Sosialdemokrat

ZENTRALORGAN

DER DEUTSCHEN SOZIALDEMOKRATISCHEN ARBEITERPARTEI

IN DER TSCHECHOSLOWAKISCHEN REPUBLIK

ERSCHEIN MIT AUSNAHME DES MONTAG TAGLICH FRUH. REDAKTION   UND VERWALTUNG PRAG   XII., FOCHOVA 62. TELEFON 53077. ADMINISTRATION TELEFON 53076.

14. Jahrgang

HERAUSGEBER: SIEGFRIED TAUB. CHEFREDAKTEUR  : WILHELM NIESSNER. VERANTWORTLICHER REDAKTEUR: DR. EMIL STRAUSS, PRAG  .

Samstag, 10. Feber 1934

Fey treibt zum Bürgerkrieg

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Einzelpreis 70 Heller

( einschließlich 5 Heller Porto)

Nr. 34

Kanzlers Dr. Feh über die Ereignisse in den Ichten Tagen teilzunehmen.

Man kann diese Einladung nicht anders auslegen, als daß Maßnahmen beschlossen wer­ben sollen, die entweder eine Auflösung der gierungskommissärs für Wien   be

Dollfuẞ stimmt allem zu Ministerrat tagt Putsch zum Wochenende? Bartei ober die Einſchung eines Re­Waffensuche auch heute ergebnislos

Wien  , 9. Feber.( Eigenbericht.) Anch nach der Rückkehr des Bundeskanzler Dollfu ans Budapest   ist die Situation genau so verworren wie früher. Wie wir ans verläßlicher Quelle erfahren, hat es in einer Aussprache zwischen Dollfuß   und Fey zwar zunächst einen großen Krach gegeben, aber schließlich soll die Auseinandersehung doch damit geendet haben, daFey wie immerjeinen Standpunkt durchsetzte und Dollfus erklärte, alles Geschehene zu decken.

Der heutige Ministerrat, der um Mitternacht noch tagt, kann möglicherweise schon die Beschlüsse bringen, die für die Sozialdemokraten den Kriegsfall bedeuten. Mit der Bekannt­gabe irgendwelcher weiterer Maßnahmen gegen die Partei rechnet man allerdings nicht vor Samstag nachts.

Für die nächsten Stunden sind weitere Besprechungen Dollfuß   mit Starhemberg  , Steidle und Tiroler Heimwehrvertretern vorgesehen, in denen Dollfus wohl vollkommen für den Heimwehrputsch gewonnen werden wird.

Als eine der nächsten Maßnahmen der Regierung wird die Anflösung des Na­tionalrates und aller Landesparlamente erwartet, damit deren Mitglieder der Immu nität verlustig gehen und man gegen sie leichter vorgehen kann. Das richtet sich natürlich ans­schließlich gegen die sozialdemokratischen Mandatare.

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Nicht zu übersehen ist, daß sich heute zwei hohe Funktionäre der christlichsozialen Partei, der niederösterreichische Landeshauptmann Dr. Reiter und der Vorsitzende der Wiener Christlichsozialen Knnichak ganz unerwartet offen und mutig zur Demokratic be fannt und sich gegen jeden Verfassungsbruch ausgesprochen haben. Besonders die Rede Kunschaks im Wiener   Gemeinderat riese geradezu Sensation hervor. Es wäre aber verfehlt, daranshin große Hoffnungen zu hegen, daß der vernünftigere Flügel der Christ lichjozialen vielleicht doch noch in lester Minnte sich durchsetzen könnte.

Vizekanzler Fey tut sein Acußerstes, um die Dinge rücksichtslos anf die Spitze zu trei ben, und ihm dürfte der schwache Kanzler wohl vollends hörig werden!

Schon die nächsten Stunden können also den Ansbruch des offenen Bürgerkrieges in Desterreich mit allen seinen unabschbaren Folgen für die ganze europäische   Politik bringen.

werde; seines Wissens sei sie bereits längst ergebnislos abgeschlossen.

zwecken.

Allerdings glaubt man, daß diese Maßnah men zwar hente beschlossen, aber nicht vor Das politische Interesse konzentriert sich in dem morgigen Abend veröffent­den Abendstunden auf den Ministerrat, der licht werden, da es in den letzten Monaten bei eben zusammengetreten ist, und der, wie man der österreichischen   Regierung üblich wurde, ein­hört, entscheidende Beschlüsse fassen schneidende Maßnahmen gegen die Arbeiterschaft wird. In den Ministerrat ist auch der Sicher- am Samstag zu verkünden, da man glaubt, da heitsdirektor für Wien   Karwinski einge mit die Gefahr eines Generalstreiks wenigstens laden worden, nm an einem Referat des Vize- für die nächsten Stunden abzuschwächen.

