Ceite 4

Mittwoch, 11. April 1934

Nr. 84

Heimstätten für Arbeitslose

Ein praktischer Vorschlag zur Frage der Innenkolonisation

Nun ist auch bei uns eine öffentliche Distus­sion über das Problem der Innenkolonisation in Gang gekommen. Weitreichende Pläne werden er örtert. Man spricht und schreibt von der geplan= ten Umsiedlung von 300.000 bis 400.000 Ar­beitslosen. Man warnt auf der anderen Seite vor Illusionen und bezeichnet die aufgetauchten Sied lungspläne als soziale Sturpfuscherei". Somit erscheint dem ernsten Sozialpolitiker die Aufgabe gestellt, übertriebene Hoffnungen zu dämpfen, auf der anderen Seite aber die gegebenen Notwendig­Teiten und Realisierungsmöglichkeiten herauszu arbeiten.

Flucht in die Bretterbuden

Den Steptifern sei vor allem gesagt, daß das Problem der inneren Siedlung schon längst auf die Tagesordnung des Alltags gefes war, che es zur wissenschaftlich- fachlichen Erörterung fam. Wir durchleben einen furchtbaren sozialen Zerseyungs­prozej. Hunderttausende von Familien sind nicht nur ausgestoßen aus dem Kreis der Schaffenden, sondern sind teilweise auch schon abgedrängt vom Wohnungsmarkt, oder stehen in unmittelbarer Gefahr, ihr Obdach zu verlieren. Nach dieser Seite hin tonnie bisher noch teine sozialpolitische Vor­forge getroffen werden. Unsere ganze öffentliche Wohnungsfürsorge ist im Wesen aufgebaut auf dem tapitalistischen Rentabilitätsprinzip. Genof senschaftliches oder kommunales Bauen jetzt vor aus, daß Wohnungsbewerber da sind, die eine Miete bezahlen können, d. H. über ein regelmäßi­ges Einkommen verfügen. Der umgefchric Prozeß ist im Gange. Baugenossenschaf ten und wohnungsfürsorgerisch rege Gemeinden sichen vor der Tatsache, day; viele ihrer Mieter wegen andauernder Arbeitslosigkeit die Zinse nicht mehr bezahlen können und nach einer gewissen Schonfrist, die in den meiſten ſolchen Fällen ge­währt wird, die Wohnungen verlassen müſſen. Da zu kommen noch die Delogierungen aus Privat­häusern. Hervorgerufen durch die Zahlungs­unfähigkeit der Mieter. Was geschicht? Auf die Landstraßen können nicht alle Obdachlosen gehen, obwohl das fahrende Volf beängstigend an Zahl zunimmt. Soweit die betroffenen Familien nicht bei Verwandten unterfriechen fönnen, die Armen­häuser bevölkern oder von der Heimatsgemeinde nicht irgend einen Stall zugewiesen bekommen, bauen sie sich irgendwo am Ortsrand eine Bretter­bude oder richten sich einen ausrangierten Laſt wagen wohnlich" ein. Diese wilde Siedlung"

Heimstätte. 1. Bauabschnitt.

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ist namentlich in den Industriegebieten feine ver= einzelte Erscheinung mehr, es nützt nichts, vor die­sen Schandmalen der modernen Zivilisation länger die Augen zu verschließen. Dieser Notstand wird mit der unabsehbar langen Dauer der Krise immer brennender. Da muß einfach geholfen werden. Gartenheimstätten für Krisenopfer

,, Stadtrandsiedlungen" im Karlsbader Industriegebiet.

