Sosialdemokrat

ZENTRALORGAN

DER DEUTSCHEN SOZIALDEMOKRATISCHEN ARBEITERPARTEI

IN DER TSCHECHOSLOWAKISCHEN REPUBLIK

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14. Jahrgang

Samstag, 14. Juli 1934

Einzelpreis 70 Heller

( einschließlich 5. Heller Porto)

Hitler vor dem, Reichstag  ":

Mit Phrasen über den Blutstrom

Nr. 162

Bauern- und Konsumentenschutz

Zur Einführung

des Getreidemonopols

Keine Rechtfertigung der blutigen Tat- Papen nicht in der Sitzung Fragen, die die Regierung noch vor Antritt der Reichskanzler und Reichsminister als Lügner

" Das Ergebnis der eineinhalb Jahre| Bigkeit seines Vorgehens zu überzeugen; seine[ fanzler, der dies Vertrauen nicht minder befißt, nationalsozialistischer Regierung liegt blutige Tat nimmt sich vor der Kulisse dieses fehlte auf der Regierungsbant. Noch ist es nicht deutlich und klar vor uns. Es kann in ſei- Reichstages noch entseßlicher und unfaßbarer aus möglich, aus dieser Tatsache die entsprechenden ner Bedeutung gar nicht gemessen werden als in den Stunden, da sie bekannt wurde. Schlüsse zu ziehen. durch Vergleiche mit den Zuständen, welche wir am 30. Jänner 1933 vorfanden. Nein, wer gerecht sein will, was gekommen wäre, wenn wir nicht gesiegt hätten."

Hitler   am 13. Juli 1934.

Brag, 13. Juli. Am 30. Januar 1933 hat ein Reichspräsident, der einem mittlerweile Gemor­deten das Ehrenwort gab, den böhmischen Ge­freiten" nie an die Macht zu lassen, Hitler   zum Reichstanzler gemacht. Nur wenige Monate nach dem Mord vom Potempa kam der Mann an die Spitze des Reichs, der feige Meuchelmörder seiner brüderlichen Liebe versicherte und was in den an­derthalb Jahren seiner Herrschaft in Deutschland  geschah, fann in seiner Bedeutung tatsächlich nicht gemessen werden durch Vergleiche mit den früs heren Zuständen. Es versagen a lle Maßstäbe, die gibilisierten Menschen zur Verfügung stehen. Ber wagt es, Herrn Hitler   dies abzustreiten? Der blu­tige Kanzler hat nur angedeutet, was nach sei­ner Meinung gekommen wäre, wenn er nicht das Staatsruder ergriffen hätte. Was immer er dars über denkt: es kann sich nur um Hypothesen han­deln, die cines schlechten Agitators, nicht aber eines Kanzlers würdig sind. Um ganz gerecht zu sein, muß man sagen, was nicht gekommen wäre: dem armen Deutschland   wäre die Schande erspart geblieben, diesen Mann als Kanzler zu ertras gen, der vor der Geschichte und der Menschheit die Aufgabe zu erfüllen gehabt hätte, einen ent­schlichen Massenmord aufzuklären und zu recht­fertigen und es nur zu einem neuen Schuldbe­tenntnis brachte.

Selbst wenn Sitler das Genie wäre, für das er sich hält, könnte er der Welt nicht begreif= lich machen, daß über Tod und Leben seiner Unter­gebenen nur sein Wille entscheidet und daß sein Befehl zum Töten der Erklärung und Rechtfer= tigung nicht bedarf. Das war nicht die Rede eines verantwortungsbewußten Staatsmannes, sondern eines gefährlichen Psychopathen, dessen Rustand um so schauerlicher wirtt, als 600 Voltsvertreter feine Aeußerungen begeistert begrüßen.

Reichspräsidenten  , dem er intereffanterweise nach Sitler berief sich auf das Vertrauen des faate, er fei ein Ehrenmann. Aber der Vize­

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Dies aber läßt sich sagen: durch die Sibuna des Reichstaas und die Rede Hitlers   wurde der Abscheu der Welt geaen. die nationalsozialistische Volkes zu diesem Kanzler wurde durch die Ba Barbarei nur noch verstärkt. Die Liebe" des ionette symbolisiert, die seinen Wea in den Reichstag   dicht umgaben. Auf Bajonetten sist man nicht feit, auch dann nicht, wenn ſechshundert Veränaitiate oder Befeifene die Sviben mit ihrem Beifall wattieren.

