Sosialdemokrat

ZENTRALORGAN

DER DEUTSCHEN SOZIALDEMOKRATISCHEN ARBEITERPARTEI

IN DER TSCHECHOSLOWAKISCHEN REPUBLIK

ERSCHEIN MIT AUSNAHME DES MONTAG TÄGLICH FRUH. REDAKTION   UND VERWALTUNG PRAG   XII., FOCHOVA 62. TELEFON 53077. ADMINISTRATION TELEFON 53076.

14. Jahrgang

HERAUSGEBER: SIEGFRIED TAUB. CHEFREDAKTEUR  : WILHELM NIESSNER. VERANTWORTLICHER REDAKTEUR: DR. EMIL STRAUSS, PRAG  .

Sonntag, 17. Juni 1934

Einzelpreis 70 Heller

( einschließlich 5 Holler Porto)

Nr. 140

Der Warschauer   Mord Die politische Amnestie Die Bilanz

Vom Täter Mantel und Hut gefunden

Warschau  , 16. Juni. Das Leichenbe­gängnis des ermordeten polnischen Innenmini­sters Pieracki   findet Montag vormittags auf Staatskosten mit militärischen Ehren, wie sie einem Brigadegeneral gebühren, statt. Nach der Leichenfeier in Warschau   werden die sterblichen Neberreste des Ministers in seine Geburtsstadt Nowy Socz überführt, wo am Dienstag die Bei­setzung auf dem dortigen Friedhofe erfolgt.

Die vom Deutschen   Nachrichtenbüro verbrei­tete Nachricht, daß der Mörder bereits verhaftet worden sei, hat sich als falsch erwiesen. Sie dürfte darauf zurückzuführen sein, daß in einem Hause der Okolnik- Straße unweit des Tatortes der Mantel und der Hut des Mör= ders gefunden worden sind. Es wurde bereits festgestellt, daß der Mörder, der nach dem Anschlag auf den Minister flüchtete, sich alsbald in dem genannten Hause seines Mantels und fei­nes Hutes entledigt hat. Das Innenministerium hat inzwischen eine ganz genaue Personenbeschrei­bung des Täters veröffentlicht. Von den Attentätern fehlt aber auch weiter hin jede Spur. Die Behörden hoffen, daß die Fest ſchung der hohen Geldbelohnung von 100.000 Zloty zu einer rascheren Ergreifung des Atten­täters und seiner beiden Komplizen führen werde. Die Untersuchung in der Angelegenheit des Atten,

mit führte, bie Revolver auch eine Bombe mit sich führte, die er jedoch auf der Flucht von sich warf, ohne daß fie zur Explosion kam.

Die Pilsudski  - Anhänger veranstalteten in Warschau   Protesttundgebungen und erzwangen die Schließung sämtlicher Vergnügungslokale vis nach dem Begräbnis. Auch die Kinos wurden zum Teil geschlossen. In den Redaktionen dreier natio­naldemokratischen Blätter wurden die Fenster ein= geschlagen.

für Vergehen nach dem Schutzgesetz

Bei Freiheitsstrafen bis zu einem Monat generelle, darüber hinaus nur individuelle Begnadigung

Prag  , 15. Juni. Die angekündigte Amnestic ist heute durch eine Entschließung des Prä­fidenten der Republik   bereits Tatsache geworden. Sie schließt generell politische Bergehen und Uebertretungen nach dem Schutzgesetz ein, die mit einer Freihtsstrafe von nicht mehr als einem Monat geahndet wurden. Bei einem höheren Strafausmaß find individuelle Begnadi­gungen, bzw. Abolitionen, vorgesehen, wobei insbesondere an solche Personen gedacht ist, die nur unüberlegt gehandelt haben oder von anderen verführt wurden.

Die Amnestie bezicht sich nur auf Vergehen etc., die vor dem 1. Jänner 1934 begangen wurden, und schließt auch gewisse Pressedelikte ein.

Die Entschließung des Präsidenten der Republik hat folgenden Wortlaut:

Artikel I.

fräftig verurteilt worden sind, sehe ich diese Strafe

fortzusehen.

von Venedig  

Wer zahlt Hitlers   Defizit?

