»r. 122 SonntrBiafl, 25. Mal 1033. «Sette 5 FÜR BLONDE geschaffen... Wie reizend kleiden die modernen Frisuren gerade blonde Frauen! Und wie leicht ist es, die Schönheit blonden Haares zu pflegen, sie zu steigern! Elida Kamil* loflorShampoo eigens für Blonde geschaffen erhält das Haar natürlich blond, gibt ihm, wenn es nachge* dunkelt ist, den goldenen Glanz zurück. Denn cs wirkt natürlich durch Kamilloflor. Mit Zitronenbad ELIDA KAMILLOFLOR SHAMPOO St liefert selber Argumente, der Kanzler deS braunen Reiches. ,1» seiner Reichslagsrede sagte er, seit-em Vertrage von Versailles Habe eS in Deutschland 224.000 Selbstmorde gegeben. Der Kanzler Hai nicht erzählt, wie viele dieser Selbst- morde in dem Vierteljahr seiner Herrsck?aft ver­übt wurden, aber eS ist außer Aweifel, daß et nie zuvor lo viele Selbstmorde gegeben Hai, wie gerade jetzt, selbst bürgerliche Zeitungen, die se.br gemäßigt demokratisch sind, sprechen von einer Selbstmorvwell«, jeder Tag der Hicker-Herrschast bringt nenen, freiwilligen Massenabschied auS dem ivertloS gewordenen Leben In seinem Reiche, und so sorgt der Nationalsozialismus durch die bloße Fortdauer seiner Herrichast dasür, daß Hitler in seiner nächsten Rede noch über viel, viel mehr Selbstmorde seit Versailles berichten kann. Der groftbentsche Abgeordnete Wottawa, der Präsident oe» österreichischen BnndeSverlageS, ist Dienstag in Lin; an den Folgen eines Schlag- anfalleS gestorben. Vie 12 Tüe'en wider die tzitierei. 1. Der Nasi kost auSgestoßen sein auS der Gemeinschaft aller anständigen Men'chcn, denn er lügt, stiehlt, betrügt und mordet. 2. Der in Zukunft lügt, von dem soll gesagt werden:. tr h11lert. Einen gewalttätigen, rohen, rücksichtslosen Menschen toll man hinfort «inen Göring nennen, und wer großmäulig prahlt, von dem soll man künftig sagen: er g ö b b e l t. 3. Der Nazi lügt, wenn er den Mund össnet. Beweis:ES wurde keinem Juden ein -Haar gekrümmt." 4. Der Nazi stiehlt und.renn« eSBe­schlagnahmung". Beweis: Diebstahl der sozial­demokratischen Partei- und Gewerkschaftsgelder. 5. Der Nazi betrüg:, werni er von Er­füllung seines Programms spricht. BeiveiS: Bis- her hat er nur einen einzigen Punkt erfüllt: Die Bernichtuirg des Judentum-, 8. Der Nazi mordet, wenn er vonEr­schießung auf der Flucht" berichtet. 7. Der Nazi schlägt mörderisch, erbar- mungSloS auf leine wehrlosen Opfer ein und nennt-a»körperliche Ertüch igung". 8. Der Nazi ist feige. Er schlägt, die Gefühlsduselei der vergangenen marristischen Epoche" verhöhnend, In der Schule auf schwache, hilflose Kinder ein u>rd nennt dasErziehung zur Nation". S. Der Nazi schlägt solange zu, bis au- dem Schlagen ein Er-schlagen wird. D a S nennt er dannkörperliche Ertüchtiguirg mit tödlichem AuSgang"- Und kein Richter fände sich, der die Ertüchtiger" bestraf e. 10. Der. Nazi behauptet, er hätte den Mar- MmuS totgeschlagen, währen- er nur dir Mär- xisten und immer wieder nur sie lotlchlägt. Aber für jeden toten Marxisten stehen zwei lebendige auf. 11. Der Nazi wollte ein Bollwerk gegen den Bolschewismus fern und ist, wie keine Regierung je zuvor, sein Wegberei er. 12. Der Nazi hat auS Deutschland , dem Sande der Freiheit" ein Zuchthaus gemacht, wo die nur sich frei fühlen, die als Kerkermeister, dar Parteibuch in der Tasche, freiwillig oder nicht, ehrlich oder nicht, sich dem HitleriSmuS verschrie- den haben. Der Nazi hat Deutschlatiö, daS Land einer«inst hochentwickelten Kultur, in di« Bar­barei de« tiefsten Mittelalters zurückgeworfen. Darum nieder, nieder, nieder mi, diesem Deutschland der Unterdrückung, deS Terrors, der Lüge und deS Betrugs! Nieder mit diesem Lande der Un-Freihrit, wo der organisierte Mord zu einer nationalen Tat erhoben und