1.8.21.
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Praha II. ul.7.
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13. Jahrgang.
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Mittwoch, 4. Oktober 1933
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Wien , 3. Oftober. Heute nachmittags um halb 3 Uhr wurde im Vestibül des Parlaments auf den Bundeskanzler Dr. Dollfuß, der aus einer Sitzung des christlichsozialen Klubs fam, von einem jungen Nationalsozialisten zwei Revolverschüsse abgefeuert, die den Bundeskanzler leicht verletzten.
Der Attentäter wurde verhaftet. Es handelt sich um den 25jährigen im Mai d. J. entlassenen Wehrmann Mudolf Dertil, dessen Zugehörigkeit zur natio: nalsozialistischen Partei trotz seinem Leugnen außer Zweifel steht. Die amtlichen Stellen verbreiteten zunächst mit sichtlichem Behagen die Angabe des Verhafteten, daß er als Wehrmann dem sozialdemokratischen Wehrverband an: gehört habe, mußten dann später aber zugeben, daß die Zugehörigkeit des Attentäters und seiner ganzen Familie zur nationalsozialistischen Partei außer Zweifel steht.
In den ersten Meldungen nach dem Attentat hieß es, daß der sofort zu: Jammengetretene Ministerrat das Standrecht über ganz Desterreich ver fünden werde. Die amtliche Meldung über den Ministerrat berichtet jedoch nur davon, daß beschloffen wurde, dem Bundeskanzler die herzlichsten Glückwünsche auszusprechen und ihn der geschlossenen und unentwegten Gefolgschaft zu ver fichern.
Dr. Dollfuß wurde in seine Wohnung gebracht, von wo er die Leitung der Regierungsarbeiten fortzusetzen gedenkt.
Wie das Attentat geschah eigenen Auto auf die erſte Unfallsstation fahren,
wo eine erste Roentgenaufnahme erfolgte.
Der stadtbekannte Hakenkreuzler
Dertil wohnte im vierten Bezirke, Paulaner gasse 4, bei seinem Stiefvater Dr. Günther, der dort eine Vierzimmerwohnung inne hat. Im ganzen Hause war der Attentäter als Nationalsozialist bekannt. Dertil hat sich im Hause unbeliebt gemacht, weil er die Wände des Stiegenbauses mit Hafenkreuzen beschmußte oder mit Zetteln nationalsozialistischen Inhaltes beflebte. Er war aftives Mitglied des bekannten nationalsozialistischen Schwimmvereines Ewait". Er betätigte sich in diesem als Springer und ist wiederholt in diesem Verein vor die Oeffentlich feit getreten. Zuletzt war Dertil bei der Haus bejißervereinigung angestellt.
Rundfunkrede
des Bundeskanzlers
Nr. 232.
Die Intelligenz, der Senator Krojher und die agrarische Sehnsucht nach dem Fascismus
In einem agrarischen Winfelblättchen hat der tschechisch agrarische Senator Krojber einen reichlich verworrenen, aber auf jeden Fail zielbewußt übel gemeinten Artikel gegen die Intelligenz" losgelassen. Versteht sich, daß der „ Večer", das Boulevardblatt der Restgut barone und Restgutbankrotteure, diesen Artikel mit einem empfehlenden Kommentar und den entsprechenden typographischen Hervorhebunge nachdruckt. Denn wo es Intelligen; gibt, ist der „ Večer" immer auf der andern Seite!
Durch die Wiedergabe in dem Blatt der größten und einflußreichsten Partei im Staate, gewinnt der Artikel des Herrn Krojber eine Be deutung, die er an sich nicht hätte. Denn der
Večer" läßt feinen Zweifel darüber, bestehen, daß er sich mit den Ausführungen Krojhers einverstanden erflärt und die offiziellen Reprä sentanten der Agrarpartei wiederum lassen zu viel Zweifel darüber bestehen, ob sie von der Weltanschauung ihres Blattes so weit entfernt sind, wie es das Interesse der Republif er. fordern würde.