Ein Deutschland  , das diesen Kanzler noch

nicht daran, daß es sich als stärker erweilen wird weiter erträgt, muß zugrundegen. Wir zweifeln denn sein blutiger Wahnsinn.

Die Rede Hitlers

Berlin, 13. Juli.  ( Reuter.) In der heutigen Reichstagsigung waren sämtliche Mini­fter mit Ausnahme des Bizekanzlers von Papen anwesend. Hitler   sprach von 77 Personen, die bei den letzten Ereignissen ums Leben gekommen sind. Unter den Toten befinden sich 19 SA  - Führer, 31 gewöhnliche SA- Lente und 3 Mitglieder der SS. Sie wurden sämtlich er­schoffen. 13 SA  - Führer wurden getötet, als sie sich der Verhaftung widersetzten und drei berübten Selbstmord. In Berlin   wurden neben anderen auch fünf Mitglieder der National­fozialistischen Partei, die nicht Mitglieder der SA   waren, und drei Mitglieder der SS er­schossen, denen schändliche Behandlung eines Häftlings zur Last gelegt wird. Hitler   erklärte, daß Präsident Hindenburg   die Armee mit dem gegenwärtigen Stand der Dinge versöhnt habe und daß die Stellung Hindenburgs unverändert bleibt.

Berlin  , 13. Juli. Der Reichskanzler Adolf itler hielt am 13. Juli im Reichstag eine Rede, in der er u. a. ausführte:

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Auge alle jenen Erscheinungen vorbeizichen, die fich Nur im Umfange muß ich mir Beschränkun- als Kanzler des Reiches nacheinander ablösten. gen auferlegen, die bedingt find, einerseits durch Wir Nationalsozialen haben ein Recht, es uns zu die Rücksicht des Reiches, andererseits durch die verbieten, in diese Linie eingereiht zu werden. Grenzen, die durch das Gefühl der Schande ge- Am 30. Jänner 1933 ist nicht zum so und so viel ten Male eine neue Regierung gebildet worden, son dern ein neues Regiment hat ein altes und tran­tes Zeitalter beseitigt.

zogen werden.

Epistel über die vierzehn Jahre"

In einer der wichtigsten wirtschaftlichen Ferien zu erledigen hatte, ist es zu einem Kom­promiß gekommen. Die nächstjährige Getreide­wirtschaft, von der die Existenz von Hunderttau­senden Landwirten und von Millionen Konsu­menten in der Tschechoslowakischen Republik ab­hängt, wird die Form eines Getreide­monopoles haben.

Die Frage der Getreidewirtschaft und der Getreidepreise hat auch schon in früheren Jahren eine bedeutsame Rolle gespielt. Zu Beginn des welche die Preise des Getreides und damit auch Weltkrieges wurden die Getreidezölle, des Mehles und des Brotes weit über die Welt­marktpreise hinaus gesteigert haben, aufge. hoben. Auch nach dem Ende des Weltkrieges blieben durch fast sieben Jahre die Getreidezölle Kriege die Getreidepreise auf dem Weltmarkt zu aufgehoben. Erst als einige Jahre nach dem jinfen begannen und der Ruf der Agrarier nach Getreidezöllen immer lauter wurde, kam es im Jahre 1925 zur Einführung von gleiten­den Zöllen, einem Kompromiß zwischen den Agrariern und den Sozialisten, wodurch der Schuß der Bauern vor allzu niedrigen Preisen verbunden wurde mit dem Schutz der Konsu­menten vor allzu hohen Preisen. Dies wurde dadurch erzielt, daß mit steigenden Getreide­preisen die Zölle sanken und mit fallenden Ge­treidepreisen die Zölle stiegen. Als dann die So. zialisten aus der Regierung austraten, fant es zur Gesetzwerdung von festen 3öllen, was für die Konsumenten ein schwerer Schaden ge­wesen ist. Nach der Niederlage des Bürgerblockes trat dann neuerlich eine Koalition von Agrariern und Sozialisten die Regierung an und so wurden im Jahre 1930 abermals gleitende 3ölle eingeführt.

