14. Jahrgang Freitag, 29. Juni 1934 Nr. 150 Der organisierte Sadismus Oesterreich in Flammen Eisenbahnattentate— Sprengstoffanschläge— Bombenexplosionen Salzburg , 28. Juni. Gestern abends wurde auf dem Mnckart Platz in Salzburg ei» Sprengkörper zur Explosion gebracht, durch den zalitreichc Fensterscheiben in den umliegenden Mausern zertrümmert wurden und sonstiger Schade ongerichtet wurde.— Nächst dem Mira» brllengarten in Salzburg explodierte spät nachts ein Sprengkörper, durch den größerer Sachschaden ongerichtet wurde. Außerdem explodierte in »er Kronachgaffe unterhalb deS Landftauses rin Sprengkörper, wodurch ebenfalls bedeutender Sachschaden verursacht wurde. Heute früh wurde das Transformatorenhaus der Starkstromleitung in Gniglge- sprengt. Durch die Sprengung ist die Licht, leitung in Gnigl gestört.— Bei Edenbauer und Srrlirchrn wurde versucht, durch Sprengkörper, bestrbrnd auS Ammonit, die Geleise zu sprengen. Der Schaden wird bald behoben werden. Auf die Salzburger st ädtischeWasser- leitung wurde zwischen Leopoldskron und der Salzburger Stadtgrenze ein Sprengan» schlag verübt. In der vergangenen Rächt wurden bei der EisenbabnbrUcke nächst»dem Schloß' Fischftorn in der Nähe von Bruck an der Glöckner- straße vier Burschen von der Schntzkorpspatrouillr angrhalten. Die Burschen flüchteten jedoch unter Zurücklassung von vier Rucksäcken. Die Schutz- korpSpatrouille sandte den Flüchtenden einen Schuß nach, ohne jedoch zu treffen. Die Rucksäcke enthielten 26 Bomben im Gewicht von 26.?» Kilo gen mm, weitere Sprengpatronen im Gewichte von 7.5 Kilogramm, eine Handgranate, eine adjustierte Weckeruhr, 1.66 Kilogramm Zündschnüre, viele Sprengkapseln, Pistolrnmunition, einen Sack Pfeffer usw. Das gesamte Material ist reichsdeut, scheu Ursprunges.— Auf der Bahnstrecke zwischen Annif und Grödig wurde ein Rucksack, enthaltend neun Stück mit Draht verbundene Blechkisten samt Zündschnüren, gefunden. In Zell am See wurde rin Radfahrer wegrn Fahrens ohne Licht angeholten. Er ergriff»nter Zurücklastung des Fahrrades und seines RucksackrS die Flucht. Der Rucksack enthielt 46 Sprengpatronen samt Taschenlampenbatterien und Uhrwerk. Zusammenstöße In Graz amtlich zugegeben Wien , 28. Juni. Dir Amtliche Nachrichtenstelle teilt mit: Gestern abends kam es in Graz zwischen Angehörigen der Selbstschutzverbände, bezw. deS OrtSfchuNeS und Soldaten zu Reibereien, dir auf persönliche Differenzen zurückzn- führen sind. Dieser Anlaß wurde von national- sozialistischen Straßrnpasianten zu einer politischen Demonstration benützt. Pollzclhauptmann durch Bombenwurf tödlich verunglückt. Wien , 28. Jnni. Der Polizeihauptmann Konrad NoSlo, der vor einigen Tagen bei einer Bomvenerplosion im Gebäude des Polizeikommissariates im Vl. Bezirk kMariahilf) schwer verletzt wurde, ist heute früh im Krankenhaus gestorben. NoSio war bei der Erplosion die linke Hand abgerissen worden. Stadentenverhände aufgelöst Graz, 28. Juni. Der Grazer SicherhcitSkom- missär hat die nationalen Studentenverbindungen .Leder",.Rontania" und„Gru-cia" in Leoben wegen illegaler nationalsozialistischer Propaganda aufgelöst, ihr Vermögen beschlagnahmt, ihrs Häuser gesperrt und versiegelt. Standgerlchtsurtelle Wien , 28. Juni. Die StandgcrichtSprozesse gegen die nationalsozialistischen Bombrnattentäter werden fortgesetzt. Heute wurden in Wie» wieder zwei junge Nationalsozialisten verurteilt, und zwar der 26jährige Bäcker Karl Maner und der 2ljährige Mechaniker Erich Gervais,'die in ihren Wohnungen Sprengstoffe aufbewahrt hatten und einige Bombenanschläge in Hainburg und Umgebung verübten. Sie wurden jeder zu sechs Jahren schweren Kerkers verurteilt. Schlecht gespielte Komödie Wien . 