Nr. 25. Sonntag, 29. Jänner 1S3r>. Seit« 3 Auch in Frankreich Kabinettswechsel: Paul-Boncour von den Sozialisten gestürzt. Kampf um die Herstellung des Budgetgleichgewichts. Paris , 28. Jänner. Di« Regierung Paul-Loneour wurde heute um 8 Uhr früh mit 402 gegen 179 Stimmen bei der Abstimmung des Artikels 6 des Finanzgesetzentwurfes, in welchem di« Regierung di« Pauschalerhöhung der direkten Steuern um 5 Prozent verlangt, geschlagen. Der Finanzausschuß der Kammer stellte sich nach einer neuerlichen Beratung gegen diesen Artikel, dir Regierung verharrte jedoch ans ihrem Standpunkt und stellte die Vertrauensfrage. Im Namen der Sozialisten erklärte Abgeordneter Blum, daß bi« Sozialisten mit dem Finanzausschuß einig find und gegen die Regierung stimmen werden. Für die Regierung haben gestimmt: 13 So- jialrepublikanrr, vier Linksunabhängige, fünf Unabhängige Linke, 131 Radikale, 13 radikale Linke, vier Parteilose. 24 Abgeordnete haben sich brr Stimme enthalten, 17 waren beurlaubt. Sogleich nach Bekanntwerden des Abstim- mungsergcbnisses begab sich Ministerpräsident Paul-Boncour mit seinen Regirrungsmit­gliedern in das Elys««, um dem Präsidenten der «publik die T c m i s s i o n des Kabinetts zu überreiche«. Die Deputiertenkammer tagte ununterbrochen seit Freitag früh bis in die heutigen Morgenstunden, um die Beratung des provisorischen Budgetzwölftrls für Feber zu beenden. Während im Plenum die ein- zelnen Artikel dürchberaten wurden, führten die Linksparteien lebhafte Verhandlungen. Einigemal aber traten in den Anschauungen zwischen den Radi­kalen und Sozialisten so erhebliche Meinungs­verschiedenheiten zutage, daß sich im Laufe ver Nacht zeigte, daß eine Regierungskrise unabwendbar sei. Ministerpräsident Paul-Boneour appel­lierte an die Kammer, um die Situation zu retten. Als aber die Aussprach« über den Artikel 8 an die Reih« kam, trennten sich die Sozialisten von ta Regierung, wodurch der Sturz des Kabinetts Paul-Boncour zur fertigen Tatsache wurde. * Der Präsident der Republik nahm nach halb 11 Uhr vormittags die üblichen Beratungen aus, und zwar zunächst mit dem Vorsitzenden des Senats, dem Vorsitzenden der Kammer und dann mit den Vorsitzenden der Finanz- und Außenaus­schüsse des Parlamentes. Am Abend unterbrach der Präsident die Be­ratungen mit den politischen Führern und den parlamentarischen Persönlichkeiten; er wird sie morgen fortsetzen. Erst morgen gegen Abend will er die Entscheidung treffen. In den Couloirs des Parlamentes wurden nach dem ablehnenden Standpunkt des Senats­präsidenten Jeanneney die Ramen Chau- temps, Daladier , Herriot, Caillaux und der des Senators Albert S a r r a u t ge­nannt. Es scheint aber, daß wiederum der Ver­such zur Bildung einer Regierung der Links­parteien unternommen werde« wirb. Dala­dier soll den Sozialisten genaue Vorschläge für die Zusammenarbeit und de« Eintritt in die Regierung gemacht haben. Dix sozialisti­schen Führer deutete« aber an, daß sie auch diesmal einen Eintritt in die Regierung ab­lehnen würden, so wie sie seinerzeit das An­bot Boncours ablehnt««. ... Als nach Herriots dramatischem Sturz Paul- Boncour überraschend schnell das neue Kabinett gebildet hatte, haben wir an dieser Stelle unserem Zweifel an der Lebens­fähigkeit der äußerlich glänzenden Neugrün­dung Ausdruck gegeben. Paul- B o n c o u r und sein Finanzminister Charon übernah­men von Herriot das böse Erbe eines gewal­tigen Defizits im französischen Staatshaus­halt. Die Verweigerung der Ratenzahlung an Amerika , die von der Kammer hu Zusammen­hang mit dem Mißtrauensvotum