuld- tragende Chauffeur wurde verhaftet. Der dritte Leichenwff«... Auf dem Fundbüro des Hauptbcchnhofes in Rom wurde ein Kosstr geöffnet, der einen üblen Geruch ausströmte. Das Gepäckstück enthielt die Teil« eines weiblichen Körpers, die in Mei anderen Koffern, di« am Vortage unter den gleichen Umständen im Neapel geöffnet worden waren, sthlten. Don den Urhebern des Verbrechen? fehlt noch jede Spur. Vom Rtmdhmk Empfehlenswertes aus ven Programme«. Montag: Prag : 6.15: Gymnastik. 11: Schallplatte«. 15.38: VioloncellchDorträge. 17.30: Kinderfunk: Deut sche Sendung: Reichenberger: Wir wollen helfen. 19.20: Klavierkonzert. 21: Orchesterkonzert. — Bräun: 15.30 Klavierkonzert. 18.25: Deutsche Sendung: Dr. Schönfeld: Der Okkultismus.— Mähr.-Ostrau: 12.30: Orchesterkvnzert. 18.80: Deutsche Sendung: Maria Stona liest an« eigenen Werken.— Berlin : 19.10: Chorgesänge.— Breslau : 21: Mandolinenkonzert.— Mühlacker: 19.30: Unbekannte Lieder von Schubart.— Hamburg: 19.30: Zwischen Abend und Morgen?— Königsberg : 19.05: Liederstunde.— Langender-: 21.15: Worüber Böller lachen.— München : 16.20- Arien Don* Pueeini. 20.05: Symphomekonzcrt:— Wien : 1925:„Der Bettler Namenlos", Oper von Heger, Dienstag: Prag : 6.15: Gymnastik. 11: Schallplatte». 15.90: Klavierkonzert. 18.25: Deutsche Sendung: Dr. Wolff: Die Kumst der Rede. 20.80: Beethoven ' Biolinsonaten. 21: Konzert. 21.15: Blasmusik.— Brünn: 1220: Orchesterlonzert. 15.30: Cymbalvör» träge. 18.25: Deutsch « Sendung: Landwirt schaft. -a Berlin : 20: Klassische Motetten. — Breslau : 16.10: Äugend musiziert.— Mühlacker: 20: Lieder und Duette.— Königsberg: 16: Orchesterkonzert. 19.30: Heiteres auS dem Tierreich.— Sangen berg: 17: Kammermusik. — Wien : 19.30: Borträg» auf zwei Klavieren. Dtr rrOhkapMaUsmas. Die völlige Zerrüttung der kapitalistischen Wirtschaft macht di« Köpf« der Menschen auch in Deutschland immer empfänglicher für den wissen- schaftlichen Sozialismus. So wie die ökonomischen Lehren des Marxismus immer mehr in das menschliche Bewußtsein eindringen,>'o wird auch der Wahrheitsgehalt der materialistischen Geschichtsauffassung immer mehr erkannt. Selbst in den großen repräsentativen Geschichtswerken muß man die wirtschaftlich-sozialen Grundlagen des geschichtlichen Geschehens immer mehr berücksichtigen, wie dies in der großen mit allen Mitteln moderner Buchtechnik ousgeftatteten Propyläen-Weltgeschichte geschieht.*) Der neueste Band diese- Werkes heißt„Tas Zeitalter der Gotik und Renaissance" und behandelt hie Geschichte Europas von etwa 1250 bis 1509, di« Zeit, in der die feudale Gesellschafts- ordnüng ihren Höhepunkt überschreitet und in ihrem Innern die ersten Zellen bürgerlichen Lebens entstehen. Den entscheidenden Anstoß erhielt die europä ische Gesellschaft im 13. Jahrhundert durch di« Ausdehnung der Warenproduktion, die an Stell« der Produktion für den eigenen Gebrauch trat. Bor allem haben die Kreuzzüge das noch im tiefsten Feu-aliSmuS steckende Abendland in Verbindung mit dem Morgenland gebracht, welches«ine wett höhere gewerblich« Kultur aufwies. Das Bedürfnis noch den Waren des Orients, das zuerst in den herrschenden Klassen Europas auftaucht, wird von italienischen Kaufleuten befriedigt, welche die ersten Träger eineS Fernhandels werden, und fast ga»; Europa mit den Produkten der Levante und des Orients