Sosialdemokrat

ZENTRALORGAN

DER DEUTSCHEN SOZIALDEMOKRATISCHEN ARBEITERPARTEI IN DER TSCHECHOSLOWAKISCHEN REPUBLIK

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14. Jahrgang

Die Tiroler

Generalprobe

Bewußtsein gekommen ist, wohin die Dinge in

Samstag, 3. Feber 1934

Nr. 28

Die Gesandten bei Dollfuß

Wien, 2. Feber.( Eigenbericht.) Der Plan der Fascisten, durch den gestrigen Putsch in Tirol den ersten entscheidenden Schritt zur Madhtergreifung zu machen, scheint vorläufig durch den entschiedenen Widerstand der Arbeiterschaft zum Stillstand gekommen zu sein.

Vertreter der Tiroler Arbeiterorganisationen waren noch in der Nacht auf gestern bei der Landesregierung erschienen und hatten erklärt, daß die Erfüllung der Heimwehr­forderung nach Auflösung der sozialdemokratischen Partei in Tirol als Kriegsfall be trachtet werden würde und sofort zum Widerstand mit allen Mitteln und zur Stillegung der Betriebe führen müßte. Eine weniger entschiedene, aber auch ablehnende Hal­tung gegenüber dem Putsch zeigten die christlichen Gewerkschaften, die in einem Anfruf er­flären, die Arbeiterschaft werde ich ihre Organisationen nicht zerschlagen lassen und lehne es ab, daß ihre bisherigen Führer von Personen verdrängt werden, die die Interessen der Arbeiterschaft nicht vertreten können.

ihrerseits feineswegs die Absicht hat, mit einer Regierung, welche die Freiheitsrechte mißzachtet, zu arbeiten.

Sabotage- Akte der Nazi

Wem noch nicht mit voller Schärfe zum Intervention des englischen   und französischen   Gesandten in Wien  Desterreich bewußt und planmäßig getrieben Entschiedenes Auftreten der Tiroler Sozialdemokraten werden und daß Dollfuß   ein hundertprozentiger Fascist ist, dem könnte der Heimwehrputsch in Tirol die Augen öffnen. Und ein Putsch war es, auch wenn er vorläufig nicht die ihm gesteckten Ziele erreichen und etwa abgeblasen werden follte, wenigstens ein Putsch auf Probe und in Vorbereitung dessen, worauf der Bun. deskanzler lossteuert: auf die Errichtung einer fascistischen Gewaltherrschaft. Anscheinend gang ahnungslos hat sich das offiziöse Ausland und aud) ein großer Teil der österreichischen Bevöl. ferung dem Wahne hingegeben, das System Dollfuß   sei ein Hemmnis des Nationalsozialis. mus und wer nicht tiefer zu blicken vermag, dem tonnte Dollfuß dies auch erfolgreich aufschwat zen. Nun zeigt es sich), was wir immer behaup tet haben, daß es gerade dieses System ift, welches den Nationalsozialismus stärkt umd dem Fascismus zustrebt, einem Fascismus, der, welche besondere Form er in Desterreid) auch immer wählen wird, den Zenkern der demokra­tischen Staaten Europas   als wenig geeignet er­scheinen müßte, ihr Ziel, die Bewahrung der Unabhängigkeit Desterreichs dauernd zu ge währleisten, zu erreichen.

Innsbruck   und eine Reihe größerer Orte in Tirol find zur Zeit von bewaffneten Seim­wehrformationen besetzt. Das ist durchaus im Sinne und Befolgung einer Weisung des Bun deskanzlers geschehen, der in seinem letzten Er­

Zurückgezogene Heimwehrforderung

Die Tiroler Landesregierung setzte sich nach der Erklärung der sozialdemokratischen Arbeitervertreter mit der Wiener   Zentralregierung in Verbindung. Im Laufe der Nacht wurde den sozialdemokratischen Funktionären mitgeteilt, sie mögen die Forderung der Heimwehren nach Auflösung der sozialdemokratischen Partei als zurückgezogen betrachten.

Inzwischen waren aber auch in Wien   Ereignisse eingetreten, die Herrn Dollins zur Vorsicht mahnten. In den Abendstunden erschienen beim Bundeskanzler die Gesandten Eng­lands und Frankreichs  , die darauf hinwiesen, wie sehr ihre Regierungen über die Entwick lung der Ereignisse in Desterreich besorgt seien und daß besonders die Vorgänge in Tirol große Unruhe hervorgerufen haben. Wenn auch nicht bekannt wurde, welche Auskunft Dollfus den Diplomaten gegeben hat, so kann man doch annehmen, daß die Intervention nicht ohne Eindrud geblieben ist und ihm den außerordentlichen Ernst der Lage flar gemacht hat.

