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Freitag, 27. Juli 1934

Mussolini   fälscht Geschichte Die Sterbestunde

Bin verlogener Appell an die Welt

des Kanzlers

Die Polizeibeamten, die zur kritischen Zeit im Bundeskanzleramt   Dienst bersahen, schildern die letzten Stunden des Bundeskanzlers Dr. Doll­

Riccione, 26. Juli.  ( Stefani.) Der Chef Es bleibt die Aufgabe der sozialistischen   Preffe in fuß in folgender Weise: der italienischen Regierung, Mussolini  , richtete an ben österreichischen Vizekanzler folgendes Tele­gramm:

Das tragische Ende des Ranzlers Dollfuk bereitet mir tiefen Schmerz. Mich verbanden mit ihm die Bande persönlicher Freundschaft und ge­meinsamer politischer Anschauungen. Stets be­wanderte ich seine staatsmännischen Fähigkeiten,

aller Welt, diese Wahrheit zu Hünden:

Dollfuß   hat feinen Mördern selbst den Boden bereitet und starb belastet mit der Blutschuld für das Hinschlachten tapferer Männer, die für die Freiheit eines demokratischen Dester­reich genau so ihr Leben eingeseht hätten, wie für die Freiheit ihrer Klaffe.

Colt 3

Neuerliche Absage

an die KPČ

Die Kommunisten haben sich trotz der be­reits erfolgten Ablehnung ihres Einheits­frontangebots unter Bezugnahme auf die österreichischen Ereignisse neuerdings an die sozialdemokratischen Parteien mit ,, Ein­heitsfront"-Vorschlägen gewandt. Unsere Partei erteilte folgende Antwort:

Wir standen auf den Gängen des Bundes­tangleramtes und fahen und plöhlich einer grö­Heren Anzahl angeblicher Militaristen gegenüber, die unter Borhaltung von Pistolen und Revol= bern ,, Hände hoch!" schrien und uns entwaffneten. Gegen 13 hr 45 Minuten wurde von einem Terroristen gefragt, ob jemand einen Notverband anlegen könne. Wir meldeten Wir können in die Klagerufe um das eble uns und wurden unter Bedeckung zu Dr. Dollfus tung gemeinsamer Aktionen können wir nur Auf Ihr neuerliches Angebot zur Veranstal­

feine Ehrlichkeit, feine Einfachheit und feinen Leben nicht einstimmen, das im Bundeskanzler großen Mut. Die Unabhängigkeit Deſterreichs, amt ausgelöscht wurde: die Toten des Feber find für die er gefallen ist, ist ein Prinzip, das von im Wege. Die Weltmeinung täte gut daran, sich Energie verteidigt werden wird. Stanzler Doll- free Defterreich, das Dollfuß   in einen Sterker ver­fuß hat in außerordentlich schwierigen Zeiten Banditen, ist noch keine Sühne für den Massen­wandelt hat. Sein Tod, bewirkt durch die braunen bem Volk, aus dem er hervorgegangen ist, ab- mord vom Feber: diese Rechnung werden die folut uncigennütig und ohne Rücksicht auf die Schuldigen noch begleichen müffen. Gefahr gedient. Sein Andenken wird nicht nur in Desterreich, sondern überall in der ganzen zibilifierten Welt geehrt werden, welche die­jenigen, welche direkt oder indirekt für seinen Tob verantwortlich find, bereits moralisch ver­nrteilt hat. Nehmen Sie den Ausbrnd meines Beileibs entgegen, der das einmütige Gefühl des Abscheus und der Trauer des italienischen Rolfes verdolmetscht.

in Deſterreidelt geehrt we

Soldaten als Richter

An das Zentralkomitee der Kommunistischen Partei der Tschechoslowakei  

Arbeiterschaft dieses

geführt, der in tieffter Bewußtlosigkeit am Boden mit dem Hinweis auf unsere bereits erteilte lag. Wir ersuchten den angeblichen Major der Antwort erwidern. Ihre neuerliche Zuschrift Befassungstruppen, fofort einen Arzt kommen zu ändert an unserem Standpunkt nichts. Die Er entgegencte: Niemand darf aus dem aus." Landes hat der österreichischen Arbeiter­an, betteten ihn auf einen Diwan und labten ihn tatkräftige Solidarität erwiesen, sie hat für Wir legten sodann Dr. Dollfus einen Notverband klasse in allen Phasen ihres Kampfes die mit Umfchlägen und Kölnischwaffer, wodurch der die Opfer der blutigen Feberereignisse alles Bundeskanzler das Bewußtsein wicbererlangte. getan, was in ihren Kräften stand. Sie wird Er verlangte die Minister sprechen zu können. Auf auch weiterhin auf der Wacht stehen, um den unsere Intervention wurde Fen gerufen. Angriffen des Fascismus die Kraft der Arbei­terklasse entgegenzuwerfen. Sie bedarf da die nichts anderes sind, als ein Deckmantel her Ihrer Aufforderungen und Angebote nicht, für die Fortsetzung Ihrer Verleumdungskam­pagne gegen die Sozialdemokratie. Wir haben noch zu gut in Erinnerung, wie Ihre Presse den heldenmütigen Kampf der österreichi­" chen Sozialdemokratie und des sozialdemo­kratischen Schutzbundes mit Lügen und Be­

