Sosialdemokrat
ZENTRALORGAN
DER DEUTSCHEN SOZIALDEMOKRATISCHEN ARBEITERPARTEI
IN DER TSCHECHOSLOWAKISCHEN REPUBLIK
ERSCHEINT MIT AUSNAHME DES MONTAG TAGLICH FRUH. REDAKTION UND VERWALTUNG PRAG XH., FOCHOWA 62. TEMEFON 33877. ADMINISTRATION- TELEFON 53676.
14. Jahrgang
HERAUSGEBER: SIEGFRIED TAUB. CHEFREDAKTEUR : WILHELM NIESSWER. VERANTWORTLICHER REDAKTEUR: DR. EMIL STRAUSS, PRAG .
Samstag, 21. Juli 1934
Wie Erich Mühsam ermordet wurde
Schützet Ossietzky und die anderen, die das gleiche Schicksal erwartet!
Die Witwe Erich Mühsams, des sozialistischen greisen Dichters, der vorige Woche im Konzentrationslager Dranienburg ermordet wurde, ist in Prag . Sie hat die Journalisten zu sich gerufen, um die amtliche Lüge des Dritten Reiches , Mühsam habe Selbstmord begangen, zu widerlegen, um Auskunft zu geben über ein Grauen, das zu unfaßbar ist, um unwahr zu sein. Eine schnige, edige Frau in schwarzem Kleid, mit harten, vom Gram und Troß gezeichneten Zügen. Sie erzählt ohne Pathos den Marterweg ihres Mannes, vom Anbruch des Dritten Reiches bis zu seinem Tod, den schauerlich- sachlichen Bericht einer siebzehn Monate währenden Todesmarter, aufgefaßt auf trockenr Tages- und Monatsdaten. Jedes Wort hinzuge= fügt wäre Abschwächung unvorstellbaren Grauens. Hier das stenographische Protokoll ihres Berichtes:
,, Am 28. Feber 1933 wurde mein Mann von der Polizei um halb sechs Uhr früh aus dem Bett geholt. Man brachte ihn in das Gefängnis in der Lehrter Straße . Dort blieb er länger als atvei Monate. Ich will niemandem Unrecht tun und je dem seine Ehre lassen, deshalb erkläre ich, daß er im Gefängnis nicht geschlagen wurde. Für den 6. April, es war das sein Geburtstag, hatte ich die Erlaubnis bekommen, ihn zu sprechen. Als ich in das Gefängnis tam, sagte man mir, mein Mann sei nach dem Konzentrationslager Sonnen burg gebracht worden; die Sprech- Erlaubnis wurde auf den 8. April umgeschrieben. An diesem Tag besuchte ich ihn in Sonnenburg.
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sam, ich bin verpflichtet, Ihnen die traurige Witteilung zu machen, daß Ihr Mann gestorben ist".
Ich sagte sofort: Das ist nicht wahr! Er ist ermordet worden!"
Darauf sagte der Kriminalbeamte mit Be tonung:„ Ich kann nur wiederholen, was ich ge= sagt habe- daß ich verpflichtet bin, Ihnen zu sagen, er sei gestorben".
Einzelproic 70 Holter
( einschließlich 5 Heller Porto)
Nr. 168
Die Gekränkten
Die abgelehnte ,, Einheitsfront"
Bis zum 14. Juli war die Sozialdemokra tie nach tausendmal wiederholter kommunistischer Behauptung eine Partei des Hochverrates an der Arbeiterklasse, ihre Führer Helfershelfer der imperialistischen Interessen der Bourgeoisie. Nach folge wieder nur Verräter und Agenten der Sadem 14. Juli find wir der gleichen Quelle zupitalistenklasse. Was liegt dazwischen? Ein- Einheitsfrontangebot derselben kommunistischen Parteileitung, die seit 15 Jahren gemäß dem Auftrage ihrer Moskauer Herren in der So. zialdemokratie den Hauptfeind" sicht, der um jeden Preis, sei es auch durch ein Regime des Fascismus, vernichtet werden muß!
