Sette 2 DomierStog. 31. August 1933 Nr. 208 ®et im Motto zitierte Leitartikel desTep- litz-Schönauer Anzeigers", also eines gleich­geschalteten Provinzblattes, dessen führende Rolle der der Fascisierung des sudelendeutschen Bür­gertums nicht zu verkennen ist, gibt uns einen im Grunde sehr dankenswerten Blick in die Werkstatt der fascistischen Reaktion frei. So offenherzig hat noch niemand die Karten auf­gedeckt, wie der Autor dieses Artikels und ich möchte annehmen, daß er es nicht aus Mangel an politischem Geschick, sondern in vollem Be­wußtsein tut, aus der richtigen Erkenntnis her­aus, daß in gewissen historischen Si­tuationen die brutale Wahrheit opportuner ist, als das faktisch geschickte Verbergen des Zieles. Den Artikel desT.-Sch. Anzeigers" hat einer geschrieben, der den Sinn des LassalleschenAussprcchen dessen, was ist" begriffen hat. Zum erstenmal wird hier nicht von der Sudetendeutschen   Einheitsfront schlechthin, sondern von der Antimarxisti-I scheu Einheitsfront gesprochen und als ihre Aufgabe wird ohne alle Umschweife die Ein-s schaltung des nationalen Sudetendeutschtums ins die neue Negierungsfront erklärt. Der Artikel ist; zum Unterschied von dem üblichen Geschimpfe des hunnisch gleichgeschalteten Blattes leiden­schaftslos geschrieben. Er geht von der ohnes Zweifel richtigen Ansicht aus, daß die Aera   desi liberalen Staates auch bei uns vorüber ist und daß wir uns aufdem Wege zum autori t ä r c n(besser zumtotale n") Staat be­finden: Es läßt sich noch nicht voraussehen, wie sich diese Entwicklung;um autoritären Staat voll­ziehen wird, aber daß sie im Gange ist, damit muß man heute bereits rechnen." Der damit verbundenen Kraftprobe werde die agrarisch-sozialistische Koalition nicht ge­wachsen sein. Richtiger wäre viellecht die Ver­mutung, die Agrarier seien nicht gesonnen, die Sozialisten in das Regime eines totalen Staates cinzubeziehen und seine Machtmittel mit ihnen zu teilen, aber der Effekt ist für das sudeten­deutsche Bürgertum natürlich der gleiche. Der Leitartikler desAnzeiger" hält es nun für keineswegs ausgemacht, daß die neue Staotsform sich unbedingt gegen das Sudeten­deutschtum auswirken muß", obschon die Tendenz zugleich antideutsch und anti- marxistisch sei. Hier muß man sich natürlich im klaren darüber sein, daß sich die Interessen desSudetendeutschtums", wir schon die Bür­gerblockära bewiesen hat, nicht mit denen der sudetendeutschen   Bourgeoisie decken. Nur von diesen ist in dem Artikel die Rede. Gegen sie also werde sich der Fascismus nur dann auswirken, wenn sie ungeschickt manövriere. Welcher Weg eingeschlagen wird, hängt in weitem Maße von den Sudetendeutschen selbst ab. Die sudetcndcutschc Politik muß sich bewußt sein, . daß solche Entscheidungen an sie herantreten kön­nen. Wenn sie hierfür gerüstet fein will, muß das Sudetendcutschtum in einer poli­tischen Formierung dastchen, die es einer­seits den Tschechen ermöglicht, mit ihm zu verhandeln, und andererseits den Deut­ schen   eine würdige Vertretung sichert." An der wird's nicht fehlen! Das Denken der Parteien muß a b- g e l ö st werden von dem Denken der Rationen." Folgt der schon zitierte Passus über die ,,a n t i- marxistische sudetendeutsche Einheitsfront". Da» Ganz« ist da» klarst« politisch« Programm, da» sich