Br. 101 DieuStag, 1. Mai 1934 Bette 11 Völker,hört’ die Signale... Die Fahne der Internationale Ei» Wiener Vorstadtcafk. Abends; Halbleer. Die Stammgäste blättern in abgerissenen Zeitungen. Der Ober gähnt. Da fliegt munter die Tür auf. Hcreinströmt eine aufgeräumte Gesellschaft. Sie ist bunt gemischt: einige Arbeiter und ihre Frauen, einige„bessere Herrn"(Ivie man in Wien alle männlichen Wesen vom Kaufmannslehrling auswärts zu nennen Pflegt), gebräunte Sportjugend, ein, zwei Damen, beinahe gut bürgerlich gekleidet. Tische werden zusammengcrückt. Der Pikkolo flitzt mit einigen Taffen„Hitler " (Gröger Brauner) oder„Dollfuß "(Kleiner Schwarzer) herbei... Die Runde der Neuankömmlinge trinkt einander zu. Läßt irgend was hochleben. Steckt die Köpfe flüsternd zusammen, bricht immer wieder in heiteres Lachen aus. „Eine nette Geburtstagsfeier"— meinen die Stammgäste und blicken wohlgefällig herüber. ES gibt noch lustige Leute in Wien ... * Indes bestand die Runde der Zufallsgäste größtenteils aus„Kurrendierten", Untertanen der christlich-autoritären Regierung Dollfuß also, die die Ehre genießen, von der Polizei gesucht zu werden und das Glück dazu, von ihr noch nicht erwischt worden zu sein. Der schlanke Sportler mit dem scharfen Profil ist der letzte Freie von einer Kanipfgruppe, die den Weg in den Tod, vorS Standgericht oder ins Gefängnis gegangen ist.(„Wie Briider waren wir", hat er mir erzählt,„solche Burschen kommen nimmermehr zusammen"). Der einzige Sohn seines Tischnach« barS , ein blutjunges Bürschlcin, sitzt als„Hochverräter" im LandcSgericht. Und andere wieder aus der Runde haben lieber ihre Existenz geopfert, al« die besiegte Partei zu verleugnen, sahen schon wochenlang nicht ihr von Häschern umstelltes Heim, schlafen die wenigen Stunden, die ihnen die illegale Arbeit läßt, bei Freunden. I WaS hat diese Menschen zu so ausgelassener Fröhlichkeit verführt? * Menn ein Spitzel des Herrn Fey besonders spitze Ohren gehabt hätte, wäre es ihm vielleicht geglückt, den richtigen Wortlaut der hier(aus begreiflichen Gründen etwas umgestellten) Ge- sprächöfragmcnte zu erfahren. DaS Sportmädel:„Ihr blöden Hunde!— haben wir uns jedesmal gedacht, so oft wir einer Heimwehr -Patrouille begegneten. Wenn diese Krautwächter auch nur eine blaffe Ahnung gehabt hätten, was die zwei eleganten Danien in ihren Einkaufspakctcn durch die Stadt trugen!" 1. Prolet:„Das Arbeilcrhcim war gestürmt. Plötzlich gab» mir einen Stich ins Herz bei dem Gedanken, daß die Fahne der Internationale drinnen geblieben ist. Da haben wir beschloffen, noch einmal den geheimen Weg zu riskieren. Die Besatzung schlief bi« auf die Torpoften. Auf allen Bieren sind wir durch da« finstere Hau« gerutscht. Die Fahne war noch auf ihrem alten Platz. Al« ich wieder den schweren Stoff zwischen meinen Fingern spürte, hÄte ich am liebsten aufheulen mögen vor Freude." 8. Prolet:„Ich war bei der Fahnenkompagnie de« Schutzbundes. Mein Leben lang werde ich die Riesenkundgebung auf der Hohen Warte nicht vergessen, wo un« die Vertreter der Inter» nationale die Fahne überreichten. Damal« habe ich nicht geahnt» daß ich sie noch einmal um den Leib gewickelt nach Hause tragen werde." Arbeiterfrau:„Einige Nächte schliefen wir auf der Fahne. Ich dachte, bei einer Hausdurchsuchung sei sie unter dem Leintuch am besten aufgehoben. Dort hat man bei un« noch keine Waffen gesucht. Aber mein Mann konnte kein Auge schließen, au« Angst, daß die Fahne noch einmal dem Gesindel in die Hände fallen könnte. Jetzt ist un« leichter.