Sosialdemokrat

ZENTRALORGAN

DER DEUTSCHEN SOZIALDEMOKRATISCHEN ARBEITERPARTEI

IN DER TSCHECHOSLOWAKISCHEN REPUBLIK

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HERAUSGEBER: SIEGFRIED TAUB. CHEFREDAKTEUR : WILHELM NIESSNER. VERANTWORTLICHER REDAKTEUR: DR. EMIL STRAUSS, PRAG .

14. Jahrgang

Dienstag, 13. Feber 1934

Einzelpreis 70 Wolfer

( einschließlich 5 Heller Porto)

Nr. 36

Bürgerkrieg in Oesterreich

Bewaffnete Erhebung des Proletariats

Polizeiangriff gegen Linzer Parteihaus löst blutigen Widerstand aus

Ausbreitung der Kämpfe auf Wien und die Provinz

Strassenkämpfe

Artillerie den Bahnhof erobern konnten. im nächtlichen Wien

In Desterreich ist der Bürgerkrieg ansge- einzelte Zusammenstöße zu verzeichnen waren, brochen. Die Arbeiterschaft organisierte den bekam es in den Nachtstunden zu schweren waffneten Widerstand, als Vertreter der Regie- Stämpfen um den strategisch wichtigen Ostbahn­rung am vergangenen Sonntag vekündet hatten, hof. Kurz vor Blattschluß wird gemeldet, daß daß am Montag die Arbeit der Heimwehr zum die Regierungstruppen erst nach Einsatz von ,, Umbau des Staates" beginnen, das heißt, der Staatsstreich durchgeführt und die sozial- An mehr als einem Duvend Stellen wird. demokratische Arbeiterschaft niedergeworfen um Mitternacht in Wien erbittert gekämpft. werde. Diese Aktion sollte durch die Verhaftung sämtlicher sozialdemokratischer Führer nnd die Besetzung der Parteihäuser unserer österreichi­schen Genossen eingeleitet werden.

In Linz setzte sich die Arbeiterschaft zuerst gegen die Polizei zur Wehr.

Als die Linzer Vorfälle in Wien bekannt geworden waren, riefen auch hier Gewerkschaf ten nnd Partei in den Mittagsstunden zum Generalstreik anf, der lückenlos durchge­führt wird.

Während am Nachmittag in Wien nnr ver

Auch in der Provinz sind heftige Kämpfe im Gange, so in Steyr , in Bruck an der Mur und in einer Grazer Vorstadt.

geschüßt.

In den Abendstunden hat sich Wien in ein bewaffnetes Heerlager berivandelt. Alle öffent lichen Gebäude, Streuzungen und die gesamte Ringstraße wurden von Polizei und Militär be­ Die Regierung hat die sozialdemokratische jest. Zahlreiche Plätze sind mit Drahthin Partei aufgelöst und eine Reihe führender Sodernisen abgesperrt und wieder andere mit sialdemokraten verhaftet. Die Rundfunkmeldun- Maschinengewehren in den Gas- und Glet­gen, wonach die Regierung überall Herrin der Lage sei, entsprechen keinesfalls der Wahrheit. Erst die nächsten Stunden werden die Einschei dung bringen. Es ist kein Zweifel, daß die hen­tige Nacht im Bürgerkrieg auf beiden Seiten noch schwere Blutopfer fordern wird.

Seit Montag mittag Generalstreik

Montag vormittags haben die sozialdemo- und Postenketten gegen die Bezirke abgesperrt fratische Partei und die Freien Gewerkschaften ist. Auch die Kasernen sind durch spanische Rei­den Generalstreif proklamiert. Im 11.45 ter in befestigte Stellungen verwandelt worden. Uhr blieben in Wien die Stadtbahn und dic In den Bezirken selbst sah man ebenfalls Straßenbahn stehen, die Lichter verlöschten und Polizei, teilweise auch Militär und bewaffnete die Zeiger der elektrischen Uhren zeigen fest- Zivilisten von dem vaterländischen Schuhkorps, gebannt auf die Minute den geschichtlichen aber in geringerer Zahl als im Stadtzentrum. Augenblick an.

Den unmittelbaren Anlaß zur Ausgabe der Generalstreikparole bildeten die Zusammenstöße, 3n denen es im Laufe der Nacht und des Vor­mittags in Linz gekommen war.

