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70.
Ginzelpreis 70 Heller.
Sozialdemokrat
Zentralorgan d. Deutschen ſozialdemokratiſchen Arbeiterpartei i.d.Ifthechoslowakischen Republik .
13. Jahrgang.
Erscheint mit Ausnahme des Montag täglich früh. Redaktion und Verwaltung: Brag II., Relásanta 18. Telepbon: 26795, 31469.
Exposce des Genossen Dr. Czech:
( Nachtredaktion): 26797 Boridedamt: 57544
Donnerstag, 26 Jänner 1933
Maßloses Elend gilt es zu lindern!
Nr. 22.
Der zweite Fünfjahrplan.
Am 31. Dezember 1932 endete der erste: Fünfjahrplan der Sowjetunion , am 1. Jänner 1933 ist Rußland in die Epoche des zweiten Fünfjahrplanes eingetreten.
Vor neuen großen Aufgaben im Kampf gegen Hunger und Krisennot. republit weifellos große Erfolge auf
Man weiß seit Jahren, daß die Erposés des Ministers für soziale Fürsorge, Genossen Dr. Czech, zu den interessantesten und informativsten aller Ministerexposés gehören. So hat auch gestern der Fürsorgeminister in seinen Darlegungen eine instruktive Darstellung der Lage der wirtschaftlich schwächeren Schichten der Bevölkerung und der Bemühungen des Ministeriums gegeben, in dieser Zeit der Not den Menschen zu helfen. Ausgegangen ist der Minister von dem Kardinalproblem der Arbeitslosigkeit und hat dargelegt, daß es vor allem Pflicht des Staates ist, durch Arbeitsbeschaffung einzugreifen. Wie schwer die Ueberwindung der Arbeitslosigkeit ist, zeigte Gnosse Dr. Czech daran, daß troß der Krise die Nationalisierung, das heißt die Verdrängung der menschlichen Arbeitskraft durch die mechanische, fortschreitet, und daß wir bereits auch in der Tschechoslowakei das Bei spiel einer Fabrit verzeichnen können, die überhaupt ohne menschliche Arbeitskraft auskommt.
Gegen diese Nationalisierung gibt es keine andere Abhilfe, als die Verkürzung der Arbeitszeit, eine Forderung, die, wie der Minister mit Recht behauptete, stündlich und täglich an Boden gewinnt. Sehr bemerkenswert waren auch die Ausführungen des Ministers über die Arbeitslosenstatistit. Die Behauptungen, daß die Zahl der Arbeitslojen kleiner jei als die Statistik uns sie bekannt gibt, widerlegte der Minister schlagend und wies nach, daß im Gegenteil die Anzahl der Arbeitslosen größer sei, als den statistischen Angaben entspreche
Nach den Ausführungen des Ministers betrugen die Ausgaben für Arbeitslosenfürsorge im vergangenen Jahr über 813 Millionen Kronen; trop der Größe dieser Ausgaben bezeich nete Genosse Dr. Czech die Arbeitslosenfürsorge noch immer als unzureichend und for derte daher nochmals nachdrücklich die Schaffung des vom Ministerium beantragten Notfonds.
Auch abgesehen von der Arbeitslosenfürsorge gibt es für das Ministerium bedeutsame Aufgaben. So die Wohnunasfürsorge. Interessant war die Feststellung des Ministers, daß etwa die Hälfte der Wohnungen noch unter Mieterschutz stehe und daß von diesen lepteren über 87 Prozent Wohnungen bis zu zwei Zimmern, also von ärmeren Bevölkerungsschichten bewohnt sind. Noch immer besteht Wohnungsnot und deswegen ist die Bauförderung notwendig. Es ist Pflicht der Gesetzgebung, das neue Wohnungsgesetz zu schaffen.
Daneben erörterte der Minister noch eine Reihe von sozialen Aufgaben seines Ressorts wir heben nur das neue Lehrlingsgejek hervor. Alle diese Aufgaben des Ministeriums für soziale Fürsorge haben, wie der Minister sagte, das Ziel„ dem arbeitenden Menschen zu dienen und für ihn den Weg zu einer besseren Zeit freizulegen, die ihm ein menschen würdiges Dasein sichert und ihn in sein volles Recht einsehen soll." Das Erposé des Ministers wurde so zu einer Mahnung an die Gesetzgebung und an all: Parteien, ihre Pflicht gegenüber den Aermsten der Armen in diesem harten Krisenwinter
ju tun!