dir sudrtrndrutschr Bourgeoisie geben kann. Die Entwicklungstendenz zu verstärkter und parteiisch gebilndencr Staatsautorität al- notwendige Folge der sich verschärfenden Wirt- schaftrdeprcsslon ist erkannt, nicht minder die Notwendigkeit, alles über Bord zu werfen, was die deutsche   Bourgeoisie dieses Staates an Erb­gut der Vergangenheit beschwert, auf 1918 wird ausdrücklich verwiesen. Man will nicht wie 1918/19 im Schmollwinkel stehen oder sich in eine hoffnungslose nationale Kampfstellung drän­gen lassen, man will dabei sein, wenn der Mar­ xismus   geschlachtet und das Fell verteilt wird. AlleBelange" müssen dem einen Weichen: Rettung des Kapitalismus  ! Daß auf der tschechischen Gegenseite die Neigung oji einem internationalen Bourgeois- Fascismus vorhanden ist, läßt sich besonders nach der Abmilderung der staatlichen Kampagne gegen den Nazifascismus behaupten. Das Koket ­tieren zwischen tschechischnationaler und nazioti-s scher Presse beweisest, daß man den sudctcndcut- fchen Fascismus in Reserve hält. Nur wenn di« Arbeiterklasse die foscistische Gefahr klar erkennt, sich durch kein Vorurteil und kein gegnerisches Ab­lenkungsmanöver beirren läßt, sic dort zu sehen, wo sie wirklich aufsteigt und wo der Feind zum Schlage ausholt,nur wenn diesözialdemokra- tischen Parteien in den nächsten Monaten umsichtig, energisch und mit raschem Entschluß, vor allem auch mit der Kraft und dem Willen zu radikalen Offensibstößen gegen den Fascismus operieren, wird die Gefahr, die spätestens im Frühjahr 1934, vielleicht aber tatsächlich schon im Herbst dieses Jahres akut sein kann, gebannt werden! Massono üar Bestimmungen N§ 82 dar G.-0. Durch die Regierungsverordnung vom 29. Juli 1933, Slg. 163, wird auf Grund der außer­ordentlichen Berordnunosgewalt nach dem Er­mächtigungsgesetz Slg. 95/1933 dem 8 82 der G.-O. eine neue Faflung gegeben. Dieser Para­graph der G.-O. paßte in seiner Fassung schon längst nicht mehr in die neue Zeit und unsere Gewerkschaften haben wiederholt ernstlich versucht, dessen Wortlaut zu modernisieren. Bor allem waren es die Absätze h) und i), die den Unter­nehmern eine billige Handhabe boten, Arbeiter fristlos zu ent lasten, die sich in irgendeiner Art unbeliebt gemacht hatten. Diese beiden Absätze gaben dem Unternehmer die Möglichkeit, während der Dauer des Arbei tsverhältnistes einen Hilfs­arbeiter ohne Kündigung zu entlasten, wenn er h) mit einer abschreckenden Krankheit behaftet, oder durch eigenes Verschulden arbeits­unfähig war. oder wenn die unverschuldet« Arbeitsunfähigkeit über vier Wochen dauerte; i) durch länger als 14 Tage gefänglich einge- haltrn wurde. Durch di« bereits angeführt« Regierungs­verordnung, die am 10. August d. I. kundgemacht wurde, werden diese beiden Absatz« endlich gestri- Zlonisten-Kongreb. Auseinaudersetzunge« der Stake« mit der Siechte«. Auch die Mittwoch-Verhandlungen deS Zio- nistenkongresses standen im Zeichen der Generaldebatte, dir in den Abendstunden zu Ende geführt wurde. Redner aller Fraktionen kamen zu Wort; dir Orthodoxie war am Mittwoch besonders aktiv und ließ mehrere Redner aufmarschieren. Die Orthodoxen, konservative Reaktionäre vom alten Schlag, beklagten sich über die Lockerung der tradi­tionellen Bindungen in