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Sosialdemokrat

ZENTRALORGAN

DER DEUTSCHEN SOZIALDEMOKRATISCHEN ARBEITERPARTEI

IN DER TSCHECHOSLOWAKISCHEN REPUBLIK

ERSCHEINT MIT AUSNAHME DES MONTAG TAGLICH FRUH. REDAKTION UND VERWALTUNG PRAG XII., ROCHOWA 62. TELEFON 5867. ADMINISTRATION TELEFON 53076. HERAUSGEBER: SIEGFRIED TAUB. CHEFREDAKTEUR : WILHELM NIESSNER. VERANTWORTLICHER REDAKTEUR: DR. EMIL STRAUSS, PRAG .

14. Jahrgang

Mittwoch, 1. August 1934

Hindenburg im Sterben?

Einzelpreis 70 Hotter

( einschließlich SM

Nr. 177

Der Irrweg des Fascismus

Professor Sauerbruch an seinem Krankenlager- Kabinettsrat nach Berlin einberufen die Ratlosigkeit der Vielen gegenüber der Be

Berlin, 31. Juli. Heute vormittags wurde die Deffentlichkeit durch die Nachricht von dem besorgniserregenden Zustand des 87jährigen Reichspräsidenten alarmiert, an deffen Krankenlager Professor Sauerbruch aus Berlin und andere Aerzte weilen. Allem Anschein nach ist ernsthaft mit dem Ableben Hindenburgs zu rechnen.

Die Frage, wer sein Nachfolger wird, kann infolge der hohen Bedeutung, welche namentlich der dem Reichspräsidenten zustehende Oberbefehl über die Wehrmacht gerade unter den jetzigen Verhältnissen hat, auf die weitere Entwidlung in Deutschland großen Einfluß nehmen.

Daß auch Hitler bereits mit dem Tod Hindenburgs rechnet, geht daraus hervor, daß Hitler seinen Urlaub abgebrochen und alle Reichsminister zu einem Kabinettsrate cin­berufen hat.

Wortlaut:

1622/ A

boten. Die fragliche Nummer wurde beschlag­nahmt. Dem verantwortlichen Schriftleiter wurde sofort bis auf weiteres die Pressekarte entzogen.

Das Blait hatte erklärt, daß Erwägungen über die Nachfolge auf dem Präsidentenstuhl überflüssig seien, da das Schicksal des deutschen Voltes und damit auch jede Entschlic Bung in einer Hand ruhe, nämlich in der Hand des Reichstanzlers Hitler . Die Verfassungsartikel, die sich auf den Reichs präsidenten beziehen, bestchen aber noch und diesen zufolge müßte der vorläufige Nachfolger des Prä­sidenten der Vorsitzende des Obersten Reichsgerich­tes Dr. Bum te werden, der aus dem Reichstags­brandprozeß bekannt ist. Der definitive Reichspräfi­dent müßte dann aus einem Plebiszit hervor gehen.

Der stärkste Zutreiber des Fascismus war drängnis, in die sie durch die Krise des kapitali stischen Wirtschaftssystems geraten sind. Selbst die Aussicht, das wertvolle Gut der Freiheit zu verlieren, konnte sie von der Begeisterung für ein fascistisches Regierungssystem nicht heilen, denn war schien ihnen Denk- und Meinungsfreiheit wert, da Verschuldung, Arbeitslosigkeit und Eri­stenzunsicherheit sie bedrückten. Sie glaubten, sic hätten nichts mehr zu verlieren und die fasci­stische Demagogic, die mit verschwenderischer Freigebigkeit Befreiung von der Zinsknechtschaft. Streichung aller Hypotheken, Brot und Arbeit in Ueberfülle versprach, konnte sie leicht in ihr Ney locken. Anstatt mit dem Begriff Kapitalis. mus verbanden sie mit dem Begriff Demokratic die Ursache ihrer Nöte und Leiden und selbst die Steptischeren glaubten, schlechter könne es ihnen auch in einer Diftatur nicht gehen. Von eigenen Sorgen gedrückt, waren ihnen die Kämpfe der proletarischen Parteien, die sie meist gar nicht Als Kandidaten werden in Berliner Krei- verstanden, zuwider, erfreulicher erschien ihnen Ein ,, taktloser" Kommentar fen u. a. genannt: Marschall Maden fen und ein Zustand, in dem ein Einzelner, der von der der ehemalige Herzog von Braunschweig Ernst Vorsehung gesendete Diktator, ihnen alle Sorge August, cin Schwiegersohn des Erkaisers Wil­helm. Der Name des ehemaligen Kronprinzen, um die Lenkung von Staat, Wirtschaft und ihres der in zahlreichen früheren Kombinationen im eigenen Schicksals abnahm und rasch alles einem vorigen Monate genannt wurde, wird vorläufig guten Ende zuführte. nicht angeführt.