Senator Krojher stellt fest, daß die Intelli genz in einer Reihe von Staaten verfolgt, daß fic in Konzentrationslager gesperrt, des Landes verwiesen wird und daß diese Verfolgung der Intelligen; in Rußland , Stalien und nunmehr auch in Deutschland den Beifall der Vollsmaisen finde. Es zeige sich, daß die Intelligen; eben feinerlei Einfluß auf das Volk habe, daß sie vielmehr im Bolte verhaßt sei und er kommt zu dem Schluß, daß alle gegen die Intelligen; ge richteten Bestrebungen nur eine gesunde Realtion auf die Fehler der Intellektuellen" sind. Gegen das Ende seiner Auslassungen wird Berlin , 3. Oftober. Reichsminister Freiherr Krojher deutlicher. Er spricht dann von von Neurath hat dem österreichischen Bundes. Söhnchen der Prager Reichen", die kommunifanzler Dollfuß anläßlich des auf ihn verübten stische Verhebung betreiben, von der verloren verbrecherischen Anschlages seine aufrich- gegangenen Autorität in Familie, Staat und tig it en Winsche für die glückliche Errettung Gesellschaft, beklagt den sinkenden Einfluß der aus Lebensgefahr ausgesprochen.
Um 8 Uhr abends hielt Dollfuß aus seinem Arbeitszimmer eine improvisierte Rundfunkan Der erste Schuß prellte die linke Brustsprache, in der er erklärte, er ſei frisch und mun seite, hat den Rod bereits durchschlagen, nicht fer. Er werde von seinem Arbeitszimmer aus die aber das Hemd und hat nur eine leichte Regierungsgeschäfte selbst weiter Hautverleßung am Brustkorb oberhalb führen und sein Freund, der Bize fanzler en, werde, soweit es notwendig sei, des Herzens herbeigeführt. Der zweite Schuß hat als Streis- mit den übrigen Ministerkollegen zu ihm kommen. schuß den rechten Oberarm getroffen Rührend! und durchschossen. Das Projektil ist aber schein bar nur unter der Haut verlaufen, ohne Nerv oder Gefäße zu verleßen. Der Schußtanal ist vier Zentimeter lang, der Knochen blieb un verleßt. Weder Lunge noch Herz sind verleßt. Dem Patienten wurde eine Tetanus- Injektion verabreicht.
Nach einer Sigung der Christlichsozialen mar Dollfus im Begriff fortzugehen und sprach noch im Bestibül des Parlamentes vor Portierloge mit Handelsminister Stodinger und einigen christlichsozialen Abgeordneten, als ein Mann auf ihn zutrat, ihm mit der linken Hand ein Schreiben überreichte und zugleich die rechte Hand hinter dem Rüden vorholte und zwei Schüsse auf ihn abgab. Der eine Schuß aus dem Revolver, Raliber 6.5, traf den Bundeskanzler am rechten Oberarm, der andere gegen die Brust gerichtete Schuß prallte aber ab. Das Geschoß wurde dann auf dem Um 17 Uhr gaben die behandelnden Aerzte Boden des Vestibüls gefunden. ein Bulletin aus, in dem es heißt, daß die VerDr. Dollfuß ließ sich nach einer ersten lebungen des Bundeskanzlers leichter Natur find. Untersuchung in der Portierloge in seinem Das Allgemeinbefinden des Patienten ist gut.