versorgen(S. 16). Die italienischen Kaufleute werden so zn Bahnbrechern des Großhandels überhaupt, der dann auch im Abendland hergestellt« gewerbliche Waren allüberall ab- setzt, wie es die Nürnberger Kaufleute getan haben, di« bis nach Konstantinopel im Osten und Spanien im Westen vordrangen(S. 340). *2 Erschienen rm zlroxtzläen-Verlag, Berlin , In diesem Fernhandel sind nun die gro- ßen Vermögen entstanden, di« das Wirtschaftsleben befruchtet und auch die Produktion umgestaltet haben. Das im Handel entstandene Kapital greift nun auch auf di« Erzeugung über und ermöglicht erst so die Entstehung g rö-. ßerer gewerblicher Betriebe. Insbesondere war es der Erzhandel, der großzügig und international organisiert wurde und von wo aus insbesondere die süddeutschen Handelsherren, in erster Linie die Fugger m Augsburg , m den Erzbergbau selbst eindrangen und größere Betriebe schufen, in denen auch ein zahlreicheres Bergwerksproletariat entstand. ,Mir hören von vergleichsweise bedeutenden Arbeitermasten, die siäy in den großen BerEvcrksdistrik-s ten etwa Tirols und Ungarns , oder Sachsens und Böhmens znsamnienfanden. Und diese Derg- ardeitex hoben schon früh wichtige Eigenarten des modernen Proletariats ausgebildet. Da ist die Unsicherheit der Exiscenz bedingt durch nicht selten auftretende„soziale Arbeitslosigkeit". Eind Grube ersäuft, oder Feuer zerstört das mühsam geschaffene Werk der Stollen und Schacht«. Ein Bergwerk erscheint nicht mehr lohnend. Hunderte verlieren zu gleicher Zeit Arbeit und Brot. Da ist schon die Nomaden Hastigkeit. Wenn das Proletariat des 19. und 20. Jahrhunderts in besonderer Weise dadurch mitcharaktcrisiert ist, daß ihm die Seßhafti^eit fehlt, daß es der Konjunktur nachzieht, so hat auch hier unsere Zeit nur etwas vergrößert und intensiviert, was w'r im Keime schon im Leben des Bergarbeiters des 15. und des beginnenden 16. Jahrhunderts finden." Ebenso gemahnt an später« hochkapitalistische Zeiten di« Entstehung von Gesellschaften mehrerer Kapitalisten zum Betrieb eines Unternehmens, die Monopolisierung des ungarischen Kupferhandels durch die Fugger und das Börstn« spiel mit Wertpapieren, besten Anfänge ebenfalls in die letzten Jahrhunderte bei Mittelalters'zurückreichen. Von noch nachhaltigeren Folgen allerdings war bas Einbringen des im Handel entstandenen Kapitals in die Textilerzeugung, der Mastenbebarf an Bekleidung begann in den ent- steherchen Texliluranusakluren gedeckt zu werden. Di« Erzeugnisse Lieser Textilunternehmungcn wuiden in die ganze Welt verkauft, Italien und Flandern waven die Mtttelpunkte dieses Welthandels mit Textilien. Bedcütjam für die uns geschilderte Zeit ist aber auch die Entstehung eines Kreditsystems. Da das Kapital, welches für Handel und Gewerbe erforderlich war, wuchs, wurde das Bedürfnis nach sofort greifbarem Geldkapital groß und das Geldverleihgeschäft gedieh. Di« ersten Bankgeschäfte entstanden in Italien . Es waren iusbcwnder« Kirche und Papsttum, welche di« Entstehung eines ausgebildeten, weit- verzweigten Bankgeschäfts begünstigten.