Sosialdemokrat

ZENTRALORGAN

DER DEUTSCHEN SOZIALDEMOKRATISCHEN ARBEITERPARTEI

IN DER TSCHECHOSLOWAKISCHEN REPUBLIK

ERSCHEINT MIT AUSNAHME DES MONTAG TAGLICH FRUH. REDAKTION   UND VERWALTUNG PRAG   XII., FOCHOVA 62. TELEFON 59077. ADMINISTRATION TELEFON 53076. HERAUSGEBER: SIEGFRIED TAUB. CHEFREDAKTEUR  : WILHELM NIESSNER. VERANTWORTLICHER REDAKTEUR: DR. EMIL

14. Jahrgang

Freitag, 23. Feber 1934

AUSS  , PRAG  .

Einzelpreis 70 Her

( einschließlich 5 Heller Farte)

Nr. 45

Gegen Hitler für

Seitz ins Konzentrationslager! Fr Dollfuß?

Die Gefangenen in höchster Gefahr Mißhandlungen, Erschießungen

/

Wien  , 22. Feber. Hente oder morgen wird die Entscheidung darüber fallen, wohin der gewesene Bürgermeister Seis   und die anderen sozialdemokratischen Mandatare wer den gebracht werden, die sich gegenwärtig no d) im Polizeigefangenenhause auf der Nos­jauerlände befinden. Es ist geplant, cin nenes Anhalte lager für sie einzurichten. Sämtliche früheren sozialdemokratischen Führer wurden bereits einvernommen.

Wir erfahren von unseren Wiener  Genossen:

Die Hinrichtungen sind vorläufig eingestellt, aber die stille Nache an den gefangenen Schutz­bündlern und Sozialdemokraten ist in vollem

Gange. Was man von den Gefangegen von ver­schiedensten Seiten hört, gibt zu den schlimmsten Befürchtungen Anlaß.

In der Polizeifaserne der Marokkaner­

Die österreichische Lage stellt Europa   vor ein Problem von äußerstem Ernst; wir befinden uns er nent auf einem Vulkan wie im August 1914... Der österreichische Bundeskanzler besint in feinem Land weder Prestige noch Unterstützung: in Wahr­Auslandes und am Ende auf ausländische Truppen." heit ſtünt er sich auf zwei Dinge: auf das Geld des

800 Sozialdemokraten

ſtraße, wo zahlreiche Schutzbündler eingelie im Landesgericht

fert sind, erfuhr man durch das Mitglied einer ausländischen diplomatischen Dele­gation, daß man Dienstag den ganzen Tag die Motore der Polizeiautos laufen lick, um entweder die Salven von Erschießungen oder das Geschrei der Mißhandelten zu über­

tönen.

Bom Polizeikommissariat Döbling wird zu verlässig berichtet, daß die gefangenen Schutzbünd­ler ganz nach dem Muster der reichsdeutschen Goering  - Sadisten gemartert wurden. Als die Poli­zisten vom Schlegen schon ermüdet waren, schlugen sie die Schutzbündler mit Gummitnütteln über den Mund, bis ihnen die Lippen aufſprangen. Ange­hörige der Inhaftierten werden nur in beschränk tem Umfange nach tagelangen Bitten zugelassen. Die Frau eines Wiener   Gemeinderates wußte sich Zutritt zu einem hohen Polizeikommissär zu ver­schaffen und ersuchte um Erleichterung für ihren nach einer schweren Operation kaum genesenen

und seit neun Tagen inhaftierten Gatten. Sie

Wien  , 22. Feber. In die beiden Landes­gerichte in Wien   wurden gestern und heute 800 Sozialdemokraten und Angehörige des Nevubli­fanischen Schutzbundes eingeliefert, die bisher im Polizeigefängnis auf der Rossauerlände oder in der: Notgefängnis in der ehemaligen Fabrik der Fa. Armbruster in Wien   IX, Porzellangasse, untergebracht waren. Hier ist inzwischen Raum mangel eingetreten.