Der pompöse Empfang, den der Duce feinem Schüler Adolf in Venedig   bereitet, dic umständlichen Sicherheitsvorkehrungen, mit denen er das kostbare Leben des Berliner   Kolle­gen umhegt hat, scheinen sich gelohnt zu haben. Hitler   bringt von Venedig   nichts mit, als was er nicht ohnehin schon besessen hätte: die Unterstüt zung Italiens   in der Rüstungsfrage, und er hat auf das verzichtet, was seit Monaten das stärkste außenpolitische Aktivum des alldeutschen Im perialismus gewesen ist, auf die Eroberung Desterreichs für das Dritte Reich.

In dürren Worten wird mitgeteilt, daß Uebertretung nach dem Gesetze zum Schuße der Re­Hitler und Mussolini   sich über die Unabhän 1. Jenen Personen, welche vor dem Tage dieser publik einbringt, und er weder strafgerichtlich ver­Entschließung von den Zivilgerichten folgt wird, noch vor dem Tage diese Entschließung gigkeit Desterreichs" geeinigt haben. Unab­wegen eines vor dem 1. Jänner 1934 begangenen wegen einer vor dem 1. Jänner 1934 begangenen hängigkeit Oesterreichs  ", das heißt Straftat verurteilt worden ist, ist das Strafverfah- aber seit dem 17. Feber, seit der Niederwerfung Bergehens oder einer lebertretung nach dem Gesetze zum Schutze der Republik   zu einer Freiheitsstrafe ren vor den Zivilgerichten bis zur endgültigen Ent­von nicht längerer Dauer als einem Monat rechtscheidung über dieses Geſuch inzwischen nicht der Schutzbundrevolte, die Abhängigfcii Oesterreichs von Italien  . Der ( den Rest der Strafe) unter der Bedingung nach, 2. Die Gesuche um Abolition dürfen in den im Verzicht auf eine Einmischung ist ganz daß fie nicht wegen einer innerhalb von zwei Jahwaltschaften und Oberstaatsanwaltschaften nicht ab einseitig ein Verzicht Deutschlands  . Denn ren vom Tage dieser Entschließung an begangenen Straftat neuerlich zu einer Freiheitsstrafe verurteilt gelehnt werden, sondern sind dem Justizministerium die Einmischung Italiens   ist durch die römi­mit einer Begutachtung vorzulegen. schen Verträge, durch das Regime Doll 3. Der Justizminister wird mir die Gesuche der­feli en Berfonen, welche sich einer aus Unheſonnenfus den. Starbenberg durch die faftidie Macht heit oder unter dem Einfluß anderer Personen be- Italiens   in Desterreich längst gegeben und be gangenen Tat schuldig gemacht haben, mit feinem fiegelt. Antrag zur Entscheidung vorlegen.

werden.

2. In dem Umfang und unter der Bedingung, nie je im bias 1 anaeführt find, febe ich audi Geld it rafen nach, falls an ihre Stelle im alle der lineinbringlichkeit nicht eine einen Monat überschreitende Freiheitsstrafe treten soll.

3. Die Dauer der für den Fall der Unein­bringlichkeit der Geld( Neben) strafe verhängten Frei­heitsitrafe ist bei Anwendung des Absages( 1) der verhängten Freiheits( Haupt) ſtrafe hinzuzurechnen.

Artifel II.

1 angeführten Fällen von den Staatsan­

Artikel IV.

Mit diesem Verzicht Hitlers   bricht der zweite Pfeiler seiner Außenpolitik zusammen. Wurde eines der in den Artikeln I bis IIf an Buerst hat er, um sich auf das schwächere Desier geführten Bergehen durch den Inhalt einer Drudreich werfen zu können, auf die Expansion in fchrift begangen, so gelten die Bestimmungen der an­geführten Artikel auch für lebertretungen und Ver­sehen der Vernachlässigung der pflichtgemäßen 06 forge.

