Sonntag, 25. Dezember 1932

Sedfismal Weihnachten.

I.

Von Herbert Reinhold.

III

Nr. 304

bann über die Waag in ein schwarzes Loch, einen| Mondenschein am Rande des filbern glitzernden Inapp zwei Meter breiten Tunnel. Wir schäßten Mittelmeeres. Hinter uns brodelte das Leben seine Tiefe fünfhundert Meter. Mir war uitbe- derer, die von der Arbeitskraft Millionen werfen­I haglich zumute. Ich dachte: Wahnsinn!" Men der Menschen zehren. An diese Ausgebeuteten, Kamerad dachte: Wahnsinn!" Aber feiner fagte die fämpften um die Befreiung ihrer Arbeit, ein Wort.. dachten wir noch, als den Mond rot das Meer verschluckte..

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VI.

1929 rief mich eine Gruppe freidenkender

lich brüllend sprang er aus dem Bett, hob das Das war 1924 im Naßfeld bei Bödstein im Drahtding aus und schleuderte es in eine Ede. Ueber dreihundert Meter waren wir im Gasteiner Tal. Ende Oktober waren wir froh Schaum vorm Munde brach er zusammen. Wäh­getvejen, als Obertagearbeiter bei der Gewert renddessen troch ein idiotischer Provencler zivi Berg. Das Loch wurde enger. Der Schienen­schaft Rathausberg unterzukommen. Das 1700 ichen den Betten umher, die Schuhe der anderen Meter hoch gelegene Goldbergwerk war seit jeher tüffend. Neben uns lag ein Asthmaleidender, der meg ichien uns endlos. Wir fürchteten uns. Da ein Winterschlupf der Leute von der Landstraße. in einemfort stöhnte. Links von uns röchelte ein plaßte mein Kamerad heraus: Jett ein Zug, Sportgenossen hinauf ins Fichtelgebirge , das weiß Biel zu verdienen gab es nicht, aber man hatte Lungentranter häßlich. In der Fensterreihe war und wir sind zur Katz." Wenn schon," antwor- lag unter der Decke Milliarden und Abermil­ein wenn auch dürftiges Dach über dem Kopfe zwischen einem Spanier und einem Italiener ein tete ich, Gelassenheit vortäuschend. ,, Unt Um diese liarden feinster kristallischer Flocken. und sicheres Brot. Zu sechs lagen wir auf der Gebalge ausgebrochen, das wuchs über den gan Zeit kommt selten ein Zug. Und...? Es gibt Wir waren alles Leute aus den Steinhaufen Barackenstube: zwei Reichsdeutsche und ein Steigen Saal. Ein Spedjäger schlug vor seinem Bette nur zwei Möglichkeiten dann in diesem Loch: ent- der Städte. Senisterno bahnten sich unsere Stier rer, junge Menschen, und ein Kroate, ein Tscheche sein Wasser ab. Es war efelhaft. und ein Däne, Spedjäger ältesten Ranges. Ob- Wir haben diese Nacht kein Auge zugefan. weder wir gehen selbst heraus... oder wir werden Weg auf verharrschtem Schnee zum Gipfel eines Berges. Dann standen wir oben und wohl wir politisch verschiedener Meinung waren, Erst als der Morgen in den Saal kroch, atmeten den getragen, das heißt unsere Leichname schauten zu Tal: tief unten zogen viele Mensch­vertrugen wir uns. Wir waren aufeinander anwir auf. Und nach 7 Uhr standen wir nüchternen Jedenfalls... hter ist's wärmer." Wir becil- lein zur Christmette. Ihre gelben Kerzen krochen gewiesen in allen Dingen. ten uns... bedächtig vorwärts. Vor einer Kirche stauten sich Magens im feinen Sprühregen am feiertäglichen die Lichter. Melodien schwermütiger Lieder alten Hafen und starrten nach der Menschen­schwangen sich zu uns herauf... Auf den Nach­menge, die nach dem Hügel von Notre- Dame barbergen aber brannten mit einem Male hell­dela Garde hinaufpilgerte... auflodernde Feuer in die Nacht! Dort wußten wir Genossen! Auch sie feterten Wintersonnen­wende. Da öffneten sich unsere Herzen. Wir traten zusammen zum Kreis. Ein Flammen­bündel schoß in den grauen, schneeschivangeren Himmel

