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ZENTRALORGAN

DER DEUTSCHEN SOZIALDEMOKRATISCHEN ARBEITERPARTEI

IN DER TSCHECHOSLOWAKISCHEN REPUBLIK

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14. Jahrgang

Freitag, 26. Jänner 1934

Den Henkern entronnen!

Ein Reichstagsabgeordneter flüchtet aus Oranienburg  Die Zustände in den Kon entrationslagern

Dem früheren sozialdemokratischen Reichs- Schweinefraß. Zwar hat die Lagerverwaltung für| bracht. Dunkelarrest wurde bis zur Dauer von tagsabgeordneten und Generalsekretär der Deut jeden Säfiling 1.50 Mark bekommen, aber sie hat sechs Wochen verhängt. Neuerdings wurden soze schen Friedensgesellschaft, Gerhart Seger  , ist nur einen geringen Bruchteil für die Verpflegung nannie Stehbunker eingerichtet, das sind es gelungen, der Hölle von Oranienburg zu entfliehen. Am 12. März war er verhaftet wor den. Neun Monate verbrachte er in Schußhaft", sechs davon im berüchtigten Stonzentrationslager Oranienburg. Die Flucht aus Oranienburg   wurde mit beispielloser Geistesgegenwart und unter Ein­fezung des Lebens durchgeführt. Unter abenteuer­lichen Umständen gelangte Seger   durch die Kette der in Oranienburg   ausgestellten Häscher- die Flucht war sofort bemerkt worden nach Berlin  , wo er sich neu einkleidete und die Fahrt zur Grenze amirat. Früh um 8 Uhr begann Gerhart Seger  den Wettlauf mit dem Tode um die Freiheit; um 4 Uhr nachmittags war er auf tschechoslowakischem Boden und in Sicherheit.

Gerhart Seger  , der selbst das Opfer von Mißhandlungen war, wird im Laufe der nächsten Woche ein Buch über seine Erlebnisse im Lager er­scheinen lassen. Gestern gab er vor Prager   Presse­bertretern eine Schilderung über das Leben und Leiden der Häftlinge in der Hölle von Oranien­ burg  . Seine Darstellungen sind unwiderlegbar; Seger   nennt die Namen der Henter und die der Opfer. Er wird sein Buch dem Reichs- Justizmini ster und dem Oberreichsanwalt überreichen, um ihnen Gelegenheit zu geben, die Menschenschinder, die nicht nur in Oranienburg  , sondern in allen deutschen   Konzentrationslagern ihr Unwesen trei­ben, zur Verantwortung zu ziehen. Dies ist jedoch ein Schritt von nur formaler Bedeutung, denn in Deutschland   gibt es fein Recht. Im so mehr muß die Kulturmenschheit ihre Stimme erschallen las­sen. Als Ruf an die Welt, die der deutschen  Schande viel zu gleichgültig gegenübersteht, ist auch die Anklage Gerhart Segers zu verstehen.

Ohne Recht

Gerhart Seger   erzählt, daß Oranienburg   das erste Lager war, das überhaupt eingerichtet wurde. Seine Entstehung verdankt es unternehmungslufti­

farhart Veger

Zellen mit einer Bodenfläche von 60 mal 80 genti­meter. Man kann in ihnen nur steh n. Ter gewagt hatte, wurde erst geschlagen, dann mußte Ein jüdischer Arzt, der ein Wort der Kritik an Hit­er 14 Stunden in der Stehzelle zubringen. Ein anderer Gefangener mußte 192 Stunden im Stehbunker bleiben. Als er herausgebracht wurde, hatte er geschwollene Beine und zerschundene Senic. Er war zusammengesadt und hing so tagelang in in der Zelle. Zu alledem bekommen die Gefan genen im Bunker und im Dunkelarrest auch noch Softentang.

