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„Sozialdemokrat"
Dienstag, tretet 1034 9fr. SV
PRAGER ZEITUNG
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Vorträge
Eröffnung der ersten Schwurperichtspertode:
Kunst und wissen
Aus der Partei
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Die Arbeitervorstellung am 4. Feber brachte den Besuchern ein paar vergnügte Stunden. Wie gern gaben sie sich der Mozart'schen Musik hinl Wie froh stimnrten diese„Petit RtenS", wie erfreuten sie sich am Anblick der graziösen Tänzerinnen I Und wie ergötzten sie sich dann am«eingebildeten Kranken" und den von seiner Einbildung lebenden Aerzten und an der Natürlichkeit rmd Schlauheit seines
Feuerwehr holt Tobsüchtigen vom Dach. Sam.ftag gegen'-1 Uhr wollte sich in Älarov der K i e in p n e r g e h i l f c F. F. vor die her an fahren de Straßenbahn werfen. Er wurde aber von einem Polizeibeamten recht» zeitig zurückgerissen. Jetzt fing F. an zu toben. Man brachte ihn auf das nächste Polizeirevier, dock dort rückte er wieder aus, flüchtete in ein Haus und hinauf bis zum Dach. Nun mußte die Feuerwehr cingreifen und den Tobenden von seinem luftigen Platz entfernen. Man ließ F. von einem Arzt untersuchen, der die vorläufige Internierung des Klempnergehilfen in einer Irrenanstalt anordnete.
Gin XoveÄurle« TRörfter der Levenelsefüyettn
ö-— Tod des Neugeborene« im Keller Ein Fall, der die ganzen sozialen Nöte und M i ß st ä n d c u n se r e r Zeit widerspiegelt, hat sich am Samstag in den Weinbergen ereignet. Dort gebar eine junge, er st 1 6 jäh- rige Hausgehilfin im Keller, der zur Wohnung ihrer Arbeitgeber gehörte, ein Kind. Kurz vor der Niederkunft, von der niemand etwas ahnte, schleppte die Bedauernswerte Kohlen aus dem Keller. Als sie dann nickt mehr zurückkehrte, ging die Frau deS Hausverwalters, um nach ihr zu sehen. Im Keller fand sie die Hausgehilfin— fast ohnmächtig— einKind im Arm. Es war wenigeSckunden vorher zur Welt ge- tcnnmen. Dec herbeigenifene Arzt stellte jedoch fest, daß das Neugeborene bei seiner Ankunft bereits tot Ivar. Da der Arzt die Todesursache, nicht sogleich angebcn konnte, ist an der KindeSkeiche gerichtliche Obduktion angeordnet worden. Mit aller Energie bestreitet die Sechzehnjährige jedoch, an dem Neugeborenen ein Berbrechcn verübt zu haben.
Fra » Lessing , die WiUve des in Maricnbad tragisch dahingegangenen Prof. Theodor Lessing , hält im Rahmen der„Deutsche» Gesellschaft für sittliche Erziehung in Prag " am Mittwoch, den 7. Feber, halb 8 Uhr abends, im„Franenfortschritt", Krakov- skä 21, einen Vortrag über„Jührertum und Selbstverantwortung in der Erziehung". Eintritt frei. Anschließend Wechselrede.
I ein ,, darf oder nicht, oder ob alles, IvaS auf einen Beschauer w i r k t, Kunst ist. Und außerdem ist Thiele ein wunderbarer Meister des Details, der eS aus diesem Punkt heraus schon sehr verständlich macht, daß er mit den jüngsten Kunstrichtungen nichts gemeinsam haben kann. 1902 wird Prof. Thiele als Lehrer an die Prager Kunstakademie berufen und beginnt eine segensreiche Lehrtätigkeit. Weite Reisen innerhalb seiner Prager Zeit bringen neben heimischen Motiven— (tftrgebirgübildern— fremdländische Landschaften: Griechenland , den Orient, Italien , Portugal , Tunis . Daneben einige virtuose Porträts und zarte Handzeichnungen. Ein großer Könner, ein ernster Künstler und«in tiefer Mensch zeigt hier die klare und einfache Entwicklung seiner künstlerischen Persönlichkeit. Und diese Persönlichkeit ist wert, daß man sie kennt, selbst wenn sie dem Heut« nicht mehr ganz nahe steht. R. F.