Adelheid Popp   in Lebensgefahr

Die 65jährige sozialdemokratische Abgeord­nete Adelheid Popp   liegt derzeit, an einem Ge­värmutterkarzinom schwer erkrankt im Lainzer  Krankenhaus der Stadt Wien  . Dieser Tage er­schien Polizei im Krankenhaus, um die Frau zu verhaften. Der Primarius widersetzte sich energisch diesem Begehren, er erflärte, daß die Patientin eine Radiumlapsel eingeführt habe und ein Trans­port in diesem Zustand lebensgefährlich sei. Dar­

aufhin verpflichteten die Polizeibeamten den Pri­marius, ihnen davon Mitteilung zu machen, wenn die Radiumtapfel wieder entfernt sei, dann müsse die Abgeordnete Popp unverzüglich in das Inquis jitenspital geschafft werden.

Dollfuß   läßt weiter hängen

Für Dolifuß

mit ,, Hell Starhembergl"

Wien  , 22. Feber. Heute trat der niederöster reichische Landtag ohne Sozialdemokraten zu einer Sigung zusammen, in welcher der zum Landes­hauptmann Stellvertreter bestellte Landesführer­Stellvertreter des niederösterreichischen Heimat schutzes Major Vaar von Vaarensfeld einstimmig gewählt wurde. In seiner Antrittrede erklärte er u. a.: Im Rahmen der mir übertragenen Pflich seinem heldenhaften erfolgreichen Stampfe um ein ten will ich dem Herrn Bundeskanzler Dollfus in deutsches, fatholisches unabhängiges, soziales und ehrenhaftes Desterreich mit allen meinen Sträften unterstützen. Der Landeshauptmann- Stellvertre ter schloßz seine Nede mit dem Rufe ei Starhemberg  !"

Verschellene Schutzbündler Geheime Gräber

Ueber das Schicksal der toten und schwervers wundeten Schutzbündler ist bis heute nichts be­fannt. Aus verschiedenen Bezirken erfährt man, daß die Angehörigen aus Furcht vor der Vergel tung ihre Toten geheim in Gärten vergraben ha ben. Das einzige Begräbnis, das in der Stadt bes fannt ist, war das der Frau des Genossen Sever, der, als ihn die Polizei wieder vom Grab weg ins Gefängnis ſchaffte, den Ottakringer   Arbeitern

gurief:

Betrugsmanöver der Hänge- Christen

Aeußerlich herrscht nun in Oesterreich   die Ruhe des Friedhofes, aber die christlichen Sieger über das arbeitende Bolt sind keineswegs von jenem Vertrauen in die Festigkeit ihrer Blut­und Nache Herrscher erfüllt, wie sie in ihren Re­den und in der von ihnen nach Hitlers   Muster gleichgeschalteten Presse prahlerisch zur Schau tragen. Die einzig wirkliche Bürgschaft gegen den Hereinbruch des braunen Fascismus, die sozial. demokratischen Arbeiter, haben sie niederkar­aus der blutigen Ernte dieser Febertage davon. tätscht und was der Dollfuß  - Klüngel an Gewinn getragen hat, ist trotz der Beteuerungen, daß er Desterreich gerade noch im letzten Augenblic vor der Schredensherrschaft des Bolschewismus gerettet hat, feine gesteigerte Liebe der großen Masse der Bevölkerung. In die Herzen und Hirne der Arbeiterschaft dagegen haben seine Bestialitäten tiefsten und nie verlöschenden Hai; gefät. Daß die Nationalsozialisten, die weit stär fer im Land find als die Anhänger des Dollfuß­Regimes, nunmehr ihre Aspirationen aufgeben werden, einer solchen Auffassung widerspricht alles, denn nicht die Nazis, sondern die Seim mehrbanditen werden es sein, welche die durch die Unterdrüdung der Sozialdemokratie und bald wohl auch der anderen Parteien freige wordenen Stellen unter sich aufteilen werden.

den Siegern ist in ihrer Isoliertheit um so

unheimlicher zumute, als ihnen wohl die gegen Macht euch nichts draus, es wird wieder an Arbeiter, Frauen und Kinder abgeschossenen

ders werden."