Der Attentäter ein cingcfleischter Nazi
Wien , 3. Oktober. Die in der Luft fic genden Pläne gegen die sozialdemokratische Partei und die Gemeinde Wien haben durch das heutige Attentat noch mehr dazu beigetra gen, die österreichische Arbeiterschaft zu beun ruhigen. In verschiedenen Orten in Nieder österreich sind, wie man hört, die Arbeiter aus den Fabrifen gegangen und haben spon tane Versammlungen abgehalten. Zu beson ders stürmischen Zwischenfällen fam es in
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Kirche, die antireligiösen Strömungen und meint, daß die Welt erfenne, daß sie von den Intellektuellen furchtbar bestohlen worden ist". Sie sage den Intellektuellen:„ das alles ihr mir genommen, dafür gleiche ich mich jetzt Ruhe, Glauben, Glück, Richtung, Ziel- habt mit Euch aus". Solcherart sei der Geist in den Nachbarländern, aber er werde auch, wenn die geistigen Führer nicht umlernen, bei uns Einfebr halten. Die Emigranten aus Deutsch land , dies der agrarischen Weisheit letzter Schluß. fördern das Wachstum des Antisemi is mus auch bei uns.
Nach der Tat stürzten sich sofort die anwesenden Abgeordneten auf den Attentäter und berprügelten ihn heftig. Die Polizei führte ihn dann auf die nächstgelegene Wachstube. Es handelt sich um den 22jährigen ehemaligen Wehrmann Rudolf Dertil, zustän dig nach Wien . In Krojhers Artikel sind gewisse richtige Bezeichnenderweise bemühten sich die reattio- genommen. Dort aber hat er sich sehr bald dem Ort See maten. Dort wurden heute Gedanken mit falschen Schlüssen in naiver oder, nären Kräfte in Oesterreich zunächst, dieses in einen Nazi verwandelt und ausge- früh der sozialdemokratische Bürgermeister was noch eher anzunehmen ist, bewußt raffinier Attentat gegen die sozialdemokra breitete nationalsozialistische Agitation betrieben. und drei andere Parteifunktionäre verhaftet, ter Weise miteinander verbunden. Ohne Zweifische Partei auszuspielen, und das chriſt. Der Vorstand des chriftlichsozialen Hausbefizer weil angeblich bei ihnen verbotene Flugblät fel hat an dem Rüdfall der Menschheit in einen lichsoziale„ Neuigkeitsweltblatt" brachte in einer verbandes Mois bat den Täter bereits als ter gefunden wurden. Die Arbeiter ſtellten barbarischen Myſtizismus und Fetischglauben, Ertraausgabe sogar die Nachricht, daß Dertil, der feinen ehemaligen Sefretär agnostiziert. daraufhin die Arbeit ein und zogen zur Gen- den der Fascismus bedeutet, die Verzweiflung dem Bundesheer angehört hat, Mitglied des so= zialdemokratischen Wehrverbandes ge
wesen sei.
Dertil hat sich auch bezeichnenderweise hente darmeric, um die Freilassung der Verhafteten am Geist und an der intellektuell rationalistischen zum Zwecke des Attentates in das Parlament zu erzwingen. Tatsächlich wurden gegen Mit Heilslehre ſtarten Anteil. Gerade Theodor LesEs handelt sich augenblicklich um einen zwei Briefe des Vorstandes des Hausbesißerberaber, furz nachdem das Attentat auf Dollfuß „ Untergang der Welt am Geiſt". Aber worin dadurch Eintritt verschafft, daß er angah, er habe ag die Verhafteten freigelassen. Nachmittag sing, den die Fascisten ermordet haben, war als Geschichtsphilosoph Verkünder der Lehre von Versuch, dieses Attentat zu einer Art von bandes dem Bundeskanzler Dollsuk an überBundeslanzler Dollfuk an über geschehen war, traf ein Ueberfallsauto, bejetzt besteht das Versagen des Geiftes" in unserer Reichstagsbrand zu verwenden, denn diese geben. So gelang es Dertil, fich an Dollfuß hermit Gendarmerie in Kematen ein. Die Gen Zeit, was bedingt die Verkommenheit breiter Meldung ist eine offenbare 2üge. anzumachen, um sein Attentat