Am 24. Dezember zerschlug sich unsere Ge­meinschaft: Wir hatten zweite Schicht bis 10 Uhr abends. Das Wetter war unfreundlich. Tag über hatte es geschneit, und gegen Abend blies ein häßlicher Wind eisige Kälte von den Tauern. Mit steifen Knochen, todmüde, stapften wir nach unserer Barade. Wir wollten Weihnacht feiern, wie es unter landfremden Kumpels üblich ist: mit Kartenspielen und Trinkgelagen. hatten wir uns vorgenommen, ins Tal hinabzusteigen. Lawinengefahr ließ uns den Plan verwerfen.

Gegen Mitternacht schwelte in der Stube dicker Tabaksqualm. Es stant nach Bier und Wein. Von den Nachbarbaraden waren Kameraden gekommen, die nach Knoblauch und Hammelfleisch rochen. Die Gemüter waren erhitzt. Wir warfen mit Zoten umber, daß es nur so aufgeilte. Und plöglich brachte einer die Rede auf das einzige weibliche Wesen im Naẞ­feld, auf das Kantinenmädchen, die als unnahbar galt. Jeder brüstete fich, mit ihr etwas zu haben. Wir Lachten uns gegenseitig aus, nannten uns abgefeimte Lügner. Dann stichel­ten wir so lange, bis eine Rauftret auffam.

Am 25. Dezember mußten wir mit fünf Kameraden unser Bündel paden, weil wir im Suff die Baracke demoliert hatten. Uns traf es dop­pelt schwer; denn im Spiel hatten ivir unsere Ersparnisse verloren. Schrecklich ernichtert und voller Bangen bor dem Kommenden schleppten wir uns durch den falten Tag, unbekanntem Ziele zu. Jn Bad Gastein läuteten die Glocken zur Weihnachtsmesse..

II.

1925 überlegten wir lange, was wir tun sollten: in das Trapiſten­floster gehen oder hinter einer Mauer Platte beißen. Das Wetter und unser Geldbeutel zwangen uns schließlich, den vernünftigen Weg ein­zuschlagen. Also schlürften wir durch lichtlose Marseiller Gassen nach dem Deuvre. Hospitaliere. Beim Abgeben der Papiere sagte der Torhüter: Heute ist Weihnacht!" Was scherte uns das. Wir hatten die Nase voll. Uns war ein Tag wie der andere: 30 Kilometer Marsch, Hunger und Kälte. Weihnacht galt uns nur als Gradmesser des Winters: die kälteste Jahreszeit stand uns bevor!

Nach einem köstlichen Bade in heißem Wasser hockten wir mit der zusammengewürfelten Gesellschaft der internationalsten Stadt Frankreichs nächst Paris an rohen Tisch, Erfah rungen und Erlebnisse austauschend. Um uns herum, an anderen Tischen, saßen Neger und Malaien, die im Hafen schwer arbeiten und doch

III.

Ein Jahr später bahnten wir uns mühsam Ghedem[ inen Weg durch meterhohe Schneewehen, um

Und urplöglich, wie aus dem Boden ge­lampft, waren vor uns zivei feurige Augen: Ein Zug! Wir liefen, was wir laufen fonn ten. Wir liefen um unser Leben! Dem Zug ent­gegen!... Wir schlossen die Augen, preßten uns hart an die rußigen Wände und zitterten... Es brauste an uns vorbei Wir spürten die Wagen... Wir hörten den Luftzug! Uns fror,

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Weihnachten am Rande

während der Schweiß in die Kleider siderte. Dann brachen wir nieder...