Polen   verzichtet. Die Hetze gegen den polnischen Erbfeind wurde abgeblasen, der auf zehn Jahre vertraglich festgelegte Verzicht auf jede Revision der Ostgrenze bahnte den Weg zur deutsch  - pol­1. Die Entschließung findet eine Anwen- nischen Freundschaft. Jedem Kanzler der Wei­Abstimmungskommission der im Artifel 1 angeführten rechtsträf, dung auf Perſonen, welche neben einer llebertretung marer Republik, der dieses Oſtlocarno g" chloſſen oder einem Vergehen gegen das Gesetz zum Schuße

ernannt

1. Wenn der vor dem Tage dieser Entschlie ung von einem Zivilgericht wegen eines vor dem 1. Jänner 1934 begangenen Vergehens oder einer Uebertretung nach dem Gesetze zum Strafe als I

Artikel V.

tig Verurteilte bei dem Gericht 1. Instanz bis der Republif oder einem auf llebertretung des Ge- hätte, wäre die Kugel eines braunen Mörders 15. Juli b. 3. ein Gesuch um achieves zum Schuße der Republik   sich beziehenden als Rächers der deutschen Ehre" sicher gewesen. Genf  , 16. Juni. Das Völkerbundsekretariat si cht oder um Milderung der gibt heute offiziell bekannt, daß die Abstimmungs- Strafe einbringt und er weder ſtraf. Bergehen oder einer lebertretung der Vernachläffi- Unter dem Druck des Fascismus verwandeln sich gung der pflichtgemäßen Obsorge verfolgt werden alle Fakten der Verzichtspolitik in großartige fommission für das Saargebiet ernannt worden gerichtlich verfolgt wird, noch vor dem Tage dieser oder durch das gleiche Urteil oder ein auf Grund des ist. Auf Vorschlag des Dreierkomitees hat der Entschließung wegen einer nach dem 1. Jan:§ 265, der Strafprozeßordnung ergangenes Urteil Erfolge. Die Emissäre, die im Korridor und in ner 1934 begangenen Straftat verurteilt worden ist. oder ein zur Grundlage der Bemessung einer Ge- Schlesien   frei wurden, schickte Hitler   nach Dester­Präsident des Völkerbundrates nach vorheriger ist der Vollzug der Strafe bis zur endgültigen Entsamtstrafe nach§ 517 flobatischer Strafprozeß reich. Von der Münchener Propagandastelle aus Fühlungnahme mit den anderen Ratsmitgliedern scheidung über sein Gesuch aufzuschieben oder wenn ordnung dienendes Urteil auch wegen einer anderen folgende Persönlichkeiten bestimmt: mit dem Strafvollzug bereits begonnen wurde, zu Straftat verurteilt wurden. begann die Offensive gegen den schwächsten Nach unterbrechen. 2. Die Gesuche um Nachsicht oder Milderung fonfurrierenden llebertretungen oder Vergehen nach schaltung Oesterreichs   sollte den deutschen Natio­2. Auf Personen, welche wegen miteinander bar. Der Anschluß oder wenigstens die Gleich)- der Strafe dürfen in den im Art, dem Geſeße zum Schuße der Republik   oder auf nalismus für den Verzicht im Osten ent­

Den Schweizer Viktor Henry. Kom­missar des Berner Jura   und Präfekt des Bezirkes

Bumurut; den Holländer D. de Jong, früherer

Generaldirektor der Regierungsunternehmungen und öffentlichen Arbeiten in Niederländisch Indien; den Schweden   Alan Rhode, Gouver neur der Provinz Gotland  . Zur gleichen Zeit hat der Rat als technischen Sachverständigen der Kommission die Amerika­nerin Miz Sarah Wambaugh beigeord­net, die nötigenfalls auch ein Mitglied der Kom= mission vertreten tann. Miß Wanbaugh war Ver­treterin der peruanischen Regierung bei der Vor­bereitung der Abstimmung von Tacna   und Arica  und ist die Herausgeberin verschiedener Schriften über nach dem Striege stattgefundene Abstim­

mungen.

Frankreichs   Außenhandel

Fällen von den Gerichten nicht abgelehnt werden, sondern sind dem Justizministerium mit einer Be­gutachtung vorzulegen.

3. Der Justizminister wird mir die Gesuche je­ner Personen, welche sich einer aus Unbefon­ne nheit oder unter dem Ein fluf anderer Personen begangenen Tat schuldig gemacht haben, mit seinem Antrag zur Entscheidung vorlegen. Artikel III.