laß die Heimwehr gegenüber dem fluchwürdi. Der Bauernaufmarsch

gen Treiben aller Staatsfeinde und Terroristen"

zur Selbsthilfe" aufgerufen hat. Vor einigen

Der Aufmarsch der niederösterreichischen Tagen hat never anderen Opfern des von Bauern in Wien  , an welchem nach Angaben der Deutschland   aus geleiteten nationalsozialistischen Regierung 100.000 Menschen teilnahmen, wäh Terrors an der Tiroler Grenze ein Finanz rend unparteiische Beobachter höchstens 35.000 wachbeamter als Opfer nationalsozialistischer Personen gezählt haben, gab der Regierung Gele Mordgesellen sein Leben lassen müssen und sicher genheit, darauf hinzuweisen, daß sie noch nicht hat die Zerstörung von Sachwerten durch die ganz ohne Gefolgschaft ist. Nachdem der Zug, in täglichen Terrorafte bereits einen bedeutenden welchem vor allem die vielen Musikkapellen aus Umfang angenommen. Aber dennoch wäre es fielen, die Halle des Nordwestbahnhofes erreicht sehr naiv, zu glauben, die Mobilisierung der sprachen der Obmann des Niederösterreichischen  hatte und eine Feldmesse zelebriert worden war, Heimwehr   und die Besetzung der Tiroler Städte Bauernbundes Reither, der dem Sozialismus durch sie diene ausschließlich dem Willen, der jeder Art den Kampf ansagte, und der Bundes­von den Nazis gewählten barbarischen Art des fanzler, der erklärte, daß die Regierung dem Ter­politischen Stampfes ein radikales Ende zu setzen. rorismus auch weiterhin mit Festigkeit entgegen­Was sich in Tirol vollzogen hat, das ist vielmehr treten werde und wiederum darüber klage führte. die Vorbereitung zu dem von Dollfuß   geplanten daß die Nationalsozialisten aus dem Reiche Unter­Staatsstreich, ist die Probe auf das Erempel, der stüßung erhalten.

die nationalsozialistischen Gewalttaten nur als Der Niederösterreichische Bauernbund besteht der Vorwand dienen. Dollfuß   hat bisher alles zum größten Teile aus Organisationen, die sich unterlassen, um die schwache Basis, auf der seine bisher einer fascistischen Gleichschaltung widersezt Regierung steht, au verstärken, der Eindrud ist haben. Ob sie diesen Widerstand angesichts der nicht fortzufcheuchen, daß er nicht ohne Absicht haltung des Bundeskanzlers nicht aufgeben wer­nichts Entscheidendes unternimmt, um den Soff. den, ist feineswegs flar. Die Neden auf der heu­tigen Stundgebung in Wien   waren so stveideutig, nungen der Nationalsozialisten, die durch den daß sie den Bauernbund in keiner Weise gebunden geringen Rückhalt der Dollfußregierung in der haben.. Bevölkerung genährt werden, ein Ende zu berei.

ten, damit ihm nicht der Vorwand dafür ver.

loren gehe, daß eine andere Art des Regierens schaft zu begründen gesucht. Und leider haben nicht möglich sei, als die von ihm beliebte. Der fich jene europäischen   Mächte, die kein vergrößer

Dolfuß will keine Verständigung mit den Arbeitern

Die Nationalsozialisten in der niederöster reichischen Provinz versuchten an einigen Stellen die Beförderung der Teilnehmer an der heutigen Bauernmanifestation in Wien   mit der Eisenbahn zu sabotieren. An einigen Stellen wurden die Te­legraphen und Telephondrähte zerrissen oder andere Hindernisse gelegt, um eine Verspätung der Züge herbeizuführen. Die nationalsozialisti schen Sabotageversuche scheiterten und nur in ver einzelten Fällen hatten die Züge eine fleine Ver spätung aufzuweisen. In Wien   warfen unbekannte nationalsozialistische Täter an einigen Stellen Pe­tarden. Auch auf der Ringstraße und beim Nord­westbahnhof erplodierten während des Umzuges Petarden. Die Explosionen verursachten aber fein Inglid.

Die täglichen Böller

Wien  , 2. Feber. In Neunkirchen an der Südbahn   wurde gestern der Arbeitslose 2nd wig Gausber verhaftet, der nach längerem Peugnen eingestand, durch längere Zeit Papier­böller und sonstige Sprengstoffförper fabriziert zu haben.

In St. Pölten   sind im Laufe des gestrigen Tages vier Papierböller erplodiert, darunter einer im dortigen Domhoj. In Graz explodierten

Es ist aber bezeichnend. daß die Regierung gestern fünf Papierhöller ſowie zwei Vomben. bei einem Empfang der Auslandsjournalijiten in, Durch die Explosion der beiden Bomben wurde ein Wien   erklären ließ, es beitünden keine psycho- Sachschaden von ca. 2000 Schilling verursacht. logischen Voraussetzungen für eine Verständigung In Telfs   in Tirol plante gestern ein Papierböller, der Regierung und der Sozialdemokratie und die wodurch 38 Fensterscheiben zerschlagen wurden.. Regierung have auch nicht die geringste Absicht, In Villach   wurden in den Hof des Polizeitom eine solche Verständigung herbeizuführen. Der missariates zwei Papierböller geworfen. In Svi Parteirat der Sozialdemokratie have ja bereits tal an der Drau sind im Laufe des gestrigen erflärt, daß die sozialdemokratische Partei auch Tages sechs Papierböller gevlakt.