Solche Krisendenkmäler gibt es im ganzen Lande.

fajon heute ein ausgeflügeltes System aufzustellen. Unitrittig ist jedoch, daß durch die große Strise ein erheblicher Teil des landwirtschaftlichen Bodens den Besitzer wechseln wird. Es steht nun zur Ent­scheidung, ob diese Bodenwanderung dem Gefälle der Kapitalsfraft und der Spefulationslust folgen foll, oder ob sie zielbewußt in die Richtung der be­völkerungspolitischen und sozialen Notwendigkeiten. des Dorfes zu lenten ist. Die Verbindung des land wirtschaftlichen Entschuldungsproblems mit den ländlichen Siedlungsaufgaben ist unerläßlich. Der deutsche sozialdemokratische Antrag sieht daher die Schaffung von Feldgärten mit Haus­stellen in den Dörfern vor. Das bedeutet in der Praxis Sicherung der Scholle für den länd lichen Nachwuchs, Bekämpfung der Landflucht. Pflicht der agrarischen. Parteien wäre es, auf die fem Gebiete die Initiative zu ergreifen, denn auch die Jugend des Dorfes hat ein Anrecht darauf, von der demokratischen Staatsgewalt in dem Rin gen um ein Stück Eristenzbodens unterstützt zu werden.

Schöpfung neuer Existenzen

Die Dauerkrise, die unheimliche Technisie­rung und Nationalisierung hat der modernen Wirtschafts- und Sozialpolitik eine neue Aufgabe gestellt: nicht nur Schutz der bestehenden Existen= zen, sondern auch Schöpfung neuer Eri­stenzen. Den tiefgehenden Veränderungen im industriellen Organismus müssen ebenso tief­gehende Aenderungen in der Wohnweise und in der Struktur unserer Bodenverteilung folgen. Deshalb muß das Siedlungsproblem unter den

Leopoldan erzielt worden sind. Würde die eines Beitrages aus der produktiven Ar- Afpeften einer historischen Aufgabe er­Hälfte der notwendigen Arbeitsleistung in der beitslosenfürsorge und Verbilligung faßt werden. Es geht einfach darum, ob weise Form von Selbsthilfe als freiwillige Leiſtung der eines kommunalen Siedlungskredites unterstüßt, so staatsmännische Voraussicht der dumpfen Hoff­Lohnaufwandes durch Beiträge aus der produk minderung der sozialen Verpflichtungen von Staat freienden Ausblick und ein Ventil ſchafft, oder ob Siedler dargebracht, und die andere Hälfte des brächte dieses einmalige Opfer eine dauernde Ver- nungslosigkeit der entwurzelten Massen einen be fiven Arbeitslosenfürsorge gededt, so fäme Berech- und Gemeinden. der Ueberdruck au sozialen Spannungen in eine nungen der Hauptstelle die Errichtung eines aus furchtbare Explosion mündet. Deshalb geht der baufähigen Sternhauses auf rund 5000, Ge­Kampf gegen Arbeitslosigkeit und Massennot nicht ländeaufschließung, lebendes und iotes Inventar allein die sozialistischen Parteien an, sondern die ergeben weitere 3000, zusammen 8000 ganze menschliche Gesellschaft. Stapitalsbedarf pro Siedlerstelle, allerdings ohne Bodenpreis. Auch dafür je 2000 pro Gegen rein landwirtschaftliche Neusiedlungen Siedlerstelle gerechnet ergäbe sich bei 10.000 werden sich wohl die größten Widerstände aus der Gesamiaufwand und sechsprozentiger Verzinsung Landwirtschaft selbst ergeben. Auf die Dauer Die Bilder und Stizzen wurden von Herrn und Amortisation eine Jahresbelastung von 600 wird sich aber unsere offizielle Agrarpolitik zu dem Architekten uhrmann, dem technischen Sach­ pro Siedlerfamilie, die durch den Ertragswert Uebervölkerungsproblem des flachen Landes und lungsfürsorge, freundlichst zur Verfügung gestellt. berater der Hauptstelle für Wohnungs- und Sied der Wohnung und des Gartens wohl aufgeivogen der Gebirgsgegenden nicht blind ſtellen können.

wird.