entspreehend gefeiert wird. Nieder, nieder, nieder! »llckier werde» zu Kohle. Tie PapyruSbibliothek von Herculaneum. Wie sie gesunden wurde. DaS Geheimnis von 308 PapyruSrollrn. Bon Ernst Germer. In einem Atemzug mit Pompeji , der welt­bekannten Stadt deS Altertums, die durch Lava und Aschenmassen deS Vesuvs zugedeckt wurde, wird meist Herculaneum genannt. Diese Stadt, über der heute der Ort Resina gelagert ist, liegt an der Landstraße von Neapel nach Pompeji , in tveniger als einer halben Stunde mit dem Per- sonenzug von Neapel erreichbar. Neben Pompeji hat Herculaneum Wohl die meisten Dokumente des Altertum- hergeaeben. Tie ouSgegrabeuen zahlreichen Gegenstände werden heute fast all« im Museum von Neapel aufbewahrt. Die kleine Stadt, im Altertum blühend inmitten einer einer fruchtbaren und üppigen Landschaft gele­gen, wurde im Jahr« 79 von einem furchtbaren Ausbruch heimgesucht und völlig zerstört. Neue Ansiedlungen, die sich über den alten erhoben, fielen 400 Jahre spater wieder der Lava zum Opfer, so daß schließlich über der eigentlichen Stadt ein Lavagebirge bi- zu 30 Metern lagerte. Schßn sehr früh hat man versucht, zu dem alten Herculaneum durchzustoßen. Systematisch allerdings wurden die Ausgrabungen ersf in tteuester Zeit betrieben u»id es ist trotz der vie­len Funde, die man jetzt immer noch macht, an- zunehmen, daß sich noch Kunstschähe von riesi­gem Wert unter den harten Steinmassen verber­gen, die früheren Nachforschungen unerreichbar geblieben waren und an die man erst m-t mo dernen technischen Hilfsmitteln herankam. Einige besonders interessante Gebäude sind freigeb'gt und können besichtigt werden. Sie geben ein eindringliches Bild von dem Alltagsleben eine­römischen Landstädtchens, sie zeigen aber auch wie hochkultiviert die Bewohner und wie hock) entwickelt Kunst und Wissenschaft waren. Auch in das Wirtschaftsleben der damaligen Zeit be­kommt man einen interessanten Einblick. Es ist in dieser Gegend sehr viel Handel getrieben worden, wovon die verschiedenen bi- zu drei Stockwerken hohen Magazine und Handelshäu­ser beredtes Zeugnis ablegen. Einer der interessantesten Funde, die in H.rculaneum gemacht wurden, ist die in einer Villa ausgegrabene vollständige Paphrusbiblio- thek des Philosophen Bhilodemes. Sie enthielt 1900 Handschriften uito wird im Museum von Neapel ansbewahrt. Diese Bibliothek wurde in der Mitte des 18. Jahrhunderts gefunden, als man Stollen durch di.' Lavamasse trieb. Dabei stieß man auf mehrere grcße Bronzeschränke, in der zur Neber- r.ischung der grabenden Arbeiter anscheinend verkohlte.Holzstücke lagen. Als man ein solches Holzstück auSeinanderbrach, entdeckte man, daß es Rollen waren, die als Kern ein Stäbchen ent­hielten. Diese römischen Bücher waren durch die Abschließung unter der Lavaschicht verkohlt, ähn­lich wie aus den vorgeschichtlichen Urwäldern unsere heutigen Kohlenlager geworden sind. Alan ging nun daran, diese Dokumente les­bar zu machen. DaS war eine schwierige Auf-t gäbe, die aber mit Hilfe eines besonderen Appa-I rateS gelöst wurde. Immerhin sind heute auch I noch 300 PapyruSrollen nicht aufgewickelt und es ist nicht ausgeschlossen, daß durch ihre Ent­zifferung noch ein großer Schah altertümliches Wissen ans Licht gehoben wird. Tie Arbeit an diesen Rollen ist jetzt natürlich viel leichter als damals. Heute geht der Chemiker dem Alter­tumsforscher zur Hand und gibt ihm Mittel durch chemische Behandlung die Beweglichkeit solcher PapvruSrollen wieder herzustellen. Beim Wandern durch die Umgebung des Vesuvs stößt man. auf Schritt und Tritt auf Zeugen dieses Altertums. Der Grund, warum sich gerade hier so viele Römer ansiedelten und Billen bauen ließen, ist auch heute noch