1. Wenn der Angeschuldigte bis zum 15. Juli d. J., und wenn die Einleitung des Strafverfahrens erst nach dem 1. Juli d. J. erfolgt, 15 Tage nachdem ihm die Vorladung zu ſeiner ersten gerichtlichen Ein­vernahme als Beschuldigter eingehändigt wurde, bei der Staatsanwaltschaft ein Gesuch um Aboli= tion des Strafverfahrens wegen eines vor dem 1. Jänner 1984 begangenen Vergehens oder einer

lebertretungen des Gesetzes zum Schuße der Repu

blif sich beziehende llebertretungen oder Vergehen schädigen. Nun ist auch diese Offensive zu Ende. der Vernachlässigung der pflichtgemäßen Objorge Was feine Regierung der Republik auszusprechen berfolgt werden, oder in der in Absatz 1. angeführ= ten Art verurteilt wurden, kann diese Entschließung gewagt hätte, die des Dritten Reiches   bringt es nur dann Anwendung finden, wenn deren Bedin dem deutschen Volf als großartigen außenpoli erfüllt sind. Wurde wegen derartiger konkurrieren- Desterreichs an Deutschland  ! gungen bei jeder der konkurrierenden Straftaten tischen Erfolg: den Verzicht auf den Anschluß der Straftaten ein Urteil nach§ 265 Strafprozeß­

ordnung gefällt oder eine Gesamtstrafe nach§ 517 Aber wer bezahlt dieses täglich wach. flov. Strafprozeßordnung verhängt, so entscheidet sende Defizit der Hitlerschen Außenpolitif? 31­

free Beurteilung der Frage, ob Artikel I oder riifel II Anwendung finden soll, die Dauer der ursprünglichen Strafe zuſammen mit der Bujak strafe oder die Dauer der Gesamtstrafe. Lány, 16. Juni 1984.

Paris  , 16. Juni. Während der ersten fünf Monate 1934 wurden nach Frankreich   Waren im Der tschechoslowakische Regierungsdelegierte in Genf  : Werte von 10.650 Millionen Franken eingeführt, währen der Wert der Ausfuhr 7348 Millionen beträgt. Im Vergleich mit derselben Periode des Vorjahres ist die Einfuhr um 2048 Millionen, die Ausfuhr um 189 Millionen Franken zurüd­gegangen.

Dr. Beneš nach Bukarest  abgereist

Brag, 16. Jumi. Der Minister des Auswär­tigen Dr. Eduard Bene& ist in Begleitung des Legationsrates Dr. Vladimir Kučera Samstag abends nach Bularest zur Tagung des Ständigen Rates der Kleinen Entente abgereist.

T. G. Masaryk m. p. Dr. Dérer m. p.

Erhöhung der Kaufkraft der Massen

die erste Voraussetzung für ein Ende der Krise

nächst einmal die Deutschen   selbst, die um ſo ſtärker unterdrüdt werden, ie geringer

die Erfolge sind, die Goebbels   und Rosenberg und nun auch der Führer selbst aus dem Aus­land heimbringen. Um den peinlichen Eindruck der Niederlage zu verwischen, wird der deutsche Fascismus einfach seinen innerpolitischen Drud steigern. Nod) weniger Freiheit, noch schärfere Maßnahmen gegen Miesmacher und Stritifaster, das wird das nächste Ergebnis der Canossafahrt des Kanzlers sein.

Zu den Leidtragenden aber müssen mir aud) die österreichischen Nationalsozia. Listen rechnen, die für Hitler und seine natio. nale Idee ihre Haut zu Markte getragen haben Genf  , 16. Juni. Heute sprach auf der in Schichten, d. h. bei einem besseren Ertrag der und die jetzt der deutsch  - italienischen Freundschaft ternationalen Arbeitskonferenz zu dem Bericht des Produktion dank der Regelung des Angebotes und geopfert werden. Sie alle, die mit Revolver und Direktors Butler auch der tschechoslowakische Re- der Nachfrage eintreten werde. Der Wohlstand der Bombe gegen Dollfuß   und Fey gekämpft haben, gierungsvertreter Dr. Kolář, der sich sehr ein ganzen Welt hänge von dem Verständnis der gehend mit der heutigen Wirtschaftslage befaßte Menschheit für eine wirkliche wirtschaftliche So waren wie man nun erkennt, nicht mehr als ein und sagte, daß das Ende der Krise erst nach| lidarität und besonders von einer Beffe Austausch objekt der Hitlerschen einer Erhöhung der aufkraft rung der Berhältnisse der brei Politif. Die Nationalsozialisten, die in den breiten wirtschaftlichen ten sosial schwachen Maifen ab. Stämpfen mit der Heimwehr gefallen sind, die

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