Mehrendes Gut

statt zehrendes Gut

Das landwirtschaftliche Uebersiedlungsproblem

Troß Bodenreform hat die Landwirtschaft im letz= ten Jahrzehnt ihren ganzen Bevölkerungszuwachs an die Städte und Industriegebiete abgegeben. Die tiefste Ursache dieser Landflucht ist das rasante Eindringen der Maschine in die Landwirtschaft Im Rahmen dieser Lösung gestaltet sich die und die in den historischen Ländern traditionell Bodenbeschaffung für die Träger des Siedlungs- vorherrschende Aner bensitte, welche dauernd wertes, Gemeinden oder Gemeindeverbände, die Bauernfinder entweder proletarisiert oder dem mehr zu einem taufmännischen Pro- Heer der arbeitslosen Intelligenz zuſtrömen läßt. blem. Es handelt sich entweder um die Inten- Die Geschgebung wird der Tendenz der Selbstent= jivierung, bereits vorhandenen Gemeindelandes völkerung des Dorfes früher oder später eine orga­oder um den Zukauf von landwirtschaftlich genugnijierte Gegenwirtung entgegenstellen müssen. ten Bodens und dessen Umwandlung in hochful- Begünstigung der Realteilung bei tivierten Gartenboden, was beides mit entspre Erbschaften vöte der Landflucht einen gewissen Ein­chender öffentlicher Stredithilfe durchaus möglich halt, doch lönnte diese Maßnahme erit auf weitere erscheint. Soweit durch begünstigte Darlehensa Sicht wirksam werden. Eine unmittelbare Hand­gewährung für Siedlungszwecke eine Belastung habe, neue Eriſtenzen auf dem Dorfe zu schaffen der öffentlichen Hand erwächst, ist dafür ein ent- oder Halberistenzen lehensfähig zu machen, ist bei scheidender Gesichtspunkt ins Treffen zu führen: der angekündigten Lösung des landwirtschaftlichen Straßenbauten, Hochhausbauten, Wasserleitun- Schulden problems gegeben. Auf die gen, Sanalisierungen schaffen nur zehrende Dauer wird der Exekutionsschuß, welcher etwa Güter vorübergehende Arbeitsgelegenheit 120,000 Anwesen gewährt wurde, nicht aufrecht­und dauernde Velastung der Steuerquellen. Gar zuerhalten sein. Niemand hat ein Interesse dar­tenstellen dagegen, verbunden mit Wohngelegen an, diese Riesenzahl von Familien ins Heer der heit sind ein mehrendes Gut. lösen zivar Arbeitslosen zu stoßen. Wenn aber eine Umschul­Wie ist das möglich? Die größte Vegriffs nicht das Eristenzproblem der angesiedelten Fami- dung unter Inanspruchnahme öffentlicher Mittel verwirrung entsteht aus der konstanten Verwechslien, machen sie aber widerstandsfähiger gegen die durchgeführt wird, dann hat die Gesetzgebung das lung von Stadtrandsiedlung und landwirtschaft- Strise, bieten ihnen die Möglichkeit, sich bei Meben- Recht und die Pflicht, den zum Abverkauf gelan­licher Neujiedlung. Stadtrandjiedlung für Ar- erwerb oder Teiwverdienst einzelner Angehöriger genden Boden für die Siedlungsauf­beitslose und Kurzarbeiter ist möglich und notwen- leichter über Wasser zu halten. Würde also die gaben der Landgemeinden zu re­dig. Für landwirtschaftliche Kolonisation in grö Errichtung solcher Heimstätten durch Gewährung ilamieren. Es hat keinen Zweck, darüber jerem Umfange fehlt fulturfähiges Neuland, feh­len nach der Durchführung der Bodenreform auch anderweitige Bodenreserven. Deshalb wird jeder Lösungsversuch an die primäre Gegebenheit die­ses übervölferten Landes, den Bodenman­gel, anfnüpfen müssen. Die Bodenbeschaffung ist der archimedische Punkt des ganzen Siedlungs­problems. Von dieser Anschauung ausgehend pro­pagiert der von den deutschen sozialdemokratischen Abgeordneten eingereichte Initiativantrag in erster Reihe die Schaffung von Gartenheimstät ten für Arbeitslose und Kurzarbeiter, verbunden mit einer ganz bescheidenen, aber ausbaufähigen Wohngelegenheit.

