Sosialdemokrat

ZENTRALORGAN

DER DEUTSCHEN SOZIALDEMOKRATISCHEN ARBEITERPARTEI

IN DER TSCHECHOSLOWAKISCHEN REPUBLIK

ERSCHEIN MIT AUSNAHME DES MONTAG TÄGLICH FRUH. REDAKTION   UND VERWALTUNG PRAG   XII., FOCHOVA 62. TELEFON 53077. ADMINISTRATION TELEFON 53076. HERAUSGEBER: SIEGFRIED TAUB. CHEFREDAKTEUR  : WILHELM NIESSNER. VERANTWORTLICHER REDAKTEUR: DR. EMIL STRAUSS, PRAG  .

14. Jahrgang

Maulkorbzwang

Ueber Reichsreform darf nicht diskutiert werden

Berlin  , 9. Jänner. Der Stableiter der PO., Dr. Ley, gibt bekannt: In der letzten Zeit laufen Meldungen ein, daß Parteigenoffen, auch in führender Stellung, sich öffentlich in Wort und Schrift mit der zukünftigen Reichs­reform beschäftigen.

Der Stellvertreter des Führers, Rudolf Hen, hat mich gebeten, mitzuteilen, daß jedem Barteigenossen in Zukunft bei strengster Strafe untersagt ist, sich in Wort und Schrift öffentlich mit Fragen der Reichsreform zu befaffen.

Englisch  - französische Wirtschaftsdifferenzen

London  , 9. Jänner.  ( AR) Die Prüfung der wahrscheinlichen Folgen der fürzlichen Aen derungen in den französischen   Einfuhrquoten für den britischen   Außenhandel ergab, daß die von der französichen Regierung getroffenen Maß­nahmen eine sofortige 75prozentige Verminde rung der Ausfuhr aus dem Vereinigten Stönig­reich nach Frankreich   bedeutenwird, u. zw. in einer gangen Reihe von Produkten.

Daily Telegraph  " meldet, die britische   Re­gierung werde bei der französischen   Regierung im Laufe dieser Woche einen nachdrücklichen Protest gegen diese Maßnahmen erheben. Das Blatt glaubt, daß sie dem Wunsche ent­springen, bei den geplanten Wirtschaftsverhand lungen mit Großbritannien   eine Waffe in der Hand zu haben. Daily Telegraph  " fügt hinzu, es sei aber möglich, daß die Verminderung der Kontingente die Abhaltung der Besprechungen überhaupt in Frage stellen werde.

Massenhinrichtung in Kabul  Rabul, 9. Jänner.  ( Reuter.) Heute wurden in Anwesenheit des Kriegsministers 14 Verur­teilte hingerichtet. Es handelt sich um Personen, die der Mitschuld an der Ermordung des afgha nischen Königs Nadir Schah   beschuldigt und, wie seinerzeit gemeldet, von einem aus einigen Re gierungsmitgliedern zusammengeseßten Sonder­gericht abgeurteilt wurden.

Anschlag gegen den japa­nischen Ministerpräsidenten rechtzeitig entdeckt

Totio, 9. Jänner. Am Dienstag versuchte ein Japaner, offenbar in der Absicht, den Mini­sterpräsidenten Saito zu ermorden, in die Wohnung Saitos einzudringen. Die Wache nahm jedoch rechtzeitig den Eindringling fest. Man fand bei ihm eine Waffe und einen Brief. Der Schreiber des Briefes führt aus, er wolle den japanischen Ministerpräsidenter ten, da ein so alter Mann, wie Saito, in den heutigen Zeiten nicht die japanische Politik er folgreich leiten könne. Außerdem habe Saito den nationalen Willen des japanischen Voltes geschwächt.

Der Festgenommene, der ins Polizeipräsi­dium eingeliefert wurde, verweigerte bisher jede weitere Aussage.