„Die vielfachen Aufgaben, die das um sich greifende päpstliche Finanzsystem besonders feit dem 13. Jahrhundert stellte, waren ohne reiche Kaufleut« nicht zu lösen. Di« mannigfachen Geldüberweisungen aus der ganzen Christenheit nach Rom , Darlehen aus diese Abgaben hin, solche und Lyn- liche Aufgabenkreise, wie sie das Papsttum und die Weltkirche stellte, haben am meisten dazu beigetragen, daß aus der italienischen Kauf- mannLwelt als Oberschicht ein mächtiges, internationales Bankiertum herauswachsen konnte." Jnsbesorrdere die Medici in Florenz und die Fugger in Augsburg haben den Papste» mit Darlehen und Vorschüssen ausgeholfen und es ist ja aus der Geschichte der Reformation bekannt, daß gleich hinter dem Ablaßprediger der Gehilfe des Bankiers ging, um die Büchse zu leeren, wenn die Frommen ihr Geld hineingetan hatten und so aller Sünden(vergangener und zukünftiger) los und ledig zu sein. Allein der Zehnt, der in Deutschland erhoben wurde, betrug im 14. J'hrhunderr 300.000 Gulden, der der ge- 'antten Kirche etwa 1.5 Millionen, was nach dem heutigen Geldwert ungefähr einer halben Milliarde K« gleichkommt. Die Folgen dieser ganzen ökonomischen Entwicklung waren sozial und kulturell hochbedcur- 'am. Sie haben eine neue Klasse, die Bewohner der Städte, die Bürger zu Reichtum, An'ehen und Macht cmporgeführt. Die Stabte haben sich \ allmählich von der Mach: der feudalen Grundherren befreit und Selbstverwaltung erlangt. An die Stelle der Rechtlosigkeit des städtischen Unjcr- ttrnen gegenüber dem adeligen Stadtherren trat seine Freiheit von feudalem Druck und feudaler Willkür, es drang der Grundsatz durch: Stadtluft inacht frei.„Der Begriff der persönlichen Unfreiheit verschwand in den Mauern der Städte; die ungezählten Abhängigkeitsverhältnisse des Platte» Landes, kurz, di« Gesellschaftsordnung der Feudalität war durchbrochen und über« wunden. Das war die Tat des Bürgertums, und eS hat einen tiefen Sinn, wenn von dem Bür» gcrtum der Städte her später die Bezeichnung des rechten Verhältnistes des einzelnen zu seinem Staat ausgeht: Staatsbürger nicht Untertans (S. 288.) Aber auch die geistigen Folgen dieser Wirt' schaftsentwickluna waren epochemachend. Nicht nur regte« sich die Zweifel an dem ganzen idecn logischen Gebäude der Feudalität, der Kirche, „im Innern des Menschen begannen sich Zweifel und Kämpfe abzuspielen, die dem Mittekllter durchaus fremd gewesen waren"— di« feudalen Höfe und Kirche hörten auf, alleinige Träger oelstiger Kultur zu sein, immer mehr tvar-er Fortschritt der Kultur an das städtische Bürger« rum gebunden, da- die unsterblichen Werke d«r Renaissance, die erst auf Grundlage der bürger' lichen Entwicklung möglich war, geschaffen Hat- Alle große Kultur wurde seither„mit den Städten und ihren Menschenanhaufungen vek' Kunden"(S. XXIV). Di« kulturelle Entwick' lung ruhte von nun an auf den Schulter» des bürgerlichen Laientums—„auS sozialen Bersch iebunge» war auch oie kul' turelle Veränderung hervorgegangen", so kann man es in der Einleitung des besprochenen Werkes lesen. Die wenigen Andeuttrngen über di« Gründ' gedanken dieser Geschichte der Gotik und Renaissance werden genügen, um festzustellen, da? weit über die Kreise der Sozialisten hinaus dir Erkenntnis von dem tiefen Wahrheitsgehalt marxistischer Geschichtsausfaffnng dringt. wie das Proletariat politisch immer mehr vorbringt, so erobert sich auch seine Geschichtsauffan lüng immer mehr den Platz, auf dem die bürgerliche Wissenschaft Schritt für Schritt zurückweicht.. Zmil Strauß.
Ausgabe
12 (20.11.1932) 274
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