Bunte Woche
Die Stimme klang anders als sonst, fast aufgeregt, wenn man bei Ottokar dieses Wort überhaupt gebrauchen konnte. .Selbstverständlich." .Ich bin in zehn Minuten da." Der Diener, der ihn meldete, war sichtlich verlegen; er wußte nicht recht, waS zu sagen. Nora unterdrückte ein Lächeln über dcä stammelnde: »Der Herr Graf... Graf Sternbach läßt fragen..." Es war wirklich komisch, daß Ottokar sich bei ihr anmelden lassen mußte wie irgendein beliebiger Bekannter« Sie ging ihm entgegen. „Das ist nett, daß du mich besuchst", sagte sie heiter.„Ich wollte dick ohnehin bitten, einmal zu kommen. Muß dir danken, daß du mir die Scheidung so erleichtert hast." Er setzte sich ihr gegenüber in ernen der kleinen Lehnsessel, die er immer gehaßt hatte, weil er nie wußte, wohin mit seinen langen Beinen. „Ich habe heute einen Brief bekommen von meinem Rechtsanivalt..." Er stockte. .Ja, und?" „Nora, es fällt mir furchtbar schwer, es dir zu sagen... Wir hatten doch abgemacht, daß du monatlich achttausend Mark bekommst und..." Er blickte sie hilflos dn. „Ja. Aber ich verstehe nicht..." „Die Bank...", begann er zögernd, ...„weißt du, die Elsterbank, bei der ich alles hatte... sie hat ihre Zahlungen.eingestellt.,. Mein ganzes Vermögen ist zum Teufel." Nora erblaßte. Sie schwieg einen Augenblick und versuchte, OttokarS Mitteilung zu begreifen. Dann sagte sie ungeduldig: „Ja, aber um Gottes willen, hast du -ich denn nie um diese Angelegenheiten gekümmert?" „Nein", gab er zu.„Das hat alles der Rechtsanwalt für mich gemacht. Ich kannte mich überhaupt nicht aus. Und jetzt ist irgendein großer Konzern in Konkurs gegangen und hat die Bank mitgerissen. Das schreibt mir der Rechtsanwalt. Was weiß denn iöh von Konzernen, das bloße Wort war mir immer unsympathisch. Ich sehe ja ei», daß ich falsch gehandelt habe. Schon deinetwegen hätte ich mich um die Sache kümmern müssen." Er seufzte.„Ich bin eben ein hoffnungsloser Tepp, Nora. Aber, daß du darunter leiden mußt..." »Ist gar nichts mehr da?" fragte sie. /""„Zwanzigtausend Mark, die irgendwie, rrgendwoanderS angelegt waren. Ich wollte dir fünfzehntausend davon geben; fünf Möchte ich, wenn es dir recht ist, behalten; rch mutz doch auch für Irene sorgen/ Nora lachte hell auf:„Mit fünftausend Mark!" „Professor Braun ist bereit, mich in seinem Laboratorium anzuftellen. Aber fürs erste bekomme ich nur ein winziges Ge- halt." Nora blickte ihn an. Wie anständig er war, wie hilflos. Wie sollte ex zurechtkommen, in einem Leben daS Brutalität, Reklame, Trompetenlärm fordert? „Du wirst dich ja nie durchsetzen", meinte sie ungeduldig. „Irgendwie wird eS schon gehen. Es ist nur deinetwegen... Du hattest doch dein Leben auf-en Gehanken oufaebaut, kerne Geldsorgen zu haben. Wie wirst du eS ertragen?" '„Na. glso weißt du", sagte sie ehrlich, „als Millionärin bin ich ja gerade nicht ausgewachsen, Von daheim aus bin ich ans Sparen gewöhnt." „Es ist lieb von dir, daß du mir kein« Borwürfe machst." Sie schwieg und überlegte. Er holte sein Zigarettenetui heraus und begann zu rauchen. „Du bist ja so schön, Nora", sagte er dann,„wirst bestimmt bald wieder heiraten. Das ist bei dieser gqnz verwünschten Sache mein einziger Trost. Und einstweilen gehst du vielleicht zu deinen Eltern..." „Gott bewahre! Fällt mir nicht ein." „Ja, aber Liebste, wir werden, das heißt, du wirst die Villa verkaufen müsien. Und auch das Auto, fürchte ich." Nach Hause gehen, in die trostlose Ode zurückkehren, der sie vor zwei Jahren so freudig entflohen war. Zurück in ihr schäbiges kleine- Mädchenzimmer mit der verblaßten Tapete, deren gelbe Rosen auf braunem Grund sie immer so gehaßt hatte. Und wieder die endlosen Abende, die stets aufgeregte Stimme der Mutter, die von belanglosen Dingen redete, die Schadenfreude der Bekannten: natürlich, dir Nora Beh- rend. die hat einen Grafen heiraten müsien, billiger hat die'- nicht gegeben, und jetzt fitzt sie da, eine geschiedene Frau, ohne Geld... Plötzlich fühlte sie, was alles ihr dieser Mann da in den zwei Jahren ihrer Ebe gegeben hatte; und was hatte sie ihm dafür geschenkt? „Hör zu", sagte fl« unvermittelt,„jetzt, da die Sachen so stehen, bleiben wir beisammen." Er starrte sie verständnislos an; sein Blick fiel auf die Scheidungsurkund«, die aus dem Tisch lag.