Tode wurde Basler aber auSgeheilt und erschien heute vor den Geschworenen. Der Angeklagte wird von den Zeugen als exzentrischer Mensch»ad Sonderling geschildert und eS mag wohl viel Wahres an dieser Meinung sein. Basler hatte vorher mit einer gewissen Marie KrauS eine Ehe geschlossen,. die nach kaum zweijährigem Bestände ein überaus tragische» Ende fand. Am NeujahrStage 1926 ertränkt« fick seine Gattin samt ihrem kleinen Söhnchen in der Elbe bei Ncrato- witz, wo der Angeklagte, wohnte. Dtr Witwer machte später die Bekanntschaft der Eisenbabnerwitwe Karoline B a r ä k und lebte siebenJahre mit ihr in Lebensgemeinschaft. Von einer Eheschließung sah man deshalb ab, weil die Baräk nach ihrem verstorbenen Mann eine W i t« wen Pension von 700 Ui monatlich bezog, die sie nicht durch die neue Eheschließung verlieren wollte. Nach Aussagen der Zeugen hatte die LebenS - ' geführt!» BaslerS kein gutes Leben, da er infolge seiner jähzornigen Natur zu Gew alt« ' tätigkaiten neigte und sich auch regel» ' rechte Mißhandlungen seiner Leben«» - gefährtin zuschulden kommen ließ. ' Schließlich verließ sie ihn und ließ damit ' auch daS ihr gehörige Häuschen in TiSice bei Nera- tvwitz im Stich, das sie ihrem Lebensgefährten zur Hälfte überschrieben hatte. Basier soll sich über diese Flucht seiner Lebensgefährtin sehr gekränkt haben. Jedenfalls kaufte er einen Revolver mit zwanzig Patronen eine Tatsache, die als Indiz für den Mordvor-
S. I. l. Dienstag, 8 Uhr im Heim Närodni 4, Gedenkfeier für Karl Liebknecht und Rosa Luxem burg . Freie Brrrinlgmig so;. Akademiker. Donnerstag, den 8. Feber, beteiligt sich di« F. P. S. A. an dem Gnippenabend der 2. I. 8. Montag, den 12. Feber 6 Uhr Ausk-^ußlitzung. Donnerstag, den 18. Feber Mitgliederversammlung um halb 8 Uhr. Anschließend Leseabend.
Vcrelnsnadiriditen Deutsche Volksstnggemeinde Prag . Nächste Probe Dienstag, den 6. Feber. Mit Rücksicht auf die Programmvorbereitung ist es Pflicht aller ausübenden Mitglieder, pünktlich zu erscheinen.
s a tz schwer in die Waagschale füllt. Etwa vierzehn Tage nach ihrer Trennung von Basler kaui die Darät aus dem Nachbarort H a d i l o v i e e, wo sie eine Stelle als Haushälterin angenommen hatte, am 4. September v. I. nach T i ä i c e, um dort den Geldbriefträger zu erwarten, da ihre Witwcnpension noch an die alte Adresse angewiesen worden war. Sie hielt sich zunächst nur in der Wohnung der Mietspartei auf, welcher ein Teil des Häuschens vermietet war. Später ging sie in die anstoßenden Wohnräume DasierS, die zur Zeit leer standen, wo sie auf dem Tisch ihre Photographie stehen sah, auf die Basier die Worte geschrieben hatte:„Meine teuere K a r l al" Sie nahm die Photographie mit und zeigte sie der Mieterin, die ihr riet, diese Widmung abzuwaschen. Die Baräk folgte diesem Rat aber nicht und wollte die Photographie unheschädigt wieder an ihren Ort stellen. Inzwischen war aber Basier in die Wohnung gekommen. Die Zeugen hörten, wie gleich, nachdem le Baräk die Wohnung ihres ehemaligen Gefährten betreten hatte, von innen der Riegel vorgeschoben wurde. Sie hörten einen lauten Hilfe- nif. Dann krachte« schnell hintereinander