Wie? Die Kommunisten wollen mit uns Ich fuhr fofort nach Oranienburg und be= fam dort nach langer Mühe die Erlaubnis, die gemeinsam gegen den Fascismus kämpfen, dessen Leiche meines Mannes, die in einem Sarg be- Schrittmacher zu sein sie von uns behaupten? reits auf den Lagerfriedhof gebracht worden Mit uns, deren Einsargung sie bereits einige war, zu sehen. Die Besatzung des Lagers be- Dußendmal vorgenommen haben, allerdings mit stand wegen der Ereignisse vom 30. Juni be- dem Erfolg, daß die Zerschmetterung der So reits durchwegs aus SS - Leuten. Die bishe: zialdemokratie nach wie vor bloß ihr Herzens. rige SA- Besatzung war beurlaubt und fak wunsch ist, während die einst große kommunibetrunken in der Kantine. Von diesen Leuten stische Partei an Marasmus dahinſiecht? Ver
erfuhr ich erst, daß mein Mann er hängt.
burg in das Konzentrationslager Dranien burg gebracht wurde und ich ihn dort wiederfah. Er erzählte, daß die Monate in Branden burg die furchtbarsten waren, die er je erlebt hatte. Es gab dort zwei Häftlinge, einen weiß ruffifchen Emigranten namens Dimitreff der auf Verlangen der russischen Regierung verhaftet worden war, und einen Kriminalverbrecher namens Tarzan. Diese beiden hatten die Aufgabe übernommen, meinen Mann tändig zu fchlagen. Dimitreff erhöhte die Grausamkeit noch dadurch, daß er meinem Mann in den Mundspudte. Mein Mann mußte auch die Stiegen außtehren und wurde von seinen Beinigern zum Bergnügen der Defaßung gezwungen, den zusammen getehrten Staub aufzueffen. Als er einmal einen Brief schreiben wollte, befahl ihm Dimitreff: Geben Sie mir die Hände! Dann brach er ihm die beiden Dau= men nach hinten. Einmal hatte eine Artiftengruppe, die durch den Drt gekommen war, dort ein kleines Aeffchen zurückgelaffen. Das Tier wurde in das Lager gebracht und die G. versuchte es dort durch Schläge dazu zu dref- mandant Stallopf fagte betreten an mir: Kampfe gegen den Fascismus durch einen Bund fieren, meinen Mann zu beißen. Das Machen Sie nie die Abafür mit Sozialverrätern und Sozialfascisten? Ist Tier floh aber vor den Rohlingen zu meinem verantwortlich, die chuld das eine Ausgeburt der unerträglichen SommerMann und Klammerte sich hilfefuchend an ihn trägt allein die S3". hize? Ach nein! Es ist nur die Reprise eines an. Um meinen Mann, der das Tier lieb hatte, Genoffen, die mit meinem Mann im La öden und abgeleierten Kinoſtückes: Entlarvung zu quälen, wurde es dann vor feinen Augen un ger gefangen faßen, erzählten wir, während der sozialdemokratischen Führer! Handlung: die ter dem Gelächter der Besatzung er fchoffen. wir die Leiche suchen gingen, daß am 9. Juli, tommunistischen Führer kennen keine heißere Wenige Tage später wurde mein Mann in am Tag nachdem ich meinen Mann zum letzten Sehnsucht, als Schulter an Schulter mit der Male geschen habe, der SA- Führer Erhardt Sozialdemokratie gegen die Gefahr des Fascis. ihm gefagt hatte: Mühfam, wie lange sebenken Sie eigentlich noch auf mus zu kämpfen, doch die sozialdemokratischen dieser Welt herumzugehen? Führer. die im Solde der Bourgeoisie stehen, Wenn Sie nicht innerhalb von verhindern dies. zwei Tagen Selbstmord bege hen, wird man nachhelfen!"
einen großen Belzmantel gesteckt und wurde von SA- Leuten dem Lager mit einer Hundepeitsche a 18 Tangbär borgeführt.
gen.
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im Abort aufgefunden worden war. Ich sagte sprechen sich die kommunistischen Führer, deren fofort:„ Es ist nicht wahr, daß er Selbstmord Taten und Erfolge für die Arbeiterschaft im umbegangen hat, Ihr habt ihn ermordet!" Nie- gekehrten Verhältnis zu der Kraft ihrer Schimpfmanb antwortete barauf, nur der Lagerkom- und Schreiwerkzeuge stehen, einen Erfolg im SA
Am Abend des gleichen Tages wurde mein Mann aus dem Schlaf gerufen. Er ist nicht mehr zurückgekehrt. Die Leute fagen im Lager, daß der Sturmführer Werner den Mord begangen hat.
