Dmmerdbch, 28. Mmt«»V
Die Novellierung.?? der Sozialversicherung Wir habt» bereits mitgeteilt, daß die seit langem vorbereitete Novellierung des Sozial» Versicherungsgesetzes nun vollzogen wurde,«nd hoben dobei auch den wesentlichen Inhalt der Novelle bereit- besprochen. Wir geben im Nachstehenden eine knappe Uebcrstcht der wesentlichste« Bestimmungen der Regierungsverordnung wieder. Die Versicherten interessieren selbstverständlich in erster Linie die Aenderungen, dir in den Bersicherungsleistungen rintreten.
man ihn und seinen Kreis im Gegensatz zu Schönbrunn  " kurz nannte. Die serbischen Revolutionäre, die kein Kompromiß mit Oesterreich, sondern den Krieg, die Zerstörung der Moilarchie wollten, sahen gerade in Franz Ferdinand   die Gefahr. Eine alte geschichtliche Erführung, daß eine lebendige und zukunstssichere Opposition im feindlichen Lager gefährlicher erscheint als die herrschenden, aber konservativen Mächte. Darum hat sich Napoleon   mit den preußischen Junkern gegen die bürgerliche Revolution verbündet(der er dann allerdings um so sicherer erlag), darum hätte Bismarck   gern Napoleon III.   gegen die Republikaner   gehalten. Die serbischen Revolutio­näre fürchteten Franz Ferdinand  , weil er auf den slawischen Kurs zusteuerte, weil er die Jör- deralisierung der Monarchie, weil er die Nieder­werfung dcS niagyarischen Adels anstrcbte. Als in Belgrad   bekannt wurde, daß Franz Ferdinand   nach Sarajewo   kommt, organisierte ApiS eine Verschwörung. Die Schlamperei der österreichischen   Behörden, die Feindschaft hoch- gestellter Herren gegen Franz Ferdinand   er­möglichten das Gelingen. Selbst das erste Atten­tat brachte den General P o t i o r e k nicht zur Besinnung. So fiel Franz Ferdinand   zwar unter der Kugel Gavrilo P r i n c i p S, aber in Wahr­heft als ein Opfer österreichischer Verwaltungs­kunst, österreichischer Politik und des HasseS, mft dem der Kreis von Schönbrunn   den Erzherzog verfolgte. Der letzte Akt der nationalen Revo­lution der Slawen begann. Die Auflösung Oesterreichs   nahm unaufhaftsam ihren Lauf. Die Unfähigkeit und die Gewisscnlosigkeü der Staatslenkcr verschuldeten die furchtbaren Opfer der gesamten Menschheft, von denen der Untergang Oesterreichs   begleitet war. Daß die Schüsse von Sarajewo   sielen, daran trug die konservativ-reaktionäre Politik Franz Josephs und seiner Staatsmänner die Hauptschuld. Daß sic die ersten Schüsse dcS Weltkrieges wurden, auch dafür ist die Politik Schönbrunns und des BallhauSplatzeS verantwortlich, die zu verkalkt, zu starr, zu beschränkt, zu feige war, um cm das große Probien» der Erneuerung Oesterreichs   mit revolutionären Mitteln heranzugehen» aber gc- wissenlos genug, sich um die Krone und die Pri- vilegien der Herrschenden in ein Hasardspiel ein­zulassen, bei dem der Einsatz zehn Millionen Menschenleben betrug. Die Situation von 1934 hat der von 1914 manches gemein. Viele glauben, daß wir in einer neuen Vorkriegszeit leben. Haben die Völler aus der Tragödie von 1914 gelernt? Wer nach Italien   und Deutsch­ land  , nach Wien   und B u d a p e st blickt, muß das sehr bezweifeln. Daß die Tyranneien fallen werden, wie der Thron der Habsburger  fiel, das ist gewiß. Hoffen wir und kämpfen wir dafür, daß sie in ihren Untergang nicht.die Menschheft mitreißen, so wie Habsburg   in seinen Untergang Europa   mitgerissen hatl