28. Juni. Als gestern abends der Hauptmilarlwiter Bizebürgermeister Winters, Josef Knoll, der Chefredakteur des gleichgeschalteten„Vorwärts"-Verlages«früher sozialdemokratisch) auf einer Protestversammlung der Mieter in den Gemeindebanten deS 10. Bezirkes sprach, wo zahlreiche Redner in scharfer Weise gegen die beginnende MietzinSerhöhung in diesen Gemeindebauten Stellung nahmen, wurde er nach seinen Ausführungen von den anlvesenden Detektiven verhaftet und auf daö Polizeikonnnissariat im 16. Bezirk gebracht. Erst nach einem Verhör und über Intervention seiner Freunde wurde er wieder auf freien Fuß gesetzt. Heß droht mit Ersatzindustrie Berlin , 27. Jnni.(DNB.) Anläßlich der Tagung der deutschen Außenhandelskammern sprach im Auftrage des Reichskanzlers Hitler dessen Stellvertreter ReichSminister Rudolf Hetz, der u. a. auch a-* den Boykott deutscher Waren, im Ausland zur Sprache.brachte und hiebei Folgendes aüsführte:' Wir, das nationalsozialistische Deutschland , hatten die Absicht und haben sie immer wieder betont, einen regen Güteraustausch mit anderen Völkern zu pflegen, nicht zuletzt, weil dies ein Weg ist zu gegenseitigem Verständnis und damit zum Frieden. Wir wolle» durchaus nicht eine Autarkie anstreben. Ein erfolgreicher Boykott jedoch würde uns zwingen, alles zu tun, um uns, so weit als möglich, vom AuSlande unabhängig zu machen. WaS bliebe uns denn anderes übrig, wenn das Ausland uns die Möglichkeit nähme, die Mittel zu beschaffen, um draußen einzukaufen. und das dürfte das Ausland wissen: Wenn wir wirklich uns entschließen, uns vom Ausland unabhängig zu machen, dann tun wir eS mit der Entschlossenheit, die Deutschland von jeher aus- zeick'net, wenn es sich in den Grundlagen seiner Existenz bedroht fühlt. Während der letzten Monate hat mau sich in der Weltöffentlichkeit immer weniger mit den furchtbaren Vorgängen in den deutschen Gesang, nissen und Konzentrationslagern beschäftigt. Das könnte den Eindruck erwecken, als oh die Mißhandlungen und furchtbaren Bluttaten in einzelnen Lagern geringer geworden oder gor verschwunden wären. Unsere Pflicht ist es, durch wahrheitsgemäße Feststellungen der Tatsachen das Weltgewissen wach zu Italien , damit jenen, die noch zu tausenden heute in der Hand der braunen Barbaren sind, Hilfe komme. Durch Schweigen würden wir uns mitschuldig machen Wenn wir die zu uns gelangten Berichte aus den letzten Monaten betrachten, so müssen wir übereinstimmciid feststcllen, daß, ob cs fick» um das Konzentrationslager Colditz oder um das Koiizciitrationslager Dachau handelt, die Methoden der Menschcnguälcreicn zwar wech- sein, immer wieder ncne Lualcn erdacht werden, aber keineswegs von einer Abstellung dieses furchtbaren Schandmals neudeutscher Geschichte gesprochen werden kann. Vielleicht ist es so, daß eine Minderheit der SA- und SS -Lcutc weder dieses Treiben billigt noch gar mitmacht. Aber die Mehrheit ist Exekutor und Zuschauer zu- gleich. Ob man aus dem Konzentrationslager in Colditz in Sachse » einen Zeugen hört oder am gleichen Tage ein Opfer aus Dachau spricht, nach allen Berichten muß inan zu der Uebcrzcugung kommen, daß alle Mißhandlungen nach einem schematischen Plan vor sich zu