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Er fah furchtbar aus, die Zähne waren eingeschlagen, das Geficht war blutig, der Bart war völlig verschnitten, um ihm In dem Lager Oranienburg , in dem mein so ein jüdisches" Aussehen zu geben. Er erzählte Mann nun war, wurden die Martern Die tschechischen Sozialdemokraten haben mir, daß man ihn und seine Genossen bei der Ein- fortgeseßt. Der Lagerkommandant Stal= die groteske kommunistische Einladung mit drei. lieferung zwingen wollte, das Deutschlandlied zu topf das ist tein Spigname, sondern der singen. Da sie sich weigerten, wurden sie au Mann heißt wirklich so ließ sich die Gefanges zehn Zeilen abgelehnt. Darüber sittliche Entrüftung. Die deutsche Parteileitung hat die Ableh Boden geworfen und getreten und nen einzeln auf sein Zimmer( es war das Zimgeschlagen. Der Sonnenburger Anzeiger" mer Nr. 16) bringen und prügelte sie dort. Mein nung ausführlich begründet. Das ist den komhat über diesen Vorfall mit den Worten berichtet: Mann war durch diese Behandlung bereits in munistischen Arrangeuren auch nicht recht. Es Die Häftlinge wollten das Deutschlandlied nicht einem entseßlichen Zustand. Anwerden wieder wie schon so oft alle Register gefingen und deshalb half man eben mit Gummi- fangs Juni wurde er zum Lagerkommandanten Auf dem Friedhof fand ich dann die Leiche zogen, in der Hoffnung, daß endlich doch ein fnütteln nach".( 11) Ich wollte zum Lagerkom- geholt. Der versprach ihm, er werde nicht mehr meines Mannes. Er war tallweiß und sein Ge- paar sozialdemokratische Arbeiter auf das Gemandanten gehen und mich über die Marterung geprügelt werden, wenn er nichts mehr sicht war ganz eingefallen. Um den Hals hatte er fühlsschmalz, mit dem man sie zu locken sucht und meines Mannes beschweren. Ich wurde nicht über seine bisherigen Folteru na rote Striemen von dem Strick... auf das Gezeter, das sich gegen die sozialdemo borgelassen. Meine Briefe an die geheime gen erzähle. Er wurde dann wirklich Ich erzähle dies alles nicht, um zu klagen, fratischen Führer erhebt, hereinfallen. In keiner Staatspolizei blieben unbeantwortet. einige Tage nicht geprügelt. Aber am 22. Juni Kurze Zeit darauf erschienen illegale Flugblätter, tam eine Kommission ausländischer Journalisten, sondern um den Kampf weiter zu kämpfen, den einzigen bürgerlichen Zeitung hat die Ableh. in denen die Zustände in Sonnenburg geschildert die sich besonders für das Schidsal meines Man- mein Mann gekämpft hat. Ich erzähle es, damit nung des kommunistischen Angebotes Genugwurden. Daraufhin wurde ich zur Polizei vorgela- nes interessierte. Eier der Berichterstatter fragte die Welt forbere, daß die Leiche meines Mannes tuung hervorgerufen, dafür wurde auf dieser den und teilte man mir mit: ,, Wenn noch ein ihn, ob er diese lächerliche und erniedrigende obduziert werde, um den Mord, der hier began. Seite Freude in der trügerischen Hoffnung ge. Bort erscheint, tommen auch Sie Barttracht gerne trüge. Darauf antwortete mein gen wurde, zu offenbaren, ich erzähle es, damit äußert, den sozialdemokratischen Parteien wür ins Lager!" Währenddessen wurde mein Mann: Nein, das ist Befehl". Von diesem Tag die Genossen meines Mannes in den deutschen den aus der Ablehnung Verlegenheiten erwach. Mann immer weiter geprügelt. Ich be- an wurde er wieder täglich grauenhaft gefchla Konzentrationslagern, die das gleiche Schicksal fen. Das lügt die kommunistische Presse dahin fam fast nie Wäsche von ihm, die nicht blutig erwartet, Offiebth soll der nächste sein, ge- um, die bürgerlichen Blätter feien voll Jugetvesen wäre! Am 8. Juli, also vor alvölf Tagen, habe ich schützt werden vor den Händen der brannen Mör- bels" über die Ablehnung! Die Kommunisten Bu Pfingsten