Palästina. An diesem Zusammenhang richteten sie heftige Angriffe gegen di« Arbeiterpartei, der sie Terror­gelüste und Klassenkampfgcsinnung zum Vorwurf machten. Registriert zu werden verdient, daß sich der tsche­choslowakische jüdische Abgeordnete Dr. Emil Mar­git li«S als Gegner der palästinensischen Arbeiter­schaft bekannte, wenn er auch, nicht ganz logisch, versicherte, daß er deshalb kein Feind der Arbeiter geworden sei. Einigermaßen unerfindlich ist, weshalb Herr MargulicS für Palästina gleichsam b c- sondere politische Formen verlangt. Meint er vielleicht, daß den Wischen Arbeitern der Sozialismus Nebensache, der Zionismus   jedoch chen. Bon nun an wird«» also ausgeschlossen sein, aus den in den beiden Absätzen angeführten Gründen Arbeiter fristlos zu entlasten. Damit ist ein Zustand beseitigt, der wahrlich«ine Kultur­schande war. Wenn also jetzt. Arbeiter, die mit einer ab­schreckenden Krankheit behaftet sind oder durch eigenes Verschulden arbeitsunfähig wurden, oder wenn ihre unverschuldet« Arbeitsunfähigkeit,über vier Wochen dauert, oder wenn sie durch länger als 14 Tag« gefänglich eingehalten wurden, ge­kündigt werden, dann können bei solchen Einzel­entlassungen im Sinne der Bestimmungen des 8 3 des Betriebsausschüstegesehes die BetriebS- ausschüss«, wenn sie eine solche Kündigung als eine ungerechtfertigt« Härte empfinden, die Schiedskommission zur Entscheidung aufrufen. Ergänzt wurde durch di« gleich« Regierungs­verordnung auch der Absatz b) deS 8 82, der nun in der neuen Fassung lautet: b)zu der mit ihm vereinbarten Arbeit un­fähig befunden wird, au ß«e r Krankheit und Unfall". Di« Ergänzung, di« durch die Unterstreichung hervorgehoben ist, ergab sich zwangsläufig durch die Streichung der Absotzc h) und i). Hauptsache sein soll? Hier ll«gt eine Konfusion vor, über die man nur bedenklich den Kopf schütteln kann. Der Arbeiterparteiler Neustadt(Polen  ) ver­langte in einer eindrucksvollen Rede nachdrückliche Berücksichtigung der Forderungen der jüdischen Masten durch die Exekutive. Dem Abschluß der Generaldebatte folgten die Erwiderungen der Exekutivmitglieder. Der Sozialist Verl Locker wandte sich in scharfen Worten gegen die Revisionisten und verlangte vom Kongreß dir Annahme von Be- schlüsten, die et der Exekutiv  « in Zukunft ermög- lichcn sollen, disziplinlose, die Organisation unterwühlende Elemente rücksichtslos zu ent­fernen. Prof. Boretzki polemisierte gegen den ame­ rikanischen   Delegierten Stephan Dis« und den Re- visionisten Schachtmann, wobei er davor warnte, die Araberfrage in l-eichtfertigrr Weise zu behandeln. Jeder Versuch, dir Annäherung vou Juden und Araber» hrrbrizusühren, müsse auf» wärmst« begrüßt werden. Präsident Sokolow, der den Reigen der Redner abschloß, erteilte mehr oder weniger sanfte Rügen nach allen Seiten und rief die Delegierten zur zionistischen   Einigkeit auf. Kr polemisierte auch gegen die Sozialisten, wobei «v u. a. ausführtc, daß er während der Reden der Arbciterdelcgierten manchmal das Gefühl gehabt habe, auf dem Pariser Sozialistenkon­greß zu sein. Am Donnerstag mittag wird eichlich die Revisionisten-Entschließung bekannt­gegeben werden. Sie soll, wie bereits durchsickert, sehr feierlich gehalten sein, inhaltlich aber stark kompromißlerischen