für Herriot beschlossen wurde, wär ja weniger der Sorge um das Budget als einem Gefühl nationaler Ehre entsprungen und das so ersparte Geld deckt auch keineswegs die gewaltigen Lücken in Frankreichs Budget. Paul-Boncour war auf die Unter- stützung der Sozial! st en angewiesen. Sie wurde ihm bereitwillig gewährt, ohne daß die Sozialisten sich irgendwie die Hände banden. Wir haben bei der Bildung des Kabi­netts schon vorausgesagt, daß die Tolerierung durch die Sozialisten nicht allzulange dauern tvürde, daß die französische sozialistische Partei mit dem gleichen Maß von Handlungsfreiheit und mit der gleichen Energie wie allen bür­gerlichen Linksrcgierungen so auch dem Kabi­nett ihres ehemaligen Freundes Boncour begegnen würde. Bei den vorhcrgegangenen BerhmÖlungen hatte sich ja gezeigt, daß die Sozialisten und die Radikalen grundsätzlich berschiedener Anschauung in der Frage des Kampfes gegen dis Krise sind. Während die Radikalen wegen der Krise alle Sozialisie- rungsmaßnahmen vertagen wollen, halten die Sozialisten gerade jeden Kampf gegen die Krise für aussichtslos, der nicht mit gewissen siaatssozialistischen Maßnahmen beginnt. Auch im Kampf um das. Budget zeigten sich die grundsätzlichen Unterschiede zwischen der bürgerlichen Linken, die das Kabinett gebildet hat, und den Sozialisten. Diese ver­langten Sanierung des Budgets durch Ein­sparungen, die vor allem beim Heeres- budget in größtem Umfange noch möglich wären, die Bürgerlichen wollten die Steuern, u. zw. natürlich die Mafsenfteuern erhöhen. Darin konnten die Sozialisten keine wirksame Abwehr der Krise und keine solide Ausbalan­cierung des Budgets erblicken. Boncour ließ es auf die Kraftprobe ankommen, wahrscheinlich auch deshalb, weil er für früher oder später den Zusammenbruch des nur notdürftigen Ge­rüstes seiner Paklamentsmehrheit voraussah und die Entscheidung lieber jetzt als nach Monaten des Fortwurstelns wollte, schon aus Gründen seiner persönlichen Karriere, die einen zu raschen Verbrauch der Popularität nicht verträgt. Als Nachfolger wird Daladier , der bisherige Kriegsminister genannt. Die Tat­sache, daß T a r d i e u bereits als Mittler auf­taucht, läßt darauf schließen, daß man ver­suchen wird, das Kabinett nach rechts zu erweitern und wie in dem Jahr vor den Kam­merwahlen mit einer Mehrheit zu regieren, die von den Radikalen bis hart an die klerikal­monarchistische Rechte reicht,' vor allen! also die Gruppen um Marin und T a r d i e u einschließt. Freilich-wird es, besonders wenn die Steuererhöhungen tatsächlich kommen, den Radikalen schwer sein, in dieser Koalition lange auszuharren, wollen sie nicht den Sozialisten die Chance bieten, weitere radikale Wahlkreise zu erobern. Unter diesen Gesichtspunkten wird man für di« nächste Zeit in Frankreich mit einer Reihe episodischer Kabinette und in absehbarer Zeit doch wieder mit Neuwahlen rechnen müssen. Englisch -französische Anfragen wegen des Waffenschmuggels, in Wien , Budapest und selbst in Rom . Wien , 28. Jänner. Der britisch« Gesandte «>r Eric Phips und der französisch« diplomatische Vertreter Leaationsrat d« Mcntbas, der den ver­eisten französischen Gesandten Clauzel vertritt, landen sich heute um halb 16 Uhr bei dem öster- ^lchischen Außenminister Bundeskanzler Doktor Dollfuß ein und legten ihm analoge Noten chrer Regierungen vor, worin sie n ä h e r e A u s- Gärung in der Affäre der Hirten­arger Waffen verlange«. Der britische tkrsandte erklärte, daß seine Regierung«in grö­ßeres Interesse an der Angelegenheit habe, als der englischen Presse hervorgeht.