Der Bundeskanzler ersuchte, man möge ihn lich mit Glacé- Handschuhen vorgehen, hat man Priester rufen laffen. Eine neuerliche Interven Da die Standgerichte gegen Nazis bekannt- ins Sanatorium bringen oder einen Arzt und für Umsturzversuche" nicht nur die ordentlichen, tion bei den Terroristen blieb erfolglos. Dollfuß  fondern auch die Standgerichte ausgeschaltet und bat Feh auch, jedes unnüße Blutvergießen zu ver­als Ausnahmegericht einen Militärgerichtshof ein hindern. Er sagte, Fen solle Mussolini   ausrichten, gescht, deffen klaglofes Funktionieren durch die er möge sich seiner Frau und seiner Kinder an striktesten Vorschriften gesichert werden soll. nehmen. Zu uns, fagt Dr. Dollfuß schlich Dieser Militärgerichtshof erkennt in Senaten, Kinder, Ihr seid gut zu mir und ich danke C Dieses Telegramm Mussolinis wird von der die aus einem Richter als Verhandlungsleiter und warum sind die anderen nicht auch ſo. d) schimpfungen begleitet hat, als daß wir in der bürgerlichen Presse aller Länder in größter Auf- drei Offiziaren des Bundesheeres bestehen, von wollte ia nur den Frieden. Lage wären, gerade in österreichischen Ange­machung wiedergegeben zum Zeichen dafür, daß denen der rangältefte den Vorfis führt. Das Ber. Den anderen möge Gott   verzeihen." Bevor Dolllegenheiten mit Ihnen gemeinsame Sache zu der Chef der italienischen Regierung nicht nur die fahren vor einem Militärgerichtshof spielt sich in fuß neuerlich bewußtlos wurde, sagte er: 2aßt machen. Sie haben, während Sozialdemokra­sittliche Entrüstung der Welt teile, sondern die ähnlich abgekürzter Form ab, wie das standrecht- mir meine Frau und Kinder grüßen." ten im Kampfe um die Freiheit verbluteten, linabhängigkeit" Defterreichs zu schüßen be- liche Verfahren. Der Militärgerichtshof ist nichtröcheln, erbrach Blut und verschied gegen 1 5 Uhr Der Kanzler begann dann immer mehr zu für die Sache des Proletariats noch nichts an­reit sei. befugt, die Strafen unter das geschliche Mindest= Die Freundschaft, die Dollfuß au Mussolini maß im Wege des außerordentlichen Milderungs­hegte, war nicht nur Ausdruck der Sympathie, die rechtes herabzusehen. Gegen feine Urteile gibt es Mörder großen Stils gewöhnlich füreinander fein Rechtsmittel. Die Strafe ist so= baben, sondern mehr noch eine Bestätigung der fort zu vollziehen. Tatsache, daß die Unabhängigkeit Oesterreichs  schon längst nicht mehr besteht: Dollfuß   war mehr noch der Beauftragte denn der Freund Mus= folinis.

Starhemberg   führt die Geschäfte

Auf Verlangen des italienischen Regierungs­chefs hat Dollfuß   die österreichische Arbeiterbewe­In den frühen Vormittagsstunden sind alle gung niedergeworfen. Mussolini   hat der Heim­verantwortlichen Polititer in Wien   eingetroffen. wehr Waffen, Munition und Geld geliefert. Die Bundeskanzler Miflas traf um 5 Uhr früh österreichische Sozialdemokratie, die die wirkliche im Sonderzug aus Belden ein und begab sich so­Unabhängigkeit des Landes wollte, war dem italie- fort an die Bahre des erschossenen Kanzlers. Vize­

Vormittag

45 Minuten.

Aufbahrung im Rathaus Leichenbegängnis am Samstag

Heute um 6 Uhr nachmittags fand unter maf­senhafter Beteiligung der Bevölkerung die Ueber­führung der irdischen Hülle des ermordeten Bun­deskanzlers Dr. Dollfuß aus dem Gebände des

Bundeskanzleramtes auf dem Ballhausplah über die Ringstraße in das Rathaus statt, wo der Sarg sur allgemeinen Besichtigung aufgestellt wurde. Bundeskanzlers bleiben in der Volfshalle des Nat­Die sterblichen Ueberreste des dahingeschiedenen hauses bis Samstag, 12 Uhr mittags aufgebahrt.

deres beigestellt, als billige Phrasen, Sie ha­

ben für die Einheit der Arbeiterklasse noch nichts anderes getan, als Verwirrung unter den Arbeitermassen zu stiften. Wir lehnen es daher entschieden ab, mit Ihnen zu verhan­deln. Die Einheit des Proletariats und seiner Aktionen wird nur durch die Ueberwindung Ihrer Methoden verwirklicht werden können.