Charakter tragen. Diedemokratischen" Revisiouisten haben sich endgültig von Zabotinsky los­gelöst und eine neue Partei, dieJuden- staatSpartei" gegründet, die demokratisch, antimarxistisch und stramm militaristisch eingestellt sein soll. Ein bißchen viel auf einmal! rte Natiouatvemolraten als Bewunderer des HiUerfafrtrmnr. DieNürodni lisch", das Zentralorgan der sogenannten national-drmokratischen" Partei, haben sich«ine ganz besondere Demokratie zu­gelegt. Für den internen chauvinistischen Ge­brauch möchten sie am liebsten aus jedem deut­schen Staatsbürger der Republik   einen Haken- kreuzler machen, der hinter Schloß und Riegel gehört. WaS dagegen an fascistischen Heldentaten von jenseits der Grenze kommt, das findet dir uneingeschränkte Billigung dieses Blattes, das sich auch einmal an ferne anständige und liberale Vergangenheit erinnern sEe. In wahrer Ver­zückung wird über den Nürnberger   Parteitag der Nazi berichtet, daß der Bau der Tribünen auf 2.5 Millionen Mark komme, das Riesen­feuerzeug gar auf 10 Millionen Mark und nachdem 600.000 SA- und SS  -Männer an­rücken fallen, so werde der Lohncntgang eben­falls gegen 10 Millionen Mark betragen, den die Industrie bezahlen müsse. Ein wenig wird ja die Industrie bedauert, aber man spurt eS stoischen den Zeilen, daß die Herren sick nicht besonders wehren würden, für eine so gediegen« Schutztruppe des Kapitals auch bei uns ctwa- zu stiften. Dor wenigen Tagen druckte das Blatt der auSrongiertcn Hofrätc wieder wörtlich«inen Schtvindeldericht des Wolff-Bureaus über die Ergebnisse der Arbeitsbeschaffung in Deutschland  ab, wonach die Zahl der Arbeitslosen innerhalb eines halben Jahres um zwei Millionen zurück­gegangen sei. Di« gesamte anständige Weliwrrsse ist davon überzeugt, daß eS sich hier um Schwin­delmanöver handelt, man weiß, daß die Hit- lerianer Leute, die nicht unterstützungsberechtigt sind, aus der Arbeit werfen und die Stellen mit bisherigen Unterstützungsempfängern besetzen, man weiß, daß die Hakenkreuzler die Arbeits­losen zwangsweise in die Provinz schaffen und sie gegen einenTaglohn" von 30 Pfennig den Bauern anhängen, die sich dann um die Ver­pflegung kümmern müssen, man tvciß, daß zahl­los« Arbeitslose unter den nichtigsten Vorwän­den aus der Wohlfahrts- und Krisenunterstützung gestrichen werden, um so di« Zahl der offiziell anerkannten Arbeitslosen zu senken: daS alles weiß man, aber es hindert nicht ein seriös sein wollende- Blatt, di« Tatsachen auf den Kopf zu stellen, um daraus auch für die eigenen fasci  - ftischen und nationalistischen Gelüste Kapital zu schlagen. Wenn dieNürodni lisch" dieFruchtlosig­keit" der internationalen sozialistischen   Bestre­bungen belächeln und auch noch den traurwrn Mm aufbringen, die deutschen Emigranten zu verhöhnen, so kann man ihnen nur darauf sagen, daß eS eben die Vernünftigen in einer Welt von Narren schwer haben. Und wer die Zustände im Tollhaus lobt, der wird sich wohl im Klaren darüber sein, daß er nicht der Vernunft dient. 