Krankenversicherung DaS Krankengeld wird vom vierten(bisher vom dritten) Tage der Krankheit an bezahlt. Damit wird also eine sogenannte absolute Karenz in der Tauer von drei, statt von zwei Tagen eingeführt. Der Sah des Krankengeldes bleibt grundsätz­lich unverändert, doch wird durch Einschiebung eine­neuen Paragraphen 05 a unter gewissen Voraus» sctzungen eine vorübergehende Kürzung des Krankengeldes vorgesehen. Wenn der Krankenversi» cherungsbeitrag 4.8 Prozent des mittleren Tagesver­dienstes übersteigt, wird das Krankengeld in den er­sten 14 Tagen in der Weise herabgesetzt, daß es mit der Hälfte deS mittleren Tagesverdienstes bemessen wird, während es sonst ungefähr zwei Drittel des­selben beträgt. In der niedrigsten Klasse tritt jedoch nur eine Kürzung um LV Heller, von 2.70 KC aus 2.SO KC ein. In den höheren Klassen wirkt sich die Kürzung praktisch so aus, daß in der 2. 4. Klasse eine Kürzung um 20 Prozent, in der 8. Klasse eine Kürzung von 13 KC auf 1V KC und in der 6. 10. Klasse eine Kürzung um 28 Prozent eintritt. Für Groß-Prag wird eine Begünstigung ge» schaffen, indem hier eine Kürzung erst bei 8 Pro­zent eintritt. Uebersteigt der Versicherungsbeitrag 8i4 Pro­zent, so erstreckt sich die erwähnte Kürzung auf die ersten 00 Tage und e» werden auch die Leistungen im Falle der Schwangerschaft und deS Wochenbettes in der gleichen Weise herabgesetzt. Für die nächsten drei Jahre vom Wirksamkeits­beginn der Novelle soll die Ausdehnung der Kürzung auf 00 Tage aber nicht bei 8% Prozent eintreten, sondern erst, wenn der Versicherungsbeitrag 8 Pro­zent übersteigt. DaS Krankengeld ist durch 388 Tage zu zahlen. Bisher war die Frist mit einem Jahr bestimmt und der Versicherte mußte sich Perioden, in denen er während dieses Jahres kein Krankengeld bezog, auf die Unterstützungsdauer einrechnen lassen. Diese Be­stimmung bedeutet also bei langwierigen Krankheiten eine wesentliche Verbesserung. Der Kreis der Familienangehörigen, die An­spruch auf die Naturalleisttmgen der Krankenversiche. rung haben, wird einigermaßen eingeschränkt, da Geschwister und Schwiegereltern auSgeschieden wer­den. Doch kann diesen Personen die Krankenpflege als statutarische Leismng gewährt werden, wenn der finanziell« Stand der Anstalt eS erlaubt. Alters- und invalldltflts- vcrsldierung Die wichtigste Aenderung ist hier die Einfüh­rung deS Alters zu schusseS. Dieser kommt allen Versicherten und Rentnern zugute, die bis zum 31. Dezember 1031 die Wartezeit vollendet hatten und im Jahre 1026, also im Jahre deS Inkrafttre­tens deS ursprünglichen Gesetzes älter als 27 Jahre gewesen sind. Der AlterSzuschuß wird so berechnet, daß der Durchschnitt der jährlichen SteigerungSbe- träge, auf die der Versicherte Anspruch erworben hat, durch drei geteilt und diese- Drittel mit der An­