Ein Naziführer

freigesprochen!

nischen Diktator ein Hindernis bei seinen Plänen uztam miklas hatte das Leichenbegängnis findet Samstag nachmittag Wien   tagte in Wels   das Schnellgericht. Ange­

mit Oesterreich: seit den Febertagen dieses Jahres mittels muß man das Land als eine italienische Kolonie noch am Vormittag längere Unterredungen mit ansehen, als eine Schachfiqur des italienischen Schuschnigg und e n. ferner mit dem Bun­Diktators. deskommissär für Heimatschuß A da m, mit dem Bürgermeister ch mit und mit Starhem­ berg  .

Mehrfach ist also die Schuld Mussolinis an den Zuständen in Desterreich, die zur Ermordung des Bundeskanzlers führten und durch sie noch lange nicht zum Bessern gewendet werden.

Mittags trat der Ministerrat zusam= men, der den ganzen Tag über in Permanenz bleiben soll. Offenbar soll heute noch die neue Regierung gebildet werden.

Der italienische Regierungschef hat der Siflerdiktatur immer ein freundliches Gesicht ge­zeigt, hat sie ermutigt und unterstüßt, jederzeit Im Ministerrat übergab Schuschnigg   dem bereit, sie sich zur Ausführung seiner europäischen Vizekanzler Starhemberg   offiziell die Führung Bläne gefügig zu erhalten. Goering  , Goebbels   und der Geschäfte. Nach einer Trauerfundgebung für Sitler wahlfahrteten nacheinander ins gelobte Dollfuß, in der Starhemberg u. a. versicherte, die Land des italienischen Fascismus und der Mann, Regierung werde nach wie vor in engster Kampf­der jetzt Moralsprüchlein aufsagt und von der gemeinschaft und treuester Kameradschaft".das Entrüstung der zibilisierten Welt spricht, hat ihnen Erbe des ermordeten Staatsmannes durchführen, ohne Hemmungen und freundlich lächelnd die blu- beschloß der Ministerrat ein als Bundesver tigen Hände gedrückt. Das Recht, von Zivilisas fassungsgeset" taschiertes Ausnahmegese tion im jeßigen Augenblick zu reden, hätte sich gegen die Putschisten. Mussolini   früher erwerben müssen. Aber er hat geduldet, daß ihn die deutschen   Henter als Beispiel priesen und sich bei ihrem blutigen Handwert auf ihn beriefen. Er hat es geduldet, weil er es dulden mußte.

Drel Tote in der Ravag

Zum Ueberfall auf die Ravag wird weiter berichtet, daß der Polizeibezirksinspektor Peter Denn Mussolini ist der große Lehrmeister Fluch getötet wurde. Außerdem sind zwei Mit­aller fascistischen Henter. Das Blut edler Männer glieder der Terrorbande, nämlich der Chauffeur flebt an seinen Händen, das Blut eines Mannes er mat und der Schauspieler er st, hiebei vor allem, vor dessen sittlicher Größe sich die ums Leben gelommen. wirklichen Kulturmenschen in Ehrfurcht und De­mut beugen: Matteottis. Wir haben die Schreie der Geschlagenen und Ermordeten von Mailand  , Florenz   und Mollinella nicht vergessen, wir werden, auch wenn es die ganze Welt über­sieht, nicht übersehen, daß der jest moralisch ent­rüstete Mussolini   die blutige Barbarei zum vor­nehmsten Werkzeug seiner Politit gemacht hat und daß das Epigonentum der anderen Mörder in Amt und Würden sein bestialisches Beispiel nicht zu verdecken vermag.

Mussolini   entrüstet sich. Man muß Mördern, wenn sie moralisch tun, doppelt gut auf die Fin­ger sehen.

Die Weltmeinung

Die amtlichen und halbamtlichen Nachrichten­stellen der verschiedenen Länder und die bürgerliche Breffe feiern den ermordeten Bundeskanzler als tatträftigen Führer Desterreichs und ereifern fich über die Banditen, die sein Leben beendeten. Die Entrüstung über den Mord ist sehr wohl am Plage; aber sie wirkt heuchlerisch, wenn sie dem Opfer nur Gutes nachsagt. Dollfuß   ist durch die Gewalten gefallen, die er rief. Die natürlichen Bundesgenossen eines freien, felbftändigen Defter reich ließ er im Feber niebertartätschen, die Nazis hat er immer gestreichelt. Ueber Tote soll man nicht nur Gutes sagen, sondern die Wahrheit. Be­sonders dann, wenn sie an so hervorragendem Blake standen, wie der ermordete Bundeskanzler.

ftatt.