Ebert und Heilmann

ARAKI

oder:

Nr. 21

Die Sprache, die der Fascismus versteht

Ohne großes Aufsehen hat sich ein Ereignis vollzogen, das zwar nicht bedeutend genug ist, uns vor einem Weltkrieg zu bewahren, das aber diesen Krieg sehr wahrscheinlich aufschieben und damit die Möglichkeit vergrößern wird, ihm vor­zubeugen: der plötzliche Rücktritt des japanischen Kriegsministers Araki. Mit einer Zielsicher heit, neben der sich die Politik Mussolinis und Hitlers   unklar, verschwommen und weichlich aus. nimmt, hat dieser General, der zugleich der Führer der japanischen Fascisten ist, seit Jahr und Tag den Krieg im Fernen Osten vorberei tet. Seine Partei, deren Rückgrat ein Stab von farriereluftigen, auf Abenteuer, Kriegsruhm und Beute erpichten Offiziere ist, hat seinerzeit durch) einen blutigen Putsch, dessen Opfer der Mini sterpräsident und andere Würdenträger wurden, die Macht an sich gerissen und seither den Mikado dauernd unter Drud gehalten. Wie stark der Ein­Besonders entwürdigende Szenen ereigneten jich bei der Einlieferung der Abgeordneten Friß fluß Arakis war, läßt sich beinahe zahlenmäßig Ebert und seilmann, die zugleich mit den an dem Steigen des japanischen Militärbudgets Beamten des Berliner Rundfunks Alfred Braun  , nachweisen. Es beträgt für das Jahr 1934 mehr Flesch, Magnus und Giesecke eingeliefert als 43 Prozent des Gesamtbudgets, nämlich 875 wurden. Bei der Einlieferung mußte die S ans von rund 2000 Millonen Yen. ireten, in einiger Entfernung die Gefangenen. Ein Araki war der Urheber der japanischen SA- Truppführer namens Schulze- Welsung hielt Angriffe auf China   und der dauernden Heraus eine Rede im Maschemmenton, in der Absicht, die forderungen Rußlands  . Seine Politit zielte auf übrigen Gefangenen auf die neuangekommenen die Auseinandersetzung mit Rußland   um jeden ,, Bonzen" zu heben. Alle sechs mußten im vorderen Preis und in kürzester Frist. Sie hat der So Hofe ihre Kleider ausziehen und bekamen die elend= ſten Lumpen, die im Lager aufzutreiben waren. wjetunion eine große Reihe von Demütigungen Ihre Meider wurden an kommunistische Häftlinge und faktischen Schäden aufgezwungen. Wenn berteilt. Einige lehnten sie ab, andere nahmen sie. Rußland von einem Kabinett alten Stils regiert Drei Tage lang mußten die Häftlinge in den Lum- würde, das die Begriffe Ehre", Würde", pen umherlaufen, dann durften sie ihre Angehörigen Prestige" so handhaben würde wie die euro­neu einkleiden. Nach der Umkleidung wurden ihnen päischen Diplomaten vor 1914 es taten, so wäre die Haare geschoren; auf Eberts Kopf ließ man, es längst zu dem großen Zuſammenstoß; in Aſien  

der Gefangenen aufgewendet. Es wurden den Ge- um ihn zu verſpotten, einen Haarkranz stehen. fangenen z. B. nur Futterkartoffel gegeben.

Noch skandalöser ist die Unterbringung der Gefangenen. Das Lager ist in einer alten Braue rei eingerichtet. Die Schlafräume befinden sich in den

Heilmann wurde in die Judenkompagnie eingeteilt und mußte Unjägliches erdulden. Er wurde vichisch mißhandelt.

Es Tamen einige Male Behördenvertreter. Wenn das Inspektionen gewesen sein sollten, so ha

gen die SA  - Sadisten nicht durchgesetzt. Geändert hat sich nach diesen Besuchen nichts.

feuchten und dunklen laſchen- Kühlräumen. Die Luftben sie entweder nichts finden wollen, oder jich ac­in ihnen ist nicht zu ertragen. Es kommen auf einen Gefangenen drei Kubikmeter Luftraum; gen A- Leuten in der SA- Standarte 208. Zunächst waren nur Menschen aus dem Landkreis Oranien in den ältesten und schlechtesten Polizeigefängnissen burg   untergebracht worden, später auch Gefangene sind es noch acht bis neun Kubikmeter. Im Aufent haltsraum muß die Hälfte der Häftlinge stunden­aus den verschiedensten Teilen Deutschlands  . Am 14. Juni wurden die ersten Abgeordneten eingelie- lang stehen, weil zu wenig Bänke vorhanden sind. fert; es waren sozialdemokratische und kommunisti­sche Mitglieder des Anhaltischen Landtages. Im