-" Ein Kurrrndirrter:„Herlaffen tun wir die Fahne nicht mehr und wenn ein paar Leute draufgehen müßten! Aber, wa« reden wir innner von den„EinkmifSpaketen" unserer Damen? Das GeburtStagikind soll leben, hoch! hooochl".... » Bon dieser Stunde an wanderte die Fahne einen abenteuerlichen Weg: treppauf— treppab— durch die ZinSkaser« neu der Wiener Proletarierviertel; ein Stück Wege« trug sie ein noble« Auto mit wehendem Heimwehr -Wimpel dahin; dann fuhr sie unter dem Kutschbock eines Bauernwagen» über« Land; sie hörte die treuen Proletarierherzen junger Burschen schlagen, die in dunkler Frühlingsnacht über Feldraine und Waldpfade pirschten, jederzeit des Anrufes der Grenzwächter gewärtig; sie sah ein stürmisches Händeschütteln und hörte die„Internationale" wieder erbrausen auf dem Boden eine« freien Lande«... Es wird die Zeit komnien, da einer wiederbefreiten Arbeiterschaft Österreichs die Namen jener Wackeren genannt werden dürfen, die geschworen hatten, lieber ihr Leben hinzugeben, als das teure Kleinod nochnmlS in Feindeshand falle» zu lassen. * DieFahne derJntcr nationale ist gerettet! Eine Freudenbotschaft für die gekiicchteten Arbeiter Wiens und Österreichs , eine Verheißung für die Sozialisten aller Länder. Den» dieser Purpur kündet Ruhm und Tragik eines schöpferischen, kämpferischen Sozialistengeschlechts am Donaustrom, seine treue Verbundenheit mit den Arbeitern der Welt. * Große Erinnerungen weckt der Anblick dieses leuchtend roten Banners! Es war im Sommer 1931. Vor den Delegierten des Wiener Sozialistenkongresses marschierte das junge sozialistische Europa über die breite Ringstraße. Das rote Wien grüßte mit hinreißender Begeisterung die proletarische Weltolympiade. Zweimal rauschte der Jubel der Zuschauerinassen auf zum, wilden Orkan. Erstmalig gcschah'S als Koloman W a l- l i s ch an der Spitze seiner lernigen Steirer angerückt kam, dieser gedrungene Rebell in verwaschener Schuhbundjacke, der von der Geschichte als Träger eines ruhmvoll-tragischen Schicksals vorbestimmt gewesen. Zum andermal rasten Beifallsstürme durch den klingend-klaren Svmmertag, als dem Heereszug der Wiener Arbeiter die stolze Fahne der Internationale voranwehte. Ihr folgten die Kolonnen der Schutzbündler ans den Wie ner Bezirken, die Landftraffer, die Simmeringer , Erster Mai. Der Tag der roten Arbeiter, der Tag der roten Fahnen, der Tag unserer Kampflieder—- unser Tag. Unser Tag? Auf der Wiener Ringstraße , auf der sonst 200.000 Arbeiter den tkärg ihre« Kampfe« feierten, halten an diesem ersten Mai die Heimwehrgarden de« Herrn Dollfuß Wacht, die Männer, die sonst an diesem Tag zu den Wiener Arbeitern sprachen, sitzen in den Konzentra« ttonSlagern der Kanonenchristen. In Berlin treibt die Peitsche des Führerhöhnend zu der„Feier", deren rote Fahnen vom Hakenkreuz geschändet sind. Schwarzhemden anstatt roten Fahnen in den Straßen Rom «, Polizisten anstatt feiernder Arbeiter in den Straßen halb Europa «. Unser Tag?... Ein Gespenst geht um in Europa . Aber es ist nicht der Geist der Zukunft, den Marx in seinem wundervollen, prophetischen Manifest sah, cS ist da« lähmende, würgende Gespenst einer sterbenden Vergangenheit, da« Europa heute vergiftet. Steckt ein Fehler in der Rechnung? Wo bleibt die versprochene Freiheit, die sozialistische Zukunft in diesem vergifteten Europa ? Kein Tag der Arbeit darf in dieser Zeit Vorbeigehen, ohne daß die, die ihn feiern dieser entscheidenden Frage sich stellen. Wenn jemals eine Zeit den Stempel ihres Unterganges auf der Stirne trug, dann ist es die in der wir leben. Sinnlos haspelt ihr Räderwerk, das seinen Herrn aus der Hand geglitten ist ab, zerlumpte Arbeitslose feiern vor rostenden Webstühlen, Hungernde betteln vor stillgelegten Brotfabriken, verödete Bergwerke bergen die Kohlen, um Frierende zu wärmen. Eine Gruppe amerikanischer Ingenieure— beileibe keine Sozialisten, sondern biedere, bürgerliche Spezialisten— haben auf Grund einwandfreier statistischer Daten eine Berechnung aufgestellt, deren Zahlen klarer als jedes Wort, den Zusammenbruch dieser Welt„ordnung" enthüllen. Sie haben errechnet, daß die heute verfügbaren Maschinen genügten, uin bei einer