Sosialdemokrat

ZENTRALORGAN

DER DEUTSCHEN SOZIALDEMOKRATISCHEN ARBEITERPARTEI

IN DER TSCHECHOSLOWAKISCHEN REPUBLIK

ERSCHEINT MIT AUSNAHME DES MONTAG TAGLICH FRUH. REDAKTION   UND VERWALTUNG PRAG   XII., FOCHOVA 62. TELEFON 53077. ADMINISTRATION TELEFON 53076. HERAUSGEBER: SIEGFRIED TAUB. CHEFREDAKTEUR  : WILHELM NIESSNER. VERANTWORTLICHER REDAKTEUR: DR. EMIL STRAUSS, PRAG  .

14. Jahrgang

Dienstag, 9. Jänner 1934

Einzelpreis 70 Heller

( einschließlich 5 Moller Porto)

Nr. 6

Arbeiteroffensive

Der Trauerzug der Achtzigtausend Belgien

Eindrucksvolles Begräbnis der geborgenen Opfer Riesenkundgebung der Solidarität und der Trauer

Die Katastrophe von Ossek hat, wenigstens für Stunden alle Menschen gegen Menschen errichteten Schranken gesprengt, jedes Haupt senkt sich in Trauer in mensch licher Schicksalsgemeinschaft. Tag um Tag, Jahr um Jahr hastete das Leben vorbei an dem ganzen Dasein der 154 Menschen. Niemand hat darnach gefragt, nicht viele haben ein gutes Wort, eine hilfreiche Hand für sie gehabt. Nun ruhen ihre Särge auf hohen Katafalken, nun verkohlen ihre Leichen in der brennenden Grube und das Mitgefühl der Menschen erwacht. Es bereitet den Toten einen Ehrentag. Die Teilnahme ungezählter Millionen wendet sich den Hinterbliebenen der Opfer zu. Dieje Teilnahme ist schön und edel; morgen schon wird sie vielleicht verstummen. Ein Massengrab ist geschlossen. Der nächste Tag schon fann ein anderes anfreißen. Das Leben eines Arbeiters ist ja so billig! Hente chrt man dich, Prolet und morgen wer fragt nach dir? Dn stirbst als Opfer des Profits; aber unserer Leben und Kämpfen wird dich rächen!

Skladno sind herbeigeeilt. Fast sämtliche Städte Nord- u. Nordwest- Böhmen haben Abordnungen entsendet. So sind u. a. das Präsidium der Teps lizer Stadtgemeinde, sämtliche Stadtvertreter und ungefähr 50 Straßenbahner aus Auffig anwesend.

Von der tschechoslovakischen sozialdemokrati schen Arbeiterpartei nahmen die Abgordneten und Senatoren To más cf. Vinovec, Stivin, Dr. Souf up und Dr. Winter und andere teil. Unser Parteivorstand und Klub sind durch den Minister Genossen Dr. C z e ch und die Ge­nossen Abgeordneten Seremser, say. I at sch. Grünzner. Irene Kirpal, Schwei chart und die Senatoren Dr. Heller und

in

Die schwere Niederlage der deutschen   Ar­beiterflasse hat nicht nur die fascistischen Ten­denzen in anderen Ländern gestärft- sie hat auch die Arbeiterparteien anderer Staaten aftiviert. Sie hat zunächst im ganzen interna tionalen Sozialismus eine ungemein lebhafte Diskussion entfesselt, eine Diskussion, die sich nicht allein begnügt mit der Erörterung der Frage, wie der Fascismus am besten abzuneh ren ist, sondern zum Neudurchdenken aller Fragen der Strategie und der Taktik führte. Es ist sehr erfreulich), es ist ein Beweis der Frische und ungebrochenen Kraft des demofra tischen Sozialismus, daß er schonungsloser Selbstkritik fähig ist anders als der Bolsche­wismus, für den es keine eigenen Fehler, son­dern nur den, Verrat" der Sozialdemokraten gibt und daß der demokratische Sozialis­mus über diese Kritik hinaus zu neuem

