Sosialdemokrat

ZENTRALORGAN

DER DEUTSCHEN SOZIALDEMOKRATISCHEN ARBEITERPARTEI

IN DER TSCHECHOSLOWAKISCHEN REPUBLIK

ERSCHEIN MIT AUSNAHME DES MONTAG TAGLICH FRUH. REDAKTION   UND VERWALTUNG PRAG   XII., FOCHOVA 62. TELEFON 53077. ADMINISTRATION TELEFON 53076.

14. Jahrgang

HERAUSGEBER: SIEGFRIED TAUB. CHEFREDAKTEUR  : WILHELM NIESSNER. VERANTWORTLICHER REDAKTEUR: DR. EMIL STRAUSS, PRAG  .

Dienstag, 23. Jänner 1934

Einzelpreis 70 Hoffer

( einschließlich 5 Heller Porto)

Nr. 18

Diplomatische Aktion Ratstagung in Agram Am Vorabend

Doiltuß konferiert mit den Gesandten Frankreichs   und Englands

Wien  , 22. Jänner. Bundeskanzler Dr. Dollfus empfing heute den franzöfifchen und den englischen Gesandten. Wie verlan­tet, galten die beiden Konferenzen der bevorste­henden diplomatischen Aktien der Regie­rung gegen den nationalsozialistischen Terror.

Wie der Abend" mitteilt, wurde dem ita lienischen Unterstaatssekretär Suvi di während feines Aufenthaltes in Wien   amtliches und doku mentarisches Material über die Tätigkeit der na­tionalsozialistischen Partei gegen die Selbständig­feit Desterreichs, über deren Einmischung in die österreichischen Verhältnisse und über Terroratte vorgelegt.

Aus dem Material gehe zweierlei hervor, daß die Bewegung gegen Desterreich von Deutschland   organisiert sei, n. zw. von Stellen, die nicht als privat und auch nicht als Dr­gane der politischen Partei angesehen werden fönnen.

Rütlischwur

beschäftigt sich u. a. mit den Beziehungen zu Sowjetrußland

Agram, 22. Jänner. Heute fand im Banats­palais in Agram die Konferenz des Ständigen Rates der Kleinen Entente statt, zu der sich die Außenminister der drei Staaten eingefunden hat­ten. Nach der zweiten Sizung am Nachmittag übergab Minister Dr. Benes den Vertretern der in- und ausländischen Presse ein Kommuni quee über die Ergebnisse der Beratungen.

Danach fand zwischen den drei Miniſtern ein Gedankenaustausch über die allgemeine po­litische Lage statt, wobei die letzten internatio nalen Ereignisse erörtert wurden, welche die Interessen der Kleinen Entente   berühren. Die vollständige Uebereinstimmung der Anschauun gen der drei Minister über alle erörterten Fra  gen ermöglichte die Feststellung der in Zukunft einzuhaltenden gemeinsamen Haltung.

Weiter bildeten den Gegenstand der Aus­sprache die Fragen über die Abrüstung. über den Balkan Paft, über die Be zichungen der Kleinen Entente zu ihren Nachbarn sowie über die Ve= und über die Entwicklung dieser Beziehungen in der Zukunft.( Nach einer Meldung der Bel­ grader  " Politika" wurde seitens der rumä

auf dem Ballhausplatz chungen mit Sowjetrußland

Für heute wurden die Landesführer der Vaterländischen Front nach Wien   zu einer Tagung berufen. Doll Fuß ließ aus diesem Anlaß auf dem Ballhausplatz eine spontane" Kundgebung organisieren, bei der er u. a. erklärte:

Wir fönnen heute hier nicht lage führen über das, was über die Grenzen hereinkommt, denn dar über werden wir uns an anderer Stelle und in anderer Form auseinanderseßen. Bir wollen heute vor aller Welt sagen, daß es mit unserer Geduld zu Ende ist.

Nach Dollfuß   sprach Vizetangler eh, der gelobic", jeden Staatsfeind bis zum äußersten z bekämpfen. Ein feierlicher Händedruck zwischen sch und Dollfuß   löste nach dem offiziellen Bericht angeblich braufenden Beifall der Massen" aus. Freihafen in Triest  ?