Genosse Dr. Czech führte n. a. aus: Krise und Massenarbeitslosigkeit.
Im September des Vorjahres habe ich hier im fozialpolitischen Ausschusse die wirtschaftliche Sage des Staates und ihre Auswirkungen auf die dem Schutzbereiche des Fürsorgeministeriums anver trauten arbeitenden Schichten in erschöpfender Weise erörtert. Das Programm, das ich in diesem 3u1 fammenhange entwarf, gipfelte in drei fardinalen| Forderungen: in der Arbeitsbeschaffung, in der Berkürzung der Arbeitszeit und in bez gejeglichen Regelung des Arbeits. marites. Seither haben die Verhältnisse innerhalb der industriellen und agrarischen Produktion eine ganz außerordentliche Verschlech terung erfahren und zu einer weiteren und sehr gewaltigen Schrumpfung der Wirtschaft geführt, die in einem bisher noch nie. dagewesenen Aufstieg der Arbeitslofensiffer per 749.876 ihren
Ausdrud findet. Gegenüber dem Vormonate ergibt dies eine Steigerung der Arbeitslosenzahl um rund 22 Prozent
Planmäßige Arbeitsbeschaffung.
Nach wie vor hält daher das Fürsorgeministerium die rasch este Arbeitsbeschaffung für das wichtigste Gebot der Stunde.
Der erste Fünfjahrplan hat der Sowjetwirtschaftlichem Gebiet gebracht.
berichtet.( Wir bringen diesen Teil der Ausfüh- Hat die Neue Wirtschaftspolitik( 1921 bis rungen des Ministers an anderer. Stelle.)
Die Frage, die wir uns nun stellen müssen, ift: Was soll mit allen diesen Arbeitsmenschen geschehen, die selbst wenn sich die Ronjuntturverhältnisse noch so günstig gestalten sollten niemals mehr zu ihren Arbeitspläßen zurückkehren
tönnen?
40- Stundenwoche.
1928) die russische Industrie und Landwirtschaft aus den katastrophalen Verhältnissen der Bürgerkriegsepoche auf die Höhe der Vorfriegszeit gebracht, so haben sich während des ersten Fünfjahrplans( 1928 bis 1932) die Produktionskräfte des Landes weit über das Niveau von 1913 hinausentidelt.
Allerdings ist der Fortschritt nicht auf allen Gebieten gleichmäßig. Die größten ErDas Fürsorgeministerium war sich schon längst folge des ersten Fünffahrplanes liegen auf der Auswirkungen des immer weiter um sich grei dem Gebiete der Schwerindustrie. Hier fenden Rationalisierungsprozesses flar bewußt. wurden die Planziffern nicht nur erreicht, Schon im Oktober 1931 hat es seinen Antrag auf sondern weit überschritten, gewaltige Indu Einführung der 40 Stundenwoche eingebracht, bei dem es vor allem das Schicksal der strieterke wurden geschaffen, die zu den größnach Hunderttausenden zählenden Rationalisierungs- ten der Welt gehören. Weit geringer opfer im Auge hatte. sind die Erfolge auf dem Gebiete der LeichtDurch eine Senkung der Arbeitszeit von 48 auf industrie oder vielmehr der Industrie der 40 Stunden, sohin rund um 17 Prozent, wäre Gebrauchsgüter. Es ist gar kein Zweifel, daß auch für die ohne ihr Verschulden und nur durch die in dieser Hinsicht gehegten Erwartungen die technische Vervollkommnung der Produktions - der Arbeitermassen der UdSSR nicht in Ereinrichtungen und die gewaltige Steigerung der füllung gegangen sind und daß der WarenLeistungsfähigkeit der Produktion aus der Arbeit hunger der russischen Bevölkerung, ihr Bedürfgeschleuderten Menschen neuer Lebensraum ge- nis nach Kleidern