mehrere Schüsse. AIS die Gendarmerie eindrang, fand man die Baräk mit vier tchwerenSchußwunden tot auf. Basler lag mit einem schweren Schläfenschuß bewußtlos auf der Erde. Er würde, wie erwähnt, nach schwerem Krankenlager wiederhergestellt. Bei der heutigen Verhandlung bekannte er sich im Tatsächlichenschuldig. Er ersiärte aber, im Verlaufe eines heftigen Streites und in hochgradiger Aufregung zur Wafte gegriffen zu haben und sich an keine Einzelheiten niehr zu erinnern. Durch die Indizien ist allerdings der Mordvorsatz sehr wahrscheinlich geworben. Die Geschworenen bejahten nach langstündiger Verhandlung die Schnldfrage aus gemeinen Mord mit allen zwölf Stim- m e n, worauf der SchwnrgerichtShof den Angeklagten zum
Sport»Spiel• Körperpflege Der Verband der tschechischen Arbritertonriften hielt am Sonntag, den-1 Feber, in G e r s d o r f bei Komata » feinofe Kongre ß, verbunden mit ski- sportlich el»W ettkämpfen ab. Die Ergebnisse der Tagung, sowie der Wettkämpfe— welche durch den gefrorenen Schnee etwas litten— sind als zufriedenstellend zu bezeichnen, lieber 200 Delegiert« und Wettkämpfer waren anwesend, unter ihnen ein« große. Anzahl von Vertreter» der Naturfreunde. und de- Atns. Die Ergebnisse der Skiwettkämpfe sind: 25 Kilometer(Männer-: 1. Prikryl(DTJ. TauS) 1:14:57(1); 2. Porcal (Arbeitertouristen Komotau) 1:18:26.— IS Kilonr e t e r(Männer): 1. Silhavy(Arbeitertouristen Prag ) 84:12; an 4. Stell« Keckstein(Natursremchei 57:45.— 6 Kilometer(Frauen): 1. Fran- kovä(Arbeitertouristen Komotau) 80:20; auf dem 5. Platz Drexler l Naturfreunde) 36:50.— 4 K i- lometerHindernislauf sirr Männer: Prikryl(DTJ. Taus) 23:35; 2. Stanek(Arbeitertouristen Prag ) 25:33; ferner 5. Rotte(Naturfreunde) 26:10, 8. Teißler(Naturfreunde) 27:27. Erwähnenswert bei diesem Lauf ist, daß auch ein 1 Sokolsportler(I) daran teilnahm.— Das 6-Ki- lometer-Laufen für Jugendliche gewmm Sada(Arbeitertouristen Komotau) in 25:80. An > 5. Stelle kam Keckstein(Atui) in 80:22; 6. wurde Görg(Naturfreunde) in 80:80 mid 10. Sacher (Naturfreunde) in 38:28.— Der erfolgreichste Sportler war Prikryl(Taus), der zwei Wett- läinpfe absolvierte und die ersten Plätze besetzte.
Tod durch den Strang verurteilte.
Frau Carpen tier als seine Liebespartnerin, vorzüglich in kleineren Aufgaben Fr. Bertram. Fr. Reiter und die Herren Reiter, Aida und Bauer. Als musikalischer Leiter des Abends zeichnete sich Paul K o m l o s durch Temperament und rhhthmische Straffheit aus. Das zahlreich erschienene Publikum unterhielt sich sehr gut. E. I. Wochenspielplan deS Renen Deutschen Theaters. Dienstag halb 8 Uhr: Tango um Mitternacht, A 1.— Mittwoch 7ist: Boris Go dunow , B 2.— Doimcrstag 7%: Zu ebener Erde und erster Stock, neuinszeniert, C 2.— Freitag 7j-i: Figaros Hochzeit , CykluS IV. DI.— Samstag 8: Wallensteins Tod, Schülervorstellung, 8: Zu ebener Erde und e r st e r Stock. A 2. Wochenspirlplan der Kleinen Bühne: Dienstag 8 Uhr:„W e i ß e r Fl i e d e r".— Mittwoch 8 Uhr:„Andere Seite".— Donnerstag halb 8 Uhr:„Katz im Sack".— Freitag 8 Uhr:„Andere Seite"(auch freier Verkauf), Kultrirverbandsfrennde.— SamStag 8 Uhr:„Katz im Sack".