Mittwoch, 10. Jänner 1934

Dollfuß   ohnmächtig

Weitere Steigerung des Nazi- Terrors

Wien  , 9. Jänner.  ( Eigenbericht.) Der gestrige Aufruf der österreichischen   Regie­rung hat unter der Bevölkerung große Bennruhigung hervorgerufen, da man daraus er fahren hat, daß die Regierung mit Hilfe der Knebelung der Pressefreiheit die Bevölkerung immer wieder über das ungeheuere Anwachsen der nationalsozialistischen Umtriebe in Dester­reich getäuscht hat.

Die Auswirkung dieses Aufrufes hat aber gezeigt, daß alle angeblichen Versuche zur Bekämpfung des Nazi- Terrors zu spät kommen. Die erste Wirkung war ein neuerliches Anwachsen der nationalsozialistischen Gewaltaktc.

Seitdem gestern abends im österreichischen Rundfunk der Aufruf der Regierung verlautbart wurde, sind in Wien   nicht weniger als 14 Sprengkörper von Nationalsoziali­ſten zur Explosion gebracht worden, zwei davon im Zentrum der Stadt vor dem Gebände der Staatsoper. Die Grplosion erregte dort unter den zahlreichen Pajjanten eine schwere Panik. In mehreren Lokalen, Kinos und Kaffeehäusern wurden Tränengasbomben geworfen. In Bregenz  , der Hauptstadt von Vorarlberg  , haben Nationalsozialisten hente cinen Mord anschlaggegeneinen Gendarmen unternommen, der mit schweren Verlesungen ins Krankenhaus gebracht wurde. Einer der Täter wurde verhaftet; wie man hört, soll er vor das Standgericht gestellt werden.

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Nr. 7

Iflicht der Ueberlebenden

8. Jänner 1984. Dieser Tag wird unaus. löschlich in die Erinnerung der arbeitenden Mai­jen Nordböhmens eingeprägt sein und wird ein Gedenktag bleiben in der Geschichte dieses Lan­des. Das Begräbnis jener Opfer des Nelson­schachtes, die geborgen werden konnten, ist weit über den Rahmen einer Trauerfundgebung hin­ausgewachsen. Es war eine Manifcitation menschlicher Solidarität, die für Stunden wenigstens alle politischen, nationalen und konfessionellen Schranken niedergerissen hat, welche im Alltag die bunt zusammengewürfelte Bevölkerung des nordwestböhmischen Kohlen­und Industriereviers abgrenzen. Schunerz und Mitgefühl einten Zehntausende, die zusammen­geströmt waren, den Toten des Nelsonschachtes die letzte Ehre zu erweiſen.

Eine einzige stumm frauernde Masse be lebte Montag den zu tragischer Berühmtheit ge langten Vergarbeiterort Offet. Schweigend

ließ fie Sarg um Sarg vorüberziehen. Nur das

Hiezu wird später ergänzend gemeldet, daß worfen wurde. Der Gendarm wurde schwer versäumte sie den Weg zum Friedhof, schweigend in der Nacht auf Dienstag durch ein Fenster des legt. Gendarmeriepostens Dalaas   im Bezirke Bludenz   Bisher wurden sieben Nationalsozialisien aus Aufschluchzen der hinter den Leichenwagen in einen ebenerdig gelegenen Raum, in dem ein Daloas und Umgebung in Saft genommen. Die Gendarm ſchlief, ein Spreng för per ge- Anzeige an das Standgericht wurde erstattet.

In Salzburg   haben die Nationalsozialisten vor dem Gebände der Polizeidirek tion zwei Bomben zur Explosion gebracht, die in weitem Umkreis schwere Schäden an­richteten.

mechanisch dahinschreitenden nächsten Angehöri gen unterbradh sekundenweise die Trauerklänge der Knappschaftsfapellen. Da und dort sant eine ausgemergelte Arbeitergestalt bewußtlos in die Arme der Umitehenden, ein Zeichen, daß Körper und Seele den Erschütterungen dieses Tages

Noch keine Antwort auf das gemadſen waren. Viele, tauicude ber

Heimwehr  - Ultimatum

Die Heimwehrführer haben daher heute ein Nommuniquee veröffentlicht, in dem sie erklären, man müsse vorerst mit dem Bundestanzler ver