Offer. 8. Jänner.  ( Eigenbericht.)[ die Vertrauensleute unserer Partei-, Gewerfoliis cher vertreien. Ferner nehmen Vize- vorſtößt. Nochmals flammte hundertfacher Schmerz in dem schafts-, Genossenschafts- und Multurorganisatio- präsident Spat für das Parlamentspräſi- Das schönste, erhebendste Beispiel solcher Heinen Städtchen auf, da es galt, Abschied zu nehmen sind sehr zahlreich vertreten. Mitglieder des dium, Minister Do it a le t. Bürgermeister schöpferischer kritischer Arbeit bietet der bel men von den 13 geborgenen Bergarbeitern und Betriebsrats der Sohlengrube in Klein- Schwado- I z l und viele andere Abgesandte öffentlicher gische Sozialismus. jenen 142 Stameraden, die in grausamer Tiefe ein wis bei Trautenau   und eine Abordnung aus Korporationen des Landes teil. schauerliches Grab gefunden haben. Schwarze überall, allen sitzt die

Trauer. Aus dem freundlichen Bau der Der Abschied von den Totensialdemokratie zunächst eine Beriode der De

Bergarbei­

ferfolonie sehen schwarzgekleidete Frauen mit vers weinten Augen und geröteten Gejichtern; auch jene, die nicht unmittelbar betroffen sind, fühlen das Grauen.

Auch in der belgischen Arbeiterpartei folgte der Niederschlagung der deutschen   So­pression, aber sie wurde bald abgelöst durch ern Um 3 Uhr nachmittags klingt das Lied einer alle die Kraft schöpfen, welche eine Wiederholungsteste theoretische Arbeit. Die belgischen Genos tschechischen Gesangsvereinigung auf. Ihm folgt dieser Tragödie unmöglich macht. sen begnügten sich nicht mit der Untersuchung der deutsche Gesangschor von Schubert Heilig Für den Vorstand der Union   der Vergarbei­der Frage: Wieso war der Sieg des Fascis ist der Herr". An den Choral Scheine mir. Du ter hielt unser Gen. Schaf ar sch die Trauer: mus in Deutschland   möglich? Welche Fehler Seit den Vormittagsstunden wandern die goldene Sonne" der Vergkapelle aus Kladno   rede. Menschen zu zehntausenden über das winterliche, schließen sich nach Absolvierung der firchlichen Ze Unverlöſchbar wird in der Geſchichte der Berg- Sozialisten haben die Niederlage der Arbeiter der Politik der italienischen und der deutschen  von dichten Nebeln überzogene Land. Bergarbeiter, remonien die Trauerreden an. arbeiterbewegung der 8. Jänner dieses Jahres blei­Kameraden der Verunglüdten, Frauen und Mäd Als erster verabschiedet sich Betriebsobmann ben. Mit den Bergarbeitern unseres Landes trauern herbeigeführt? Sie haben sich nicht damit be chen, Mütter, Greise und Stinder. Aus Süd, Ost und West marschieren die Kolonnen. Vereine, Dr Prayl vom Nelsonschacht von den Berunglück- heute die flaffenbewußten Arbeiter aller Länder. gnügt, die Vergangenheit zu durchforschen, um ten. Hierauf spricht für den Svaz hornitu" Ab- Seit der Stunde, da die grellen Feuergarben den die Ursachen dieses furchtbaren Geschehens fest ganisationen und Delegationen mit ihren Fah­geordneter Genosse B r o zi t. der mit tränener- friedlichen Winterabend Nordwestböhmens erleuch zustellen. Sie wandten sich entschlossen dem nen und Symbolen. Tausende Radfahrer, hun- stickter Stimme das Geschehen schildert und in ve- teten und das Drößnen der Erde die Menschen er- Heute und dem Morgen zu: Was hat zu ge derte Autos und Autobusse und dicht gefüllte wegten Worten Abschied von den zum letzten Wale schütterte, weilen unsere Gedanken bei jenen, die in schehen, welche Politik hat die Arbeiterpartei Eisenbahnzüge bringen aus allen Teilen des Lan- eingefahrenen Grubenprofeten nimmt. Ihr Tod die Tiefe der Erde zur Arbeit einfuhren und nicht in Belgien   zu machen, um sich nicht bloß in des mitfühlende Menschen. Es ist eine riesenhafte sei uns Mahnung und Besinnung, auf das wir ( Fortsetzung auf Seite 2.) dieser Zeit der wirtschaftlichen und politischen Srundgebung der Anklage und des Abschieds. strisen zu behaupten, sondern Neuland zu er obern und dies nicht nur im Sinne der Ge­winning von Anhängern, sondern der wirf samen Bekämpfung der Krise, der Verminde rung und schließlichen leberwindung der Ar beitslosigkeit. Nicht um ein neues Parteipro­gramm fonnte es sich handeln- also nicht um cine Ueberprüfung der Parteigrundsäge, wohl aber um einen Plan für die Politik der näch sten Zeit. Die belgische Arbeiterpartei hat auf ihrem Parteitag, der zu Weihnachten   in Brits sel versammelt war, einen solchen Plan beraten und beschlossen. Er ist so bedeutungsvoll, daj; man von einer Neuorientierung der Partei fbrechen darf.