Landeshauptmann Reither

weist Heimwehrdeputation ab

Wie groß aber die Gegensätze innerhalb der Regierung selbst sind, haben bezeichnende poli­tische Ereignisse des heutigen Tages bewiesen.

Die Heimwehr sandte gemeinsam mit der vaterländischen Front heute eine Deputation zu dem niederösterreichischen Landeshauptmann Dr. Reither, um ihm ähnlich wie in den anderen Bundesländern die fascistischen Gleichschaltungs­forderungen zu überreichen.

der Deputation der Heimwehr und der vaterlän­dischen Front durch einen Amtsdiener mittei len, das er nicht die Absicht habe, sie zu empfan­gen, weil sie Forderungen stellten, die mit der Verfassung im Widerspruch stünden und er nicht die Absicht habe, darüber auch nur zu verhandeln!

Diese Antwort des niederösterreichischen Lan­deshauptmanns wurde auch durch die nieder­österreichische Landeskorrespondenz verbreitet. In den Abendstunden wurden aber die Zeitungen angerufen, daß es ver Der Landeshauptmann, der erst vor wenigen boten fei, diese amtliche Korrespondenz zu pu­Tagen den Bauernaufmarsch nach Wien   einbern- blizieren; man fönne allerdings die Korrespon­fen hat und dort als besonderer Vertrauensmann denz selbst nicht konfiszieren, wohl aber die Zei des Bundeskanzler Dollfuß   gefeiert wurde, lietungen, die sie veröffentlichen.

Kunschak für Legalität

Einheitsfront mit den Sozialdemokraten im Wiener   Gemeinderat

Ein ähnlicher Vorfall, der für die voll­kommene Zerfahrenheit im Regierungslager bezeichnend ist, spielte sich heute im Wiener Rathaus   ab, wo in der Gemeinderats= fizzung der Führer der Wiener   christlichsozialen Bartei, Gemeinderat& nnschat, eine große politische Rede hielt, in der er erklärte, es sei Wahnsinn, was jetzt in Oesterreich   im Gleichschaltungswahn getrieben werde. So­lange es Weltanschauungen gebe, müßten auch Parteien bestehen, und man möchte endlich ein­

schen, daß es Zeit sei, sich noch in rieser Stunde zu einigen, denn sonst werde man sich an den Gräbern einigen misscnt.

Um diesen seinen Appell zu bekräftigen, stimmte& uns chat das erstemal seit vielen Jahren gemeinsam mit der sozialdemokratischen Mehrheit für das Finanzgefets der Gemeinde Wien  , und mit ihm auch die gesamte christlich­soziale Opposition!

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Die Unruhe in den Wiener   großen Betrieben hielt auch heute den ganzen Tag an und sand in mehreren spontanen Betriebsnieder legungen ihren Ausdrud.

die Nachrichten der Wiener   Regierung daraui schließen ließen. daß man während der Nacht mit dem Ausbruch des Generalstreits rechnen müsse.

Immer deutlicher zeigt sich, daß die provo-| lative Besetzung des Wiene: Varteihauses und die Schwechater Waffensuche den Zweck haben Es stellte sich heraus, daß Herr Fey die sollten, in Oesterreich   eine Reichstage= Polizei im Partciheim noch stundenlang be­brandstimmung zu erzeugen. Das geht lassen hatte, obwohl die amtliche Leitung des aus der Durchsuchung des Parteihauses und aus Sicherheitswesens längst davon verständigt der darüber ausgegebenen amtnlichen Nachricht war, daß von einer Aftion keine Rede mehr sei. eindeutig hervor. In tendenziöser Weise wurden Tatsächlich wurde erst in den sväten darin unwahre Behauptungen aufgestellt und mit Nachmittagsstunden das Parteihaus Vorfällen, die sich vor einigen Tagen abgespielt geräumt hatten, vermengt, um auf diese Weise eine Pa= Auch in den Arbeiterheimen in Meidling  nik in der Bevölkerung zu erzeugen. und Alsergrund wurde nach Waffen ge Hier hat aber Herr Vizekanzler Fey, dessen sucht. In Alsergrund   fand man beim Hauswart Regic an sein reichsdeutsches Vorbild nicht heran- einen Gummifnüppel! Die Waffen- Wie aufgeregt man nicht nur in der Bevöl- Die Lage ist demnach gegenwärtig noch voll­reicht, vo II fom men daneben gegrif-suche bei der Konsum- Genossenschaft Wien   brachte terung, ſondern auch in den höchsten Regierungs- kommen verworren. Es wird jetzt vor allem da Freisen   die Lage beurteilt, zeigt die Tatsache, daß von abhängen, welche Beschlüsse der heutige Mi­fen. Die Wiener   Presse bringt die amtliche zwei Stahlruten als Ausbeute. Meldung fo aus... mslos ohne kommen= Im übrigen ist es kein Geheimnis, daß Bundeskanzler Doll fn, der gestern abends be- nisterrat faßt und was über diese Beschlüsse be tar in bescheidener Aufmachung. unsere österreichischen Genossen Waffen bereits zur Abreise von Budapest   nach Wien   bereit kannt wird. Welche Folgen die Einschung eines Inwieweit hier ein höherer Auftrag mitgespielt sien. Das wurde in Parlamenissizungen war, wenige Minuten vor Abgang des Zuges durch Regierungskommiffärs oder die Auflösung der hat, ist noch nicht ganz geklärt. Auch die Rolle offen zugegeben. Aber es ist überaus naiv, zu einen Eilboten der Gesandtschaft dazu veranlaßt Partei hätte, ist aus zahlreichen Erklärungen der des Doll'us in dieser Frage bedarf noch der glauben, daß man diese Waffe nin Räumen, die wurde, seine Reise aufzuschieben, da sozialdemokratischen Partei eindeutig flar. Durchleuchtung. schon wiederholt nach Waffen durchsucht wurden, aufbewahrt werde!

