Sosialdemokrat

ZENTRALORGAN

DER DEUTSCHEN SOZIALDEMOKRATISCHEN ARBEITERPARTEI

IN DER TSCHECHOSLOWAKISCHEN REPUBLIK

ERSCHEINT MIT AUSNAHME DES MONTAG TÄGLICH FRUM. REDAKTION UND VERWALTUNG PRAG.IN. , ROCHOMA- E. TELEFON: 58877. ADIMIRISTENFOR TELEFONT 53076.

14. Jahrgang

HERAUSGEBER: SIEGFRIED TAUB. CHEFREDAKTEUR : WILHELM NIESSWER. VERANTWORTLICHER REDAKTEUR, DR. EMIL STRAUSS, PRAG .

Ungeklärte Situation in Paris Paris

, 21. Juli. Aus der gestrigen Kabi­nettsjißung wird bekannt, daß Tardieu er­tiärte, er habe unter Eid vor dem Untersuchungs­ausschuß die ganze Wahrheit aussagen müffen; er habe nicht die radikalsozialistische Partei, son­tern den ehemaligen Ministerpräsidenten Chau­temps angegriffen, von dessen Schuld er über­jeugt sei.

Sonntag, 22. Juli 1934

Einzelpreis 70 after

( einschliestich Setter Peste )

Nr. 169

Dollfuß will wieder Wer betet für

henken lassen

Sein Leibblatt beschwert sich über die passive Resistenz der Standgerichte

das Dritte Reich?

Von Fred War

Adolf Hitler hat in seiner Rede über den 30. Juni betont, daß es in Deutschland doch vor­wärts gehe und alles viel besser geworden sei. Millionen Menschen lieben den Staat und beten

Wien , 21. Juli. Die Frist bis zum 18.| alle Drohungen nichts gefruchtet ha- für ihn. Er sagte das mit solchem Pathos, daß Herriot erklärte in einer zurückhaltenden Juli zur Ablieferung der Sprengstoffe und die ben und die Terroratte weitergehen. man annehmen kann, wenigstens er glaubt ant Rede, daß er Tardien nicht das Recht abspreche, Drohung, von da an jedes Sprengstoffverbrechen Bei der Untersuchung der Ursachen fommt das feine Worte. Autokratische Regierungssysteme sich zu verteidigen( wegen der Angriffe betreffend und selbst den Sprengstoffbefit unnachfichtlich mit Vlatt auf die Praxis gewisser Gerichte zu sprechen, haben in ihrer Todesstunde oft geglaubt, sic den Scheck Tardi"), daß er aber dessen Zeugen- dem Tode zu bestrafen, ist, wie wir schon vorge- die für jede llebeltat eine harmlose Erklä- seien gesund und munter. Diese Selbsttäuschung aussage vor dem Untersuchungsausschuß als stern fonstatierten, ohne Wirkung geblic- rung haben. So sei es gestern in Graz geschehen, liegt im Wesen ihres Systems. Wenn sie sich, Angriff gegen die radikale Partei ben. Nun follen alfo Standgerichte und Henter daß Leute, die erwiesenermaßen eine Brüde zerstör- wie bei Hitler, mit dem Wunsch paart, der große und Verletzung des Burgfriedens an die Arbeit sehen, aber selbst diese letzten ten, um die Einlieferung abgefaßter Verbrecher zu Menschenbeglücker zu sein, wird die Behauptung crachte, woraus die Folgerungen gezogen werden Stützen des Dollfußregimes, die im Feber gegen verhindern, vom Standgericht nicht verurteilt wurdes Führers begreiflich. Ganz bestimmt ist es in müßten. die sozialdemokratischen Schutzbündler prompt und den mit der Begründung, daß die Brücke ohnehin Ganz unerwartet habe dann auch Außen- tlaglos nach Befehl arbeiteten, scheinen nunmehr morsch gewesen sei und hätte repariert werden müß- jenen Kreisen, wo er lebt, besser geworden. minister Barthou , dessen Autorität im Stabi- zu verfagen. Auch die zeitweise Aufhebung der sen". Mann fönne sagen, daß solche Urteile Ver- Wir sehen von seinem eigenen Aufstieg ab, der nett nach den letzten Erfolgen seiner Außen- richterlichen Unabsehbarkeit scheint nicht viel ge- brecher erzeugen. Die berufenen obersten Stellen dem kleinen Mann als der Aufstieg Deutschlands politit sehr groß ist, die Notwendigkeit der De- fruchtet zu haben. Der österreichische Richterstand würden in dem jetzigen Endtampf gewiffe Richter erscheinen muß, nachdem er sich unbescheiden mission Tardieus betont, und dafür die Unruhe ist eben schon so stark naziverseucht, daß selbst die von ihrer schwerer Verantwortlichkeit überzeugen wie er ist, als der Mittelpunft dieser Nation an der Börse und im Ausland ins Treffen ge- Standgerichtsfenate bisher den angeklagten Bar- müssen. fühlt, obwohl er auch in seiner lezten Rede wie. führt. Den Berichten der Linksblätter zufolge teigenoffen nicht viel tun und, falls die Ge= Diese Kritik der ,, Reichspost" bezieht sich auf der nur den Beweis dafür erbracht hat, daß er beſitzt Tardieu auch noch andere Feinde im Sta- schichte nicht unter irgend einem Vorwand an das die gestrige Entscheidung des Standrichtes in zwar ein Stopf, aber leider nur ein Schl= ordentliche Gericht abgetreten werden kann, mit Graz. wo vier Nationalsozialisten angeklagt fopf ist. Nach einer Version wird, falls Tardieu ungewöhnlich milden Strafen vorgehen, die den waren, die über den Riegersbach bei Radenthein Immerhin, er regiert nicht darum, weil nicht zurücktritt, Herriot als Führer der Zweck der Standgerichte ad absurdum führen. in Kärnten führende Brücke demoliert zu haben. überhaupt niemand für ihn betet und begeistert Radikalsozialisten entweder selbst oder zu= Darüber stimmt die heutige Reich 8 Das Standgericht überwies die Angelegenheit ist. Aber wer betet für den Führer, wer betet st", das Zentralorgan der Dollfuschristen, mit der obangeführten Begründung an das ſammen mit Tardien aus dem Kabinett aus ein großes lagelieb an. Das Blatt gibt zu, daß ordentliche Gericht. für das Dritte Reich?