zahl der Jahre mulffpliziert wird, um die der Ver­sicherte im Jahre 1028 älter war als 27 Jahre. Diese Maßnahme läuft also auf die Anrechnung eine- Drittel» der nichtversicherten Dienstzeit hinaus. Der AlterSzuschuß ist danach um so höher, je älter der Versicherte, bzw. Rentner ist. Der Mott» venbericht führt hiefür einige praktische Beispiele an: Ein Versicherter, der im Jahre 1883 geboren wurde und bi» 18. Oktober 1081 versichert war, bezieht jetzt eine JnvaliditätSrente von 1874 KC. Mit dem AlterSzuschuß wird sie mif 1648 oder mn rund 20 Prozent steigen. Ein Versicherter, der im Jahre 1878 geboren wurde und der nach den bisherigen Bestim­mungen 1880 KC erhält, wird einen AlterSzuschuß von 420 KC erlangen. Obwohl also sein Versiche­rungsverlauf wesentlich ungünstiger war, al» im erstangeführtcn Beispiel, wird er, eben infolge fei­net höheren Alter», einen höheren AlterSzuschuß be­kommen. Lin Versicherter, der im Jahre 1867 ge­boren wurde und jetzt 1810 KC bezieht, wird unter Hinzurechnung de» AlterSzuschusse» auf 2417 KC Anspruch haben. Es handelt sich als« mn«tue nicht unbetröcht- liche Verbesserung der Leistungen, die da» Ausschei­de« der alten Arbeiter au» dem Arbeitsprozeß er­leichtert und daher auf den Arbeitsmarkt günstig einwirken wird. Bon den übrigen Bestimmungen über die Lei­stungen der Alters- und Invalidität-Versicherung ist noch zu registrieren, daß die Witwenrente nunmehr allgemein bereits mit dem 60., statt wie bisher mit dem 68. Jahre an­fallen soll. Wahrung der Ansprache Ebenso wie in der Pensionsversicherung wird' nun auch in der Arbeiter-Sozialversicherung die Anerkennung für die Zukunft abgeschafft. Dafür werden aber die Bestimmungen über die Schutzfrist wesentlich verbessert. Die Schutzfrist, innerhalb de­ren die Ansprüche auch ohne Beitragszahlung ge­wahrt bleiben, ist jetzt mit 18 Monaten festgesetzt. In Hinkunft wird sie mindestens 24 Monate dauern, unter Umständen aber auch wesentlich länger sein, da sie mit einem Viertel der Versicherungssumme be­messen wird. Für Arbeitslose wird eine besondere Begünsti­gung dadurch geschasfen, daß ihre Ansprüche auch über die Schutzfrist hinaus während der Dauer der Arbeitslosigkeit bis zu 60 Monaten gewahrt blei­ben. Es muß also kein Arbeiter durch die Abschaf­fung der Anerkennungsgebühr um sein« Ansprüche kommen, wenn er nur innerhalb von fünf Jahren wenigstens ganz kurze Zeit in einer versicherungs­pflichtigen Beschäftigung stand. Organisatorische Bestimmungen Die Novelle enthält auch Bestimmungen organi­satorischer Natur, die vor allem dadurch notwendig wurden, daß die Novelle vom Jahre 1028 die durch sie herbeigeführten Aenderungen nicht konsequent durchdacht hat. In diesen» Zusammenhänge fft es von großer Bedeutung, daß di«obligatorischen Verbände, welche die Novelle von 1028 aufheben
aktive, sehr radikale, den starken Nachbarn dauernd provozierende Politik ihnen Freunde schaffen, mächtigere Staaten auf den Plan rufen konnte. Die Großfiirstenpartei in Petersburg  , die Freimaurer   in Frankreich  , die liberalen, traditionell türken- und habSburgcrfeindlichen Kreise Englands(voran Seton Watson) wurden mobil gemacht. Was dem reaktionären, unter der Diktatur der Obrenovik versumpfenden Serbien  nie gelungen wäre, dem radikal-demokratischen Serbien   der Revolution von 1903 gelang es. Das kleine Land wurde der Brennpunkt Europas  . ES erhielt Geld und Geschütze aus Rußland   und Frankreich  , es konnte Mazedonien   in Rebellion setzen, im Bunde mit den Bulgaren   1012 die Türken und im Bunde mit Griechen und Rumä­nen 1913 die Bulgaren   schlagen. Es konnte 1908/09 durch Monate der österreichischen Groß­macht