- Eine Lhn- l>che Erklärung gab auch der französische diplo- watischr Vertreter ab, worauf beide ihre Noten überreichten, di« viele konkrete Fragen v«d das Ersuchen um deren Beantwortung in kürzester Zeit enthalte«. Di« beiden Diplomaten teilten mit, daß ihre "rgierungen den gleichen Schritt gleichzeitig auch in Budapest und in Rom unternehmen, und sie fügten hinzu, daß dadurch dem Standpunkt der Kleinen Entente keineswegs prajudiziert werde, die eventuell ebenfalls einschreiten werde. Bundeskanzler Dr. Tollfuß sagte eine bal­dige Antwort zu. Budapest weift von nichts. . Budapest , 28. Jänner. Der französische Ge­sandte erschien heut« nachmittags beim stellver­tretenden Außenminister und erbat Aufklärungen über die aus Italien nach Oedenburg gelangten Waffensendungen. In seiner Antwort teilt« Gras Hedervarh mit, daß die ungarische Regierung von der Oedenburger Angelegenheit keine un­mittelbare Informationen besitze. Der englische Gesandte, der später in derselben Angelegenheit den Grasen Hedervarh besuchte, er­hielt«ine ähnliche Antwort. Dße Nazi-Engel. Wie waren, find and vieiven lotial" Trapls Schlußwort. Freitag nachts hatte Finanzminister Dr. T r a p l ein mehr als zweistündiges Schlußwort zur Finanzdebatte gehalten, in dem er sich zu­nächst ausführlich mit der staatlichen Finanz­gebarung für 1932 befaßte. Die prälimiuierten Einnahmen für 1932 sind, wie bereits der Referent- Najel angeführt, hau«,. so ziemlich erreicht, in einzelnen Fällen sogar überschritten Worten. Allerdings muß man dabei berücksichtigen, daß einzeln« Stenern, vor allem direkt«, erst im Lauf« des Jahres stark erhöht worden sind. Auch die Ausgabeposten für die Arbeitslosigkeit hätten aus laufenden Mitteln gedeckt werden können, wenn nicht in erster Linie der katastrophale Einnahm en rückgang der Bahnen im zweiten Halbjahr die Situation sehr verschlechtert hätte. Die finanzielle Gebarung wird auch im Jahre 1933 im Zeichen äußerster Sparsamkeit stehen müssen, weil niemand die Garantie für die weitere Entwicklung übernehmen kann. Banlfeusanierung. Zu der im Vorjahr vorgenommenen Reform des Bankwesens erklärte Trapl, die ungünstige Situation unseres Geldwesens sei durch die Finanz- und Kreditkrise in der ganzen Welt verursacht wor­den und wir hätten dem Verfall unseres Geldwesens, der ohne Eingriff von Rcgierungsseite eingctreten wäre, nicht ruhig zusehcn können. Man habe nicht nur die Banken saniert; von ihnen hing eine Reihe: von Industriezweigen ab. Die Hilfe belastet den Staat mit einem Betrag von 2V Millionen jährlich, dafür habe man aber auch für eine Reorganisation der Banken, für die Herabsetzung ihrer Regie gesorgt und sie für weitere Aufgaben vorbereitet. Die Devisenwirtschaft und die Devisen- kommisiion verteidigt der Minister keineswegs, aber le seien uns direkt durch Maßnahmen der übrigen Staaten aufgezwungen worden. Verhandlungen zur Lockerung des Devisenverfahrens sind derzeit im Gange. Bezüglich der Preissenkung sind uns aridere Staaten weit voraus; wir sind in mancher Beziehung schon ein teueres Land geworden. Die Angleichung der Wirtschaftsziffern müsse daher mit aller Energie betrieben werden. Die Zinsfußsenkung bezeichnet Trapl als die Voraussetzung der Er­neuerung der Produktion und des Schutzes des land­wirtschaftlichen Schuldners. I« schneller wir auch den PrriSausgleich zwischen Groß- und Detail- handelspreise» durchführen, desto besser werden wir gerüstet sein, den weiteren Folgen der Krise zu begegnen. Diesen Prozeß müsse man möglichst bald zu einem Abschluß bringen. Die