mit, daß eine Meldung vorliegt. Der Krankheitszustand ist gleich geblieben. so daß heute kein Bulletin weiter ausgegeben wurde. Es sei richtig, daß man auf alles gefaßt sein müsse, doch spreche nichts dafür, daß heute eine Verschlimmerung im Befinden ein­getreten fei.

und seine Folgen

binu

Die Deutsche Zeitung" wurde wegen eines zu der Erkrankung des Reichspräsidenten heraus­gegebenen tattlosen Kommentars" in ihrer Abendausgabe vom 31. Juli auf acht Tage ver­

Kandidaten:

Wie schon oft in der Weltgeschichte, da aus Verzweiflung der Glaube an das Wunder ge­boren wurde, war es auch diesmal ein Wunder­glaube, der ihnen verheißungsvoller erschien als das Wirken freie Volfswahl eingeset. ten Regierungen Parlamente. Es war

Planetta und Holzweber hingerichtet ten der durch that sofinal dinge her

Das alarmierende, um 9 Uhr 50 dem Militärgerichtshof gegen den Dollfußmörder eine Bedingung geknüpft war. Wien , 31. Juli. Die Verhandlung vor, Einhaltung des freien Abzuges gegeben, an den ausgegebene Bulletin hatte folgenden I a net ta und den Führer der Putschisten, Holzweber, die heute um 9 Uhr fortgesetzt Der Herr Neichspräsident, der seit einigen wurde, endete um 13 Uhr 40 mit der Verurtei­Monaten an einer Blafenerkrankung lung beider Angeklagten zum Tode durch den leidet, hatte in Neudeck wesentliche Erholung gefun- Strang. den. In völliger geistiger Frische und erfreulicher Das Gnadengesuch der beiden wurde ab= törperlicher Verfassung erledigte er seine. Dienst- gelehnt und ihre Hinrichtung um 16 Uhr 35 obliegenheiten und war noch gestern in der Lage, vollzogen. Zuerst erfolgte die Hinrichtung Holz­Vorträge entgegenzunehmen. Eine leichte för webers, der nach der Berkündigung des Urteils perliche Schwäche, die feit einigen Tager: rief: Ich sterbe für Deutschland , Heil Hitler!" fich bemerkbar machte, hat jedoch in dieser Nacht zu Auch Planetta rief vor der Justifizierung Heil genommen. Bei dem hohen Alter des Herrn Ge- Hitler!". neralfeldmarschalls ist daher ernste Sorge

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vorhanden. Die behandelnden Aerzte find in Neu­deck anwesend; fortlaufende Berichterstattung wird folgen.