wurde er plößlich vom Lager meinen Mann zum lebten Male geber, die ich anklage..." finden es unbegreiflich, warum wir uns durch tveggebracht und in das Gefängnis löben fehen. Dieser Tag war als Sprechtag festgefee gebracht. Dort saß er in Einzelhaft, belam fest und die Frauen vieler Häftlinge, unter Die Witwe bes ermordeten fozialistischen ihre Verleumdungsheße abhalten lassen, mit Bleistift und Papier und durfte ein Tagebuch ihnen auch ich, waren gekommen, um ihre Män- Dichters hat ausgesprochen. ihnen eine Einheitsfront einzugehen, denn auch führen. Aber am 5. September tam ein SA. ner zu besuchen. Man sagte uns aber in der Die Welt, zu der sie sprach, hat gewisse bürgerliche Parteien halten mit AngrifSturm in feine Belle, räumte sie aus und nahm fen gegen uns nicht zurück, ohne daß dies ein alles Geschriebene mit. Drei Tage später wurde Stanzlei, der Sprechtag sei aufgehoben. Auf lan - das Wort! Hindernis für unser Verbleiben mit ihnen in der er in das Lager Brandenburg überstellt. Mann zehn Minuten lang zu sprechen. Es be= ges Bitten wurde mir schließlich erlaubt, meinen Koalition sei. Wenn es den Herren Kommunisten Dort durfte ich ihn besuchen. Weitere Morde in Schlesien nicht bloß um eine Fortsetzung ihrer seit einein. weifel, daß er mit teinem GeEr sah entschlich aus. Böllig zerschla- banten an Selbstmord dachte. Im Breslau , 20. Juli. ( Inpreß.) Es werden halb Jahrzehnten betriebenen Setze zu tun wäre, gen, die Ohren waren gestatt und die Gegenteil, er bat mich noch, das nächſtemal neue Einzelheiten über die Morbaltion des 80. würden sie begreifen, daß eine Einheitsfront, die Stümpfe ganz vereitert. frische Bäsche und ein eines Patet Juni in Schlesien bekannt. In Landeshut wur- das Schauspiel zweier Partner bietet, von denen Lebensmittel mitzubringen, erinnerte ben atvei Rommunisten auf der Flucht" erschos- der eine darauf lauert, dem anderen den Dolch mich noch daran, ich solle nicht vergessen, seinem sen. In Breslau ist u. a. auch der Bruder von in den Rücken zu stoßen, alles cher als ein wirk Freunde Beter und feinem Bruder Hans aum Beines ermordet worden. Dieser Bursche war der fames Instrument im Kampfe gegen den Fascis. Geburtstag au gratulieren, und sprach sonst über Führer des SA- Uberfallfommandos, das nächt- mus wäre. Was aber unser Verbleiben in der ganz belanglose Kleinigkeiten. licher Weise die Arbeiter zu Dußenden aus den Regierungskoalition trotz der Angriffe einzelner Wohnungen holte und fie ins Braune Haus ver- Regierungsparteien betrifft, so sind wir in der schleppte, wo sie in Gegenwart des Fememörders Edmund Beines in bichischer Weise gefoltert Regierung, um eine Alleinherrschaft der bürgerwurden. lichen Parteien im Staate zu verhindern und die denkende Arbeiterschaft weiß recht gut, daß dies dem Fascismus einen festeren Damm entgegen. fett, als es das hohle, unaufrichtige, hysterische
Er erzählte mir, daß er Ererzieren lernen sollte und da er wegen seines hohen Alters laum mehr mitkonnte und die Befehle schlecht hörte, wurde er bei jedem Schritt mit Fäuften um bie Ohren ger fchlagen; schließlich wurden ihm die Dhren fogar verstümmelt!
In dieser Unterrebung fagte er mir auch: as immer man bir erzählt, gla u benie an meinen Selbstmord!"
Was er damit gemeint hat, verstand ich et, als er am 5. Jänner 1934 von Branden
steht kein
Drei Tage später fand ich vor meiner Bohnungstür, als ich vom Eintaufen zurüdtam, einen Bettel, burch den ich zur Polizei bestellt wurde. Ich ging hin und fragte fofort, ob mei nem Mann etwas geschehen sei.
"
In Waldenburg ist ein Baumeister, der früEiner der beiden alten Kriminalbeamten, her der Deutschnationalen Voltspartei angehörte, die mich empfangen hatten, fagte: Frau Müh- getötet worden.