Wnfteg, ft. Staff 1S3C sind ant Körper furchtbare Brandmale festgestcllt worden.„Auf der Flucht erschossen" wurden am 11. April 1938 Rechtsanwalt Be- narr. Kahn II, Goldmann, Kahn I-Miinchen, Dr. Straub-München und Direktor E. Deutsch . Ebenfalls„auf der Flucht erschossen", aber zu anderer Zeit wurden der Kommunist Stenzer, Hausmann-Augsburg, Götz-Miinchen, während von dem kommunistischen Landtagsabgeordneten Fritz Dresse! gesagt wird, daß er sich aufgehängt habe. In Dachau rechnet man die Zahl der dort Ermordeten aus 80. Das ist der Extrakt aus mehreren umfassenden Berichten, die in den jüngsten Tagen gegeben wurden. Nicht die Furchtbarkeit dessen, was sie in ihrer nüchternen Sprache enthalten, ist so erregend, nicht die erschütternde TodcSlistc, die in diesen Berichten enthalten ist; das Unfaßbare ist wohl die Tatsache, daß dieser Sadismus seit mehr als einem Jahr, seit fünfzehn Monaten wütet, ohne daß irgendetwas geschehen kann, um ihm endlich Einhalt zu gebieten. Ob die Men- schen geschlagen oder über die Kasernenhäfe gejagt oder, wie Carl von Ossietzky , in das Moor getrieben werden, das Entscheidende bleibt die Tatsache, daß wild gewordene Barbaren an tau. senden und abertausende» Menschen organisiert ihre Quälereien auSüben dürfen, ohne daß die Welt aufschrcit, ohne daß die Welt diesem bluti. gen Treiben ein Ende macht. In Deutschland , das zeigen die neuesten Berichte wieder mit aller Deutlichkeit, tobt die Bestie, und mit Bestien pflegt man nicht Tee zu trinken oder Briefe zu wechseln oder ihnen Sonntagspredigten zu Hal. ten, zu ihrer Vernichtung bedarf es allerdings rudikalcrer Mittel. Gemilderte Pressenovelle genehmigt trockenes Brot, mittags eine Schüssel Essen(Kartoffeln und Sauerkraut oder Gemüsesuppe mit Fleisch oder Gerstensuppe mit Fleisch oder die berühmten Kuttclflcckc), abends Brot mit Wurst. Das Essen ist bei der anstrengenden Arbeit un- zureichend. ES bestehe» neu» ArbcitSkolonnen ui.d eine zehnte, in der sich Lungenkranke befinden. Um den Zusammenhalt der Schuhhäftlinge nut einander zu verhindern, hat man in Dachau 40 bis 50 Prozent Kriminelle aus Arbeit-, und DerwahrungShäuscrn hineingesteckt. Der Rest der Gefangenen setzt sich zu zwei Dritteln ans KPD - und ein Drittel SPD -Leuten zusammen lind noch etwa 80 Juden, die besonders schwer miß. handelt werden. Nun etwas über die Methoden der Mißhandlungen. Dr. Katz, der als Arzt in Dachau anitierte, starb im November im Arrest. Er wurde nachweislich schwer mißhandelt. Im Lager war man sich darüber klar, warum Dr. Katz iin Arrest gestorben war, denn er, ein gewisser Alt. mann und ein Dritter namens Willi Franz, die im Büro beschäftigt waren, hatten über die vor- gekommenen Mißhandlungen Notizen gemacht und sind dabei betroffen worden. Die Folge waren Mißhandlungen über Mißhandlungen und daS Ende— ihr Tod. Ein junger Schuhhästling aus Dachau be. richtet, daß die Prügelstrafe dort offiziell einge. stihrt war. ES gab Stockhiebe, falls das Rauchoder Sprechverbot überschritten wurde. Man kann nicht von regelmäßigen Mißhandlungen sprechen. Es gab Perioden der Ruhe, der dann wiederum dauernde Mißhandlungen folgten. Ein junger Arbeiter z. B., der in München die Parole„Rot Front " auf einen Bauzaun geschric- ben hatte, wurde in Dachau in die Küche ein- geliefert und mit Schuhen und Fäusten bis zur Bewußtlosigkeit geschlagen. Dann wurde er durch Wasser wieder zur Besinnung gebracht und von neuem geschlagen. Die Neuankömmlinge mußten in der Regel Kniebeugen machen, bis alle Kompagnien vorbcimarschiert waren. Falls das nicht klappte, wurden sic mißhandelt. Und zwar legte man sic auf einen Tisch, entblößte das Ge- säß und hieb mit Ochsenziemern oder Hundepeitschen auf sie ein. Todesfälle, auch die drei genannten, lvcrdcn immer als Selbstniord bekanntgegrben. So star- ben auf