Prag , 5. Feber. Heute wurde die erste Schwur- gerichtsperiode dieses JahreS, die über zlvei Wachen dauern wird, mit der Verhandlung einer Ansiage wegen Mordes an derLebenSgefähr- t i n eröffnet. Der Verhandlung präsidierte OGR. Kaut e, die Ansiage vertrat Staatsanwalt Dr. K ä b r l e. Angeklagt ist der 42jährige Eisenbahnangestellte
Ausstelluno Vros(?ranr Dktele Julius B a f l e r. der am 4. September v. I. P ro T- O*««»^qicie I fdn(. Lebensgefährtin Karoline Baräk erschos. Pros. Franz Thiele , der seit 1902 an der Pra- f e""nd sich selbst durch einen Schläfenschuß schwer ger Akademie als Lehrer tätig ist, stellt im Kunst- Verletzt hat. Nach wochenlangem Ringen mit dem verein für Böhmen , nachdem er lange Zeit hindurch'*“ pausierte, wieder aus. An Hand der ausgestellten Werke kann man fast die ganze künstlerische Ent wicklung des heute 66jährigen verfolgen. Da haben wir zunächst auf der frühesten Epoche des Künstlers Porträts. Landschaften und Zeich nungen. Der nächste SchaftenSahschnitt erfreut durch farblich schön« Jtalienbilder in Oel und Aquarell. Hier schon ist der Kampf des Nordländers, des küh len, verftandeSmaßig die Dinge betrachtenden Men schen gegen den phäütäsievouen Ueberschwang deS Südländers im Bild selbst enthalten. Ein Kampf, den der Kiinftler dauernd mst sich selbst auSfocht und der sich fast zu deutsch in vielen seiner Werke widerspiegelt. Endlich begrüßt man mit Freude die schöne„Dame im Grünen". auS der modernen Gale rie her wohlbekannt. Ein Werk aus dem Jahre 1898, eines seiner ersten Gemälde, in dem Prof. Thiele durch meisterhafte Technik und siare Farbengebung sich festlegte. p AuS der Wiener Zeit deS Künstlers stammt«ine Fülle von Landschaftsbildnissen, wie die„Kornernte" und die Landschaften aus Anticoli. Wunderbar und vielleicht der Höhepunkt seines Schaffens daS Bild der rothaarigen Helena. Mag sein, daß die seelische Wirkung dieses und der aus der nachfolgenden Zeit in gleichem Stil gemalten Bilder nur sehr an dec Oberfläche liegt; vielleicht ist die Wirkung auf den Beschauer fast nur durch einen Trick erkauft. Aber dieser Trick liegt in der Komposition der Farben, im krassen Gegensatz dessen, was man sich stark, kraft voll und bewegt denkt, zu dem fast krankhaft-bläßlich» tarblosen, baS man vorfindet. Eine meisterhafte Um kehrung der gefüblsgewohnten Werte. Und man
Dienstmädchens! So sehr jedem der zeitliche Abstand zwischen MoliärS Welt und dem Heute bewußt war, so willig ließ auch jeder d«S Dichters prachtvolle Menschen, seine herzerfreuende Satire auf sich wirken. ES gab viel Heiterkeit«nd viel Beifall und keinen unzufriedenen Besucher dieser Vorstellung. —fb— „Katz im Sack"(Kleine. Bühne). Die „Geschichte eines Winter-Weekends" nennt LadiS» jauS S z i l a g h i dieses Zwitterding von Operette und Posse, das„Katz ün Sack" heißt, well ein vermeintliches Provinzgänschen an einen Sportnarren ungeschaut, also als„Katz im Sack" verkuppelt werden soll. Daß sich das Provinzmädel dann als resches und fesches Sprühteufelcken entpuppt, das inkognito, also wieder als„Koch im Sack" den Sportnarren bekehrt und für ein richtiges happy end sorgt, ist der Kern de« zwar nicht neuen und originellen, aber immerhin unterhaltenden Lustspieles. Die Musik dazu hat Michael Eisemann geschrieben; Operettenmusik der Schablone und von bescheidener Ersin» düng, die in den künstlerischen Mitteln ebenso Primi» tiv wie gewöhnlich ist und nur selten die Gabe des Komponisten offenbart, witzig und satirisch zu sein. Gespielt wurde daS Werk dank der siotten Regieführung Walter T a u h S und im Rahmen einer von ihm bewirkten ebenso originellen wie geschmackvollen Inszenierung ganz ausgezeichnet. Blendend in der temperamentvollen Wiedergabe ihrer Verwand» lungSrolle als Provinzmädel und Sportgirl Edith d'A m a r a, voll erheiterndsten Humors und auch als Sänger überraschend gut Walter T a n b in der Rolle eines Pseudo-Fürsten, elegant PadlesakalS der rekordsüchtige Sportnarr, diskret humorvoll D ö r» n e r als zweiter Liebhaber,, charmant und schneidig Boris