nicht leicht erkennbar: ist doch die Landlckiaft um Neapel herum Paradiesil-l, schön und das Klima äußerst gesund. Von den Hügeln, vor allen Din­gen vom Vesuv selbst aus, hat man Blicke über das Meer, über Tal und Berg, die man nicht mehr vergißt, wenn man sie einmal gesehen bat. DaS ganze Gebiet ist von üppiger Fruchtbarkeit. Obstgärten wechseln mit Kastanienhainen ab und der ertragreiche Boden gestattete eine dichte Be­siedlung. Es ist selbstverständlich, daß der Be­sucher NenvelS auch den Vesuv besteigt und die Gelegenheit wahrnimmt, einen Vulkan noch in Tätigkeit zu sehen. Vor allen Dingen wenn der Berg arbeitet, ist eine Besteigung lohnend. Sie ist leicht zn bewerkstelligen, da eine Bahn und eine Drahtseilbahn bis dicht mm Kraterrand führen. Aber auch m Pferde oder zu Fnß kann der Berg genommen werden. ! An^erra macht Aeaalatio». Umsturz im Zwergstaat in den Pyrenäen. Die bisherige Verfassung. Allgemeines Wahlrecht «ingeführt. Von Berthold Kipping. In dem großen, täglich größere und bedeut­samere Dimensionen annehmenden Geschehen unserer Tage ist es fast völlig überhört und übersehen tvorden, daß es in einem Staate Euro­ pas eine richtige Revolution gegeben hat mit allen üblichen Begleiterscheinungen einer solchen. Wie konnte das nur passieren, wird man fragen? Darüber hätte man doch Berichte lesen müssen. Nun die Tatsache, daß sich die besagte Revolu­tion in einem Ländchen abspielte, das noch nicht zehntausend Einwohner hat, läßt diese ansonst absonderlich anmutende Tatsache erklärlich er scheinen. ES handelt sich, wie man erraten habe» wird,»m das kleine Pyrenäenstädtchen Andorra , das sich bekanntlich aller Privilegien eines sou­veränen Staates erfreut, ohne die Sorgen eines solchen zu haben. Ein friedliches Bauern- und Hirtenvölkchen geht darin seiner Beschäftigung nach Urväterart nach, jedermann, der Andorra bisher besucht hat, wußte etwas über die Vor­züglichkeit der dort noch herrschenden patriarcha lischen Sitten und Gebräuche zn erzählen. In Andorra regierte bisher ein BolkSrai, der von den 50 angesehensten und begütertsten Familien deS Ländchens gebildet, gewählt und ergänzt wurde. Tiefer Volksrat ernannte für je­weils vier Jahre oie Regiening, die ans drei Mann bestand. Der Volksrat trat in zwangslofer Reihenfolge zusammen, außerdem einmal jähr­lich obligatorisch zur Feier der Unabhängigkeit Andorras . Irgend ein bestimmtes Wahlsystem gab es also in Andorra bisher nicht. Man wurde leid­lichregiert" Steuern gab es fast gar keine, die einzige Abgabe, die zu leisten war, war die Pro- tektion-abgabe an Frankreich und den Erzbischof von Urgel. Aber die konnte man gelegentlich so­gar schuldig bleiben, ohne daß das Folgen nach sich zog. Schon in den ganzen letzten Jahren konnte man immer wieder von Stimmen der Unzufrie­denheit in Andorra hören, Unzufriedenheit mit der herrschenden Regierungsform. Besonders dieJugend" des Landes forderte immer gebie­terischer das allgemeine Wahlrecht für alle Män­ner über 20 Jahre, ein Verlangeii, dem sich der Rat der Alten heftig widersetzte. Vor wenigen Tagen nun geschah das Uner­wartete: einige hundert Leute marschierten unter Absingung revolutionärer Lieder nach La Vieja. Sie umstellten dort das Rathaus und ge­lobten, nicht eher abzuziehen, als nicht ihre For­derungen bewilligt wären. Der eben tagende Rat kam nach einstündiger Beratung zu dem Er­gebnis, daß selbst ein heroischer Widerstand die Sachlage nicht zu andern vermochte. Hinzu kam, daß ein Teil der Mitglieder zum Abendessen nach Hause wollte kurz und gut: die Negierung be­trat den Balkon, von dem aus alle historischen Proklamationen des gesegneten Ländchen- erfolgt waren und verkündete, daß die Forderung nach dem