9 Der Goldfasan oder Die letzte Nacht des Mandarins Wang-Li-Kung Eine Legende von Frilx Rosenfefd Conyright 1933 by Bfcherrtlde Gutenberg. Zürich  . Von einem.Haus lief Wang-Li-Kung zum anderen. Der Wind fuhr durch sem Haar, spielt« mit seinem Bart. Frost schüttelte ihn, Fieber fraß in seinem Blut. Di« Fackeln lohten; um die einen stand eine Säule von Rauch, um die ander« spannt« sich ein Bogen frnchten gebrochenen Lichts, geheimnisvoller Schleier um eine uckcnde Flamme. In jeder dieser Flammen war er­loschenes Leben, das wieder aufbrannt« für drei Tage und drei Nächte. Die Toten gingen wieder durch die Häuser, sie saßen wieder am Tisch, die Freunde und Berwandien ahnten ihr« Gegen­wart. Sie lebten unsichtbar neben den Menschen, die noch in ihren Körpern gefangen waren, und ffillten alle Straßen, alle Städte. Durch schmale, mit bunten Wimpeln und weißen Fahnen verhängte Gasten  , an vielen Schenken vorbei, kam Wang-Li-Kung zum Blu­menmarkt im Schatten der Edelsteinpagodr. Feng hockte hinter seinen Körben, eine Blume zwischen den Zähnen. Neben ihm lag der durch­bohrte Koffer wie ein toter Vogel, den der Pfeil eines Jäger- aus den Lüsten herabge­holt hat. Wang-Li-Kung blieb vor dem Knaben stehen. Diese Augen, dachte er, diese Augen... Und nun tvußte er: diese Augen hatte ein Mäd­chen gehabt, das er«inmal geliebt... nein, da­rr in seinen Armen gehalten und mit Gewalt bezwungen, um einen Feind ins.Herz zu trefstn. Er sann nach: Es waren die Augen Man-; dielleicht hatte er bei allem Haß, der damals seine Seele erfüllte, diese Augen doch geliebt... Darum bracht« Hang-Lien den Knaben als Gehilfen in seinen Garten! WaNg-Ll-Kuna will in die Tascke greifen und Feng ein Geldstück reichen da dringt ein schrilles Lachen an sein Ohr und hundert Stim­men lärmender Kinder. Ein dicker Bär tappt über die Straße, eine Kette hängt an seinem .Hals, aber niemand wagt eS, die Kett« zu ergrei­fen und daS Tier   zu lenken. Die Kinder ziehen den Bären an den Ohren, am Schwanz, bewer­fen ihn mit kleinen Steinen, lausen davon, wenn er brummt, kr«ifchen, wenn er den Schädel wendet, und strampeln vor Freude, wenn er sie stumpf und verständnislos anblickt. Da werden die Augen Wang-Li-KungS riesengroß und die Angst sitzt ihm wieder im Nacken. Alle Kinder haben«inen Herzschlag lang daS Gesicht Fengs, sie tragen eine Blume zwi- schcn den Zähnen, m ihren Händen halten sie zerschlissene Koffer, in denen sie viel Sehnsucht tragen, aber diese Sehnsucht ist wie eine welke Blume, sie lebt nicht mehr auf. Wang-Li-Kung weiß nun, und er hält den Atem an in diefem Augenblick, daß unendlich viel ungelebtcS Leben wie ein zerstäubter Duft über dieser Erde ist, zwischen den Blumen schwebt, auf dem Gras liegt, wit Tau am Morgen. Er weiß auch, daß mehr Sehnsucht in dieser Welt ist, als ein Mensch zu fassen vermag. Da siedet das Blut in ihm, der Bär wird riesen­groß vor seinen Blicks», Wang-Li-Kung wendet sich uni, lauft nach Hause, der Bär ist immer hinter ihm, seine Augen glühen, seine Tatzen sind erhoben, eS ist, als setze daS dunkle Tier zu einem Sprung an, der Wang-Li-Kung zermal­men wird. Bären sind nicht wie Tiger, sagt sich Wang-Li-Kung, als er an einer Ecke Atem K; Bären springen nicht. Aber da kocht wie- 6 Blut in den Adern, daS Herz fliegt, die Schläfen tzochen, seine Besinnung zerrinnt, der Bär ist wieder da und jagt ihn vor sich. Tanns ist eS, als liefe vor Wang-Ä-Kung der Goldfasan, vor dem Goldfasan aber liefe Hang-Lien, vor Hang-Lien liefe Feng, und der Goldfasan liefe dem Gaukler nach und