binett.

scheiden. Dienstag dürfte die entscheidende Kabinettssitung stattfinden. Falls Tardieu nicht nachgibt, ist eine Gesamtdemission des Kabinetts feinesfalls ausgeschloffen.

Zeitungsverbote

Im Saargebiet

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Zwei Schutzbündler vor das Standgericht?

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Die gefamte, nicht hoffnungslos reaktionäre Ceffentlichkeit der nichtfascistischen Länder wird daher in den nächsten Tagen scharf darüber wa=

In Hassendorf bei Brud a. d. Mur in Steiermart wurde der Hilfsarbeiter Mar a I- her. ein Nationalsozialist, verhaftet. In seinem Besiß wurden ein Sprengrohr und eine ge­

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Herrschaftsstellung im Westen zu berauben! Und warum soll der Großgrundbesitz, der Dritte im Bunde der Harzburger Front, nicht für das

Mittenwaldbahn vorübergehend eingestellt Dritte eich beten? Herr Darré hat die Linie

Fangen wir mit der Schwerindu. strie an und hören wir wie es sich im Drit. ten Reich gehört mit dem Arbeiter auf. War. um soll die Schwerindustrie nicht für Hitler Inzwischen find einige Personen verhaftet| an Harlander abgeliefert hatte, wurden verhaf- beten, nachdem der Führer sie vor der Verstaat­morben, die soweit man aus den offiziellen ict und die Anzeige an das Standgericht erstattet. lichung bewahrt hat und insbesondere Thyssens Meldungen urteilen tann- nach dem striften Stellung unglaublich verstärkte! Warum soll sie Wortlaut der letzten Blutgesche vom Stand unzufrieden sein mit dem Gesetz zur Vergewal­gericht zum Tode verurteilt werden müßten. Es tigung der Arbeit? Warum soll sie Gott im Polizei gegen demonstrierende handelt sich um Nationalsozialisten, aber auch um Himmel und seinem Stellvertreter auf deutschem zwei sozialdemokratische Schladene Pistole gefunden. Kalcher hat sich Zeugen Boden nicht dankbar sein, nachdem am 30. Juni Hakenkreuzler passiv bündler, denen ein amtlicher Bericht einen gegenüber geäußert, daß er an dem letzten zwei gefährliche Strömungen( zunächſt!) nieder. Saarbrücken, 21. Juli. Die Saar- Regie- an sich ziemlich harmlosen Anschlag auf die Sprenganschlag beteiligt gewesen sei. Im Zuge geschlagen wurden, sowohl Röhm als auch der rung scheint sich in den letzten Tagen doch zu Donauuferbahn zuschreibt. Bei der eben er- der weiteren Erhebungen wurde auch ein gewisser einem energischeren Vorgehen gegen die Satens wähnten Mentalität der österreichischen Richter Starl Stromberger angehalten, der das Spreng- staatskapitalistische Schleicher, der während seiner Spreng- Stanzlerschaft im Begriff war, Thyssen seiner trengorganisationen und ihre Presse entschlossen ist es leider nicht ausgeschlossen, daß gerade diese material besorgt haben soll. zu haben, die den Terror angesichts der sich beiden Sozialdemokraten die ersten Opfer des nähernden Saarabstimmung etwas gar zu arg neuen Blutterrors werden könnten, während die und offen treibt. Bis gestern wurden 20 Zeitun Nazis wieder glimplich davonkommen. gen der Deutschen Front" verboten, heute folgte ein weiteres Verbot von fünf Zeitungen für drei Dem Anschlag auf das Elektrizitätswerk des 30. Jänner konsequent eingehalten, die Ge­Tage. von Neutte, das dadurch auf Monate hinaus fahr des Bolschewismus auf dem flachen Lande" Gestern abends tam es bei einer Haus- chen müssen, daß das Blutregime der Dollfuß und lahmgelegt wurde, folgte in der Nacht auf heute ist gebannt, die Osthilfe geht weiter. Bis zum suchung in dem Fascistenblatt Der braune Sum- Fen, die faum einen winzigen Bruchteil der öster- ein Sprengstoffanſchlag auf die Mittenwald- 1. Dezember 1933 wurden 319 Millionen Mart pel" neuerdings zu Straßendemonstrationen der reichischen Bevölkerung hinter sich haben, nicht bahn, die Innsbruck mit dem Zugspitengebiet ausgezahlt. Als Hitler