Wir reichten uns die Hände, und ich sprach: ,, Genossen, oftmals hat die strahlende Sonne ihre Bahn gewen­det, ehe die Arbeiterschaft sich zu flarer Erkenntnis durchgerungen hat. Vielmals wird sie ihre Bahn noch wenden, ehe wir unser großes Ziel erreicht haben! Laßt uns unsere Straft aufs neue weihen diesem Ziele! Noch stehen viele abseits. Wir wollen sie gewinnen und wir werden sie ge­winnen!... Ein Winter wird kom­men über das Proletariat, aber es wird hernach Sommer sein! Trotz alle­dem! Vorwärts- und aufwärts, Ge nossen! Für den Sozialismus!"

Die Entstehung desWeihnachts­baums.

Der Weihnachtsbaum mit den brennenden Kerzen hat sich zum einen

Teil aus dem altgermanischen Jul fest herausentwidelt. Man pflegte in heidnischen Urzeiten um die Zeit der Wintersonnenwende jetveils a m Vorabend eines Feierta­ges in der Halle des Wohnhauses einen großen Holzklop anzu­zünden; anderseits trug man in der Winterzeit immergrüne Zweige in die Häuser, als Trost bis zum Frühling! Im fünfzehnten Jahrhun­dert steckte man um die Neujahrszeit Tannenreiser an die Häuser.

Im siebzehnten Jahrhun dert nähern die beiden Sitten sich einander: man schmückt in der Christ nacht die Wohnungen mit Reisern und beleuchtet sie gleichzeitig festlich mit Kerzen, die man sich gegenseitig schenkt.

Im Jahre 1605 wird der Weih­nachtsbaum das erstemal urkundlich erwähnt. Das war im Elsaß . Auf Weihnachten richtet man Tannen­bäume zu Straßburg in den Stuben auf, daran henket man Rosen, aus vielfachen Papier geschnitten, Aepfel, Oblaten, Zischgold, Zucker usw."

So, ohne Kerzen, verbreitet sich der Weihnachtsbaum im siebzehnten und achtzehnten Jahrhundert über ganz Deutschland .

Er stieß vielfach auf Widerstände dabei. Die Forstmeister wetterten gegen den Wald­

nicht das Geld aufbringen fönnen, sich ein gutes| von Varnim nach Rutted in der Slowakei zu Quartier zu leisten. Gegenüber tuschelten Chauf- femmen. Aus dem Dorfe Varnim hatten uns feure und Straßenarbeiter, die dank ihrem ge- die Zigeuner gejagt, weil wir abgelehnt hatten, Wie lange wir dagelegen haber? Wir wis- frebel. ringen Verdienste gezwungen sind, im öffentlichen an ihrer Mahlzeit teilzunehmen. In Rutted en es nicht. Aber im Osten zeigten sich die ersten Asyle zu nächtigen. Das Gros an unserem Tische sollte es Deutschsprechende geben. Deshalb woll- Boten des neuen Tages, als wir noch schlotternd Goethe fennt in seiner Kinderzeit die refruterte sich aus ehemaligen Legionären, die ten wir in stockdunkler Nacht dorthin. Unsere aus dem Tunnel traten. Auf der Straße gab mir Sitte nicht. Im Werther" aber( 1774) schildert heute von Algier und Oran herübergekommen Straße zwengelte sich das enge Waagial aufwärts. mein Kamerad die Hand und sagte: Servus!. waren. Sie heulten wie die Kinder. Teils vor Von den hohen Felsen krachten Staublawinen Danke schön!... Noch ein Jahr mache ich das Freude, wieder europäischen Boden unter den nieder. Nordoststurm heulte. Harter Schnee nicht mit! Das war Weihnacht, Freund!" Füßen zu haben, teils aus Furcht vor der unge- tnisterte unter unseren Füßen. wiffen Zukunft. Einige junge Kunden aus Deutschland und Desterreich fragten sie aus, weil

Wir achteten nicht des Tobens der Natur­

IV.