Inzwischen wurde fleißig weiter nach Waj­fen gesucht. Das Gebäude der Arbeiter- Die vom Minister Fen befohlenen Waffen­3eitung" war die ganze Nacht hindurch und Forschungen sollen nur provozierend und aug während des heutigen Tages von einem star- beunruhigend wirken, damit die Heim­ten Polizei- Deta rent beseßt, das den ganzen wehren ihre dunklen Pläne weiter verfolgen Steller durchgraben ließ, natürlich ohne den können.

geringsten Erfolg zu haben. Es wurden Diesen Zweden sollen weitere Waf= alle Steller aufgegraben, selbst die betonierten fenfuchen dienen, die im Kreditinstitut der Böden wurden aufgestemmt. Zentralsparkasse der Stadt Wien  , im Kredit­Institut der Arbeiterbant, in der Arbeiter- Kran­fenkaffe und anderen Instituten vorgenommen werden sollen.

Altersrenten in USA  ?

Innenminister kündigt neue sozialpolitische Aera an

Washington  , 9. Feber( Reuter). Der Mi- Alterspension jenen Personen, welche niſter des Innern des crtlärte in einer poli- um die Arbeit gekommen sind, sowie gealterten tischen Rede, daß durch den Antritt des Präsi- Personen, das Gefühl der Sicherheit dentenpostens seitens Roosevelts in den Ver- gegeben werden. einigten Staaten cine Revolution ohne Blutvergießen" erfolgt ist. Die Vertre ter des Reichtums und der privilegierten Klassen seien vom Ruder beseitigt worden. Jdes richtete denten Hoover, welchen er als Champion des hierauf Angriffe gegen den ehemaligen Präsi­Individualismus und als unbarmherzigen Aus­beuter bezeichnete.

Diese Maulwur: sarbeit wurde, obwohl sie vollkommen ohne Ergebnis blieb, unermüdlich bis in die späten Abendstunden fortgeseßt. Da die Verwaltung des Parteibauses schließlich den deut Alle diese Waffenfuchen sollen den Vor­lichen Eindruck gewann, daß diese ganze Aktion wand für weitere Berhaftungen führender Bar­nur ein Vorwand ist, um in das Partei- teigenoffen bieten. Wie wir aus zuverlässiger haus eine ständige Polizeikontrolle einzuschmug- Quelle erfahren, liegen auf dem Tische des Mi­geln, wurde beim Polizeipräsidium und beim nisters Fey Saftbefehle gegen den ehemaligen Chef des Sicherheitswesens Beschwerde er- Borsitzenden des aufgelös en Schutzbundes, den Nationalrat Dr. Julius Deutsch, und feinen Der Minister erklärte weiters, daß binnen Darauf erhielt man die Antwort, der Stellvertreter, den Genojien Karl Heinz. Bei- furzem alle(?) sozialen Ungerechtigkeiten be­Chef des Sicherheitsdienstes sei sehr er den sollen Hochverratsverfahren an- feitigt und die Versicherung für den staunt, daß die Polizeiaktion noch fortgesetzt gehängt werden. Fall der Arbeitslosigkeit und die

hoben.

950 Millionen Dollar zur Bekämpfung der Arbeits­losigkeit

Washington  , 9. Jeber. Der Senat haf die Gesetzesvorlage über die Aufwendung von 950 Millionen Dollar zur Erleichterung der Arbeits losigkeit angenommen. Die Vorlage war bereits am Montag vom Repräsentantenhaus erledigt worden. Das Gesch wird n. a. Vorsorge für die Fortführung öffentlicher Arbeiten treffen.