Diese trosige Parole hat in den Wiener   Ar­beiterbezirken trotz aller Lügen des Dollfuß  - Regi­mes die Oberhand behalten. Ein erponierter An­geftellier eines großen Restaurants rief einer Gruppe ausländischer Gäste ohne Rücksicht auf das anwesende Bublifum zu:

,, Sagt es in der Welt draußen, daß das was geschehen ist, der Wiener   Bevölkerung das Herz abdrückt. Wenns noch einmal losgeht, wird das Volt mit nackten Fäusten losgehen und die Ver­brechen rächen."

wollte ihm wenigstens etwas Wäsche ,. Lebensmit tel und Seife bringen. Der Beamte erklärte shnisch: Im Kriege haben wir oft drei Wochen die Hemden nicht gewechselt und nichts zu fressen gehabt. Jetzt herrscht Kriegszustand und die Ver­brechen der Sozialdemokraten müssen gerächt wer­Linz, 22. Feber. Das Standgericht in Linz  den." Aus einer andern Kaferne wird berichtet, hat heute in Angelegenheit der Ermordung des daß die Gefangenen, die vollkommen erschöpft Oberleutnants Nader und ziveier Alpenjäger auf waren, noch drei weitere Tage hundem Polygonplay in Linz   am 12. Feber die So­gern mußten und sodann erst eine Schale Kaffee zialdemokraten Bulgari  , Schwinghammer und erhielten. Gschwandiner wegen Verbrechens des Mordes im Bemerkenswert ist, daß die Parole der Re­gegenseitigen Einverständnis zum Tode durch den gierung, anläßlich des Begräbnisses der gefallenen Strang verurteilt. Das Urteil wurde um 17 Uhr Soldaten und Polizisten die Kerzen in die Fenster 30 Minuten an Bulgari   vollstreci. Schwing 3 stellen und die Häuser zu beflaggen, in den hammer und Gschwandtner wurden im Gnaden- Mittelstands- und Arbeiterbezirken nur mit ver­wege zu lebenslänglichem Kerker begnadigt.

Ueber das Schicksal der Gefangenen herrscht nach wie vor qualvolle Ungewißheit. Es beſtätigt fich, daß dem ehemaligen Finanzreferenten Breit ner tros seines schweren Magenleidens die Diät lost verweigert wird und der von Hunger und Kälte vollständig dezimierte Mann die Gefängnis­nahrung immer wieder erbricht.

Eine Greuelmeldung des Fey Ein Arzt der Wiener   Rettungsgesellschaft Wien  , 22. Feber. Die Waffensuche in den teilte zuverlässig mit, daß während der Kämpfe großen Kampfabschnitten des Aufstandes hat Rettungsautos dazu benüht wurden, um neue Funde ergeben. Es wurden von der Polis schwer bewaffnete Polizisten und Mitglieder des zei insgesamt 1.8 Mill. Schuß; Infanteriemuni Schutzforps( Heimwehr  ) auf die Kampfplätze zu tion und 7500 Handgranaten beschlagnahmt. bringen.

Die Empörung des Auslands

London  , 22. Feber. Unter der Ueberschrift

..Hände weg von

r im

..Star", das erreichter|

Linie eine Angelegenheit für Desterreich selbst.

scheiden.

ſchwindenden Ausnahmen befolgt wurde. Die un geheuere Mehrheit Wiens verharrt in stummer Trauer und troẞiger Entschlossenheit. Was in die­sen Tagen der Verfolgung an stillem Heldenmut geleistet wurde, läßt sich nicht schildern, ist aber in der Geschichte ohnegleichen.

Aus einzelnen Bezirfen liegen Berichte vor. daß sich die Polizei human benommen habe.