seine Kanzlerschaft be­aufgeheizten Hakenkreuzler. Die Untersuchung in wieder neue unschuldige Opfer fordere! verbindet. Es wird lediglich gemeldet, daß der der Druckerei des genannten Blattes stand im Zu­Bahnbetrich vorübergehend eingestellt werden gann, waren es 160 Millionen Mark, die ver­Ueber den Fall wird folgendes bekannt: sammenhang mit einem Strafverfahren wegen schleudert wurden. Also es hat sich allerlei.gc. mußte. bessert". Verlegung des Briefgeheimnisss. Während der In Wien hielt heute früh ein Wachmann Ferner wurde heute Nachts ein Spreng Haussuchung versammelte sich die Menge vor dem im X. Bezirk zwei Männer an, Anders ist das schon bei der Erport. die flüchteten stoffanschlag auf das Transformatorenhaus des Hause der Druckerei und bedrohte die und sich den Verfolger durch drei Revolverschüsse Elektrizitätswertes Schattwald in Tirol industrie, in den Häfen usw. Die Ereignisse Bolizei. Die angesammelte Menge erhielt vom Leibe zu halten suchten. Zwei davon trafen versucht. Bei den durchgeführten Erhebungen des 30. Juni müssen ja auch einen ökonomischen immer neuen Zuzug durch Demonstranten, die aus und verlekten den Bolizisten lebensgefährlich. Die konnten am Tatort Fußspuren festgestellt werden. Untergrund haben. Und da fann man sagen, daß Saarbrücken auf Motorrädern oder in Automo- Flüchtenden wurden von Baffanten und Wach- aus denen hervorgeht, daß es den Tätern gelun- auch im Bürgertum, und nicht nur im geistigen, bilen gefahren tamen. Die Polizisten verlangten leuten nach einem weiteren Angelwechsel festge- gen ist, über die deutsche Grenze zu flüchten. fondern ebenfo im industriellen, Unzufriedenheit einigemale Verstärkung, die ihnen schließ- nommen. Es sind dies der 22järige Josef Gerl Am 20. Juli explodierten beim Armenhaus in besteht. Die Exportindustrie ist gar nicht der von lich gesandt wurde, sich aber den Manifestanten und der 21jährige Nudolf Anzböd, beide Achenkirchen in Tirol zwei Sprengförper. Durch Hitler in seiner Rede geäußerten Meinung, daß gegenüber vo II kommen passib ver- wohnhaft in der Engerthstraße im XXI. Bezirt. die Explosion wurden zwei Personen, der Boykott durch das Ausland und die Roh­Wie amtlich gemeldet wird, gaben die bei- darunter ein ind, schwer ver Die saarländische Regierungsfommiffion hat den bei ihrer Bernehmung zu, letzt. zu dem Vorfall bisher nicht Stellung genommer. sozialdemokratischen Bartei und republitanischen Schuhbundes zu fein. Sie hät Sie möchten dem Prozeß Gegenteil, die Spisenorganisation der deutschen Alle Studentenführer abgesetzt ten heute in den Worgenstunden an Seltz ausweichen! der Donau- Uferbahn nächst Lagerhäusern Berlin, 21. Juli. Dem Reichsführer der der Gemeinde Wien eine Sprengung vorgenom= Deutschen Studentenschaft, der dieser Tage sein men. Tatsächlich foll an den erwähnten Bahn Amt niederlegte, sind nunmehr auch sämtliche geleifen eine Explofion erfolgt fein, durch die der Hauptamtsleiter" und" Amtsleiter" der Deut: Bementfodel der Signalanlage Signalanlage zertrümmert schen Studentenschaft gefolgt. Sie wurden fämt- wurde, während die Geleiſe unbeschädigt blieben. liche ihrer Aemter enthoben und führen sie bis zur Die Anzeige an das Standgericht wurde erstattet. Neubesesung lediglich tommissarisch weiter. Auch die Deutsche Studentenzeitung" hat aufgehört, Ein Kandidat für das Standgericht ist in ein amtliches Organ zu sein, und wird durch den Deutschen Studenten" ersest. Es soll sogar ein erster Linie der Bauer Peter Harlander in neues Arbeitsprogramm für die Nazi- Studenten Tagenbach( Salzburg), bei dem 52 Kilo Spreng­ausgearbeitet werden, das sogar der wissen- stoff und fünf Handgranaten reichsdeutscher Her­schaftlichen Betätigung ein gewisses Feld ein- funft gefunden wurden. Harlander sowie ein ge­räumen soll. wiffer Schar mtanner, der den Sprengstoff