Ein späteres Bulletin besagt:

Glaube, der weise Diftator werde als alleiniger Lenker des Massenschicksals wie das jedes Ein­Hierauf wird der Held Fen selbst als Zeuge zelnen durch seinen ungehemmten Willen Recht, einvernommen. Er redet sich auf Neustädter- Stürmer Ordnung und Wohlstand sicherer verbürgen, als aus, der die Verhandlungen geführt habe; über die es das bisherige" System" vermochte, dem die Ledingungen des freien Geleites sei er nicht orien- fascistische Agitation heuchlerisch die Schuld an tiert gewesen. Auf die direkte Frage des Verteidi- allen Uebeln zuschob. So hatte der Fascismus gers, ob er sein Wort gegeben habe, daß die Auf- lange Zeit gutes Wetter. Da die Völker und rührer freigelassen werden, behauptet sen, weder Massen recht handgreiflicher Gründe bedürfen, fein Wort, noch sein Soldatenwort( welche feine damit sich ihre Begeisterung in Abneigung ver. Unterscheidung!!) gegeben zu haben, weil er angeb- wandle, schien die Aufklärungspropaganda gegen lich keine Vereinbarungen treffen konnte. Er habe ihn, so notwendig sie war, wirkungslos. Auch lediglich als Dolmetsch fungiert. Die Aufrührer hätten ihn gefragt, ob sie sicher sein könnten, daß die Vereinbarungen eingehalten werden, worauf er erklärt habe, er glaube, daß sie sicher sein

tönnen.

Beide haben bis zum letzten Augenblicke vollständige Ruhe bewahrt. Holzweber und Pla­netta hatten geistlichen Beistand verlangt. Es er­schien deshalb in der Armefünderzelle ein katho- Staatssekretär Karwinsky erklärt, das Ge­lischer und ein evangelischer Seelsorger. Auch die Der Herr Reichspräsident nahm am Vormit­beiden Frauen der zum Tode verurteilten Putschi- leite sei nur unter der bekannten Bedingung ge­tag einen Morgenimbiß außerhalb des Bettes zu ften waren erschienen, um von ihren Männern währt worden, daß kein Minister am Leben ge­ Am Schluffe der Gerichts- fährdet oder geschädigt wird. sich. Hierbei war er voller Teilnahme für seine Abschied zu nehmen. Umgebung. Nach Rückkehr in das Bett trat ein ru- verhandlung hatte Planetta Habtachtstellung ein­higer Schlaf ein. Fieber ist nicht vorhanden. Puls genommen und die Frau des Bundeskanzlers fräftig, zahlenmäßig erhöht. Gcz. Prof Sauer Dollfuß um Verzeihung seiner Tat gebeten. bruch mit Dr. Kraus, Dr. Adam, Professor Kaufmann.

Um 17 Uhr 15:

Im Zustand des Reichspräsidenten ist keine Berschlechterung eingetreten. Bu Mittag erfolgte eine geringe Nahrungsaufnahme. Kein Fieber.

Buls zufriedenstellend.

gez. Prof. Sauerbruch.

*

Erwachsene, besonders wenn sie einer Massen. pſychoſe erliegen, sind oft wie Kinder, nicht Worte machen sie flüger und vorsichtiger, sondern ledig­lich die eigene schmerzliche Erfahrung.

Im Norden und Süden von uns sind bin­nen Jahresfrist zwei neue Diktaturen entstanden und die Besorgnis, bald werde die fascistische Welle auch über die noch demokratisch regierten Minister Neustädter- Stürmer modi- Staaten Europas dahingehen, schien berechtigt. fiziert dies dahin, daß die Bedingung gelautet habe, Dieses Jahr des stürmischen Aufschwungs des daß von dem Moment an bis zum Abzug nic- Fascismus hat aber auch zugleich seine Vergäng­mandem etwas geschehe. Allerdings sei der Tod des lichkeit bewiesen. Er mag kürzer oder länger Bundeskanzlers damals noch nicht bekannt gewesen. seine Herrschaft fristen, er mag die mittelalter­Beim Abzug der Putschisten sei Miniſter Schuschlichsten und grausamsten Methoden zu seiner Er. nigg im Bundeskanzleramt erſchienen und habe er- haltung anwenden, heute bereits besteht die Ge­klärt, der Tod des Bundeskanzlers ſchaffe eine voll- wißheit, daß er dem Untergang geweiht ist. Ob kommen neue Situation. er sich bei seinem Machtantritt auf eine Massen­Dienstag vormittags wurde als letzter Zeuge basis stüßen konnte wie in Deutschland , oder ob der Kriminalbeamte Steinberger einvernommen, bloß auf den Besitz von Kanonen und Maschi­nengewehren und auf der Sehnsucht gewisser bürgerlicher und monarchistischer Streise nach Wiederherstellung der früheren Vorherrschaft des. Besizes wie in Desterreich, die Bröcklichkeit seiner Grundlagen hat sich hier wie dort eklatant erwiesen. Daß der Fascismus kein einziges der Staatsprobleme zu lösen vermochte, nicht einmal Anfäße dazu erreichen konnte, ja daß jeder Ver­gleich ergibt, um wie viel erfolgreicher die demo­fratisch regierten. Staaten mit diesen Problemen ringen, das allein hätte den Entwicklungsprozek trotz des bitteren Erwachens vieler von der fasci­stischen Phrafologic Verauschter nicht genug be. schleunigt, denn noch immer finden sich viele Menschen bereit, ihm eine weitere Chance zu geben und auf eine fernere Zukunft zu hoffen. Was das autoritäre System tödlich trifft, das ist