Die Aufbahrung Die Untersuchungskommission greift durch:

Auf dem Stiftshof vor dem Bürgermeisteramt

in Osjet stehen 13 schwarze Särge, über ihnen je cine Ileine weiße Tafel, die Namen des Toten ent­haltend:

Anton Kovařit, Gustav Trojet, Ivan Kolodij, Julius Mais a f, Josef Fritsch 1, Emil Storm. Wenzel Chvapil, Marie Havelková, Albin Černý, Rudolf Trenter, Karl Schmidt, Richard Lischke, Wenzel Müller  .

Ein Blumengarten umsäumt die Trauer stätte. Tannenbäumchen, Blattpflanzen, Rosenges winde und Blüten in schimmernder Fülle bekunden Liebe und Verehrung für die toten Freunde. Vor den Särgen ist ein großer, dunkler mit Kohlen­gries bestreuter Plaß, das grauenhafte Massen grab kennzeichnend, in dem die 142 Stameraden schlafen, deren sterbliche Ueberreste eingemauert sind. Unter den vielen Kränzen, die das schmerz­lich schöne Bild umsäumen, sehen wir zwei große mit roten Nelten und Schleifen geschmückte Ge= winde, von denen das eine vom Parteivorstand und Klub der Abgeordneten und Senatoren un ferer Partei, das andere vom Unionvorstand und den Angehörigen der Union der Bergarbeiter ge­widmet ist. Ein Kranz der Nuhr- Bergarbeiter mit seinen schwarzen Schleifen fällt besonders auf.

Die Direktoren Löcker und Karlik

sowie die Betriebsingenieure verhaftet

Brür, 8. Jänner. Ueber Verfügung der Staatsanwaltschaft erfolgte hente nad)- mittags die Verhaftung aller für die Betriebsführung auf dem Nelsonschacht eine direkte Verantwortung tragenden Personen.

In diesem Zusammenhang wurden Generaldirektor Jng. Dr. Löcker, Betriebs­direktor Dr. Ing. Karlk, die Ingenieure des Nelson III- Schachtes B a mbas, Blah­nik und Krpata, weiters der Obersteiger Neid und der Steiger Kntěna von der Gendarmerie in Haft genommen.

Nach einer späteren Meldung, wurde auch Oberingenieur& npka verhaftet.

SeitsFreitag vormittags waren in Osset der Staatsanwalt und der Untersuchungsrichter von Brür dauernd mit der energischen Prüfung der Schuld und mit der Suche nach eventuellen Schul­digen an der Katastrophe beschäftigt.