Das Rathans ist im Laufe des Nachmit tags von Polizei nnd Heimwehr besest worden.

Das Kommuniquer der Regierung bezeich­net die Aktion als bolschewistischen Aufstand". Es scheint, daß die Regierung durch die Aktion In Wien herrschte, von einzelnen Zusam- überrascht wurde und zunächst unschlüssig menstößen abgesehen, bis in die späten Nach- war, was zu tun sei. Nunmehr scheint die Ab­mittagsstunden noch Ruhe. Die Regierung fon- ficht vorzuherrschen, durch ein möglichst großes zentriert Truppen und Polizei und Formatio- Anfgebot von staatlichen Machtmitteln einen nen der Wehrverbände in der Inneren Stadt, moralischen Druck auf die Bevölkerung aus­die durch spanische Neiter, Maschinengewehre zuüben.

Standrecht verhängt

Infolge des

airke ohne Beleuchtung. In zahlreichen affeehäusern, Restaurationen und Kanzleien wird mit Kerzen geleuchtet.

irisitätswerten ist ein großer Teil der Wiener Be­

Um 20 Uhr war die von Polizei und Militär zernierte Innere Stadt wie ausgestorben. Alle Kaffeehäuser, Gasthäuser und sonstigen Geschäfts= lokale waren gesperrt. Es waren nur Sicher­heitsorgane auf den Straßen zu sehen.

In den äußeren Bezirken haben die Arbeiter sich in den Heimen verbarikadiert. Gegen 9 Uhr abends entwickelten sich an mehreren Stellen schwerste Kämpfe.

Zum Entsas einer von Sozialdemokraten Sesetzten Polizeiwachtstube im 19. Bezirk ist ein Panzerwagen der Polizei herbeigeholt worden. Im 2. Bezirk sollen Waffen an die Arbeiter ausgegeben werden.

Ans anderen Bezirken wird wieder gemel­det, daß Lastkraftwagen mit Waffen nnbekannter Herkunft die Absperrungen durch brochen haben. Im Arbeiterbezirk Simmering fchäßt man die dort zusammengezogenen Schutz bündler auf 3 bis 4000.

Nach anderen Gerüchten haben Straßen­

Die schwersten Kämpfe spielen sich vor allem in den Arbeiterbezirken Ottakring und Favoriten ab. Die Arbeiterschaft fonzentriert ihren Wider stand vor allem auf die Wohnhaus­anlagen, die von den Truppen angegriffen werden. Vor dem Reumannhof und den anderen Maschinengewehre des Schnkbundes aufgefahren. großen Bauten auf dem Margarethengürtel find

Ruhe. Gegen 12 Uhr flammten die Kämpfe wie der auf, die zur Stunde nm 1 Uhr nachte

Nach 10 Uhr abends herrschte längere Zeit

- große Heftigkeit annehmen. Es ist Gewehr und Maschinengewehrfeuer zu vernehmen, in das sich auch Kanonenschüsse mengen.

Der morgige Tag dürfte außerordentlich fritisch werden.

Der Ostbahnhof an der Grenze des X. Be zirfes wurde in den Abendstunden von sozial demokratischen Arbeitern besetzt. Um den Bahm hof spielten sich heftige Rämpfe ab. Erſt in später Nachtstunde wurde der Bahnhof von starken Militärabteilungen eingenommen, nachdem Artillerie eingesetzt worden war.

Ebenso konnte die Polizei mit Tants Barri faden im XVI. Bezirk niederreißen.

Der Kampf in den meisten Wiener Voror­ten, besonders in 10., 11., 16. und 19. Bezirf, ift um 23 Uhr noch voll im Gange. Ununterbrochenes heftiges Maschinengewehrfeuer ist jetzt überall in der Stadt hörbar. Im 16. Bezirk geht der Stampf

um ein Arbeiterheim, das von den Sozialdemokra ten zähe verteidigt wird.

Der republikanische Schutzbund soft sich jetzt

bahner mit Straftomnibuſſen gegen 19 1hr ver- auf den oberhalb von Wien gelegenen& a a cr sucht, mit Gewalt nach der Stadt durchzubrechen.berg zusammenziehen. Weitere Truppenverstär­In der größten Brotfabrik Wiens , der tungen sind in die Gefechtszone der Vorortzone Ankerbrotfabrik, haben die Arbeiter Maschi entfandt worden. Heber die Berlufte auf beiden Seiten sind verschiedene Gerüchte im Umlauf. nengewehre in Stellung gebracht.