Dollfuẞ   will die Revolutionäre, die er nicht

hängen läßt, für den Fascismus gewinnen

Wien  , 22. Feber.( Eigenbericht.) Doll- wenigstens, wo die verantwortlichen Leute zu Nicht nur Deutschland  , sondern besonders auch fuß hielt heute vor einem auserlesenen Forum suchen seien. Ueber das Schicksal der sozialbemo Italien   müssen sich daher einer Einmischung in von ausländischen Politikern und Journaliſten fratischen Führer äußerte er sich nur ganz kurz die innere Lage Desterreichs enthalten. Dem öfter- im Hotel Weißl und Schadn ein Referat über und sagte, daß die ausländischen Journalisten reichischen Volk müßte das elementare Recht ge- die Bedeutung des Umsturzes in Desterreich und sehr bald Gelegenheit bekommen werden, sich sichert werden, über seine eigene Zukunft zu entführte dabei u. a. aus, daß die katastrophe in davon zu überzeugen, daß alle Gerüchte über Desterreich nicht aufzuhalten gewesen sei und daß Mißhandlungen derselben erfunden seien. nur ein fleiner Teil der österreichischen Arbeiter-| Zur Frage der Zusammenarbeit mit der schaft sich gegen seine Pläne gestellt habe. Er Heimwehr   erklärte er weiter, daß die Zusammen fagte weiter, daß die Revolutiviäre, die mit so arbeit mit derselben noch nie so gut wie gegen viel Energie um ihre Sache gekämpft hätten, wert wärtig gewesen sei, wenn es auch menschliche feien, für sein Regime gewonnen zu werden. Zu Gegensätze zu überwinden gebe. Damit wollte dem Ultimatum Sabichts meinte er, daß er es er offenbar die Gewaltmaßnahmen gegen die nicht zur Kenntnis nehme und sollten die Na- Sozialdemokratic entschnldigen, die eben auf diese tionalsozialisten nach dem 28. Feber ihre staats- menschlichen Gegensätze zurückzuführen sind. feindlichen Aktionen fortschen, dann wiffe cr

Das österreichische Velk sei dieses Rechtes durch einen Akt der Grausamkeit beraubt worden, der unter den zivilisierten Bevölkerungen ohne Bei­

spiel dasteht.

Der Professor für mitteleuropäische Geschichte an der Londoner   Universität, N.. Seton Batson, erklärte auf einer Konferens in Kings College:

Haubigen und Schrapnells zur Macht verhelfen, nicht aber gleichzeitig die Frage entschieden haben, wer von den Kliquen der Dellfuß, Fen und Starhemberg nunmehr eigentlich die Kom mandogewalt zu übernehmen habe und deutlich genug sind die Symptome der beginnenden Eifersüchieleien zwischen den von Gott  " er fürten Siegern.

Da ohne Zweifel der Nazifascismus bald darangehen wird, alles daran zu setzen, dem selerifo Fascismus die Beute abzujagen, sieht sich dieser in seiner peinlichen Vereinſamung unt Bundesgenossen um. Das sollen---- man muß sich anhalten, um bei dieser gigantischen Frechheit nicht umzufallen die sozial. demokratischen Arbeiter sein! Dieſelben sozialdemokratischen Arbeiter, deren Stameraden, Frauen und Kinder er in ihren Seimstätten mit unerhörter Grausamkeit nur deshalb zu vielen Hunderten niederschlachten ließ, weil sie Republik   und Freiheit zu vertei­digen wagten. Nach verübtem Massenmord foll jetzt der ,, bom Maryismus befreite" Arbeiter geistig und seelisch für den christlichen Sahnen­fchwanz Fascismus gewonnen werden. Das Mit­tel soll dieses sein:

Am letzten Montag wurde zuerst die Inns­

bruder Bevölkerung in Erſtaunen verſeyt. Das

in den Bürgerkriegstagen unterdrückte sozial­

demokratische Tagblatt, die Volkszei

tung", war wieder erschienen. In der alten Druderei gedruckt, in derselben Auf­machung, ganz als wäre es die alte im 42. Jahrgang stehende Bolts Zeitung". Nur daß anstatt der Worte ,, Sozialdemokratisches Dr gan" jetzt der Untertitel lautet ,, Unabhängiges Organ". Wie unabhängig, das zu erfahren, genügt ein Blick in den Inhalt des Blattes. Auch hier wird die betrügerische Täuschung fortzu fezen gesucht. Die Leser sollen den Eindruck empfangen, sie hätten ihr altes Tagblatt vor sich, nur geläutert vom marristischen Gift". Es wird darin sogar ein bißchen Stritik an der Regierung geübt und ihr zugeredet, möglichst Großmut gegenüber den Besiegten zu üben, was