trotzen und trotz der scheinbaren Demüti­gung vom März 1909 seine ziclbewußte Arbeit in Bosnien   fortseben. Der Tag der Abrechnung auch mit Oesterreich   mußte kommen. Kein Serbe zweifelte daran. Nur daß er so früh kam, kaum ein Jahr nach dem Balkankrieg und zu einer Zeit, wo Serbien   geschwächt war, das hatte die offizielle serbische Politik nicht gewollt, das war wiederum ein Werk unterirdischer Kräfte, des BundesEinigung oder Tod", der berüchtigten schwarzen Hand", im Grunde dcS Obersten Dragutin Dimftrijevik genanntA p i s". Zur selben Zeit, da Serbien   sich mächtig regte, alle Kräfte der Nation und zuvörderst die forffchriülichen, geschichtsbildcnden, die demokra­tischen Kräfte der Bauern, Arbeiter und Intel  - lektuellen sammelte und einsctzte, verfiel der 50-Millionen-Staat an seiner Grenze in Agonie. Denn F r a n z I o s e p h, im Grunde seines Wesens ein Mensch des 18. Jahrhunderts, hafte sich schon im 19. nicht zurechtgefunden, er mußte im 20. vollends versagen. Er stützte sich mehr und mehr auf die ungarische Gentry, auf die deutschnationale Bourgeoisie und die katholische Kirche  . Weit entfernt davon, die wirkenden ge­schichtlichen Kräfte überhaupt zu erkennen, dachte er nicht im Traume daran, die fortschriftlichen Massenkräfte zu wecken und für seine Staatsidee zu mobilisieren. Mit dem Herrscher und dem Hof vergreiste der ganze Staat. Die Ge­sundheit des Kaisers war der Maßstab der Poli­tik geworden. Die Politik der Monarchie war in Passivität erstarrt, die durch Säbelrasseln und krajtmeierisches Getue verdeckt werden sollte. Die Gegenkräfte gruppierten sich um den Thronfolger Franz Ferdinand  . So kon­servativ das Weltbild des Erzherzogs, so bor- «irrt er in seinem KlerikaliSmus, so hart und gewalttätig er in seinem Wesen war, blieb er innerhalb der monarchisftschen Ordnung doch die einzige Opposftion gegen den Kaiser. Es war höchst fraglich, ob sein Programm und seine Aktivität Oesterreich   als Monarchie noch retten konnten, aber es war sicher, daß außer ihm über- Haupt niemand da war, der e§ noch hätte tun können. Ein Teil der Slawen sympathisierte mft Franz Ferdinand  , mft demBelvedere", wie
Waidstein stecht seine Ahnen Von Otto Friedrich Albrecht Waldstein war ein geschickter Unter­händler. Man sagte ihn: eine kühne, wenn auch gelegenüich etwas zweideutige Art seiner Ver­handlungen nach. Er ließ sich so leicht von keinem in die Karten gucken, war schweigsam und bei aller Prunkliebe den Genüssen des Lebens, dem also, was maneS sich gut sein lassen" nennt, nicht zugetan. Zweifellos war er eine gute Er­scheinung: ein schargcschnitteneS Gefickt, schwarze Augen, schwarzes Haar und die starke, leicht ge­bogene Nase in dem gelblich-blassen Gesicht gaben ihm etwas Fremdländisches, oder, um in den Worten seiner zahlreichen Feinde zu sprechen, etwas Orientalisches, Südländisches. Albrecht Waldstcin hatte als Shudikus dec Kunstseiden-Trikotagen-Jndustric eine geachtete Stellung. Dabei war sein Werdegang eigentlich nicht dazu angetan, ihm die volle Sympathie der Berliner   Geschäftswelt zu sichern. Er stammte aus einem angesehenen alten Kanfmannshause. Sein Vater hatte ein großes Uniformgeschäft in der Näh« des Potsdamer Platzes, der Hof und die Generalität kauften gern beim alten