Die Kämpfe in Linz

"

sozialdemokratische Parteihaus, das Hotel Schiff" im Sturme genommen.

Die Polizei wollte Montag vormittags im Die Regierung ging zunächst in 2 in 3,1 beim geringsten Widerstand von der Waffe Ge- sozialdemokratischen Parteisekretariat in Linz fo­wie in der Redaktion und in der Druckerei des Der amtliche Bericht meldet, daß dabei ein wo schon am Vormittag blutige Kämpfe um das brauch zu machen. Parteihaus im Gange waren, mit der Verhän­Nach weiteren Meldungen wurde das Stand- sozialdemokratischen Blattes, die sämtlich im Ho- Polizist getötet und mehrere Polizisten und gung des Standrechtes vor. recht auch auf ganz Ober- und Nieder- tel Schiff" untergebracht sind, sowie in anderen Wehrmänner verlegt wurden. Die Besabung des sozialdemokratischen Lokalen aus fuchun- Gebäudes wurde dem Gericht eingeliefert. Um 16 Uhr wurde das Stanbrecht auf österreich , Steiermark und Kärnten gennach Waffen" vornehmen. Nach späteren Meldungen, haben sich nicht Wien ausgedehnt; die Polizei erhielt das Recht, ausgedehnt. Angeblich hätte die Polizei erfahren, daß im nur im Zentrum der Stadt, sondern auch an der Fey, der die Arbeiterschaft bis aufs sozialdemokratischen Sekretariat geheime Sihun- Peripheric von Linz an mehreren Stellen Anschlag bolschewistisch- marxistischer Elemente die Polizei in das Haus eindrang, stieß sie dabei der bewaffneten Arbeiter auf 4000 Mann, die der Die sozialdemokratische Partei hat in der gegen die Bevölkerung zu reden. Die Wahrheit auf Widerstand zahlreicher Schutzbündler, die sich staatlichen Exekutive auf 6000 Mann. Nacht zum Montag einen Aufruf an das fei, daß die Sozialdemokratie niemanden, im Parteihaus verbarrikadiert hatten und die Po­Auf dem Pastalozzi- Blak tam es zwischen österreichische Volk erlassen, der durch weder Bürger noch Bauer angreife. Sie halte fich lizei mit Schüssen und Handgranaten empfingen. Schutzbündlern und Polizei zu einem heftigeu Flugzettel in ganz Desterreich verbreitet worden aber zum Kampfe mit der Waffe für Daraufhin zog sich die Polizei zurück und Zusammenstoß. Die Sozialdemokraten unter­ift: den Fall bereit, falls Fafciften es wagen berief Militärassistenz, die in weitem Umkreis nahmen sodann einen Sturm auf die Polizei­Bizekanzler Fey redet von einer Verschwö- wollten, die beschworene Verfassung der Republik das gesamte Stadtviertel absperrte. Es wurden wachstube auf dem Pestalozzi- Platz und ver­rung des republikanischen Schutzbundes gegen die vernichten zu wollen. zwei Alpenjägerfompagnien mit Maschinenge- trieben die Polizei. Sicherheit des Staates, um sich damit den Vor­Wenn der Eid und die Verfassung gebrochen wehren eingesetzt, die von Dachböden und aus and für einen entscheidenden Schlag gegen das würden und die Freiheit in Gefahr gericte, dann Lucken heraus das Haus beschossen. Biener Rathaus und gegen die sozialdemokratische werde die Arbeiterschaft zu deu Waffen Nach einer Meldung hat das Militär kurz Vertei zu schaffen.

Kampfaufruf der Partei, e es, von einemt verbrecherifchen sen stattfinden und Waffen verteilt werden. Mis erbitterte Kämpfe entwickelt. Man ſchätte die Zahl

greifen.

vor 12 Uhr mittags nach heftigem Kampf das

der Freiberg befand sich zu Mittag noch in der Gewalt des Republikanischen Schuhbundes. Militär und Polizei drängten den Schutzbund zu­rück, der sich bei zwei Gasthöfen verschanzte. Es