Durch das Verhör der vier geretteten Berg­arbeiter sowie auch der Bergarbeiter der vorher gehenden Arbeitsschicht wurde festgestellt,

daß die Sicherheitsvorkehrungen in der Grube

nicht entsprechend waren und daß dori in die­ser Beziehung wesentliche Mängel bestanden. Sie beruhten insbesondere in der Anhäufung von Kohlenstaub, der nicht genü­gend berisselt wurde, so daß sich Kohlenstaub­

schivaden bildeten, der den freien Ausblick ver­hinderte und der sogenannte..falte Ge

Nach 1 Uhr mittags beginnt der Zuzug der Trauergäste. Die vielen Familienangehörigen, Verwandten und Bekannten der Toten, weinende Kinder, und schluchzende Frauen, starr blickende Mütter und gequält schauende Männer ein un­faßbar fürchterliches Bild des Jammers! Den fleinen Plaz füllen bald die schwarz umflorten Fahnen der Vereine und Organisationen, die Tur­ner und Sänger, die Bergknappen mit ihren Lam­Diese Umstände an jich gaben Zeugnis dafür, pen und die Vertreter der Aemter und Behörden. Man sieht Abgesandte aller Parteien. Besonders daß die Verhältnisse in der Grube ka bezug auf die

ruch" verspüren war.

Der Mann, dem das Wichtigste dieses Planes zu danken ist, ist der bekannte Genosse Hendrik de Man  . Nach dem Sieg des deutschen   Fascisuus mußte Genosse de Man seinen Lehrstuhl an der Frankfurter Universi Sicherheit bedenklich gefährlich waren. tät verlassen. Er wurde frei für die Arbeit in Als der für die technischen Sicherheitsvorteh seiner Mutterpartei, er fehrte zurüd in die rungen unmittelbar verantwortliche Beamte wurde Reihen seiner belgischen Genossen. Auf Van­Sonntag, den 7. Jänner, auf Antrag des Staats- derveldes Veranlassung wurde eine Soziale antaltes Grubeningenieur Beisser verhaftet Forschungsstelle" geschaffen und zu deren Lei­und die Voruntersuchung wegen Vergehens nach| ter Hendrik de Man   bestellt. Das Ergebnis der § 337 des Strafgeseßes eingeleitet. Tätigkeit dieser neuen Institution war ein Plan der Arbeit", der dem Parteitag vorge­legt und unter stürmischem Beifall fast einstim miges gab mir einige Stimmenenthaltun­gen angenommen wurde.

Auf Grund seiner Aussagen beim Verhör über die Verteilung der Verantwortlichkeit für die Sicherheitseinrichtungen auf den Gruben bean= tragte am Montag der Staatsanwalt die Einlei tung des Strafverfahrens wegen der gleichen Straftat und die Verhängung der Untersuchungs­haft gegen die oben genannten Personen.

Die Untersuchung wird nach§ 337 des Straf gesezes geführt. Nach diesem Paragraphen wird derjenige mit Strafen bis zu drei Jahren stren gen Arrestes bedroht, der durch eine Handlung oder Unterlassung, deren gefährliche Folgen nach den besonderen Verhältnissen fennen mußte oder erfennen konnte, eine Gefahr für das Leben, die Gesundheit oder Sicherheit von Menschen her vorruft.

"

Der Plan der Arbeit" ist das neue Ge­genwartsprogramm", das neue aktuelle Kampf­programm der belgischen Arbeiterpartei, ist die Fahne, mit der sie nun ins Feld zieht. Was will dieser Plan der Arbeit"?

noch

Er will die baldige Einrichtung einer ge­mischten Wirtschaft, in der es neben sozialisierten Wirtschaftszweigen, aud) Privatwirtschaft geben soll. Das Wichtigste, das Entscheidende des Planes ist die Verge­fellschaftung des Kredits. Wohl foll