Waldstein, denn er selbst hatte in seinem Auftreten etwas merkwürdig Martialisches, was den alten Hau­degen und den Angehörigen der Hofgesellschaft, die ja ganz in den Formen der preußisch-militärischen Ettkette lebten, gut paßte. Albrecht war der ver­hätschelte Sohn seines Vaters. In jungen Jahren hatte er Offizier werden wollen, und er verschlang geradezu kriegswissenschaftliche Bücher. Als dann aber der Krieg kam und er die Soldatenherrlichkeit aus der Prosa des Schützengrabens her kennen lernte, brachte er es ztvar zum Feldwebel, aber nicht weiter. Die einen sagten, er sei ein zu großer Geschäftemacher gewesen und habe sich von der
Front in die Zahlmeisterei gerettet, für die er im ungarischen Hinterland Schweine, Butter, Mehl, Seife und sonstige gute Dinge wohlfeil aufzukau­fen hatte und sicherlich nicht ohne klingenden Zwi­schengewinn der deutschen   Hilfsarmee in Serbien  weiterverlaufte. Die anderen wieder wußten zu berichten, daß die konfessionelle Herkunft später nannte man das dierassige Zugehörigkeit" der Waldsteins nicht ganz geklärt sei und daß man deshalb Albrecht Waldstein   vorsichtshalber in die Zahlmeisterei abgeschoben habe, um sich seine Wahl zum Offizier zu ersparen. In jener Zeit war Albrecht Waldstein, der gemäß den Traditionen seines väterlichen Hauses zu konservativen Gedankengängen neigte, voll von revolutionärem Ingrimm. Er bestellte denBer­liner Lokalanzeiger" ab und las mit grimmigem Schmunzeln die Leitartikel Theodor Wolffs im Berliner Tageblatt"^ Als der Krieg zu Ende ging, hielt abends in der Kantine Albrecht Waldstein in den Umsturz­tagen flammende Reden. Er brachte es zum Sol­datenrat, und, mit einer roten Binde geschmückt, nahm er sogar am Kongreß der Arbeiter- und Soldatenräte in Berlin   teil. Allerdings, das Par- lamentieren allein lag ihm nicht, sein praktischer Ehrgeiz drängte nach Betätigung, und bald saß er in der Kriegsrohstoffabteilung, ein glühender Verfechter der planwirtschaftlichen Tendenzen Walther Rathenaus. In der Zeit der Ueberlei- tung zur Friedenswirtschaft wurden die Unterneh­mer der Seidenindustrie auf den strebsamen jun­gen Man», mit dem sie oftmals wegen Seiden­importen zu verhandeln hatten, aufmerksam, und so kam es, daß er, als seine Amtsstelle geschlossen wurde, ohne große Schwierigkeiten den Uebergang zur Seidenindustrie fand, wo er als junger Mann des angesehenen Syndikus Dr. Bernstein, wie die­ser zu sagen pflegte, als sein christliches Aushänge­schild, fungierte. Die Rolle des Aushängeschildes allerdings genügte Albrecht Waldstein nicht, und wenn er auch nicht dazu kam, seine Studien mft
einem Doktorexamen abzuschließen, so besuchte er doch in den Abendstunden fleißig die Universität, um sich jenes gelehrte Rüstzeug» oder, besser ge­sagt, jenes fachliche Kauderwelsch anzueignen, daS man nun einmal braucht, um in Wirtschaftsver­handlungen mit Kurven, Statistiken und allge­meinen wirtschaftlichen Erwägungen den Kampf um den eigenen Nutzen zu verdecken. Albrecht Waldstein muß sehr tüchtig gewesen sein, denn als sich der alte Bernstein   in den Jnfla« tionsjahren, erschreckt über das wilde Zahlen­getümmel, zurückzog, da war seine Stunde ge­kommen. Er trat mit beträchtlichem Gehalt an die Spitze des Verbandes, heiratete die Tochter eines rheinischen