gehen scheinen und daß die Formen der Mißhandlungen— berück- sichtigt man alles, was darüber bekannt gewor- de» ist— immer wioder daraus schließen lassen daß nicht eine irgendwie künstlich erzeugte Em- pörnng zu diesen Mißhandlungen Anlaß gibt sondern das; es sadistische, sexuell betonte Triebe sind, die zu den Greueltaten führen. Ein junger zweiundzwanzigjähriger Arbeiter berichtet, daß er nach seiner.Ankunft in Col ditz während der Vernehmung über einen Stroh- sack gelegt wurde und mit dem Gummiknüppel etwa zwanzig bis fünfundzwanzig Schläge erhielt.„Wir waren alle junge Kerls", fügte er erklärend hinzu. Nach längerem Fragen stellte sich heraus, daß er mit dieser Bemerkung seine Beobachtung wicdergeben wollte, die dahin ging, daß die SA-Leute besondere Freude daran Hal- tcn, diese jungen Burschen zu schlagen. Ganz besonders übel waren die Juden in Colditz dran, die vor allem damit geguält wurden, daß man sie zu dm unangenehmsten Arbeiten, wie Latrincnrcinigung, Leerung der Jauchegruben, um nur die mildesten zu nennen, heranzog.. Und aus Dachau , dem größten Konzentrationslager in Bayern , liegen noch lvcit furcht- barere Berichte vor. Hier hat man nicht davor zurückgoschreckt— bayrischer Jüstizniinister ist der Nationalsozialist Dr. Frank I I!—, die Menschen zu Tode zu foltern. Zwei uns bekannte Ge- währömänncr sagen übereinstimmend aus, daß sie selbst nicht mißhandelt worden seien. Miß- handelt wurden Juden, Funktionäre und solche Gefangene, die einen besonderen Vermerk hoben. Trotzdem kann es sehr wohl Vorkommen, daß ein ganzer neu ankommender TrairSport mißhandelt wird. Lassen wir uns über Dachau folgendes im Zusammenhang sagen: Die Arbeiten, die die Ge- sangcncn zu verrichten haben, bestehen in Bauarbeiten für das Lager, Geleisearbcite», Arbeiten in den Kiesgruben. U. a. sind auch in Dachau 83.000 Militärschränke hergestellt worden.. Für den Sommer besteht folgende Arbeitseinteilung: 3 Uhr früh aufstehen, 6 Uhr antreten zum Ar- beitsdicnst, um 12 Uhr Einmarsch zum Mittagessen. Von 2 bis 6 Uhr erneut Arbeitsdienst, 7 Uhr Essen , 8 Uhr Zählappell, 8.30 Uhr schlafen gehen. Das Essen war anfangs besser, jetzt besteht cL aus: morgens schwarzer Kaffee und «« Südbahnstrecke verwüstet Wien , 28. Juni. In der Nacht auf heut« Wurde wieder eine ganze Reihe von Anschlägen auf Eisenbahn- und Telegraphenobjckte in Oester reich verübt. Es wurden wioder große Materialschäden verursacht, doch sind den ersten Nachrichten zufolge keine Menschenopfer zu beklagen. Die erste konkrete Nachricht kam aus Judenburg in Steier mark , wo auf der Südbahn -Strccke, drei Kilometer vor der Stadt, an zwei Stellen dieEiscn- vayngeleise durch die Explosion einer Mine zerstört wurden. Weiteren Meldungen zufolge wurden bei Amstetten die Eisenbahngeleise der Westbahn durch die Explosion einer Bombebeschädigt. Auch in Salzburg wurden an zwei Stellen die Geleise durch Bomben beschädigt. Der Verkehr mußte vorübergehend unterbrochen werden. Bei Vöcklabruck an der Westbahn wurden, ebenso wie an einigen anderen Stellen Oberösterreichs und Salzburgs Telegraphenstangen durch Explosionen umgelegt. Wie«, 28. Juni. Vor dem Gebäude des katholischen Berlages in Innsbruck fand heute früh eine Patrouille eine Bombe. Ein Mitglied des Schutzbundes warf sie beiseite in einen Garten. Die Bombe explodierte und richtete großen materiellen Schaden an. Zahlreiche Fensterscheiben der umliegenden Häuser wurden zertrümmert, viele Bäume vernichtet.