Triest  , 22. Jänner. In hiesigen Wirt­schaftstreifen wird eine baldige Entscheidung über die Errichtung einer österreichisch en afenzone in Triest   erwartet. Auch soll der Plan einer neuen diretten Eisenbahnver­bindung, die Wien   mit Triest   verbindet, bereits fertiggestellt sein. Die neue Strede wird um 50 Nilometer fürzer sein als die bisherige und jugo­flawischen Boden nicht berühren. Man hofft, daß durch die neue Strecke und durch die Verbilligung der Eisenbahntarife der Triester Hafen eine Be­lebung erfahren wird..

nischen Politik der Wunsch ausgesprochen, daß hinsichtlich Sowjetrußlands ein Schritt nach vorwärts getan werde.)

In Bezug auf die Propaganda und die rebisionistischen Bewegungen wurde seitens der drei Minister die Haltung unterstrichen, welche bereits bekannt ist und welche auf die ungünsti gen Folgen für den Frieden und für die Bezie hungen der guten Nachbarschaft zwischen den Völkern hinweist.

Der Ständige Rat beschäftigte sich mit den Ergebnissen der vom 9. bis 17. Jänner in Prag  stattgefundenen Wirtschaftsfonferena der Kleinen Entente  . Er nahm diesbezüglich die Resolutionen, auch über den Plan betreffend den Handelsverkehr zwischen den drei Staaten der Kleinen Entente   für das Jahr 1934, zur Kenntnis. Es wurde beschlossen, die diesbezüg lichen Beschlüsse den drei Regierungen zur Be­gutachtung zu überreichen.

Schließlich wurde eine Serie von laufenden Angelegenheiten, welche die drei Staaten bes rühren, geprüft und die entsprechenden Be schlüsse gefaßt. Die nächste ordentliche Tagung des Ständigen Rates wird im Monate Mai in Bufarest stattfinden.

Katholische Demonstrationen in Stuttgart  

Theologieprofessor gegen die ,, Deutschen Christen  "

Berlin  , 22. Jänner. In Stuttgart   haben gestern, wie der Völkische Beobachter" meldet, katholische Demonstrationen statt gefunden, die gegen die nationalsozialistische Be­wegung der Deutschen Christen gerichtet waren. Anlaß zu den Demonstrationen gab eine Festrede des Tübinger Theologieprosessors Ad a m, der in Anwesenheit des Bischofs Dr. Sproll und anderer führender Persönlichkeiten der Württem bergischen Katholiken sehr scharf die nationalfozia­listische Glaubensbewegung fritisierte.

fatholische Kirche sei die jüdische Geschichte ein einzig artiges Erlebnis, weil sich in ihr das einzigartige Erlebnis Christi ereignen fonnte.

Die uniformierte fatholische Jugend hat sich nach Schluß der Festrede vor der Halle tros des polizeilichen Verbotes zu Demonstrationszügen bersammelt und nach deren Auflösung durch die Polizei an anderen Stellen der Stadt neue Züge gebildet.

Drohungen gegen Kardinal Faulhaber

des Jahres II

Die Innerpolitische Gruppierung im Dritten Reich

Bald jährt sich der Tag, an dem Adolf Hitler  die Zügel der Regierung in Deutschland   ergriff und den Anbruch des Dritten Reiches   verkündete. Die Nationalsozialisten behaupten, daß die Revo­lution beendet und eine neue Zeit angebrochen sei. Nach ihrer Ansicht wurde die Revolution, in der mit einer nie gefannten Vehemenz und Brutalität alles vernichtet wurde, was auch nur den Anschein einer früheren Gesinnung oder Gefittung trug, auf den Befehl des Führers in dem Augenblid ab gestoppt, als sie die fünftlich erwählten Schranken einer fapitalistischen Diftatur übernehmen wollte. Das Erreichte wurde teilweise durch Gesetze ver­antert, der neue Zustand legalisiert, die Einheit zwischen Staat und Partei verkündet. So erscheint heute, am Vorabend des Jahres II des Dritten Reiches  , dem Besucher das neue Deutschland   als ein Staat der Einheit und Einigkeit, als ein Staat, in dem das Volk mit seinem Führer eins ist, und in dem politische Meinungsverschiedenheiten, auf welchem Gebiet auch immer, vollkommen aus der Welt geschafft find. In dieser Beziehung iſt es auch völlig gleichgültig, ob sie durch einen ungeheuren Terror unterdrüdt wurden, aus lleberzeugung oder aus innerer Schwäche aufgegeben und wider­standslos unterlegen find( Gleichschaltung). Nach außen hin macht das völlige Fehlen jeder Oppo­fitionsschicht, ja fogar jeglicher feifer Stritit, einen bestechenden und dadurch um so gefährlicheren Gindrud.