Godunow Zar ErslaaliOhraml In Prager Deutschen Theater 1885 wurde ModestPetrowitfchMuf- sorgöky im russischen Karew geboren, wurde Ossizier, widmete sich dann der Musik, kehrte, weil er aus materieller Not seine Studien nicht voll» enden konnte, zum Militär zurück, komponierte tvei» ter/ erlebte 1876 die Uraufführung seiner größten Oper„Boris Godunotv" am Petersburger Kaiserlichen Theater, ohne daß ihm dmiernder Erfolg ge» gönnt tvar, und starb 1881 in grenzenlosem Elei>d. Nicht eimal das aber erfährt man aus ge» wissen Handlexika der Musik, die für Mussorgfkh genau fünf Zeilen übrig haben. Aber trotz der erbarmungswürdigen Zünsler, die sich zu„Führern" durch die Musilwclt machen, Iveiß man heute allenthalben, daß Mussorgfly der wahrscheinlich genialste unter allen russischen, vielleicht unter allen siawi- schen Musiken:, daß er Bahnbrecher der„Neuen Musik" überhaupt war, ja daß er als revolutionärer Gestalter seines.Musikalischen VollSdramaS"„Boris" vor mehr als einem halben Jahrhundert eiy Kunstwerk schuf, das vielleicht mehr als irgendein anderes dieser Art einer sozialistischen Auffassung vom Schicksal, von der Bewegung und Sendung der Masse nahekam. Dem neuen„Boris Godunow" hatte in Rnß» land alles zngejubelt, was dort freiheitlich, tvas dort revolutionär gesinnt war. Vergessen warS, als Mufforgsty starb. Fünfzehn Jahre später brachte Rimsky- Korssakow das Werk zu neuem Leben und für Westeuropa überhaupt erst zum Leben, durch eine Bearbeitung und Instrumentierung, die dank ihrer fachlichen Qualifikation und ihrer Glätte den: Werk allmählich die Bühnen auch
außerhalb Rußlands öffnete. Dmnit hat sich Rimsky- Korssakow ein großes Verdienst erworben— man spielt auch heute noch den„Boris" nur in dieser Fassung; vor ein paar Jahren hat die deutsche Funkstunde unter Malko den„Boris" in der Urfassung herausgebracht— man hat aber sonst nirgends Lust, auf das Original zurückzugreifen, weil, nun weil die gelernten Musiker meinen, daß dem Kompo- sisionS»„Analphabeten" Mussorgfly nur durch Korssakow geholfen werden könnte. Mer was groß und genial an diesem Werk ist, was es als einzig in seiner Art erscheinen läßt, das ist die Handschrift deS in der tiefsten Erniedrigung verkommenen Schöpfers, des Mannes, der mit Herz und Hirn der nanienlosen Masse, dern Riarthrium des russischen Volkes angehörte und der, um Neues zu gestalten, natürlich die alten Mittel verschmähte, bewußt verschmähte. Die großartige Primitivität seiner„Boris"-Musik entspricht der Sicherheit und Glut seiner Empfindung vom Wollen und Leiden der Entrechteten, ber Mißbrauchten, der Erbitterten; der Kindlichkeit des russischen Wesens, das es so schwer Hatte, Mann, zu werden, es nun aber herrlicher geworden ist, als Mussorgfly es zu träumen vermochte. Mufforgsky schöpft aus der Bosisweise, aus der Kirchenmusik, auS allen tänzerischen, wehmütigen, grotesken um» rührenden Begabung des Volks; aus Lyrik und Symphonik, aus den» geschlossenen Musikstück und der Findung eines musikdramatischen Stils, aus hundert Farben, ungewöhnlichen Rhythmen, aus der Feierlichkeit der byzaniinischen Kirche, den Elftladungen eines empörten Volks, der musikalischen Vermenschlichung des-arischen Einzelschicksals, unter dem Millionen stöhnen, Ivird ein eigener nationaler Stil, wird die nationale musikalische Tragödie des russischen Volks und müßte ein Standardwerk der Weltopernbühne werden. Wieder Ton malt das unendliche Rußlmid und seine jahrhundertelange Unterdrückung; man kann keine Vorstellung von der