Die Deutsche Hauptstelle für Wohnungs- und Siedlungsfürsorge in der Tschechoslowakei hat in jahrelanger Vorarbeit alle diesbezüglichen auslän dischen Erfahrungen sorgfältig geprüft und ist zu dem Ergebnis gekommen, daß Gartenstellen im Ausmaße von 1000 bis 2500 Quadratmetern je nach der Güte des Bodens und der Intensität der Bewirtschaftung einen großen Teil des pflanzlichen Nahrungsbedarfes und bei Kleintier­zucht auch einen geringen Teil des Fleischbedarfes einer mehrföpfigen Familie zu decken vermögen. Bestätigt wird diese Annahme durch die Resultate, welche auf der Stadtrandsiedlung in Wien

SCHAUBILD V. A.

Schaubild des Anwesens im Endzustande. ( Heimstätte nach den Vorschlägen der Hauptstelle f. W. u. S. F.)

Wenzel Jatsch.

Vom Rundfunk Empfehlenswertes aus den Programmen: Mittwoch:

Prag : Sender 2.: 6.15 Gymnastik. 10.05 Deutsche Nachrichten. 12.10 Schallplatten. 17.45 Volačet: Bücher, die ich gelesen habe. 17.55 14.05 Deutscher Arbeitsmarktbericht. Französisch für Fortgeschrittene. 18.25 Deutsche Sendung: Zehn aftuelle Minuten; 18.85 Arbei terfunt: Rose Fischer: Die geistige Arbeiterin in der Strife. 18.55 Sozialinformationen. 21.00 Polnische Mujit. Sender St.: 14.30 Konzert, 15.10 Deutsche Sendung: Winicky: Das Städtchen mit dem großen Ringplak. 15.20 Kinderfunt. Brünn : 16.00 Nachmittagskonzert. 18.25 Dcut sche Sendung: Oskar Baum : Höhenzauber( aus eigenen Werfen). 19.20: Vorlesung neuer Werke aus der russischen Literatur. Mähr.- Ostran: 18.00 Arbeitersendung: Psychologie des Arbeiters.- Sta­fchau: 17.00 Stündchen für Kinder.- Berlin : 18.30 Orchesterkonzert. Breslau : 12.00 Mittags­konzert. Frankfurt : 23.30 Neue italienische Kla viermusif. 24.00 Stammermusik. Hamburg : 19.00 Heilsberg: 16.00 Bosheiten um Richard Wagner . Schubert: Streichquartett C- Dur. Nachmittagskonzert. Königswusterhausen: 17.30 München : 17.50 Muſit der Gotik und Renaissance. Wien : 18.10 Dr. Maliwa: Neue Rheumatismusforschung. 22.10 Jazz- Tanzmusik.

Donnerstag:

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Prag , Sender 2.: 10.05: Deutsche Nachrichten, 12.10: Schallplatten, 17.35: Französisch für Anfän ger, 18: Deutsche Sendung: Dr. Moucha: Bücher für die Jugend, 19: Deutsche Nachrichten, 20.10: Konzert des Ondricef- Stammerquartetts, 22.50: Propagandakonzert aus Werken Smetanas. Sender S.: 15.10: Deutsche Sendung: Löffler: Gewerbliche Fortbildungsschulen, 15.45: Deutsche Nachrichten. Brünn 18.25: Deutsche Sendung; Arbeiterfunk: Smerda: Selbsthilfe­organisation der Arbeiterschaft, 20: Abendkonzert, 20.45: Christobal Colon. Mährisch- Ostrau 10.15: Vormittagskonzert, 18.30: Deutsche Sendung: Seliger: Jurandes Leben. Kaschau 12.35: Mit­tagskonzert. Berlin 16: Musik am Nachmittag, 19: Loewe Balladen. Frankfurt 21.35: Slavier musik von Chopin . Hamburg 21.35: Josef Haydn : Sonate C- Moll. Heilsberg 19: Variationswerke von Klavier, von Beethoven . Leipzig 18.20: Aus Operetten. - Wien 18.20: Orchesterkonzert.-

GEDENKET

bei allen Anlässen

der Arbeiterfürsorge!

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