„Wir sind doch geschieden, Nora. DaS ist noch ein Glück für dich." „Man läßt einen Mann nicht sitzen, wenn er alles verloren hat." „Das geht nicht, Nora." „Natürlich geht es. Erstens sind zwanzigtausend mehr als fünfzehn und fünftausend. Und dann, denk an Irene. Du wirst allein nie etwas erreichen. Aber ich,,Sie wurde plötzlich ganz eifrig.„Ich, glaub mir, Ottokar, ich werde etwas finden, womit man Geld macht." „Und da soll ich mich von dir aushalten lassen?" „Wer spricht denn von aushaüen? Sei doch nicht dumm." „Für Irene könnte ich etwas annehmen", sagte er langsam; es war ihm anzusehen, wie schwer ihm sogar dieses Zugeständnis fiel.„Sie ist siebzehn Jahre alt, verwöhnt, weltfremd. Aber für mich... nein..." Sein Widerspruch reizte Nora. Er hatte ihr zwei Jahre lang immer nachgegeben. Sie stand auf und setzte sich auf die Lehne seines Sessels. „Sei doch nicht so eigensinnig, Ottokar", bettelte sie. „DaS ist nicht Eigensinn." „Also Überheblichkeit. Warum willst du von mir nichts annehmen?" Er lächelte.„Liebste, du' versprichst, als ob du schon jetzt ein Vermögen gemacht hättest. Und dabei besitzt du augenblicklich fünfzehntausend schäbige Mark." „Siebzehntausend",- verbesserte sie ihn nüchtern.„Ich habe noch zweitausend von meinem Taschengeld übrig." Sie beugte
vor einem Monat ist sie ihm durchgegangen. Er wollte wieder heiraten, damit das Kino jemand hat, der sür eS sorgt. Aber er sagt, es sei schwer, eine gute Frau zu finden, und wenn er jetzt auch noch arbeitslos wird... Er hat eine nette kleine Zweizimmerwohnung, die wird er dann auch nicht mehr bezahlen können." „Herrgott, woher weißt du denn das alles?" „Er hat eS mir erzählt,, und ich war einmal bei ihnen draußen; er wollte, mir den Buben zeigen, ist furchtbar stolz auf ihn. Aber wer wird jetzt für den Kleinen sorgen? Wenn der Mann doch schon wieder geheiratet hätte, dann wäre alles leichter." Nora kniff die Augen zusammen, wie immer, wenn sie angestrengt nachdachte. „Er hat mir mehr als einmal gesagt, daß er einen ganzen Monatslohn hergäbe, wenn er nur die richtige Frau finden könnte." Ottokar war mit seinen Gedanken noch ganz beim Chauffeur. Nora schwieg beharrlich. „Es wird arg sein, ihm zu kündigen", sagte Ottokar. „Er ist ein hübscher Mensch", meinte Nora.„Sogar ein sehr hübscher Mensch." Ottokar sah sie erstaunt an.„WaS hat daS damit zu tun?" „Und es fällt ihm schwer, die richtige Frau zu finden?" „Ja, wenigstens sagt er es. Aber warum fragst du? Hier handett es sich doch nicht um die eventuelle Frau des Chauffeurs, sondern um die Kündigung." „Weißt du was, Ottokar? Du wirst ihm kündigen, das Auto muß verkauft werden.