täglichen Arbeitszeit von zwei Stunden jcdcni Menschen das Doppelte seines jetzigen Durch- die Favoritner, die Meidlinger, die Hietzinger , die Ottakringer , die Hernalser , die Döblinger und der rote Heerbann der allzeit getreuen Florids dorf «(diese FloridSdorfer: am 12. Nobember 1918, bei der Ausrufung der Republik , als vor dem Wiener Parlament geschossen wurde, bleiben sie bi« zum Abendgrauen auf der Ringstraße, bis sie Gewißheit hatten, daß ihrem Seih nichts zugestoßen sei)— breit dahinflutende Jugend« und Manneskraft, lohende Flammen bester sozialistischer Gesinnung, Einsatzbereitschaft für die Sache, die auf den« weiten Erdenrund ohnegleichen ist. * Hunderte dieser Braven deckt heute die kühle Erde, tausende schmachten im Kerkerverlieh, die stolz ragenden Gemcindebauten zerschossen, der rote BolkSbürgermeister Wiens und seine Mitarbeiter im Gefängnis. Doch das Banner steht! Die Fahne der Internationale. Zeugin des Jauchzens und des Blutens der tapferen Wio.- ncr Arbeiterherzen, Symbol ihres ungebrochenen Trotzes und ihrer herrlichen Treue, sie geht nun in die Hände der Internationale selbst über als Vermächtnis der Toten und Verpflichtung der Lebenden, bis sie sieg-s rohlockend, rachekündend ihren Wiedereinzug hält in ein freies Österreich . Karl Gruber. schnittSeinkommenS zu sichern. Nichts wäre notwendig, als alle vorhandenen Arbeitskräfte planmäßig an die vorhandenen Maschinen zu verteilen und alle Not, alle Sorge, aller Hunger der Welt wären vorbei. Aber die Herren die« s« Maschinen wollen eS anders. Ihr Profit fällt besser miS, wenn die Maschinen der anderen stillstehen, die Löhne, die sie zahlen, können niedriger sein, wenn 15 Millionen Arbeitslose verzweifelt vor den Fabrikstoren stehen. Aber diese Weltordnnng des Profites richtet sich— ganz wie es Karl Marx vorhcrge- sagt hat— immer deutlicher mich gegen ihre eigenen Nutznießer. Immer größer wird die Zahl derer, deren Maschinen sfillstehen und innner lleiner die Zahl derer, die noch daran profitieren. Zitternd sehen die Herren der Welt ihre Weltordmmg in Trümmer gehen. Sie wissen sehr genau, worum hier gespielt wird, sie können eS sich an den Fingern abzählen, wohin ihr Weg führt. Die Zeit, in der man den Menschen einreden konnte, die Welt des Profites sei die beste aller Welten, ist endgültig vorüber, die EstaSke des Biedermannes, den Weisheit und Tüchtigkeit berechtigt, die Welt zu lenken und ihre Profite einzuheimsen, ist gefallen, das wahre Gesicht ist sichtbar worden: daS grinsende Gesicht des Jobbers, der mit Zähnen und Klauen seinen Profit verteidigt— das Gesicht des FaseiSmuS. Die Herren der Maschinen und der Aeckcr wissen sehr gut, warum sie die Demokratie hassen und sich Knüppelgarden gegen sie mieten. Der Sold für ihre Braun- und Schwarzhemden und Heimtvehrgarden muß auf Geschäftsunkosten gehen, denn ohne sie ist das verkrachte Geschäft nicht mehr Iveiterzuführen. Wenn man eS nicht mehr wagen kann, vor der Vertretung des Volkes die Sinnlosigkeit einer verfaulten Weltordnung zu verteidigen, dann muß man eben die Volksvertretung davonjagen. Das ist das Rezept des Kapitalismus im Jahre 1934 und man tut ihm sehr unrecht, wenn man sagt, er könne auch anders. DaS eben ist daS innerste Wesen der niederbrcchcndcn Herrschaft des Geldsacks, daß er nicht mehr anders kann. Wo immer er sich endgültig bis auf die Knoche» blamiert hat, muß er abtreten oder sich hinter Ka- Maifeier In Bombay Ans einem Bombager Textilbetrieb am I. Mal 1933 Erster Mai in dieser Zeit Von Han« Flseher Deutscher Mai Bold reift der Erntesegen, seht, wie die Sonne glüht» auf allen Wegen und Stegen sind neue Kerker erblüht. Schon wachsen au« deutscher Hecke die deutschen Blüten heraus, ein Zuchthaus an jeder Ecke, ein.Henker in jedem Hau«. Hört ihr dir Ketten klirren? Sie läuten den Frühling ein. Hört ihr da« Henkerbeil schwirren? E« kündet den deutschen Maie«. Die lieblichen Maienlüfie tragen Verwünschungen mit, Haß sprengt dir frischen Grüfte. Hatz keimt auf Schritt und Tritt. Hast wächst au« der Ackerkrume, die Mörderhände bestellt, Hatz tränket jede Blume, Hatz düngt da« braune Feld. Einst wird die Ernte reifen trotz Kerker»nd Söldnerhe«, einst wird rin Maiwind Pfeifen wie kein« je vorh«. D« wird durch den Kerkerstuat jag« wie rin gellend« Racheschrei, der wird da« Schandrrich zerschlagen, das: wieder— ein Deutschland sei! Hugi«. "'.'