könnte, daß sie hoffnungsvollen politischen Kräften den Weg versperrt oder auch nur abgeschnitten hätte. Das Schicksal hat unser Volt aus unerforsch Aus einer Summe sachlicher Ursachen und per- lichen Gründen verdammt, 15 Jahre lang als Er­sönlicher Schuld, aus menschlicher Unzulänglichkeit perimentierfeld und zugleich Veruchskaninchen für Seither haben sich die Verhältnisse in der Angesichts der Zustände, zu denen es die- und menschlichen Fehlern entſtand für unſer junges dieſe Politiker zu dienen. Es mag für die Unwelt Landwirtschaft neuerlich geändert. Im Jahre Reich eine Krise, die nur zu leicht von wahrhafi insbesondere für die uns übelwollende inter­tigteit Hitlers   in den anderthalb Jahren ge= 1929 erfolgte ein Zusammenbruch der Getreide­bracht hat, steht es dem Mann schlecht an, die vernichtenden Folgen für eine absehbare Zukunft eſſant und erfreulich geweſen ſein, diese Erperi- preise auf dem Weltmarkte und 1930 sanken die Bareien der Weimarer   Republit zu schmähen. hätte werden können. Ihre Entstehung und Ueber- mente zu verfolgen, für das deutsche   Volk waren Denn er hat Deutschland   wirtschaftlich und poli- windung vor ihnen und damit vor der Nation klar- fie aber ebenso schmerzlich wie demütigend. Man Getreidepreise sogar unter den Stand des Jahres 1914. Im Durchschnitt des Erntejahres 1926/27 tisch an den Rand des Abgrundes gebracht und zulegen, ist der Zweck meiner Ausführungen. Ihr blicke doch zurück in diese Beit und lasse an seinem fosteten 100 Kilogramm Weizen rund 240, jene moralische Bersumpfung verschuldet, in der Inhalt wird ein rückhaltlos offener sein. Männer wie Röhm und Heines Ehrenstellen be= im Sommer 1933 aber rund 150. Gleich­fleiden durften und ein Reichskanzler sich vor dem zeitig nahm aber die mit Weizen bebaute Flädje in der Tschechoslowakei   zu, und zwar betrug der bersammelten Reichstag über die widernatürliche Veranlagung der von ihm gemordeten und frü= Zuwachs von 1927 bis 1933 rund 170.000 Set­tar. Die Erweiterung des Weizenanbaues war her immer gedeckten Freunde verbreiten darf, vor allem die Folge der Einschränkung des Zuk­ohne daß er angesichts seines Adjutanten und Stell­bertreters schamrot wird. fererportes und damit des Anbaues der Zucker­Es ist bemerkenswert, daß Hitler   vor dem ver­Dieser geschichtliche Akt der Liquidierung des rübe. Diese Erweiterung des Weizenanbaues hat hinter uns liegenden traurigsten Lebensabschnittes sammelten Reichstag   seinen Goebbels der Lüge Als mich am 30. Jänner Generalfeldmarschall unserer Nation wurde vom deutschen   Volle selbst nun zur Folge gehabt, daß die 3ölle ihre seiht. Der hat erst vor wenigen Tagen behaup- und Reichspräsident von Hindenburg   mit der Fühlegalisiert. Und wir haben nichts als Usurpatoren, Wirkung verloren. Für die Preisfeſtſet­tet, daß die Zahl der Toten 50 noch nicht er- rung der neugebildeten deutschen   Regierung beauf so wie die Männer des November 1918, von der zung im Inland waren nicht mehr maßgebend reicht. Heute gab Hitler schon beträchtlich mehr tragte, übernahm die Nationalsozialistische Partei Macht Besis ergriffen, sondern nach Recht und Ge- Weltmarktpreis zuzüglich Zoll, sondern Nach­zu. Die Glaubwürdigkeit der Reichsregierung ist einen Staat, det politisch und wirtschaftlich im vol- set die Macht erhalten. Wir haben nicht als wurzels frage und Angebot im Inlande. Die Agrarier schon durch diese einander widersprechenden An- Ten Verfall begriffen war. Alle politischen Kräfte des lose Anarchisten eine