— Bei dem Eisenbahnviadukt in Innsbruck wurde eine große Höllenmaschine gefunden, die jedoch rechtzeitig unschädlich gemacht werden konnte.— In Mühlau in Tirol wurde auf das dortige Elektrizitätswerk ein Bombenanschlag v e r üb t, durch den ungeheuerer Schaden verübt wurde.— In Hall in Tirol wurde auf das dortige staatl i'ch e Salzlager ein Bombenanschlag verübt, wobei ebenfalls großer Schade verübt wurde.— Auf der Eisenbahn st recke in der Umgebung von Mittenwald explodierten 3 Bombe n, wodurch insbesondere die Eiscichahngeleise bei Ehrwald und Lormos beschädigt wurden. Innsbruck , 28. Juni. In Ruch wurde heute ««'s das Elektrizitätswerk ein Sprengstoffanschlag verübt, wobei erheblicher Sachschaden verursacht wurde.— Auch in Achensee wurde durch Explosion einer Bombe erheblicher Schaden verübt. In Kufstein wurde auf die Transformatorenstation ein Bombenanschlag verübt, wobei die Station stark beschädigt wurde. Zwischen Feldkirch und Bludenz in Vorarlberg wurden die Eisenbahngeleiseherau s- gerissen, so daß der Verkehr in den Morgenstunden unterbrochen lvar. * Weitere Anschläge Wien , 28. Juni. In den Abendstunden werden weitere Anschläge und Sabotageakte gemeldet. Ans der Mariahilferstraße in Wien explodierte nachmittag ein Pabicrböllcr und bei der Universität wurde eine Tclcphonzellc durch eine Explosion zerstört. In MaiShofen bei Salzburg wurden in einer Scheune Koffer und Rucksäcke gesunden, welche 16 große und 24 kleine Ekrasitbomben deutschen Ursprungs enthielten. Zwischen AlbertS- wende und Langenegg < Vorarlberg l ist eine Holzbrücke abgebrannt. Die Behörden vennuten einen verbrecherischen Anschlag. An der„Fernpaßstraße" in Tirol bei Kilometer 6 ist in einer Mauer eine Bombe explodiert und hat Materialschaden angerichtet. 2n nächster Nähe wurden 10 Ekrasitbom- bcn von 10 Kilogramnr Gewicht gleichfalls reichsdeutschen Ursprungs gefunden. Schutzkorpsmann angeschossen Wien , 28. Juni. Gestern Wend hat der aus Bayern geflüchtete rcichsdeutsche Staatsangehörige Otto Petz, der angibt, Kommunist gewesen zu sein, in der Wohnung deS Leopold Neumann im 10. Wiener Bezirk auf den zu Besuch weilenden Angehörigen deS Schutzkorps Hubert Spengler drei Schüße abgegeben, wovon zwei Spengler in die beiden Schenkel trafen und schlvcr verletzten. Spengler wurde ins Spital überführt. Der 22- jährige Täter tmrrde verhaftet. Verhaftungen um Papen Berlin , 28. Juni. Einer der nächsten Mitarbeiter des Bicekanzlers von Papen, Doktor Edgar Jung , ist, wie Gerüchte tviffen wollen, von der Geheimen Staatspolizei gestern verhaftet worden. Es wird ihm u. a. zur Last gelegt, daß er der Mitverfasser der Marburger Rede des Vizekanzlers war, deren Veröffentlichung in Deutschland bekanntlich verboten wurde. Außerdem wurde auch Dr. Walter Schotte verhaftet, der Mitglied deb konservaiven„HrrrenklubS" ist, der gleichfalls dem Vizekanzler von Popen nahestrht. Dr. Walter Schotte ist der Herausgeber der konservativen Korrespondenz„Führerbriefr". Hindenburg neuerdings schwer erkrankt Berlin meldet, daß sich seit DienStag abends Professor Sauerbruch am Krankenlager Hindenburgs in Reudrck befindet, dessen Zustand zu den ärgsten Befürchtungen Anlaß geben. Alle Besuche beim Reichspräsidenten mußten infolge der schweren Erkrankung Hindenburgs abgewie- scn werden.
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14 (29.6.1934) 150
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