allgemeinen Wahlrecht angenommen sei. Tie neuen Wahlen erfolgen zum nächstmöglichen Termin, voraussichtlich im Herbst dieses Jahres. So hat sich also in diesem vergessenen Pyre- näenwinkel das seltsame Schauspiel begeben, daß das kleinste Volk Europas gerade in dem Mo­ment den demokratischen Grundsätzen und dem Parlamentarismus zum Siege verhilft, in dem ein großer Staat eben diese Demokratie zu Grabe getragen hat. W W «r VI Der wcMcrhahn. Bon Hermynia Zur Mühlen . Vielleicht war der Wetterhahn daran schuld. Der stand nun schon seit Menschengedenten aus dem Dach. Zuerst glänzend und golden, zur Zeit von ArnoltS Großeltern, dann braun und rostig, al» ArnoltS Eltern da- Haus bezogen. Aber einer­lei, ob glänzend, ob golden, ob brau» und rostig: er dreht« sich knarrend nach jedem Wind und dachte nicht daran, auch nur ein einziges Mal gegen ihn zu känipfen. Ja, je älter er wurde, desto gefügiger gehorchte er dem leisesten Hauch; manchmal schien es, als ahne er ihn schon voraus und drehe sich nach einem Winde, der noch gar nicht eingesetzt hatte. Der Nein« Arnolt liebt« den Wetterhahn; er stand oft minutenlang vor dem Hause und be. trachtete die eifrigen Drehungen des braunen Tieres, von dem er lange Zeit nicht glauben wollte, daß er kein lebendes, deckendes Geschöpf fei. Besonders schön erschien ihm der Wetterhahn an schwülen Sommertagen, wenn über das Ge­birge her schwarze Wolken kamen und daS Laub sich kaum zu regen wagte. Da knarrte der Wetter­hahn ganz leise und machte vorsichtige ungelenke Bewegungen, als wolle er sich zu einem Flug dorbereiten. Brach dann da- Gewitter los. so drehte der Wetterhahn sich wie ein Kreisel, immer mit dem Wind, immer mit dem Wind. Der kleine Arnolt wurde größer, aber sogar dem Gymnasiasten«rächte es noch Freude, den Dctlerhahn zu betrachten, und rvenn er in stürmischen.Herbstnächien, von der Unruhe feiner Ilugend gequält, wach lag, tat es ihm wohl, das dcrtraute Knarren auf dem Dache zu hören. Ganz dnmlich, In der Tiefe seiner Seele begriff er das , stmlideelseriie Ding; er stemmte sich nicht gegen dir Ueberniacht, eS wollte mit den« Wind und mit «m Gewitter gut Freund sein, es hatte vielleicht auch Angst, daß ihm, wenn es sich wehrte, etwas zustoßen könnte. Der junge Arnolt fand es äußerst vernünftig, und er befolgte getreu die Lehren sei. ne- ersten Meister-. In der Schule war er ein Musterschüler, der es immer mit den Lehrern hielt und dabei gut wegkam. Später, an der Universität, blieb er der gleiche. Er schloß sich immer der Mehrheit an, einerlei, welche Ansicht diese vertrat, und wenn ein plötzlicher Windstoß der Gemüter diese Mehr­heit zu ändern drohte, fühlte er eS im voraus und hielt, zum Erstaune» seiner Freunde, plötzlich zi« der Minderheit von heute, di« d:e Mehrheit von Morgen war. Er wurde Dichter. Er besang die Treue und die Liebe, natürlich ohne Erotik, sonst hätten die Sortimenter sich sirr seine Bücher nicht eingesevt. Er wurde Impressionist. Mii aller Leidenschaft einer scheinbar unerschütterlickien Ueberzeugung Dann aber schlug der Wind um; Arnolt sah ein, daß er sich geirrt habe, aber schließlich ist Irren menschlich. und nur ein richtiger schmiede- eiserner Wetterhahn kann sich niemals irren. Arnolt verleugnete seine frühere» Werke und wurde Erpressionist. Er wurde iin Lause der Zeiten alle-, waS ein schreibender Mensch wer­den kann. Er besang den Krieg und den ewigen Frieden, er besang die Revolution und die Gegenrevolution. Seine Bücher erzielten hohe Auflagen, lind immer knarrte der Wetterhahn mahnend, beruhigend: richte dich nach dem Wind, dann kann dir nichis geschehen. Anwlt heiratete nicht, denn er hätte sich dabei auf einen bestimmten Typ festlegen müs­sen, und wie konnte