sich zu ihm und fuhr ihm zärtlich über das dichte blonde Haar,„Sieh, Ottokar, du kannst mich jetzt nicht im Stich lassen. Das wäre xjar nicht anständig von dir, Ich brauche deine Hilfe." Ex sah sie etwas wehmütig an.„DaS ist das erstemal, daß du mir so etwas sagst? „Es ist die Wahrheit. Und ich brauche auch dich. Latz mich nicht allein. Wir tverden Irene aus dem Pensionat in Genf holen und zu dritt leben." „Du vergißt, dah wir geschieden find.* „DaS bißchen Scheidung, das ist doch ganz belanglos." Sie trat zur Schelle und drückte auf den Knopf. „Der Graf blecht zum Essen hier", erklärte sie dem Diener,„llstd sagen Sie der Marie, daß sie sein Zimmer in Ordnung bringt. Er kommt morgen vormittag her." «Sehr wohl, Frau Gräfin ." „So, und jetzt wollen wir überlegen, Ottokar. Das Haus verkaufen wir nicht. Häuser bringen nicht- ein, und wenn wir eine Wohnung mieten, müsien wir die bezahlen. Das Auw", sie seufzte bedauernd, „das Auto werden wir wohl verkaufen müßen." „Der arme Chauffeur", sagte Ottokar. Nora lachte.„Das sieht dir ähnlich. Du verlierst fast eine Million, und wen bedauerst du: nickst dich, sondern den armen Chauffeur?. „Ja, weißt du, es ist-och wegen des Kindes."; „Kindes?" „Er hat«inen kleinen Buben von drei Jahren, übrigens einen allerliebste« Fratzen. Und seine Fra « ist vor einem Jahr'gestorben. Da hat er sich eine Freundin genommen, die für das Kind gesorgt hat. Und
Zeichnung von Franz Plaehy Ottokar»tackte hastig di» täni Mark ein und floh... Aber du wirst ihm sagen, daß er mit dem Kind in den zwei leeren Mansarden wohnen kann, bis er wieder eine Stelle hat." „Nora, das ist wirklich lieb von dir." Sie lachte.„Halt mich jetzt nicht für eine Wohltäterin. Ich weiß, warum ich daS tue." „Warum?" „Das wirst du schon erfahren." Ihre Augen glänzten, ihr kleiner Mund lachte übermütig. „Wir werden weiterkommen, Ottokar, du wirst schon sehen. Ich habe eine Idee, eine famose Idee. Nein, ich sag dir noch nichts. Erst muß alles durchdacht werden..." „Kann ich dabei mithelfen, oder soll ich die Anstellung bei" Professor Braun an» wchmen?" "„Nimm sie ruhig an. Ich kenn« dich doch, weiß, daß vir diese Arbeit siegt und daß du unglücklich wärst, wenn nicht auch du ewras verdienen würdest." „Auch ich? Nora, was hast du vor-?" „Sei doch nicht so gräßlich. Du kannst etwas tun, was vwl, viel unangenehmer ist." „Was?" „Heute nachmittag zu den Eltern fahren und»hnen klarmachen, daß wir wieder zusammen leben," „Nora!" „Ja, mein Lieber, dazu reicht meine Energie nicht, außerdem muß ich sie für wichtiger« Dinge aussparen." Sie nahm vom Tisch das Kursbuch und blätterte darin. „Mr esse« um eins zu Mittag, Um dr«i Uhr sünfundvierzig geht«in Zug. Mit -em wirst du fahren. Um sieben Uhr zehn fährst du zurück. Wir werden heute später zu Abend essen." ★ Am Fahrkartenschalter fiel ihm plötzlich ein, daß er sparen müsse und er nahm ein Billett dritter Klostr. Zum erstenmal in seinem Leben. Und Pim erstenmal in seinem Leben knüpfte er mit den Mitreisenden ein Gespräch an. Er wollte sticht av die unan
genehmen Stunden denken, die vor ihm lagen., Während er mit den fremden Menschen plauderte, fiel ihm Noras Ausspruch von dem fremden Land ein. Hier, dieses Abteil, war ein fremdes Land, bevölkert von Bewohnern, deren Leben ihm rätselhaft und unbegreiflich erschien. Die Menschen sprachen von Summen, mit denen sie in einem Monat auskommen mußten, und Ottokar wurde rot, als er daran dachte, daß er bisher für Zigaretten mehr ausgegeben, als eine ganze dreiköpfige Familie zu verleben hatte. Eine junge Frau mit einem kleinen Kind auf dem Arm weinte bitterlich. Sie er- zählte von ihrem Mann, der im Krankenhaus lag: er war Bauarbeiter und ein Balken war ihm auf einen Fuß gefallen. „Und wir waren so