diese Weise: der jüdische Gefangene Fleischmann, der beim arbeiten in der Kiesgrube schwer mißhandelt worden ist; der frühere natio- nalsozialistische Hausbesitzer Hutzelmann aus Nürnberg . Der Referendar Aron aus Bamberg erlag den mit Ochsenziemern erhaltenen Verletzungen. Der Kaufmann Schloß auS Nürnberg wurde derartig geprügelt, daß er am 10. Mai 1931 tot aufgefunden wurde. Ein gewisser Jlme- ginger aus Spasing bei München wurde ebenfalls im Arrest tot aufgefunden. Der Einkäufer von Tietz, Schmitz aus Nürnberg , starb im August 1933 infolge schwerer Mißhandlungen. Die beiden jungen Arbeiter Handschuh und Amunschel wurden bereits schwerkrank von der Stabswache Röhms aus München eingelicfert und starben, der eine am Tage der Einlieferung, der andere einen Tag später. Diesen beiden Leu- ten soll man mit Zigarren und Zigaretten die Brustwarzen ausgebrannt haben. Auf jeden Fall Justizminister Dr. Dörer greift In die Debatte ein Prag , 28. Juni. Der Abschluß der Debatte über die Prrssenovrlle, dir dann mit vrr schon grmeldrten Neustilisierung des 8 18 b von der Mehrheit beschlossen wurde, wurde durch das Eingreifen des Justizministers Dr. D t r e r intet* essanter gestaltet. Auch von den heutigen Ovvosttionsredneru wurden der Regierung in Bausch und Bogen die allerbösestrn Absichten hinsichtlich eines bewußten Mißbrauches der Slovetle einer geradezu sadistischen Knebelung der Presse in den Mund gelegt. Dagegen wendete sich nun Minister Dr. D i t e t in einer sehr klugen, au» dem Stegreif vorge- tragenen Rede. Zuerst bekam Herr JeZek, der Sprecher der Nationaldemolroten, einen Dämpfer durch den Hinweis, daß gewisse Oppositionsparteien die Grundlagen, aus denen die heutige Novelle aufgebaut ist, selbst haben schaffen helfen. Biele der Bestimmungen, gegen die im Eifer des Gefechtes loSgezogen wurde, stehen schon in dem geltenden Gesetzt Die Vorlage will lediglich die Preßfreiheit für den Fall regulieren, daß ein« Straftat begangen wird; das ist das Recht jeder Gesetzgebung. Der an» gefeindete 8 14 a(Schutz der demokratisch-republikanisch gesinnten Staatsbürger) ergänze nur eine Lücke im Schutzgesetz, das diese Staatsform unter besonderen Schutz stellt. Geschützt werden dadurch keineswegs nur die Anhänger der Koalition, sondern wohl auch der meisten Oppositionsparteien. Was die amtlichen Berichtigungen seitens des Präsidenten und der Regierungsmitglieder betrifft, so hatte bisher"schon jedes Amt da» Recht, Berichtigungen bis zum dreifachen Umfang der betreffenden Meldung zu bringen. In Frankreich und auch in England bestehen schon seit langem weitergehende Bestimmungen über Berichtigungen. Der Zwang zum Abdruck offizieller Erklärungen soll lediglich dazu dienen, die Oeffentlichkeit richtig zu informieren. Bei un» kann das betreffende Blatt gegen eine solche Kundgebung frei polemiesieren. Bemerkungen dazu machen und auch einen gegenteiligen Standpunkt vertreten. Dem Blatt wird also keinesfalls eine andere politische Meinung aufgczwungen, wie es bei der„Gleichschaltung" der Fall ist. Zum 8 18 a bemerke der Minister, daß die s parlamentarischen Körperschaften das Recht haben, gewisse Verhandlungen als vertraulich zu erklären; diese» Recht müsse man auch der Regierung zugc- stehcn, die eigentlich nichts anderes als ein Parlamentsausschuß ist. Es gibt gewisse Dinge, die nicht vorzeitig in die Oeffentlichkeit kommen sollen. Die Regierung hat, erklärte Derer zum Schluß, bisher die bestehenden Gesetze nicht mißbraucht und fie wird«4 auch weiterhin nicht tun; sie wird also auch nicht die Möglichkeiten und Rechte mißbrauchen, die ihr in der vorliegrnden Novelle gegeben werden.