Trauergäste, waren ja stundenweit herbeigewan­dert mit einem Stückchen trockenen Brotes in der Tasche. Schade, daß nicht mehr Regierungsper­sönlichkeiten zur Stelle waren, um in dem düste ren Schein des Winternachmittags den arbeiten den Massen Nordwestböhmens in das Antlin zu sehen. Nicht nur das Bergarbeiterschicksal, son­dern die ganze soziale Totalität dieſes Revieres und der vom gleichen furchtbaren Kriſenſchiajale heimgesuchten Landesteile ist durch die Osjefer Statastrophe auf die Tagesordnung gesetzt worden.

In dieser gespannten Stimmung trat heute handeln, um festzustellen, ob die Heimwehr   noch nachmittags die Führersigung der österreichischen weiter Anlaß habe, den Regierungskurs zu unter: Seimwehr zuſammen, der man in volitischen Streiftützen. Das bedeutet nichts anderes als die wie sen große Bedeutung beimist. Es ist bezeichnend, derholung der Drohung ihres Ultimatums, die daß diese Sitzung ergebnislos abgebrochen und Regierung durch ihren Austritt zu sprengen, ani Freitag vertagt werden mußte, da wenn ihre Forderungen nach Auflösung der Bar Bundeskanzler Dollfuß   die Antwort auf das Ultei und Einsetzung eines Regierungstommiffärs timatum noch immer nicht erteilt hat und erst nicht erfüllt werden. Donnerstag oder Freitag Gelegenheit finden will, Da die Heimwehrtagung erst Freitag fort mit den Heimwehrführern zu verhandeln. gesetzt werden wird, ist die bereits unerträglich In den Toten von Offet ver­gewordene Spannung in Desterreich neuerdings förpert sich das Arbeiterschiajal unserer Zeit. Man vernimmt nun, daß sie um einige Tage verlängert worden. hingeopfert wurden, nicht nur dem Stampfe mit tüdischen Naturgewalten, sondern auch den Ra­tionalisierungsmaßnahmen, der Spar- und Pro­fitwut des fapitalistischen Systems. Vor der Un terfuchungsfommission melden fich Arbeiter zum Wort und weisen auf die fträflichen Unterlas fungen der verantwortlichen Betriebsleitung hin. Was sie heute fagen, mußten sie teilweise schon seit Jahren. Warum mußten sie schweigen? Weil seinem Departement und Bürgermeister in in der heutigen Strifenperiode jeder noch beſchäf tigte Mensch und schon gar jeder Bergarbeiter Bayonne   seit dem Jahre 1908 ist, ausschlie= um sein Stückchen Brot und um das Schicksal en wird. Ferner soll der Advokat und De­putierte Bonnaure ausgeschlossen seiner Familie zittert, weil an der gewerkschaft­werden, welcher seit dem Jahre 1902 das Man­Zum Kolonialminister wurde der bisherige dat befleidet. Bonnaure begleitete Stalichen Abwehr solcher menschenmörderischer Ge­Arbeitsminister Lamoureux ernannt. An wiski namentlich bei dessen Reisen nach Buda- fahren seit Jahren das Bleigewicht des Hunger feine Stelle wurde Frot zum Arbeitsminister pest, und befaßte sich in Gemeinschaft mit ihm daseins der Arbeitslosen hängt. Die ganze Def beſtellt. Der Unterstaatssekretär im Innen- an den Spekulationen mit den Bons der unga­ministerium, William Bertrand, wurde Nachrischen Optanten. folger rots im Ministerium für die Handels­marine. Die übrigen Refforts bleiben unver= ändert.