1927 gab uns der große Schneefall während sie in die Legion gehen wollten. Aber aus den fräfte. Wir dösten. Gern hätte einer dem ander ersten Dezemberwochen einigen Verdienst. psychisch abgeſtumpften, mürben Männern war deren ins Gesicht geschrien: Du trägst die Schuld, Zwer Lage vor Weihnacht war Tauretter einge­fein vernünftiges Wort herauszubekommen. Kurz vor neun wurde eine uns unverständ- daß wir hier traben! Du allein! Du!" Da treten, das uns erwerbslos machte. Am 24. De liche Predigt mit allerhand zeremoniösem Kram wir aber wußten, daß eine solche Art der Unter- sember meldeten wir uns beim Arbeitsamt der abgehalten, die uns wie eine Komödie vorkam. haltung unersprießlich ist, schwiegen wir. Nur Heimatstadt. Arbeitslos!... Hunger! Kälte! Auch in der Heimat, nach der wir Hernach erhielten wir mit falbungsvollen Worten sprechende Blide fagten, was wir dachtert. Bei uns fünf Jahre gesehnt hatten!... anläglich des Weihnachtsfestes doppelte Bortionen zweifelhafter Suppe und ein Stüd Weißbrot. Bende Kälte ließ uns in die spedigen Mäntel frie­Dann aber hieß es schlafen geben in die großen chen und an sonnige Tage denken, auch Schlafsäle, die fauber und luftig sind. ersten Male, seit wir die Straßen der Welt kreuz­ersten Male, seit wir die Straßen der Welt kreuz­Diese Nacht werden wir nicht vergessen. ten an die warmen Stuben in der Heimat, Unter den 300 Mann im Saale mar eine Unruhe, Eine Sternschnuppe knallte von den Wolfen die die ganze Nacht anhielt. Was die Gemüter erregte, ei dahingestellt. Vielleicht war es die m die Dunkelheit. Da blidten wir auf. Die Predigt vielleicht auch die Suppe, in der viele Straße wand fich in riesigen Sturven. Ein Wei­1928 bummelten wir fechtend von Antibes Schwaben gefunden wurden. Ein Neger eröffnete fer zeigte noch Rutted. 15 Stilometer. Vor uns den Tumult. Er litt an Wachträumen. Entsetz- lief das Schienengestränge der eingleisigen Tatra- nach Nizza . Weihnacht erlebten wir bei hellem

zum

Der schwüle Abend fand uns im Winkel unserer einfachen Bude, rechnend. Die Rechnung war einfach: Wir frochen in die Betten und er innerten uns unangenehmerer Tage draußen in der Welt...

V.

er sie schon ausführlich: An demselben Tage, es war der Sonntag vor Weihnachten, lam er abends zu Lotten und fand sie allein. Sie beschäftigte sich, einige Spielwerke in Ordnung zu bringen, die sie ihren kleinen Geschwistern zum Christ­geschenk zurechtgemacht hatte. Er redete von dem Vergnügen, das die Kleinen haben würden, und von den Zeiten, da einen die unerwartete Deff­

nung der Tür und die Erscheinung eines aufge­pußten Baumes mit Wachslichtern(!), Zuderwerk und Acpfeln in paradiesische Entzückung setzte. Sie sollen", sagte Lotte, indem sie ihre Verlegen­beit unter ein liebes Lächeln verbarg. Sie sollen auch beschert kriegen, wenn Sie recht geschickt sind, ein Wachsstöckchen(!) und noch was."

Aus dem Jahre 1789 stammt dann die erste Abbildung des lichtergeschmückten Baumes, und im neunzehnten Jahrhundert drang er bis A. St. ins letzte Dorf, bis ins fernste Tal.