Wiener   Militär nach Tirol

Zwischen den Heimwehrführern und der Tiroler Landesregierung finden nunnter­brochen Verhandlungen statt. Der Propagandaminister Dr. Steidle, der bekanntlich Führer der Tiroler Heimwehr ist, ist nach Innsbrud abgereist. Man erklärt, daß er die Auf­gabe hat, dort ein Stompromiß zwischen den Heimwehren und der Landesregierung herbei­zuführen. Daß die Situation in Tirol immer noch außerordentlich gespannt ist, geht daraus hervor, daß es im Verlaufe des heutigen Tages zu Zusammenstößen mit der Bevölkerung fam, webei zwei Personen von der Heimwehr schwer bericht wurden.

Die Regierung hat ein weiteres Regiment ans Wien   nach Tirol geschickt. Da Wien  nunmehr von Militär fast entblößt ist, wurde die Wiener   Schutzbrigade durch Einberujung aller verfügbaren Heimwehrlente verstärkt. Was die Bewaffnung dieser Lente bedeutet, wird flar, wenn man bedenkt, daß die Truppe vor kurzer Zeit der Konspiration mit den Nazis überführt wurde.

herunterzuwirtschaften, hätte längst ohne Sitler| Soll man sich mehr wundern über die seine Unfähigkeit bewiesen und längst schon Ahnungslosigkeit oder über die Beschränktheit Tiroler Heimwehrputsch, mit Wissen und Willen tes Hitler- Deutschland wollen, durch diese Me- wüßte alle Welt, was hinter dem stinkigen jener Faftoren, welche in Dollfus; noch immer des Dollfuß durchgeführt, liegt ganz auf der fodien betören lassen, haben ihn, den kleinen Eigenlob und den armseligen Phrasen, mit den Mann feiern, der heroiſch die Unabhängig Linie seines Planes. Stanzler, als waderen Kämpen gegen die Pest denen er ständig paradiert, steckt. Dollfuß  , der feit Desterreichs verteidigt, obwohl ihnen doch

Es hieße vertuschen und beschönigen, wollte des Nationalsozialismus sehr geschätzt. Mit dem Nazi- Gegner! Hat er nicht von Hitler   gelernt, einleuchten müßte, daß dieser Unabhängigkeit man den vollen Ernit der Lage in Desterreich, hingehaltenen Söder hat Dollfuß   das bürgerlich. daß man auch ohne Parlament regieren fönne, von seiten Hitler Deutschlands eine ernsthafte pie er nun mit ganzer Schärfe zum Ausdrud demokratische Europa   eingefangen und wohlwol wobei der christlich- fromme Herr vor einem Gefahr nicht droht, daß Sitter sich, wenn erit kommt, verkennen. Ganz offenkundig betreibt lend schloß es die Augen davor, daß Dollfuß   Verfassungsbruch ebenso wenig Bedenten hat, eine österreichische Regierung da wäre, welche Dollfuß   die Taktik des Hinhaltens und Zer in Wirklichkeit stets nur halbe Maßnahmen wie seine fascistischen Vorbilder? Hat er nicht festeren Boden unter den Füßen hat, es sich mürbens. Nicht des Zermürbens des National. gegen den Nazi- Terror unternahm, daß er bis seinerzeit den Hitlerleuten ein Bündnis angebo. wohl überlegen würde, in Desterreich einzumar­welchem Spuf bei gutem Willen in letzte Zeit ihnen zwei Sive im Ministerium und hat er damit nicht klar

ein rasches Ende bereitet werden könnte, son- geradezu evangelische Milde betätigte und zureit. schieren und daß die von Dollfus erstrebte fafci.

dern des Zermürbens der Abwehrkraft der so. gleicher Zeit um so schärfere Ausnahmsverfi. daß er den Hitlerismus mit einigen fleinen Sitler- Deutschlands auf Vernichtung der Unab zialistischen Arbeiterschaft. Das Regime Dollfuß gungen gegen die Demokratie und gegen die Modifikationen durchaus für ministerfähig und hängigkeit Oesterreichs   stärken würde. Der Heimwehrputsch in Tirol hat schlag­

war schon bis jetzt ein unverhüllt absolutistisches sozialdemokratische Arbeiterschaft erließ. Alles bündnisreif hält? Und seine innige Verbunden.

und mit den Schlagworten: Hitler   bedroht erschien recht, wenn dabei nur die Unabhängig. heit mit Starhemberg  , der die Beseitigung aller lichtartig die Situation erhellt. Wird Europa  Der Nationalsozialismus   will feit Desterreichs zu verbleiben schien. Der Mann Bart ien und die Errichtung des reinen fascisti. aud) darnach noch in seiner Blindheit ver

Desterreich!",

Desterreich) die Unabhängigkeit rauben!" hat er auf dem Bundeskanzlerposten, der so erfolgreich schen Staates für sein ausdrückliches Ziel er. Harren?!

die angebliche Notwendigkeit seiner Gewaltherr. verstanden hat, den österreichischen Schilling flärt!