Massenverhaftungen

In Wien  

Am Tage nach der Hinrichtung Geris Kurz vor dem nationalsozialistischen Putsch in flagt war der Notariatkandidat Dr. Rudolf Si mel aus Vöcklabruck   wegen des Verbrechens nach Paragraph 4 des Sprengstoffgefeßes. Der Ange= flagte fungierte in Vöcklabrud als Komman dant der nationalsozialistischen In allen Wiener   Bezirken fanden gestern Sturmabteilung und erlich am 24. Juli Nationalsozialisten statt. Wlan schänzt die Zahl der abteilung, in welchem er erklärte, daß am 26. abends und heute früh Massenverhaftungen von einen Tagesbefehl an die Mitglieder der Sturm­Verhafteten auf mehrere hundert. Unter den Ber  - Juni die ausländischen Journalisten im Salzkam der Turnhalle in der Siebensterngaffe. In einigen wahre Gesicht Oesterreichs   zu zeigen. Jede Altion hafteten befindet sich auch das gesamte Personal mergut erscheinen werden. Es sei nötig, ihnen das Bezirken mußten neben dem Polizeikommissariat sei zulässig. Weiters wird in dem Tagesbefehl er­Notarreste errichtet werden.

Schreckensurtelle gegen Schutzbündler

lung endete vor dem Wiener   Schwurgericht heute Wien  , 26. Juli. Nach zweitägiger Berhand­der Prozeß gegen fünf Angehörige des Republika= nischen Schutzbundes, die an den Feberunru hen im 10. Wiener   Bezirk beteiligt waren. Das Gericht erkannte alle Angeklagten für schuldig und verurteilte drei von ihnen, und zwar Stanislaus Karban, Mathias Rybarck und Josef Heindl zu zehn Monaten schweren Kerkers, einen weiteren Angeklagten zu sieben Monaten und den fünften zu viereinhalb Monaten schweren Kerkers.

Wie es der tapfere Fey haben wollte

-

gue

Bitt' schön vielleicht beehren uns die Herren bald wieder,

wenn es Ihnen bei uns gefallen hat!"

flärt, daß die Mitglieder über die Durchführung desselben genau zu berichten haben. In Betracht tommen Verteilung von Hafenfreuzen, das Wer­fen von Papierböllern und Sprengstoffen, das Hissen von Hakenfreuzfahnen, das Anzünden von notwendig. Hafenfreuzfeuern usw. Die höchste Aktivität sei

Angeklagter Dr. Simel erklärte, er sei un­schuldig, er habe nie mit den nationalsozialiſtiſchen Methoden sympathisiert. Er habe die Gewalttaten der Nationalsozialisten eher verhindert. Sein Ver­dienst sei, daß in Vöcklabruck   kein größeres Atten­tat verübt wurde. Der Tagesbefehl, von dem in der Klage die Rede sei, existiere zwar, der Angeflagte habe ihn aber auf Befehl des Wiener  Komandos verbreitet. Uebrigens sei der Tagesbe= fehl unglücklich ſtiliſiert.

Nach der Rede des Verteidigers Dr. Sla= ma, des ehemaligen großdeutschen Ministers und des bekannten nationalsozialistischen Protektors hat das Schnellgericht den Angeklagten freiges sprochen mit der Begründung, daß man seiner Verteidigung Glauben schenken müsse.

Das Schnellgericht in Wien   verhandelte heute den Fall der beiden Nationalsozialisten Peter Harlanderu. Joh. Scher enthaneraus Zell am See  , die am 11. Juli 75 Kilogramm Sprengstoffe und 5 Handgranaten von Bayern  nach Tagenbach schmuggelten. Nach längerer Bc= ratung trat das Gericht den Fall den ordentlichen Gerichten mit der Begründung ab, daß auf die Berteidigung der Angeklagten Rüdsicht zu nehmen sei, die behaupten, zu ihrer Tat durch den Terror der Nationalsozialisten gezwungen( 1) worden zu sein, welcher Verteidigung das Gericht Glauben schenkte.

Die Dollfuß  - Mörder ermittelt

Es wurde bereits festgestellt, daß der Führer der Butschisten, die in das Gebäude des Bundes­Tanzleramtes eingedrungen waren, ein früherer Gefreiter namens Friedrich ist, ber bie Uni form eines Hauptmanncs trug. Es wurden auch die drei Mörder des Bundeskanzlers Dollfuß   er. mittelt. Sic waren mit Walter Bistolen bewaff. nett.