Trotzdem aber ist in Wirklichkeit die Einheit von Staat und Partei nicht restlos geglückt. Trot allem haben sich die verschiedenen natürlichen poli tischen Strömungen, die niemals ganz ausgemerzi werden konnten, heute schon wieder zu ansehnlichen Gruppen verdichtet, die gegeneinander einen unter­irdischen, vorsichtigen, aber um so heftigeren Kampf führen. Wenn es auch heute, ein Jahr nach Beginn des nationalsozialistischen Zeitalters, offi ziell teine andere politische Partei als die natio nalsozialistische in Deutschland   gilt, so steht fest, daß sich starke innerpolitische Einflüsse verschie denster Couleurs bereits wieder zur Geltung zu bringen wissen und heute schon Regierungsmaß nahmen beeinflussen. Diese politischen Gruppierun Er bezeichnete, dem Völkischen Beobachter" gen aufzuzeigen ist deshalb nötig, weil dadurch be. zufolge, den Riß, der seit Luthers   Tat durch das wiesen wird, daß es unmöglich ist, weder durch deutsche   Volk gehe, als gerecht und als Gewaltmaßnahmen, noch durch Vernunfigründe" Strafe. Die fatholische Kirche sei leidenschaftlich Hannover  . 22. Jänner. Auf einer national- oder Propaganda ein ganzes Volt einmittig fir dagegen, daß die nationalsozialistische Glaubens- sozialistischen Stundgebung sprach hier am Sonn- die vollendete Form des Kapitalismus, für den bewegung die Jugend in ihren Bann ziehe. Wenn tag der Leiter des außenpolitischen Amtes der Fascismus, zu gewinnen. die deutsche   Glaubensbewegung biologisch eingestelli NSDAP   Alfred Rosenberg   über den Als erste Gruppe, die heute wieder eine zu sein will( Rassenfrage), dann sei dies für die fatho- Kampf der Weltanschauungen". Der Redner nehmende Rolle spielt und die allen Anstrengungen Nach dem Wiener Morgen" besteht auch die tische Stirche Aberglaube. Die katholische Stirche führte zur Frage Nationalsozialismus   und Kir- der nationalsozialistischen Führer zum Trotz eine Absicht, einigen hundert Desterreichern die Ansied frage die Männer der katholischen Glaubensbetve- chen" u. a. aus: Wenn Kardinal&   aulhaber gerade in der letzten Zeit auffallende verstärkte lung in Triest   zu ermöglichen und die Voraus- gung, wie sie Beugnis ablegen fönnien von der Be- die kommunistische Bewegung mit dem Germanen obstruttive Tätigkeit bemerken läßt, muß man setzungen dafür zu schaffen, daß eigene Handelsrechtigung ihres Glaubens. tum vergleiche, so müsse an das deutsche   Volk ein jene politisierten tatholischen dampfer unter österreichischer Flagge in den Dienst Des weiteren befajzte sich Professor Adam mit Appell gerichtet werden, ob es willens sei, der des österreichischen Uebersechandels gestellt werden. der deutschen   Geschichte, von der er sagte, jie tenne artige Redensarten zu dulden.( Zurufe: Nein, feine Männer, die wie Petrus   und Paulus   ihr bis- nein!) Diese Leute hätten alle Ursache, in die heriges Lebensideal zerbrochen hätten, um einen Reichskanzlei zu gehen, und ihren Dank dafür ab größeren zu folgen. Die Glaubensbewegung Deut zustatten, was der Kanzler für das deutsche Volt scher Christen wisse nichts von Propheten, jie wisse und die beiden christlichen Kirchen geleistet hat und nur von Mythen, Märchen und Sagen. Für die daß sie überhaupt noch predigen könnten.

Annahme

der Rooseveitschen Währungsvorlage Washington  , 22. Jänner.  ( Reuter.) Nach der Annahme des Abschnittes des Rooseveltschen Bährungsgesetzes, der die Uebertragung der Gold­bestände der Federal- Reserve Banken auf das Schazamt vorsicht, hat das Repräsentantenhaus

Deutsche   ,, Ritterlichkeit"

Sonntag in ſpäter Nachtſtunde auch die geſamte gegen Elsa Brandström  

Währungsvorlage mit 360 gegen 40 Stimmen gutgeheizen.