(Beifall.) * Der Nationaldemokrat JeZek fühlte sich durch die Rede de» Ministers scheinbar so getrosten, daß er sich ein zweitesmal zu Worte meldete und seinen bisherigen Verdächtigungen noch die weitere hinzufügte, daß man vielleicht versuchen könnte, die Praxis, die sich erst durch Gerichtsbeschlüsse herauskristalli» sieten mutz, auf unzulässige Weise zu beeinflusien. Im Schlußwort stellte der Referent R i ch t r fest, daß es viel richtiger wäre, unsere legislativen Eingriffe nach dem Gesichtspunkt zu beurteilen, was die Demokratien in unserer Nachbarschaft, dir schon nicht mehr rxistierrn, früher verabsäumt haben. Es mässe der Rrgierungökoalition da» Bee. dienst zugeschrieben werden, daß sich die Berhälmiffe bei un» günstiger und ruhiger entwickeln als in anderen Staaten. ■» StetKa Kommandiert die Opposition Während des Schlußworte» de» Referenten veranstaltete die Opposition in der Hoffnung, daß die Koalition allein nicht die nötige Präsenz zur Abstimmung aufbringen werde, einen feierlichen Auszug aus dem Sihungfaal. Der Kommunist Stitla kommandierte nicht nur seine eigenen Klubkollegen aus dem Saal, sondern auch die deutschen Christlichsozialen, die auf diese» Kommando auch schön brav und folgsam hinausmarschierten. Der einzige Effekt war der, daß die Sitzung auf eine halbe Stunde vertagt wurde. Nach Wiederaufnahme der Sitzung waren allein von Koalitionsseite gegen 120 Abgeordnete im Saal. Trotzdem schrie Stitka weiter herum, daß die Präsenz nicht vorhanden sei. Schließlich aber dirigierte er seinen Klub, der, um nicht in die Präsenz eingerechnet zu werden, draußen kn den Couloir» der kommenden Dinge harrte, selbst wieder in den Saal und gab auf diese Art zu, daß sein Manöver gescheitert sei. Vier Kommunisten ansdellelert Gegen Schluß der Sitzung kam der Antrag de» JmmunitätSauSschusscS auf Auslieferung der Kommunisten Gottwald, KroSnak, Stötka und K o p e e k p zur Verhandlung, die nach dem Schutzgesetz angeklagt find. Als Betveisstück gegen sie stm- giert u. a.«in Flugblatt„Nicht Nkasaryk, sondern Lenin ", das bei der kürzlichen Durchsuchung in den Räumlichkeiten des kommunistischen KlubsckretariatS gefunden wurde und das direkt zum bewaffneten Aufstand auffordern soll. Die Kommunisten schickten vier Redner tn die Debatte, dann machte ein Antrag auf Schluß der Debatte weiteren Obstruktionsversuchen«in End« und die Auslieferung wurde beschloßen. Nächste Sitzung Montag um 8 Uhr. Nach den bisherigen Dispositionen wird in dieser Sitzung das Exposs de» Außenministers erstattet werden. rin wegdelnssenes Wort macht die Novellierung de» Reebkompte-Gefetzes notwendig Gegen Schluß der Sitzung wurde eine Novelle zum Gesetz über da» ReeSkompte-Jnstitut im Druck verteilt. Die Novellierung hat sich schon nach so kurzer Zeit al» notwendig erwiesen, weil man bei einer seinerzeitigen Abänderung de» Gesehtexte« in letzter Minute übersah, daß dadurch— es wurde lediglich das Wort„insbesondere" im 8 8 ausgelassen— die gesetzliche Grundlage für die Ausgabe von Pfandbriefen durch da» genannte Institut ungewollt beseitigt wurde. Außer der Richtigstellung diese» Fehlers wird noch der VerwaltungsauSschuß durch drei Vertreter der haupstächlichsten Wirtschaftszweige außerhalb des Geld» und Versicherungswesens erweitert und eine Erleichterung für die kleinen VolkSgcldinstitute bezüglich der Abführung der vorgeschriebenen Ouartalsvorschüsie getroffen. Gegen Kuilurreaktton und sdiadlldies Sporen im Sdmlwesen Eine Reihe tschechischer fortschrittlicher Organisation, wie der tschechoslowackische Lehrerverband, die tschechoslowakische Legionärgemeinde, die Arbciterakademie, die Organisation der sozialdemokratischen Lehrer und Professoren, erlassen einen Aufruf an die tschechische Oeffentlichkeit, worin sie darauf Hinweisen, daß die demokratiefeindlichen Einflüsie au» dem Auslande zu einer Stärkung reaktionärer Bestrebungen auf dem Gebiete de» Schulwesens geführt haben. Die bezeichneten Organisationen verlangen daher, daß die Sparmaßnahmen