Wirkung de» Werke« geben, indem man Einzelnes hervorhebt: die grandiose Zareuhymne(die„Sonnenhymne" der Arbeitersänger), das Ammenlied, das Klatschhändchenduett, di« Mönchsballade, Mazurka und Polonaise und— gewaltigster Höhepunkt— den Revolutionsakt, der nicht seinesgleichen hat in der ganzen Opernliteratur. Kraft und Schönheit, Größe und Erschütterung geht von dem ganzen Werk auS— wie von dem wunderbaren Porträt, das Repin von Mussorgfly gemalt hat. Die Aufführung am Prager deutschen Theater ist ein großer Wurf; ist die überzeugendste kollektive Leistung in.dieser Spielzeit. Man müßte jeden Chorsänger, jeden Musiker,.jeden Arbeiter nennen, um sie voll zu würdigen. Bor allem hat hier Opernchef S z c 11, wie immer prachtvoll. unterstützt vom Chordirektor Schmidt, hervorragende Arbeit geleistet, am.Pult hingcgebener Diener am Werk. RenatoMordo stellte neuerdings vollgülttg unter Beweis, daß wir eine« Gastregisseurs im keinem Falle bedürfen: insbesondere bie Massenszenen Ivaren unübertrefflich gestaltet. Professor P i r ch a n half mit durchwegs interessanten, originellen Bühnenbildern, von denen das des Kreml und der Volkserhebung stäicksten Eindruck auslösten; eine Mariniertheit an anderen Stellen soll nur vermerkt, nicht getadelt werden.. Richtig entstand, durch die Zusammenwirkung aller der Geist des Mussorgskyschen Werkes(mif dem Urgrund des P u s ch k i n's chen Dramas): Massen« Tragödie, Schicksal eines ganze»» Volles. Daß die Hanblung um 1600 spielt, daß der Ursupator Boris Godunow unb seine Schuld als Kindesmörder Kri- stallisationSpunkt ber Handlung ist, der Aufstieg des falschen Dimitrij, die intrigante Liebeshandlung, der Machtwille der katholischen Kirche— das alles wurde richtig zur Illustration des größeren, tieferen Geschehens um das Leiden des russischen Volkes; am einprägsamsten vielleicht der Epilog zur Revo-
lutton mit nachfolgender Huldigung für den neuen Zarewitsch : der Dlödsinnige. der auf leerer Szene erkennt, daß daS Leiben kein Ende bat.... Ans diesem Hiniergrnnde erwuchs riesenhaft an Gestalt unb Gestaltung der Boris des Herrn Kammersängers Theodor Scheid!; musikalisch fein abgewogen, erschütternd als Vater, grauenerlveckend als Despot, packend als reuiger Sünder, grandios im Sterben— eine Gipfelleistung, die um fo bedeutender erscheint, als sie sich so hoch noch über ein allgemein bedeutendes Niveau erhob. Den Dimitrij sang und spielte Herr Adolf Fischer sicher und nattirlich, die Marina dec Fran Rose Pauly wirkte durch schauspielerische Stärke; besonders wirkungsvoll aber der Jesuit Herrn Han« HotterS durch eindringliche Darstellung und phänomenale Tongebung, die einen ganzen Massenchor überragt. Prächtige Figuren die Bettelmönche der Herren Hey und Hotter; durch schönen, lveichen Gesang und durch den Grad technischer Beherrschung machte Herr Bender als Chronist aus sich ausmerksmn, obivohl er die Partie erst in letzter Stunde übernommen batte, llngemein sympathisch die Amme der Frau K i n d e r m a n n, durch Gegensätzlichkeit von starkem Reiz der Feodor Frau Eisinger»— ein rührend-zerbrechlich-unschul- digeö Kindlein neben dein riesenhaften Vater Zar Scheid!«. Bon den vielen anderen seien noch vermerkt: Adolf Fuchs sicher und erfreulich in drei kleinen Partten, Herr Masäk erst noch in Konturen, gesanglich wie darstellerisch, der Intrigant Schulski, dann noch H a t t e m e r , Hagen, Fräulein R o b n e, Fran S ch i l'. Der Erfolg war nngelvöhnlich groß; es herrschte ehrliche Begeisterung im Haus— es wäre aus« innigste zu wünsche», daß sie sich noch recht oft wiederhole und daß der„Boris Godunow" nicht mehr aus dem Spielplan verschivinde. L G.
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