und Schuhen bei weitem nicht schaffen! befriedigt werden konnte. Dazu kommen noch Im Zeitpunkte, in welchem der Gesetzesantrag zwei Hauptmängel, welche die Schwerinduüber die 40- Stundenwoche überreicht wurde, gab es ftrie genau jo aufweist wie die Leichtindustrie, nach den amtlichen Feststellungen 228.351 Arbeits- Mängel, die von den russischen Kommunisten loje, das waren rund 10 Prozent des Arbeiterstandes. loje, das waren rund 10 Prozent des Arbeiterstandes. gar nicht geleugnet werden: die schlechte Wenn in diesem Zeitpunkte zu jenen Maßnahmen Qualität der Produkte und die gegriffen worden wäre, die die Vorlage über die hohen Produktionskosten, also die 40- Stundenwoche im Auge hat, dann hätte der
größte Teil dieser Arbeitslosen untergebracht, und geringe Schulung der russischen Arbeiter und Hunderttausenden von Familien die Pein des die, geringe Produktivität der russischen ArArbeitslosenelendes, aber auch dem Staate die beit. Hier bestehen für die russische Indu schweren finanziellen Opfer erspart werden können! strie noch große Aufgaben. No ch ist diese Wenn wir daher heute der raschesten Ver- Industrie nicht im Stande den wirklichung der 40- Stundenwoche neuerlich das Wort russischen Arbeitern Waren bon reden, so geschieht es nicht nur aus sozialpolitischen solcher Qualität und zu solchen Erwägungen, sondern auch aus zwingenden wirt- Preisen zu liefern wie in Westschaftlichen Gründen. europa .
Internasionale Arbeitskonferenz.
Auch die Entwicklung der Landwirt schaft seit dem 1. Oktober 1928, dem Tage des Inkrafttretens des ersten FünfjahrplaAufgebaut auf einem Wirtschaftsplane, welcher Nur so wird es verständlich, daß die Idee der nes, ist nicht so günstig vor sich gegangen, als organisch in den ganzen Produktionsprozeß ein Verkürzung der Arbeitszeit stündlich und täglich an es nach den Planziffern gedacht war. Wohl ist gefügt und den Notwendigkeiten aller in Mit Boden gewinnt und daß bei der gegenwärtigen In der Ernteertrag( das erstemal im zweiten leidenschaft gezogenen Gebiete und Produktions- ternationalen Konferenz in Genf nicht nur die Ar- Jahre des Blanjahrfünfts) über denjenigen zweige angepakt werden muß, bermag die Wieder beitervertreter, sondern auch die Vertreter von 20 des letzten Vorkriegsjahres( 1913) hinausge belebung der Investitionstätigkeit, die Ermög- Staaten sich für die Nomvendigkeit der Arbeitszeit- gangen, erreicht aber wurden die Plansiffern lichung der produktiven Arbeitslosenfürsorge, die verkürzung ausgesprochen haben. Nur so wird man in keinem Jahre. In den Jahren 1931 und Wiedererweckung der Baubewegung eine wesent- es verstehen, daß die 40- Stundenwoche in Amerika liche Entspannung der tritischen Wirtschaftslage vielfach bereits in die Tat umgesetzt wurde, herbeizuführen. ohne daß erst die gejegliche Regelung abgewartet wurde.
Selbstredend kann die Arbeitsbeschaffung, auch wenn sie sich in noch so großzügigem Ausmaße bewegt, nicht wunder wirken, solange eine um orientierung, ein Umbau unserer Wirtschaft nicht Plaz greift, aber sie kann ein großes Stüd des wirtschaftlichen Notstandes abbürden und einer zuWege ebnen. Sie vermag das um so sicherer,
Regelung des Arbeitsmarktes.