Mißhandlungen

August waren etwa 1300 Gefangene im Lager, An- Was die Mißhandlungen betrifft, so fang Dezember etiva 800. ist zu unterscheiden zwischen A- Leuten, die zideis Den Eingelieferten wird vom SA- Führer zu- fellos Sadiſten ſind, und anderen, die aus anderen nächst eröffnet, daß sie in einem Gefängnis seien, Gründen mißhandeln oder den Mißhandlungen fern das nicht Polizei- oder Justizbeamten, sondern der stehen. Daß es sich bei den ersten um sexuelle Su. untersteht. Diese Erklärung hat den Zweck, die Triebfräfte handelt, ist gar nicht zu bezweifeln. Im Häftlinge darüber aufzuklären, daß sie ohne Rechts- allgemeinen ist bei der Einlieferung geschlagen grundlage auch hinsichtlich der Behandlung sind. Wer worden und im Zimmer 16 bei der Vernehmung"; in ordentlicher Polizeihaft war, also weiß, daß es dies war meistens nur der Vortvand für das Prü­für Polizeigefangene diechtsansprüche gibt, häit als gein. Als Folterinstrumente dienten Stahlruten, Insaffe des Konzentrationslagers die Polizeigefan- Peitschen, Kolben. Die Zahl der Todesopfer dieser genschaft für eine wahrhafte Idylle. Mißhandlungen ist groß. Seger tvar Augenzeuge Das Entscheidende im Lager sind nicht die Mig- des Sierbens zweier Mißhandelter. Der eine, ein handlungen, sondern die Tatsache, daß die Häftlinge fräftiger Arbeiterjunge aus seiner Heimat, starb an in ewiger llnruhe gehalten werden. Mit ihnen Hersschlag in seinen Armen. Die A- Leute hatten fann Tag und Nacht geschehen, was den Wachmann ihn so geprügelt, daß er vom Hals bis zum Fuße schaften gerade beliebt. Und dies ist entnervend. Eine schwere Blutstauungen erlitten hatte. Die Mißhand­Beschwerde gibt es nicht. Jeder beliebige S- Mann lungen sind vollkommen wahllos erfolgt. An Flucht fann mit jedem Häftling zu jeder beliebigen Tages  - dachten mur Leute, die zum Selbstmord entschlossen oder Nachtzeit tun was er will. Oft werden die Ge- waren. fangenen in der Nacht geweckt und müssen auf dem burgs, die im Jahre 1932 einen Hitlerjungen ge­Hofe ererzieren. Am schlimmsten erging es den An- ohrfeigt hatten, weil er sein Zelt auf ihr Grund­gehörigen der Judentompagnie. An ihnen ließen sich| stück gepflanzt hatte, mußten siebzehn Stun die SM- Leute jede Laune aus. den lang bloßfüßig auf dem Hofe marschieren. Die Häftlinge werden zur Arbeit gezwungen. Als ein Sanitäter den Aeltesten, dem die Haut in Ran teilte die Arbeit so ein, daß die Bonzen" und Fehen vom Fuße hing, verbinden wollte, bekam er die Intellektuellen möglichst solche Beschäftigungen vom Lagerkommandanten einen Verweis. Der berrichten mußten, die ihnen ungewohnt waren. Marsch der vier dauerte von Mitternacht bis 5 Uhr Seger wurde bei Forst- und Stanalarbeiten ver- nadymittags. Dunkelzelle und Stehbunker

Wendet.

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Vier Arbeiter aus der Nähe Oranien

Sadisten als Führer der SAI

Die SA- Führer im Lager sind alle Sadisten; 60 Prozent der gesamten SA- Truppe besicht ans Landsknechten, 30 Prozent sind mehr als das: jie sind Folierer und Henker. Nur eiwa 10 Prozent find anständige Leute, die mit den Mizhandlungen nicht einverstanden sind. Von einer politischen Ueber­zeugung oder politischem Idealismus ist bei no Prozent der SA- Leute keine Spur; sie sind bei der Truppe teils aus Romaniit, teils aus Versorgungs­gründen, teils deshalb, weil sie ihre entarteten seru­ellen Triebe hier besser befriedigen lönnen. Von po­litischen Bersetzungserscheinungen in einer solchen Truppe zu reden, ist zumindest übertrieben. Um eine politische Meinung ändern zu können, muß man erit eine haben. Das trifft auf die SA- Landsknechie aber nicht zu.