Industriellen, die ihm aus Krefeld  Geld und gute Beziehungen mitbrachte und war, als sein Vater unter Hinterlassung eines gleich­falls nicht unbeträchtlichen Vermögens an ihn als Alleincrben verstarb, sozusagen ein gemachter Mann. Waldstein bezog eine geräumige Wohnung am Kurfürstendamm  , ließ sich abwechselnd»Herr Doktor" oderHerr Direktor" titulieren, reiste im Sommer wegen seines aus dem Kriege mitgebrach­ten Ischias ins Bad, genoß im Frühjahr den ersten Frühling an der Riviera oder den fruchtschweren Herbst im milden Meran  . Im Winter erholte er sich von den Strapazen der Saison auf Wunsch seiner Gattin einige Tage in Oberhof   oder auch in dec Schweiz  . Kurz, er führte das Leben eines mehr als wohlhabenden Mannes, für den mit der Zeit ein gewisser Lebensstil einschließlich des schweren MercedeS  -WagenS zur unentbehrlichen Selbstver­ständlichkeit wird. Nach mehrjähriger Ehe hatte er auch die Freude, einen Nachkommen zu erhalten, der von einer sauber gekleideten Nurse im Tier­garten, rosig und weih gebettet, spazieren gefah­ren wurde. So fehlte eigentlich Waldstein nach mensch­lichem Ermessen nichts zu seinem Glück, und wenn man von ihm sprach, so hieß es allgemein:Ein Erfolgsmensch". Leider setzten die, die ihn kann­ten, auch hinzu:Ein Gewaltmensch". Denn in
dem Maße, in dem ihm die Erfolge zufloffen, stei­gerte er nicht nur seine Ansprüche, sondern auch sein schroffes und herrisches Wesen, daS ihm man­chen Gegner machte. Dabei blieb er selbst unbe­friedigt. Mit Aerger vor allem bemerkte er, wie die von ihm vertretene Seidenindustrie neben ihrer jungen Schlvester, der Kunsffeide, ins Hintertref­fen zu geraten begann. Waldstein sah Gefahren und suchte sich zu sichern. ES war nämlich merk­würdig, daß dieser nach außen hin so selbstsichere Mann innerlich trotz aller Erfolge etwas unsicher war. Seit der Militärzeit verband ihn persön­liche Freundschaft mit einem jüdischen Mediziner. Dr. Rosendorf gehörte zu jener Kategorie Aerzte  , die wissen, daß es für einen Arzt zwei Möglich­keiten gibt entweder tüchtig, auftichttg und nüch­tern zu sein und sich mit der Praxis der kleinen Leute zu begnügen, oder aber eleganten Frauen elegante Reisen, wohlgenährten Kaufleuten ihre LieblingSspeifen und unzuftiedenen Reichen an­genehme Auslösungen ihrer Komplexe zu verschrei­ben, um sich die gesicherte Praxis eines modernen Arztes, oder, wie man im Berliner   Westen zu sagen pflegt, eines ModcarzteS zu verschaffen. Dr. Rosendorf ging mit Bedacht den zweiten Weg und brachte es zu einer immer noch elegant wir­kenden leichten Leibesfülle, einer großen, schwarz- »mränderten Brille und einem OrdinationSzim« mehr, in dem in den Kästen blitzblank die merk­würdigsten Instrumente einen Totenschlaf hielten, alldieweil der Herr Doktor sich damit begnügte, den Pattenten, denen die im Wartezimmer ausliegende psychoanalytische Literatur daS notwendige Gru­seln beigebracht hatte, die weisesten Ratschläge zu erteilen. Mit der unbeweglichen Miene eines Beichtvaters hörte er die seelischen Geständnisse unbefriedigter Frauen und blasierter Ehemänner an, um alsdann unter HintveiS auf allerhand mysteriöse Zusammenhänge mit irgendeinem der erwähnten unschädlichen, aber süßmundenden Re­zepte herauSzurücken. (Fortsetzung folgt.),