Umbildung der französischen  Regierung

Paris  , 9. Jänner.  ( Savas.) Da der französische   Kolonialminister Dalimier be­fanntlich seine Demiſſion gegeben hatte, wurden heute im franzöfifchen Stabinette nachfolgende Aenderungen durchgeführt:

1,8 Millionen Arbeitslose In dem Rücktrittsschreiben, das Kolonialmini­ster Dalimier Montag an den Ministerpräsiden­durch Roosevelt wieder beschäft gt ten Chantemps gerichtet hat, nimmt Dali­Washington, 8. Jänner. Neuter mier auf die einmütige Bestätigung Bezug, die der Kabinettsrat der vollen Korrektheit seiner meldet, daß seit dem Versuch von Roosevelts Haltung gezollt habe, und hebt hervor, daß ihm in Wiederaufbauvollzug nach einem Bericht der ame= der ganzen Angelegenheit tein Vorwurf gemach: rikanischen Gewerkschaften 1,800.000 Erwerbs= werden könne. lose wieder Arbeit und Brot gefunden haben. Weitere 4,600.000 Erwerbslose werden vor­übergehend mit öffentlichen Arbeiten und Aufforstungsarbeiten beschäftigt. Die Arbeits­woche wurde im Durchschnitt um viereinhalb Stunden gekürzt. Die Löhne erhöhten sich um 5 von Hundert.

Der Bericht der Gewerkschaften beurteilt die geschäftlichen Aussichten günstiger als im Vor­jahre. Weiter wird festgestellt, daß alle bisher ge­machten Fortschritte durch eine Inflation zunichte gemacht werben tönnten.

In dem Antwortschreiben des Ministerpräsiden ten Chantemps heißt es, daß der Kabinettsrat die Gutgläubigteit Dalimiers an ertannt hat.

Parteigericht der Radikalen

Abends wird der Vollzugsausschuß der radi­falen Partei zusammentreten. Es wird behaup tet, daß er den verhafteten Deputierten Ga rat. welcher seit dem Jahre 1910 der Kammer als Mitglied angehört, Ehrenpräsident der Partei in

Stawiski   gestorben

Chamonix  , 9. Jänner. Der Betrüger

Alexander Stawiski ist heute früh im Strankenhaus den Verlegungen, welche er sich bei feinem gestrigen Selbstmordverfuch beigebracht

hat, erlegen.

G ü diche Po izei- Reform?

fentlichkeit ist nicht freizusprechen von Mitschuld an dem Osseter Unglüd, solange sie im Alltag den wichtigsten sozialen Forderungen der Arbei­terschaft mit faum verhüllter Gleichgültigkeit gegenübersteht. Unermüdlich erheben die Gewerk schaften den Ruf nach ausreichendem Schutz der menschlichen Arbeitskraft und damit des Arbei­terlebens. Wo bleibt das Echo außerhalb der or­ganisierten Arbeiterschaft? Hand aufs Herz ihr alle, die ihr mit ehrlichem Mitgefühl die Tra­An informierten Stellen wird behauptet, daß gödie der im brennenden Nelsonschacht Begra-, die Regierung unter dem Eindruck der legten benen verfolgtet, ihr Trauernden aus allen Be­Standale die Absicht habe, eine radifale Reform völkerungsschichten, Mittrauernde im ganzen der französischen   Polizei und des Detettiv- Infor- Lande habt ihr vorher schon eine Stunde Nach mationsdienstes porzunehmen. Ein besonderer Be- dentens den Gefahren des Bergarbeiterberufes amter des Innenministeriums wird sich außerdem gewidmet? Habt ihr euch jemals interessiert für mit der Feststellung der Ursachen befassen, warum die Fragen der Bruderladen und der Unfallver­Stawistys, der im Jahre 1926 wegen Millionen- ficherung? Heute greift euch das Schicksal der Betrügereien verhaftet worden war, auf freiem Osseter Witven und Waisen ans Herz. Jeder Fuß gesetzt, warum das Gerichtsverfahren gegen ihn neunzehnmal vertagt und warum fühlende Mensch wünscht, daß nach allen Sträf­dieses bis zum Jahre 1934 überhaupt nicht statt- ten borgesorgt werde, Hunger und Sorge von ihnen fernzuhalten. Aber dieser menschliche und gefunden hat.