In der gestrigen Verhandlung hatte Planetta noch erklärt, daß seine Gruppe die diegierung gefangen nehmen wollte; dies sei ihm anbefohlen worden. Zum Schluß betonte er noch mals, daß er nicht die Absicht gehabt habe, den Bundeskanzler zu erschießen, sondern nur eine Per­son, die er schattenhaft in dem verdunkelten Bimmer gesehen habe. Er bleibt dabei, daß nur Der Reuterforrespondent meldet am Abend durch seine Aufregung oder durch einen anderen aus Berlin : unglüdlichen Bufall die Waffe losgegangen sei. Ab- Die von der Verteidigung gestellten Anträge, Sofort nach Eintreffen der alarmierenden schließend erklärte Planetta: Nicht nur vom politie die Frage des freien Geleites betrafen, wur­Rachrichten über den Gesundheitszustand des tischen Standpunkte halte ich die Tat für verfehlt, den vom Gericht als irrelevant abgelehnt. Präsidenten von Hindenburg hat Reichskanzler sondern auch vom rein menschlichen Standpunkte aus Der Staatsanwalt erklärte, die Erklärungen über Hitler sämtliche Mitglieder der Reichsregierung tut t es mir leid, daß ich den Bundeskanzler er das freie. Geleite feien nur durch unerhörte Ge­nach Berlin einberufen. Die letzten Nachrichten schossen habe. walttätigteiten erpreßt worden. aus Neudeck befagen, daß das Ableben des Reichs- Holsweber erklärte sich nur insofern schuldig, präsidenten ire den Augenblider- als er in das Bundeskanzleramt eingedrungen fei; folgen tönne. eine gewaltsame Handlung habe er dort nicht vollbringen wollen. Er habe nur den Auftrag ge­habt, im Namen des Bundespräsi­

Kurz vor Blattschluß:

Unverändert ernst

Auf eine gegen Mitternacht vom Tschecho­flowatifchen Breffebüro gestellte Anfrage betref­fend das Befinden des Reichspräsidenten Hinden bung teilt das Deutsche Nachrichtenbüro in Berlin

In seinem späteren Plädoyer wies der Staatsanwalt darauf hin, daß alles auf einen Bürgerkrieg abzielte:

Ein Füntchen hätte genügt und wir hätten Militär und fremde Mächte in unserem afhabt.'

benten die dort befindlichen Regierungsmit- fremdes Whit glieder zu verhaften, und habe geglaubt, daß die ganze Angelegenheit legal sei, da schon eine neue Von Abolition könne teine Rede sein. Durch un­Regierung Rintelen gebildet sei. Man habe ihnen sägliche Gewalttaten sei das Versprechen abge­weiter gesagt, daß die Erefutive auf ihrer Seite sei. preßt worden; es könne daher keine moralische Ich habe zweimal sein Soldatenchrenwort für die Bedeutung und Kraft haben.