Revolution gemacht, sondern sahen, daß die Zölle aufgehört hatten, ein wirf­gaben start in Frage gestellt, noch mehr aber überwundenen früheren Zustandes hatten an die als Vollstrecker des Willens der Nation das Regime fames Mittel zu sein, um den Landwirten einen durch die Tatsache, daß Hitler noch viel plumpere fem Verfall ihren Anteil und damit ihre Schuld. einer Revolte beseitigt. Und wir haben die Auf- gewissen Preis zu sichern und deswegen sind sie Lügen nicht verschmäht. So erzählt er davon, daß Seit der Abdankung des Kaisers und der deutschen   gabe nicht darin gesehen, uns die Macht durch die für den Gedanken des Monopols, für den der Obergruppenführer Erns in Berlin   ges Fürsten   war das deutsche   Volt den Männern aus Bajonette zu sichern, sondern im Herzen unferes insbesondere der Landwirtschaftsminister Doktor blieben sei und alles vorbereitet habe, während geliefert, die als Repräsentanten unserer vergange Boltes zu finden und zu verankern(!) doch selbst die amtlichen Stellen gemeldet hatten, nen Parteienwelt diesen 3erfall entweder be­Hodža eingetreten ist, gewonnen worden. Wir aber haben es gewagt, den Kampf gegen Ernst sei in Bremen   verhaftet worden, als woußt herbeigeführt oder schwächlich die Erscheinungen des Verfalls auf allen Gebieten Die Sozialdemokratie hat selbstverständlich er eine Urlaubsreise habe antreten wollte. Mit geduldet hatten. Angefangen bei den marristischen aufzunehmen. Aus sorgenschweren Tagen und keine Ursache gegen ein Getreidemonopol im all. feinem Wort geht Hitler   auf seine Reise nach Revolutionären über das Zentrum hinweg bis zum Nächten fanden wir immer wieder die Kraft zu gemeinen einzutreten. Das Getreidemonopol be. Wiessee ein: sie hat nie stattgefunden. In die- bürgerlichen Nationalismus fonnten alle Parteien neuen Entschlüssen. deutet ein Stüd Planwirtschaft und sem Punkte hat wieder Goebbels gelogen. und ihre Führer die Fähigkeit, Deutschland   zu re­macht der freien Preisbildung auf dem Ge. Hitler   hat einige bisher nicht bekannte An- gieren, unter Beweis stellen. Endlose Koalitionen treidemarkt ein Ende. Es befreit den Bauern von gaben über die Revolte" gemacht, die mit an- gestatteten ihnen sowohl ihre politischen Künste. den durch die Privatwirtschaft hervorgerufenen deren in Widerspruch stehen. So z. B. mit der wie ihr wirtschaftliches Können au erproben. Sie Denn was auch immer unsere Gegner in wilden Schwankungen der Getreidepreise und Meldung, daß man die SA- Führer schlafend alle haben schmählich versagt. Der 30. Jänner war angetroffen habe. Daß sich einige der Verhaftung daher auch nicht der Aft der Uebernahme einer Re- Einzelnen herumnörgeln mögen, felbft fie lännen sichert ihm für einen Teil seiner Erzeugnisse einen widerfesten, hörte man heute zum ersten Male. gierung aus den Sänden einer anderen Regierung, nicht bestreiten, daß wir vor den Problemen nicht festen Preis. Sobald die Agrarier bereit tragen und mit sich vor Syſterie überschlagender quidation eines unerträglichen Zustandes. Es ist tig zu lösen versuchten und in zahllofen al len gelöst haben. Das Ergebnis ber eineinhalb Stimme vorgetragen hat: es ist ihm nicht ge- niemand in Deutschland  , der der nationalsozialiſti­lungen, die Kulturmenschheit von der Rechtmäs schen Bewegung vielleicht den Borwurf machen ( Fortfchung auf Seite 2.),

Alle Maßstäbe versagen

einzugehen, hatten die sozialistischen   Regierungs­parteien keinen Grund dagegen anzufämpfen. Die Auseinandersetzungen begannen erst, als es