1932
und gegenüber dem Monate Dezember 1929 eine mindest teilweisen Normalisierung der Wirtschaft die der Regelung des Arbeitsmarktes. Im Jänner 1931 von Vich stark eingeschränkt und ein Teil der
Zunahme der Arbeitslosigkeit um das 14fache der damaligen Arbeitslosenziffer!
besonders waren die Ernteerträge gering. Sehr mangelhaft war die Getreideablieferung, nicht nur seitens der Einzelwirtschaften, sondern auch seitens der Kolchosbauern, so daß sich Stalin genötigt jah, im Sommer 1932 eine Reihe von Verordnungen zu erlassen, durch welche die Kollektivbewirt Nicht minder dringlich ist aber auch die Frage schaftung gelockert, die Zwangskollektiviſierung hat das Fürsorgeministerium die Vorlage über geernteten Getreidemenge zum freien Verkauf die Arbeitsvermittlung überreicht. Ez insbesondere im Zusammenhang mit der Verfürzung der Arbeitszeit, ohne die es keinen anderen gibt kaum noch irgend jemanden, dem man erst klar freigegeben wurde. So hat also die Bevölke= Ausweg gibt. Denn darüber gibt es heute keinen machen müßte, welche Bedeutung gerade in der heu- rung Rußlands nicht nur zu wenig indu Zweifel mehr, daß wir auch in Zeiten des höchtigen Zeit dieser Vorlage und insbesondere der strielle Konsumtionsartikel, sondern auch zu ften Konjunkturaufschwunges dauernd mit einem öffentlichen Regelung des Arbeitsmarktes, der obli- wenig Nahrungsmittel, die Ernährungslage gatorischen Meldung und der Sicherung der Arbeits - der russischen Bevölkerung läßt viel zu wüngroßen Arbeitslosenheere rechnen müssen, plätze für die Bedürftigsten unter den Arbeitslosen, schen übrig. Die Unzufriedenheit der russischen Ar- wenn es uns nicht durch reſolute Maßnahmen ge- aber auch den Vorkehrungen gegen will- Arbeiter äußert sich in dem neuerlichen Auflingt, die durch die Rationalisierung überschüssig getürliche Betriebseinstellungen zukommt treten von oppositionellen Ströwordenen Teile der Arbeiterschaft wieder in die und vor allem wie notwendig es scheint, die genauen Ziffern der Arbeitslosen zu ermitteln und so mungen in der Russischen Kommunistischen Partei, auf die Stalin mit einer neuen eine Tschistka d. i. Reinigung der Partei antwortet. Der zweite Fünfjahrplan nun, über den auf der jüngst stattgefundenen Sitzung des Erekutivkomitees der Kommunistischen Vartei der Sowjetunion sowohl der Generalfefre tär der Partei Stalin als auch der Vr fizzende des Rates der Volkskommissäre Mo= Lotaw berichtet haben, sieht keine Aen.
Zur Charakterisierung der Situation genügt, wenn wir feststellen, daß heute bereits 70 Prozent aller in der Glas- und Porzellanindu find, daß die Eisen und Maschinenindu strie beschäftigten Arbeiter zum Feiern verurteilt beitsstante uno nur in Rurzschichten aufrechtzuer halten verming und daß die Textilindustrie gewisser Gebiete und Zweige fast vollständig lahm Wirtschaft einzufügen. gelegt ist. Dieselben Erscheinungen bestehen auch in der Konfektions- und der chemischen Industrie, im Bau und graphischen Gewerbe und treffen naturgemäß auch das Kleingewerbe und den Handel in gleicher Schwere.
Denn die Technisierung und Ocfonomisierung der
Industrie hat in den letzten Jahren reißende unumstrittene Grundlage für die gefeßlichen und
Fortschritte gemacht, und ist so unglaublich dies anch flingen mag- auch in den beiden letzten Krijenjahren nicht zum Stillstande gekommen. Wenn daher der Ruf des Fürsorgeministe Zur Zllustration führte Genosse Dr. Czech riums nach zielbewußtem und entschiedenem Eingreifen schon in den Sommermonaten des vo- einige padende Beispiele aus den ungezählten Rarigen Jahres berechtigt gewesen ist, wie erst in tionalisierungsmaßnahmen vor, über die der demnächst erscheinende Bericht der Gewerbeinspektoren dieser Stunde!
freiwilligen Fürsorgeattionen des Staates zu schaffen, Darum muß jest alles daran gesetzt werden, um der raschesten parlamentarischen Verabschiebung dieser unaufschiebbar erscheinenden Vorlage die Wege zu ebnen!
( Schluß auf Seite 2)