auszuführen. darmen umstellten die Fabrik mit aufgeschichten der Intelligen;" oder besser der HalbDertil ist, wie die Erhebungen ergeben haben, Mitglied der nationalsozia= Das Verhör pflanztem Bajonett und verhafteten neuerlich Intelligenz, was ist die Ursache der Verzweif vier Arbeiter. Daraufhin legten die Arbeiter lung der Üngebildeten an der Führerschaft der listischen Partei und wegen nationalsozia listischer Umtriebe aus dem Bundesheer ausge Gleich nach seiner Verhaftung wurde Der die Arbeit nieder und verließen die Fabrif. Geistigen? Zweierlei Ursachen lassen sich, beide aus schlossen worden. Dertil ist der Stieffehn eines til unter Beteiligung des Polizeipräsidenten Die Stimmung ist außerordentlich erregt. Die penfionierten Bundesbeamten namens Dr. Rein einem Verhör unterzogen. Dertil antwortete Arbeiter weigern sich, die Arbeit wieder auf einer gemeinsamen Wurzel schießend, leicht feststellen: das Versagen der Vernunfi" hold Günther, der ebenfalls ein sehr aftives sehr vorsichtig und ausweichend. Er zunehmen. Mitglied der Nationalsozialisten ist. Dr. Günther stellte aber eine Beteiligung an der nationalsoziaund der liberalen Geistigkeit vor den lebensAuch aus anderen niederösterreichischen wichtigsten, den sozialen Proble wurde erst vor drei Wochen von den Nazis nach liftischen Bewegung in Abrede. Er sei überhaupt Orten hört man, daß die Stimmung der Armen, und die korrumpierung der geis dem Orte Schladming in Desterreich ge- nicht politisch tätig gewesen. Im weiteren Verbeiterschaft außerordentlich erregt ist. ftigen Arbeit durch die Besitzenden. schickt, um dort die geheime Organisation der hör machte er verworrene Aussagen. Er sagte, Es steht einem Sachwalter und Wortführer dies Razis auszubauen. er habe den Bundeskanzler nicht töten, sondern Die ganze Familie des Attentäters steht seit im Gegenteil durch sein Attentat auf einen Englische Arbeiterführer nach fchuldet hat und aus dem Ergebnis Nußen zieht, ser Klasse, die den Niedergang des Geistes verlangem im Dienste der Hakenkreuzpartei. Einer Mann aufmerksam machen wollen, der gegen Oesterreich abgereist schlecht an, nun den Ankläger und Richter zit feiner Brüder wurde vor kurzer Zeit erst ange wärtig Desterreich wertvolle Dienste leisten spielen. halten, als er über die österreichische Grenze nach fönnte. Den Namen dieses Mannes wollte er nicht angeben. Wie die Blätter melden, handelt Deutschland fliehen wollte. Dertil selbst war bis vor zwei Jahren Se es sich offenbar um den Stiefvater Dertils Dok fretär des christlichsozialen Haustor Raimund Günther. besißerverbandes und Mitglied der Er erflärte weiters., feinen Auftrag und christlichsozialen Partei. Als strenger Christlich feinen Komplizen zu haben. Er selbst habe den jozialer wurde er auf Empfehlung dieses christ- Entschluß zu seiner Tat gefaßt und dieje allein lichsozialen Verbandes in das Bundesheer auf durchgeführt.
London , 3. Ottober. Der englische Arbeiter jführer und Präsident des Internationalen Gefei es nun der reinen Geisteswissenschaften, die Die Steigerung der geistigen Produktion, werkschaftsbundes Citrone hat sich in Beglei nur mittelbar, sei es der technischen Wissenschaf gleitung des Parlamentsmitgliedes hids nach ten, die unmittelbar die materielle Produktion Desterreich begeben, um mit dem Führer der und die Vermehrung des gesellschaftlichen Reichösterreichischen Gewerkschaftsbewegung und der tums bedingen, hat sich innerhalb der kapitalistiösterreichischen Sozialdemokratie die gegenwärtige fchen Wirtschaft einseitig zugunsten der besitzenStrife zu erörtern. den Klasse ausgewirkt. Jacht daß die Menschen