hielt.

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Mitglieder der des gewesenen

stoffkrise kraft der Genialität der deutschen Er­finder und Chemiker gelöst werden kann. Im

Industrie hat in einer vertraulichen Eingabe an die zuständigen Stellen darum ersucht, alles zu Im( gestohlenen!)., Arbeiter- Sonntag" tun, um Rohstoffe ins Land zu bekommen, denn schreibt Vizebürgermeister Dr. Winter an leiten- die Ersatzstoffe gefährden den deutschen Export. ter Stelle über die Hindernisse der Verſtändi- Auch sollten Meldungen, die sich auf Verarbei gungsaktion" und betont, man fönne sdnverlichtung von Ersatzstoffen beziehen, unterdrückt ernsthaft Menschen zur Mitarbeit einladen, deren werden. Bater, Sohn. Brüder und Freunde nur aus poli- Und warum follen die Katholiken für tischen Gründen gefangen gehalten werden. In das Dritte Reich beten? Etwa dafür, daß ihr diesem Zusammenhange bezeichnet der Vize- Klausener erschossen wurde, daß sie ihren Got­bürgermeister, den Fall des früheren Bürger- tesdienst nun schon heimlich in den Wäldern ab­meisters Se is als symptomatisch. Seiß sei ein tianfer Mann. Wenn man ihn eine Seilanstalt halten müssen, oder dafür, daß die katholischen aufsuchen ließe, würde man dadurch vielen wert- Jugendorganisationen allmählich ausgehungert vollen Kräften die Mitarbeit überhaupt ermög- werden sollen, indem ihnen praktisch jede Le. lichen. bensmöglichkeit genommen wird?

ST