Papen   nennt

sechs Millionen Arbeitslose Berlin  . Der Vizelanzler von Papen erklärte in einem furzen Aufruf für den Kampf gegen Hunger u. Kälte":" In seinem erbittertenstampfe gegen Hunger und Stälte ist das deutsche Volt allein auf sich selbst angewiesen. Von Sieg oder Riederlage hängt das Schicksal von sechs Millio­nen notleidender Volksgenossen ab." Daß damit nur die Arbeitslosengemeint fein können, geht daraus hervor, daß fürzlich amt­lich die Zahl der insgesamt Unterstützungsbedürf tigen( Arbeitslose, Wohlfahrtsempfänger usw.) mit rund 15 Millionen angegeben wurde.

Stockholm  , 21. Jänner. Schweden  , das gegeben hatten. Vor ihrer Abfahrt aus Deutsch­bereits durch die Vergangenheit des Ministerpräsi- land sind Herr und Frau Ulich Gegenstand rüh­denten Göring, der bekanntlich in einer Heilan- render Ovationen und Anhänglichkeitsbeweise von ſtalt in Schweden   eine Morphiumentziehungskur feiten früherer Gefangener in Rußland   gewesen. durchgemacht hat, genauer als andere Länder über Das Regierungsblatt Social Demokraten" das eigentliche Wesen des Nationalsozialismus weist besonders auf die unverminderte Dankbar aufgeklärt ist, wird im Augenblick außerordentlich feit der früher von Frau Ulich   Betreuten hin und durch eine Nachricht bewegt, derzufolge die deutsche fügt hinzu, die deutsche Regierung Regierung dem Professor Ulich   auf Grund sei- müßte vor Scham erröten. ner sozialistischen   Ueberzeugungen verboten hat, feine Lehrtätigkeit fortzusehen.

Die deutsche   Gesandtschaft in Schweden   hat sich selbstverständlich sofort mit einer amtlichen Der Gelehrte ist bekanntlich der Gatte Elfa Erklärung eingefunden, laut der Herr und Frau Brandströms, der Tochter des ehemaligen schwedi- Ulich   durchaus nicht auf Nimmerwiedersehen schen Gesandten in Rußland  , die lange Jahre hin- Deutschland   verlassen hätten; nichts berechtige zu durch mit ungewöhnlichem Opfermut jich der deut der Annahme, daß ihre Abreise endgültig sei. Die schen Gefangenen angenommen hat, die ihr den schwedischen Blätter behaupten nach wie vor das ehrenvollen Beinamen der Engel von Sibirien" i Gegenteil.

reise nennen, die sich besonders im Süden des Reiches aus ihrer Lethargie befreit haben und als geistiges und geistliches Oberhaupt den Kardinal

aulhaber in München   erkoren haben. Ohne die Bedeutung dieser Gruppe zu überschäven, dari man behaupten, daß sie im Begriffe steht, durch geschickte Ausnußung der alten Gegensätze zvi schen Süd und Nord eine nicht zu übersehende passive Resistenz zu formieren, die dem Einheits­gedanken des nationalsozialistischen Staates noch große Schwierigkeiten bereiten fann. Die freimüti­gen religionsphilosophischen Predigten Faulhabers und die stille aber um so heftiger betriebene Kleinarbeit der fatholischen Geistlichen auf dem

Lande führen diese Gruppe, die natürlich das poli­tische Moment hinter dem religiösen verbirgt, eine ganze Anzahl von enttäuschten, in ihren heiligsten Gefühlen verlegten und kritisch denkenden Men­schen zu. Sie retrutieren sich aus den Streisen des früheren Zentrums und der Bayrischen Volkspar­tei, haben jedoch weder eine innere noch eine ſicht­bare äußere Verbindung zu diesen überlebten und vollkommen aufgeriebenen Parteien. Diese Gruppe ist heute noch völlig ziellos, da sie an Stelle einer aktiven nur eine passive Stritik und auch die nur in vorsichtiger Weise ausüben kann.

Gruppe zwei sind die Elemente, die sich aus den ehemaligen Deutschnationalen refrutieren und um Hindenburg   als symbolischen

Mittelpunkt scharen. Ihr Einfluß, der nach außen­