Möge der Ruf Segers, der Nuf eines Mannes, der nichts als die Wahrheit, allerdings eine grauenvolle Wahrheit, fündet, nicht ungehört verhallen. 60.000 ſchmachten in den deutschen  Stonzentrationshöllen. Sie gehen alle zugrunde, wenn sich die Welt nicht um sie fümmert!

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Mißlungene ,, Erschießung auf der Flucht"?

und in seiner Gefolgschaft wahrscheinlich auch zu dem europäischen   Krieg gefommen. Der Streit um die mandschurische Bahn, die Schaffung von Mandschukno, der Vormarsch der Javaner 311­nächst entlang der Bahn, später mit deutlicher Richtung auf Tichita und mit dem Ziel, die ganze Amurprovinz im Rücken zu fassen. Nuß­lands asiatische Stellung durch einen lanken­angriff im Schlieffenschen Stil aufzurollen, da zu die fleinen Provokationen und Nadelstiche, hätten unfehlbar zum Krieg geführt, wenn Ruß land nicht die größte Vorsicht und Selbstver­lengnung bewahrt hätte, um zunächst einmal bes sere Voraussetzungen der Abwehr zu schaffen.

Nun ist Arati gestürzt worden und ein Teil der Weltpresse feiert seinen Rücktritt als den Zusammenbruch der Kriegspar­tei. Diese Wertung des Ereignisses über­schätzt seine Auswirkungen. Erstens ist die Kriegspartei nicht vernichtet worden und es fragt sich, ob der Ministerpräsident Saito und die von der Handels- und Induſtriebourgeoisie unter­stützte Shidehara   Politik an die Wurzeln des Uebels herangehen werden. Zweitens ist einem Mann wie Araki und mehr noch seiner Gefolg schaft zuzutrauen, daß sie den Staatsstreich) in größerem Umfang wiederholen, vielleicht nicht

nur Saito, sondern auch den Mikado stürzen und

ihre Politit mit Erfolg fortseßen. Aber zunächst

ist der Sturz des Kriegshezzers ohne Zweifel ein Erfolg der Friedenspartei und auf eine unter Umständen entscheidende- Zeit schaffte er eine Atempause.

Es ist nicht uninteressant, sich der Pa rallelen zum Fall Araki aus der Vorge­schichte des Weltkrieges zu erinnern.

Hamburg  , 25. Jänner. Das Deutsche   Nach richtenbureau meldet, daß, als der in Neumünster  in Schußshaft befindliche Kommuniſtenführer Die erste große Marottofrise war von Timm gestern von zwei Polizeibeamten vom franzöſiſcher Seite durch die hipige und zum Rathaus zum Polizeigefängnis transportiert wer- Strieg drängende Politit Delcassés ver­den sollte, plößlich aus dem Hinterhalt( 3) meh schärft worden. Delcassé   hat 1904-05 Simmel rere Schüsse gefallen ſeien. Timm habe sich schrei- und Hölle in Bewegung gesetzt, um die Kriſe end am Boden gewunden und erklärt, verwundet Verpfegung und Unterbringung Bestraft wurde u. a. auch durch das Verhängen zu sein. Die Beamten erwiderten die Schüsse. zum Striege zu erweitern. Bülow, der von ben. Ele sich nicht beschreiboni deine Bellen, fribere Trodenräume, die inren Frankenhaus eta heldung weiter, set in fit jehr gelegen. Denn Jugland war in fil Die Verpflegung läßt sich nicht beschrei- von Dunkelarrest. Die Arreſträume waren Timm, heißt es in der Meldung weiter, sei ins Haus aus nicht den Strieg wollte, kam diese Poli­lingen troß großem Hunger weggeschüttete Effen" schwarz gestrichen und ohne Lüftung sind. In einer stellt worden sei, daß er keinerlei Verlegungen er engagiert, England noch durch den Vurenkrieg Bergen türmte. Es war, sagt Seger, ein solchen Belle waren bis zu 19 Personen unterge-' litten hätte. Bon den Tätern fehle jede Spur. geschwächt; die Chancen Deutschlands   standen