er wissen, ob das kesse Mäd­chen von heute nicht bald der sittsamen Jung­frau von vorgestern und übermorgen Platz machen werde? Außerdem hätte er von beiden Kinder haben köna"». und wer kann sagen, wie Kinder auSfallen? Wer kann sagen, ob auch sie gläubig zu dem immer rostiger werdeirden Wetterhahn aufblicken und dessen jahrhunderte alle Weisheit befolgen werden? Arnolt rechnete mit allem, nur mit einem nicht: dem Tod. Aber sogar dieser streifte ihn nur mit einem Finger, als hätte er Angst vor dem Manne, der kein Mensch, sondern nur ein Wetterhahn ans Fleisch und Blut war.Ein kleiner Schlaganfall", sagte der Arzt.Sie müs­sen sich schonen. Vor allem keine Aufregung, nicht wahr". Worüber soll ich mich aufregen?, dachte Arnolt. Ich bin fest verankert in meinem Glau­ben. WaS könnte msr etwas anhaben? lind während er, im bequemen Lehnstuhl sitzend, die- dachte, knarrte auf dem Dach der Wetterhahn. Da ereignete sich etwas Seltsames. Der erfolgreiche, immer erfolgreiche Dichter begann mit fünfundfünfzig Jahren«Iber daS Won Glauben nachzndenken. Woran hatte er ge­glaubt, woran glaubte er? Wie Gespenster stiegen seine Werke vor ihm auf, jedes mit einem andern Stempel, mit einer anderen Ge­sinnung. Arnolt begann zu zittern. Ich muß doch einmal, ein einziges Mal an etwa- ge­glaubt, muß doch einmal, ein einziges Mal, eine Gesinnung verraten haben? Er wühlt in seinen Erinnerungen. Er wollte sich, wem; nicht als Be. kenner, so dock, znmindest als Veräter fühlen. Es gelang ilnn nick». Vlöhlickie Angst'erfaßte ihn: ich bin kein Mensch gewesen, dachte er. lind dann kam ein noch furchtbarerer Gedanke: ich weiß ja gar nicht, was ein Mensch ist, ein wirk» kicher Mensch. Still und bequenl in seineni Lehnstuhl sitzend, ungestört von der Außenwelt, überkam Arnolt jene Aufregung, vor der ihn der Arzt gewarnt hatte. Oben aus dem Dache knarrte der rostige braun.' Wetterhahn und drehte sich mit den« Wind. Drehte er sich wirklich ans dem Dache, war er nicht heruntergestiegen und stand im Zimmer vor Arnolt? Rief er ihm nicht drohend zu:Der Wind dreht sich. Steh auf, versäume nicht den Anschluß. Dreh dich! Dreh dich!» Der Wetterhahn hatte grüne, zornig fun­kelnde Augen. Er kam immer näher. Sein rostbrauner Kainm schwoll an. Sein Schnabel wollte nach Arnolt stoßen. Er wird mir die Augen aussteck>en, dachte Arnolt. Ich muß ihn gehorchen. Nebelschleier verhüllten das Zim­mer vor seinem Blick. Er sah nur noch den Wetterhahn. Drehen, dachte er, ich muß mich drehen. Der Wind bläst ans einer andern Rich­tung. Aber auS welcher? In feinen Ohren sauste eS. Doch das Sausen wurde durch daS Knarren des Wetterhahnü übertönt. Arnolt erhob sich schwankend. E> wollte zur Tür eilen, wollte um Hilfe rufen. Aber er konnte nicht gerade gehen. Wider»-men Willen begann er sich im Kreise m drehen. Erst langsam, dann immer rascher und rascher. Erst «ach rechts, dann nach links und dann wieder nach rechts. Er Hörle seine Knochen knacken, und daS heisere Pfeifen seiner Lungen. In seiner Brust schien ein Feuer zn lodern. Alle- schmerzte ihn. Aber er mußte sich drehen, unauf­hörlich, ohne Atempause. Er wollte schreien, aber was ans seiner Kehle drang, war nur eiu Knarren. Er wollte sich am Tisch festhalten, aber auch der Tisch drehte sich, lind vor dem Fenster pfiff höhnisch der Wind. Der Wind, vo>« dem Arnolt nicht wußte, an- welcher Rich­tung er blies. Plötzlich wurde es still um ihn. Er hörte nicht mehr seinen Atem pfeifen, seine Knochen knacken; die Nebelschleier verschwanden und seine brechenden Augen sahen nur noch.'inen riesigen, das ganze Zimmer, die ganze Welt ausjüllenden rostbraunen Wen'Hahn, In.' sich langsam, mit unerschütterlicher Sicherheit nach dem Äiiid drehte.