glücklich, daß er Arbeit hatte." Als sie auf einer Zwischenstation aus- stitzg, drückte, Ottokar ihr verlegen das ganze Geld in die Hand, das m seiner Börse war... Dann erduldete er still und höflich zwei Stunden lang Frau Behrends Vorwurfe. Ottokar begriff nicht, wie ein Mensch so lange reden konnte, ohne heiser zu werden. Wenn doch Doktor Behrcnd heimkäme, dann würde die Frau vielleicht für einen Augenblick verstummen. Die Ohren taten ihm weh, und es begann ihm zu schwindeln, -wer Frau Behrend redete und redete; si« schien keine Ermüdung zu empfinden. Endlich war es dreiviertel sieben. Otto« kar stand auf. „Verzeih, Mama, aber ich muß gehen. Sonst versäume ich meinen Zug." Als er draußen aus dem Korridor deni Mädchen ein Trinkgeld geben wollte, entdeckte er entsetzt, daß er nur noch zehn Pfennig hatte. Er mußte ins Wohnzimmer zurückgchen und Frau Behrend um da- Fahrgeld anpumpen. Sie lachte höhnisch, als sie ihm fünf Mark in die Hand drückte. „Das fängt ja schön an. Du machst meine arme Tochter unglücklich und dann verlangst du, daß wir dich erhalten!" „Verzeih, Mama, ich schicke dir morgen sofort das Geld zurück." „Das kennen, wir schon; aber ich habe es ja immer gesagt: Aristokrat und Hochstapler, das ist ungefähr dasselbe." Ottokar steckte hastig die fünf Mark ein und floh. m. Bier Menschen standen in der Garage und nahmen- Abschied von dem schönen, blaulackierten Auto, das um elf bei seinem iitzüe« Besitzer abgelieferi werden sollte. Ottokar sah eigentlich nicht die Kckrüfserie vor sich, sondern ein braunes Schulheft, das vielgehaßte„Schönschreibehest", und auf der einen Sette mit krackliger, verwackelter Kin» derschrist einen jener weißen Sprüche, mit denen derarttge Hefte yollgeschriehen werden: „Nicht an die Güter hänge dein Herz, Die das Leben-vergänglich zieren... Er erinnerte sich nicht, wer dies« Weisheit in Reime gefaßt hatte, damals hatte er aller Kräfte bedurft, um den Schönschreib- lehrer zufriedenzustellen, der Sinn der Worte hatte auf ihn keinen Eindruck gemacht. Heute aber begann er bei sich zu philosophieren; Die Guter, die das Leben vergänglich zieren Warum sollte man nicht an ste sein Herz hängen, war doch auch daS Leben etwas Vergängliches; mußte man es daher nicht so schön wie möglich gestalten? Vielleicht wäre die Welt heute bester daran, wenn ein großer Teil der Menschheit— Ottokar dachte an seine Mitreisenden in der dritten Klasse— auf den Besitz vergänglicher Güter bestanden hätten; und auch auf einen anderen kostbareren Besitz: dem Leben? Wenn sie es sich nicht in den grauenhaften Jahren des Krieges hätten rauben lasten, wie ein wertloses Ding, daS man sinnlos, grundlos fortwtrft? Irenens helle Stimme unterbrach seine Gehanken. Auch sie war durch den Abscksied vom Auto literarisch bewegt und zitierte mit spöttischer Wehmut: »Zum Abschiednehmen just daS rechte Wetter, Grau wie der Himmel steht vor mir die Welt." Gott sei Dank, dachte Ottokar, daß sie eS nicht iragischer nimmt. Er blickte auf Nora; die war ein wenig"blaß, ein wenig betrübt. Mer ehrlich war nur der Chauffeur. Der betrachtete mit feuchten Augen daS Auto und sagte zornig: „Unser schöner Wagen! Jammerschad ist's um ihn. Der Batzi, der vermaledeite, der ihn gekauft hat, kann ja nicht einmal ordentlich fahren. Und der Herr Graf hat ihn auch viel zu billig abgegeben. Wenn der Herr Graf auf mich gehört hätten..." Irene blickte auf" ihre Armbanduhr. „Herr' Huber", sagte sie zum Chauffeur, „Sie mikssen losfahren." Der Chauffeur seufzte. ^Zum letztenmal," Nora versuchte zu lächeln. „In ein paar Monaten, Huber, werden Sie wieder am Steuer fitzen ", meinte sie. „Gott geh'-", erwiderte der Chauksenr. „Mer was die feinen Leut' sind", und er warf einen mitleidigen Blick auf Ottokar,