im Schulwesen auf das geringste notwendige Ausmaß beschränkt werden, daß neue kirchliche Schulen nicht bewilligt werden, die StaatSunterstühung den kirchlichen Schulen entzogen oder diese wenigstens eingeschränkt werden sollen. Für die Lehramtskandidaten soll die absolvierte Mittelschule und die pädagogischen Akademien als notwendige Vorbildung festgesetzt werden. Die Schulreform soll gefördert werden. Der Volksbildung sollen die nötigen Mittel zur Verfügung gestellt werden. Waldstein sucht seine Ahnen Von Otto Friedrich E» war merkwürdig, daß Albrecht Waldstein, obwohl er doch sonst ein aufgeklärter und nüchterner Mensch war, irgendwie»«inen Aberglauben in sich trug, so wie die größten Freigeister gelegentlich in der Tasche nach der Kastanie greifen, wenn sie das Reißen packt. Waldstein las in seiner Freizeit gern etwa» abseitige Literatur. Geschichten von allen möglichen Wunderkulten, astrologische Bücher oder auch jene Nachfolger der Astrologie, Ivie sie eine pseudo- wissenschaftlichc Charakterforschung, Handschriftendeutung und dergleichen mehr darstellen, reizten seine Neugierde. Bei Dr. Rosendorf, mit dem er sich allwöchentlich in einer kleinen Weinkneipe zum Gedankenaustausch zu treffen Pflegte, stieß er dabei auf volles Verständnis. Rosendors stellte ihm eine Art Horoskop, aber nicht nach dem Stand der Sterne, sondern auf Grund seines Charakter» und des Charakters der Leute, mit denen er zu tun hatte und die er unter Beibringung von Handschristenproben seinem Freunde zumeist genau zu schildern Pflegte. Wenn es sich als notwendig erwieö, brachte er sogar in zwangloser Gesellschaft Dr. Rosendorf mit seinen Bekannten zusammen, damit er sich selber ein Bild von den geschilderten Personen machen konnte. Dr. Rosendorf war nicht nur in der Medizin, sondern auch im Handelsteil der Zeitungen, insbesondere in den Börsenberichten, gut zu Hause. Seine Gespräche mit Waldstein pflegten daher auch zumeist in einem ausgiebigen Austausch von Informationen über die Anlage von Wertpapieren zu enden. Dabei stellte es sich mit der Zeit heraus, daß beide in der günstigen Einschätzung der Kunstseide in zunehmendem Maße übereinstimmten, und obwohl Waldstein als Syndikus eigentlich der Seidenindustrie verschworen war, war er innerlich, sozusagen„moralisch", der Kunstseide stark Versalien, und zwar in dem gleichen Maße, in dem die Kurse dieser Unternehmungen an der Börsentafel cmporlletterten. Waldstein wurde zu einer Enquete über Zollfragen in den Reichswirtschaftsrat geladen. Er hatte zu jener Zeit bereits neben den zahlreichen Verbänden der Seidenindustrie, die er betreute, auch einen kleinen Fabrikantenverband für kunstseidene Schirmstoffe. Dabei kam er, um nicht zu sogen, in einen Gewisienskonflikt, so doch in eine merkwürdige Geschäftsdifferenz. Dr. Rosendorf gegenüber stellte er die Sache so dar:„Sechs Wochen lang habe ich nun mit Eifer die Interessen der Seide auf Freihandel verfochten, und du glaubst gar nicht, wie geläufig mir, als es nun plötzlich zur Frage der Schirmstoffe kam, die Gegenargumente der Kunstseide für Schutzzoll von den Lippen gingen." „Na, wenn das nur gut endet," meinte skeptisch Dr. Rosendorf. „Warum nicht?" Waldstcin blieS eine kräftige Rauchschwade aus der Zigarre.