dem Knaben, und hörte nicht die schmeichelnden, bittenden Rufe dcS Mandarins. Dann verwandelt sich der Fasan in Jüan, der Bär in Tschung-King, und dann ist daS Lachen da, daS unermeßliche, erdaufwüh- lende, sternzerschmetternde Lachen, das Hang- Lien lachte, als der Kopf seines Sohnes Tschung- King auf den Boden rollte. Nun sicht Wang-Li-Kung nur noch Man vor sich, das Mädchen mit den dunklen Augen Fengs; er denkt nur an die Stunde, da man dieses Mädchen abschnitt von seinem Tor, an dem es sich erhängt batte, e'n Opfer, das sich an seinem Mörder rächte. Wang-Li-Kung kann SiestS Tor nicht be­rühren, als er wieder vor seinem HanS steht, die Diener öffnen es vor ihm, di« Diener schlie­ßen eS hinter ihm. Wang-LiKung jagt über den Rasen, als verfolge ihn der Bär, er stößt seine Knechte beiseite, brüllt eine Magd an, gibt keine Antwort, als der Hausboimeistcr ihn fragt, waS er zu Abend speisen woll.'. Der Haushofmeister macht große Augen, ob er W«in bringen und die Lichter entzünden solle? Nein, schreit der Manonr-n, es brennen genug Lichter heute Nacht in Tai-Tschai, man solle ihn in Frieden listen mit den dummen Fragen. Wang-Li-Kung tvirjt sich auf sein Lager, bohrt den Kopf in die Polster. Draußen lodern die Fackeln, er will lle nicht sehen, draußen rollen die Gongs, er will sic nicht hören. Er preßt die Kisten an die Ohren und die geballt« Faust an die Augen, sein Kopf ist eine einzige, große Wunde, nton müßt« den Arzt holen, er ist krank, aber wo ist der Arzt, der ihm Heilung bringen könnte? Seine Schläfen glühen, daS Herz häm­mert, das Blut rollt lauter als draußen die GongS  ; nichts sehen, nichts hören, nichts denken, sich abschließen von der Welt und nur der Sehn­sucht nach Frieden leben. So liegt Wang-Li-Kung in dieser Nacht, die voll dunkler Träume ist. Er verstopft die Ohren und verhüllt die Augen, aber er kann den Blick nicht töten, der zurückwandert durch die Zeiten, er kann die Erinnerung nicht ab­würden, die wie«ine riesenhafte, gespenstige Ge­stalt aufsteigt, über ihn hinauSwächst und mit ihm spielt wie ein Kind mit einer Puppe. Damals war Tschung-King ein Knecht Wang-Li-KungS gewesen. Der Mandarin hatte ihn in die großen Wälder gesandt, um Jagd auf den Goldfasan zu machen. Tschung-King kehrte nach drei Wochen heim; der Fasan, den er brachte, trug auf der Stirn ein rote- Mal. Da warf ma» Tschung-King in den Kerker; der Fasan aber sollt« Wang-Li-Kung und seine Freunde zu dem verborgenen Schatz führen. Doch der Fasan leitete sie in die Irre, sie gin­gen drei Tage im Kreis und standen schließlich wieder vor Tai-Tschai. Da ließ der Mandarin seinen Knecht holen und befahl ihm, den Fasan sreizulassen und chm in die Wälder zu folgen, bis er den Schatz gefunden; vielleicht enthüllte 'ms Tier dem Jager sein Geheimnis. Tschung-King blickte den Mandarin au- großen, klaren Augen fest an und sagte: ,,Der Schatz, um den der Goldfasan weiß, ist nicht das Gold. Wang-Li-Kung; der Schatz i die ewige Sehnsucht." Wang- Li- Kung lachte und alle seine Freundc lachten mit chm. Sie nannten Tschung- King einen Narren und warfen ihn wieder m den Kerker. Der Goldfasan aber kam zu den anderen Vögeln in da- Gehege und wurde von Wang-Li Kung als der kostbarste Schatz seine- Gartens gehütet. (Forlsetzuiig folgt.)