kurzfristige Verschuldung. Im Jahre 1932 hat der Finanzminister durch kurzfristige Kredite auf Gründ der Ermächkigung des Finanzgesetzes 559 Millionen aufgebracht; unter Ein­rechnung der französischen Anleihe stieg die Verschul­dung um 1357 Millionen. Außerdem liegen noch Bankschulden vor, deren.Höhe Trapl jedoch nicht bekanntgab, ebensowenig wie die Gesamlhöhe der kurzfristigen Verschuldung. Ende 1932 soll die Verschuldung aus dem Titel der Bndgetdefizite das Maß der Verschul ­dung in den Jahre»»ach der Deflation nicht sonderlich überschritte» haben. (Warum hier Trapl nicht gleich konkrete Ziffern genannt hat, ist nicht einzusehen, zumal er kurz vor­her als Höchstausmaß der kurzfristigen Verschuldung des Staates in der Zeit nach der Deflation ohnedies den ansehnlichen Betrag von 8237 Millionen K8 ge­nannt hatte, der im Jahre 1923 erreicht wurde.) Zur Jnvcstitionsanleihc erklärte Trapl nach einigen allgemeinen Redens­arten über die notwendigen Voraussetzungen ledig­lich, er befasse sich mit diesem Problem sehr in­tensiv und glaube, daß es gelingen wird, einen Weg zur Lösung dieses großen Problems zu finden. Zur Sanierung der Bruderlade» erklärte Trapl, die Ermächtigung zur Uebemahme der Staatsgarantie sei von 100 auf 150 Millionen erhöht worden, um die Mittel zur Auszahlung der Renten der Bcrgarbeitcrprovisionisten aufzubcingcn. Die Staatsgarantie hat zum 31, Dezember 107 Mil­lionen erreicht. Das Finanzministerium bemühe sich im Verein mit dem Arbeitenministerium um eine endgültige" Sanierung, bzw. Regelung der Vcrgarbeiterversicherung. Diese Regelung wäre allerdings leichter, wenn sie in normalen Zeitxn durchgeführt worden wäre. Hinsichtlich einer Konvertierung der Staatsanleihen wies der Minister darauf hin, daß die Verhältnisse Frankreich und Eng­land, wo eine Konvertierung durchgeführt wurde, ganz anders liegen als bei uns. Die Tschecho­ slowakei ist ein Staat mit verhältnismäßig junger Kapitalsbildung, während die beiden genannten Staaten eine alte Kapitalstradition besitzen und dort Gelder für langfristigen Kredit znr Verfügung stehen. Steuereintreihnng. Was die Beschwerden über, die rücksichtslose Steuereintreibung betrifft, so stellt sich Trapl auf den Standpunkt, daß der Staat und auch die Selbst­verwaltung heute dringend die Mittel zur Deckung ihrer Ausgaben benötigen, und daher ist es not­wendig, die Rückstände energisch einzutreiben. Entsprechende Rücksichtnahme auf die Verhältnisse des Schuldners und namentlich aus die. kleinen Steuerzahler sei vom Ministerium jedoch angeordnet. Die Lehrerschaft zu Dr. Dürers Schulentwurf. Zustimmung der tschechische« Lehrer. Der Vorstand des Verbandes der tschechischen Lehrerschaft hat nach zweitägigen Beratungen über den Gesetzentwurf des Schulministeriums einen Beschluß gefaßt, in welchem es heißt: . Der Verband der tschechoslowakischen Lehrer­schaft hat festgestellt, daß beide zur öffentlichen Dis­kussion vorgelegten Gesetzentwürfe wesentliche Be- stimmungen enthalten, welche vom Standpunkt des reinen Interesses der Schule und des Staates m i t Zustimmung ausgenommen werden müssen. Das ist vor allem die Trennung der Schulverwaltung von der politischen Verwaltung, die demokratische Zu­sammensetzung und Wahl der Schulverwaltungskör- per, die Verstaatlichung der Lehrerschaft und die ge­rechtere Regelung der finanziellen und Verwaltüngs- beziehungen des Staates zu den konfessionellen Schulen und andere wichtige Fragen. Darum ver­dienen beide Entwürfe die Unterstützung der gesam­ten Bevölkerung, welche den Fortschritt der Schule wünscht.