„Für Seide bin ich eben Freihändler und für Kunstseide Schutzzöllner. Jedem das Seine." Rosendorf wiegte bedenklich den Kopf. „Lieber Albrecht, das wird so nicht lange gut gehen. Du wsrst dich entscheiden müssen: Held oder Heiliger. Entweder du kämpfst wie ein Heiliger getreu für deine Seide oder du machst heldenhaft einen Schlußstrich unter die Vergangenheit und wirfst dich mit Löwenkräften für die Kunstseide in den Kamps." In Albrecht Waldstein blieben diese Worte hasten, und so war er eigentlich innerlich schon ein wenig auf den Umschwung disponiert, als der alte Kommerzienrat Högel vom Kunstseidenkon zern„Neosilk" ihn ein wenig in» Gebet nahm und, unter Hinweis auf entsprechende günstige finanzielle Chancen, ihn für die Kunstseidenlon- kurrenz zu gewinnen suchte. Waldstein hätte vielleicht der Kunstseiden- Trikotagen-Jndustrie eine Absage erteilt, wenn mit der neuen Stellung nicht auch noch ein besonderer Anreiz dadurch verbunden gewesen wäre, daß Kommerzienrat Högel» der sich von seinen zahlreichen Ehrenämtern etwas zu entlasten wünschte, Waldstein seinen Sitz im ReichSwirt- schaftSrat in Aussicht gestellt hätte. Rosendorf riet zu. Waldstein ergriff die erste Chance, um sich mit großem Aplomb von der Seide loSzusagcn. Er erklärte dabei in einem Artikel, den er in einem namhaften WirtschaftS- blatt veröffentlichte, dessen Reklametcil von dem Kunsffeidenkonzern reichlich frequentiert wurde, daß er e» mit seinem volkSwirffchaftlichen Gewissen nicht länger verienbaren könne, den liberalen Tendenzen der Seidenindustrie zu folgen, wo eS doch ganz offensichtlich sei, daß nur die Autarkie die deutsche Wirtschaft wieder aus der schweren.Krise, in der sie sich befinde, befreien könne und, so schloß er, deshalb lege er, so schwer eS ihm falle, unter Hintansetzung aller materiellen Gesichtspunkte sein Amt al» Syndikus seidenindustrieller Verbände nieder und hoffe, als freier Mann, unbeeinflußt von Gunst und Ungunst der Parteien, wieder Mitarbeiten zu können am Aufbau des geliebten Vaterlandes. Kenner der Dinge waren nicht erstaunt zu hören, daß Albrecht Waldstein bereits nach einigen Wochen der Muße, die er, mit der Abfassung einer Wirtschaftsbroschüre beschäftigt, im Süden verbrachte, nach Berlin zu- rückkehrte, um in dem neuerbauten großen Palast der Kunstseide einige mit erlesenem Geschmack eingerichtete Zimmer als frischgebackener Syndikus der Kunstseiden-Tritotagcn-Industrie zu beziehen. Kenner der Dinge waren noch weniger er staunt, als er nach einigen Wochen auch in den Reichswirtschaftsrat einzog, wo er schon aus In« formationsgründen— Dr. Rosendorf wußte davon ein Lied zu singen— an allen Beratungen teilnahm, was sich nicht nur in einem Anschwellen seiner Dienststundcn, sondern auch seines Bankkontos gebührend auidrückte. Seine Tätigkeit im ReichSwirffchafiSrat war so rege, daß, wenn man bei ihm zu Hause anrief, e» passieren konnte, daß das Hausmädchen am Telephon erklärte:„Der Herr Syndikus sind nicht mehr zu Hause, sondern im Geschäft."—„In was für einem Geschäft?"—„Na, im ReichS- wirtschaftsrat," kam kurz und schnippisch die Antwort, die wieder einmal kund tat, daß Narren, Kinder und Hausmädchen die Wahrheit sprechen. Die große Wirtschaftskrise machte Waldstein allerhand zu schaffen. Aber er verstand es geschickt, das Schifs seines Verbandes durch die Wogen zu steuern.. Politisch war er im Grunde desinteressiert. Er hielt stets gern mft denen Fühlung, die oben waren, unterließ eS freilich auch nicht, jeder Opposition, die auSsichtSboll erschien, ein wenig im Halbdunkel die Hand zu geben. Man konnte ja nie wissen... So hatte er auch in der Aera des Reichskanzlers Brüning , in der er sich gleicherweise im Zentrum wie in den .Kreisen der Deutschen Volkspartei heimisch fühlte, durch Vermittlung eines Vetter» seiner Frau Verbindung mit nationalsozialistischen Kreisen ausgenommen, hatte sie sogar gelegentlich aus seinen WerbefondS mit kleinen Beiträgen unterstützt und schien also auch nach dieser Seite hin sich gesichert zu haben. Da kam der autoritäre Kurs der Regierung Papen und die kurze Herrlichkeit Schleichers. Waldstein passierte ein Mißgeschick. Er sah einen Rückgang der Nationalsozialisten vor Augen, setzte aufs falsche Pferd, nämlich auf das Generalroß Schleichers, und verlor. (Fortsetzung folgt.)
Ausgabe
14 (29.6.1934) 150
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