~SB itoiten verschanzen. Er weiß sehr genau, daß die Demokratie, das freie Entscheidungsrecht de« Volke« seinen Untergang bedeutet. Und deshalb muß er überall dort, wo die Etnscheidnng nicht mehr aufzuhalten ist, die Demokratie vernichten. Und in diesem Punkt liegt die Enttäuschung der Arbeiterklasse des Jahres 1984. Sie, die von der Demokratie die Entwicklung zum Sozialismus erhofft hatte, muß nun sehen, daß die Herren der Fabriken vor die Entscheidung zwischen Prosit und Sozialismus gestellt, bedenkenlos die Demokratie zerschlagen. Die Entscheidung heißt: Sozialismus oder Faset«« muß! Das ist eine Wahrheit, mit der sich da« Proletariat unserer Zeit vertraut machen muß, wenn es nicht in Illusionen untergehen will. Es ist eine folgenschwere Erkenntnis. Wir müssen erkennen, daß die sozialistische Weltordnnng kein Geschenk ist, das nnS vom reifen Baum der Weltgeschichte in den Schoß fallen wird. Wenn es so weit ist, müssen wir um den Sozialionnis kämpfen, oder wir werden ihn verlieren. Verlieren, vielleicht für imm«, denn d« Kapitalismus weiß die Macht, die« sich mit Kanonen und Konzentrationslagern erobert hat, sehr gut zu brauchen. Er versteht e« sehr gut, jede« Wort der Freiheit, jede Regung de« Zweifels an seiner„gottgewollten Ordnung" zu ersticken; er versteht eS, schon in seinen Schulen ein Geschlecht gehorsamer, kuschend« Sklaven heranzuziehen und zwei Generationen solch« Peitschenherrschaft könnten genügen, ein geducktes Geschlecht von Proleten herauzuziehen, da« verschüchtert und geduckt, bei Hungerlöhnen an der Tuberkulose krepiert, da« die Botschaft de« Sozialismus kaum mehr kennt und in sein Schicksal«geben schließlich gemeinsam mtt seinen Sklavenhaltern untergeht. Gegen diese« Schicksal aufzustehen ist der wahrhaft geschichtliche Sinn de« Kampfe«, den wir führen. Wir haben hier und jetzt die Wahl zu treffen zwischen Sozialismus oder Untergang im Chaos. Ein Dritte« gibt e« nicht. Zwischen der Sinnlosigkett und dem Ekel und dem Elend uns«« Zeit und einer planvollen, glücklichen sozialistischen Welt steht nicht« mehr, als die Kanonen des morschen Kapitalismus, der seinen letzten Kampf kämpft. Die Generation, die heute den ersten Mai feiert, wird unter dem niederbrechenden Gemäuer dieser Welt begraben werden, oder sie wird auf ihren Ruinen ihre eigene, he«liche Welt des Sozialismus bauen. -■— 38 Die deutsche Tyrannis Majestät Gorbbel«. Köln , 24. April. (Jnpreß): Ein hoher rheinischer Beamter, Peruche, wurde verhaftet, weil« eine„unqualifizierbare Haltung" gegenüber dem nationalsozialistischen Staat bei Gelegenheit ein« kürzlichen Goebbels-Rede gezeigt habe. „Ich bin ein Schuft." Hannover , 29. April. (Jnpreß): Ein Arzt aus Salzuflen , der unfreundlicher Bemerkungen über Hitler beschuldigt wurde, ist durch die Straßen der Stadt geführt worden. Er trug ein Schild mit folgendem Wortlaut:„Ich bi» ein Schuft, ich Hoche de» Führer beleidigt." Nach Schluß der öffentliche» Diffamierung wurde er ins Gefängnis gebracht. Brotlo« wegen eines Fragezeichen«. Esse», 29. April. (Jnpreß): Der Seher der „Essener Volkszeitung", der wegen eines irrtümlich gesetzten Fragezeichens verhaftet Ivorden war, ist zlvar freigelassen Ivorden. Er wurde jedoch | fristlos entlassen.
Ausgabe
14 (1.5.1934) 101
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